Читать книгу Liebe auf der Station - 4 Arztromane: Liebe und Schicksal Großband 9/2021 - A. F. Morland - Страница 30
23. Kapitel
ОглавлениеDas Wetter hätte nicht schöner sein können, als die Clique mit vier Autos München in Richtung Berchtesgaden verließ, und es versprach auch so zu bleiben. Die Stimmung war, abgesehen von den Spannungen zwischen Sandra Falkenberg, Dorothee Simonis und Oliver Wiechert, sehr gut. Lisa und Julian Krautmann hatten Eva Schroth und Johannes Brauneis im Wagen. Sie sangen während der ganzen Fahrt fröhliche Wanderlieder, und jedes Mal, wenn Eva ihre leckeren, mit Haselnusscreme gefüllten Butterkekse anbot, nahm Johannes sich gleich zwei.
Der wird bestimmt mal sehr reich werden, dachte Julian belustigt. Aber er wird nichts von seinem vielen Geld haben, weil er auf jedem Pfennig sitzt wie die Glucke auf dem Ei und nicht bereit ist, etwas von seinem mit beispielloser Besessenheit gehorteten Schatz auszugeben. Nichts gegen Sparsamkeit, aber bei Johannes artet sie allmählich in Geiz aus.
Bei Berchtesgaden verließen sie die Autobahn und fuhren dem mächtigen Massiv des Watzmann entgegen. Karsten Rüge führte die Clique zum Ausgangspunkt der Wanderung. Die Fahrzeuge wurden abgestellt, die Rucksäcke geschultert, und dann ging es auf Schusters Rappen weiter. Karsten marschierte voran, und Sandra gab sich Mühe, mit ihm Schritt zu halten.
„Tut gut, sich in Gottes freier Natur mal so richtig auszuarbeiten, nicht wahr?“, sagte Julian Krautmann zu seiner Schwester.
„Karsten legt ein beachtliches Tempo vor“, erwiderte Lisa.
„Kommst du nicht mit?“
„Ich schon, aber Eva ist nicht so sportlich. Wir werden sie verlieren, wenn wir nicht ein bisschen mehr Rücksicht nehmen.“
„Jeder geht sein Tempo“, sagte Julian. „Von Zeit zu Zeit wird gerastet, und wenn alle wieder beisammen sind, geht es weiter.“ Er schaute zurück.
Johannes ging neben Eva. Sie war also nicht allein. Die Wanderung spielte sich so gut ein, dass selbst die unsportliche Eva Schroth nicht überfordert wurde.
Die Bergwelt zeigte sich der Clique von ihrer faszinierendsten Seite, und der Ausflug war für alle von Anfang an ein wunderschönes Erlebnis. Am Abend wurden die Zelte aufgeschlagen, alle setzten sich um eine kleine, aus Steinen gebildete Feuerstelle, und während das trockene Holz knisternd und knackend brannte, spielte Karsten Rüge auf einer Mundharmonika alle Lieder, die man von ihm hören wollte.
Als sie am nächsten Morgen ausgeruht und bester Dinge die Wanderung fortsetzten, wurde der Berg bald felsiger und schroffer. Sie sahen Gämsen, und Julian Krautmann schoss ein paar Fotos von den schönen Tieren.
Nach etwa zwei Stunden sagte Karsten: „Jetzt teilt sich der Weg. Rechts schlängelt er sich in vielen Windungen gut gesichert und völlig risikolos zum Bärenloch hinauf, links geht es über scharfes Geröll, schmale Steige und steile Leitern direkt zum selben Ziel hoch. Das ist beschwerlich und gefährlich, deshalb möchte ich jedem, der so einen Weg noch nie gegangen ist, davon abraten, mitzukommen. Nebenbei bemerkt sollte man auch schwindelfrei sein, wenn man sich für diese selektive Route entscheidet.“
„Ich komme mit!“, sagte Sandra Falkenberg sogleich und warf Oliver Wiechert einen trotzigen Blick zu.
