Читать книгу Früh übt sich der Mörder: Berlin 1968 Kriminalroman Band 56 - A. F. Morland - Страница 5

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„Seid ihr soweit?“, fragte Freddy Schäfer seine beiden Komplizen. „Kann’s losgehen?“

Sie standen in einer schmalen Gasse. Hinter ihnen versperrte ein Maschendrahtzaun den Durchgang. Dahinter war haufenweise Müll über den Boden verstreut, für den sich niemand zuständig fühlte.

Ein Paradies für Ratten.

Und als Ratten konnte man auch die drei Jugendlichen bezeichnen, denn ihre Absicht war es, die gegenüberliegende Apotheke zu überfallen.

„Von mir aus kannst du das Startzeichen geben, Boss“, sagte Michael „Micki“ Nadler. Er ordnete sich gern unter, und Freddy Schäfer hörte es wahnsinnig gern, wenn einer Boss zu ihm sagte. Er hatte ein enormes Geltungsbedürfnis.

„Also dann“, sagte Schäfer. „Packen wir’s!“

Jonas Thaler zog die Pistole aus dem Gürtel. Schäfer hatte sie ihm verschafft.

„Noch nicht“, sagte Freddy Schäfer ärgerlich. Er legte die Hand auf Thalers Arm und schüttelte unwillig den Kopf. „Hast du nicht alle Tassen im Schrank, Junge? Du kannst doch nicht einfach mit ’ner Kanone in der Faust die Straße überqueren!“ Thaler schob die Waffe wieder an ihren Platz. Freddy Schäfer seufzte. „Ich hätte dich nicht mitnehmen sollen. Du taugst nichts.“

„Aber ja“, beschwichtigte ihn Michael Nadler. „Lass ihn erst mal warmlaufen, Boss, dann wird er schon spuren.“

Schäfer stieß die Luft geräuschvoll aus. Er war groß, überragte seine Komplizen um einen Kopf. Er sah auch gut aus, hatte kastanienbraunes Haar und himmelblaue Augen. Man hätte beinahe meinen können, er könnte kein Wässerchen trüben. Aber nun war er dabei, dieses Image gründlich zu zerstören.

„Wir plündern die Kasse und das Suchtgiftlager, und dann nichts wie weg“, sagte er.

„Das haben wir schon gut ein Dutzendmal besprochen“, sagte Nadler.

„Einmal mehr schadet nicht. Überhaupt bei so ’nem Hohlkopf wie diesem.“ Schäfer wies geringschätzig auf Thaler. „Sollten wir auf unerwartete Schwierigkeiten stoßen, dann versucht jeder auf eigene Faust seine Haut zu retten.“

„Ist alles klar“, sagte Nadler.

„Gut“, sagte Schäfer. Er musterte Jonas Thaler mit einem letzten Blick. Dann gab er das Zeichen, und sie setzten sich in Bewegung.

Irgendwo hatten sie’s abgeguckt. Vielleicht im Kino. Oder vom Fernsehen.

Beinahe würdevoll gingen sie das Verbrechen an. Ihr erstes dieser Art. Natürlich hatten sie schon vorher kleine Dinger gedreht, aber so etwas noch nie, und Freddy Schäfer war der Ansicht gewesen, dass es dafür endlich an der Zeit war. Man muss vorwärtsstreben, wenn man im Leben etwas erreichen will. Für Freddy Schäfer hatte dieser Wahlspruch diesseits und jenseits der Gesetze seine Gültigkeit.

Natürlich war auch er bewaffnet. Er besaß sogar einen amerikanischen Revolver aus alten Armeebeständen. Das war die größte Waffe von allen. Schließlich fühlte er sich als Boss der Mini-Bande.

Er war nervös, als er die Fahrbahn überquerte, aber er ließ es sich nicht anmerken. Michael und Jonas sollten denken, dass er weit über der Sache stand, dass er davon überzeugt war, richtig und effektvoll zu handeln.