„Ich auch“, sagte Oliver.
„Ich auch“, sagte Julian Krautmann.
„Okay“, nickte Karsten Rüge. „Wir treffen uns in drei Stunden in der Bärenlochhütte.“
„Kann man dort oben auch selbst Mitgebrachtes verzehren?“, erkundigte sich Johannes Brauneis.
„In der Hütte nicht, aber wenn du dich davor hinsetzt, kann es dir der Wirt nicht verbieten“, antwortete Karsten.
„Bist du sicher, dass du dich für die richtige Route entschieden hast?“, fragte Lisa Krautmann ihren Bruder. Sie war ein wenig in Sorge um ihn.
Julian grinste. „In mir schlummert ein kleiner Louis Trenker, weißt du das nicht?“
„Nein, das ist mir neu. Gut, dass Mutti nichts von deinem Hang zum Extremen weiß, sonst hätte sie zu Hause keine ruhige Minute mehr.“
„Hoffentlich verirren wir uns nicht ohne dich, Karsten“, sagte Dotty Simonis.
„Das ist nicht möglich, denn es führt nur dieser eine Weg zur Bärenlochhütte hinauf“, erwiderte Karsten Rüge, und kurz darauf trennte sich die Gruppe.
„Willst du nicht doch lieber mit mir kommen?“, rief Lisa ihrem Zwillingsbruder nach.
Julian schüttelte den Kopf. „Wir sehen uns oben. Bis in drei Stunden, Schwesterherz.“
Karsten Rüge schlug den beschwerlichen Weg ein, Sandra Falkenberg folgte ihm, hinter ihr ging Julian Krautmann, und Oliver Wiechert war das Schlusslicht.
Der Pfad querte eine steile Geröllhalde und stieß gegen eine steile Felswand. Karsten zwängte sich durch eine schmale Spalte, die andern folgten ihm, und weiter ging es über einen schmalen Grat.
Ein kalter Wind blies ihnen ins Gesicht, und Julian kam sich manchmal wie ein Seiltänzer vor. Nicht nach unten sehen!, sagte er sich mit einem flauen Gefühl in der Magengrube. Nicht nach unten sehen!
Und er war voller Bewunderung für Sandra Falkenberg. Sie schien mehr Mut als er zu haben und kam überall problemlos mit. Sandra war wirklich sehr tüchtig, aber auch sehr rachsüchtig, denn sie ließ Oliver immer noch leiden.
Nachdem sie die Gratwanderung gut hinter sich gebracht hatten, erklommen sie rostige Eisensprossen, aber es gab nicht immer Sprossen, die ihnen den Aufstieg erleichterten.
Manchmal mussten sie auch über nackten Fels klettern, und das war zeitweise ziemlich kräfteraubend, beschwerlich und riskant. Natürlich nicht für Karsten Rüge. Der turnte die Felswand hoch, als hätte er noch nie etwas anderes gemacht. Aber Sandra, Julian und Oliver stießen immer wieder auf Schwierigkeiten, von denen sie nicht auf Anhieb wussten, wie sie diese meistern sollten.
„Passt auf das Moos hier auf!“, warnte Karsten die Freunde. „Da kann man sehr leicht abrutschen!“
Er kraxelte die Wand hoch, als gäbe es die Schwerkraft für ihn nicht. Sandra hatte nun doch einige Mühe, ihm zu folgen. Die Klettertour dauerte schon zu lange und hatte ihr mehr Kraft abverlangt, als sie zugeben wollte.
Da war die moosige Stelle. Sandra suchte daneben Halt, setzte den rechten Fuß auf einen lockeren Stein, und als sie ihn belastete, brach er aus der Wand.
Ihr war, als würde ihr ein Eissplitter ins Herz fahren. Erschrocken suchte sie nach einer Möglichkeit, sich festzuhalten, riss sich die Finger an schroffen Kanten blutig und stürzte grell aufschreiend ab …