Die Apotheke war nicht groß. Ein unscheinbarer Laden. Das Portal war so alt wie der Besitzer. Gerade deshalb hatte sich Schäfer für dieses „Pillen-Geschäft“ entschieden.

Als Erster erreichte er die gegenüberliegende Straßenseite. Er sah sich unauffällig um. Ein Wagen fuhr die Straße entlang, kam an ihnen vorbei, rollte weiter. Der Fahrer würdigte sie keines Blickes. Freddy Schäfer atmete tief durch. Dann griff er nach der Messingklinke und drückte die Tür auf. Zu dritt traten sie ein.

Der Laden war nicht übersichtlich angeordnet. Es gab mehrere Regale, hinter denen man sich verstecken konnte. Vom Apotheker war nichts zu sehen, obwohl die aufschwingende Tür eine kleine Glocke in Bewegung gesetzt hatte.

Schäfer wurde unsicher. Mit dieser Situation hatte er nicht gerechnet.

„He!“, rief er.

Hinter einem der Regale trat ein grauhaariges Männchen hervor. Sein Gesicht war faltig, der Hals ebenfalls, die Gestalt leicht nach vorn gebeugt und mager. Eine Nickelbrille saß auf der scharfkantigen Nase.

„Sie wünschen?“, fragte der Apotheker.

„Den ganzen Zaster, der sich in deiner Kasse befindet, Opa“, sagte Schäfer und zog seinen Revolver. „Ich rate dir, zu spuren, sonst mache ich dir ein Loch in die Figur.“

Michael Nadler und Jonas Thaler zauberten ebenfalls ihre Waffen hervor. Der alte Apotheker wurde blass. Freddy Schäfer nahm ihm die Brille von der Nase, ließ sie auf den Boden fallen und trat darauf. Das Glas knirschte.

„Warum haben Sie das getan?“, fragte der alte Mann.

„Damit du uns nicht so gut sehen kannst“, erwiderte Schäfer grinsend.

Sie hatten lange diskutiert, ob sie mit oder ohne Masken auftreten sollten.

Thaler war für die Maske gewesen. Natürlich Jonas, denn er war feige. Michael Nadler und Freddy Schäfer hatten sich jedoch gegen die Maske entschieden. Sie wollten nicht darunter schwitzen, und da sie in dieser Gegend keiner kannte, sahen sie keine Notwendigkeit, sich zu maskieren.

„Los, los, Alter!“, knurrte Schäfer ungeduldig. „Komm aus den Startlöchern, sonst mach' ich dir Beine!“ Er versetzte dem Apotheker einen Stoß. Der Mann taumelte hinter das Verkaufspult zur Kasse. Schäfer folgte ihm. „Öffnen!“, verlangte er.

Der Apotheker kam seiner Aufforderung nach. Sobald die Kasse offen war, griff er nach der kleinen Astra Pistole, die er neben dem Geld aufbewahrte.

Aber Schäfer hatte gute Augen. Ihm entging nicht, was der Alte tun wollte. Wut wallte in ihm hoch. Er schlug mit dem Griff des Revolvers zu. Der Apotheker ächzte, verzerrte das Gesicht und ging zu Boden. Aber er war nicht sofort bewusstlos.

Während sich Freddy Schäfer und seine Komplizen auf das Geld stürzten, löste der Alte die Alarmanlage aus. Darauf reagierte Jonas Thaler mit Panik.

„Ach, du liebe Lotte!“, stieß er entsetzt hervor.

„Schmeiß jetzt nur nicht die Nerven weg!“, riet ihm Schäfer.

„Die Alarmanlage ... Wir müssen weg, Freddy!“, keuchte Thaler.

„Jonas hat recht“, sagte Michael Nadler. „An die Drogen kommen wir jetzt nicht mehr.“

Schäfers Augen wurden schmal. Er richtete seine Waffe auf den Alten.

„Der verfluchte Hund ...“

„Lass ihn, Boss!“, sagte Nadler.

„Ich hätte Lust, ihn umzulegen.“

„Wir werden uns ein andermal dafür revanchieren, okay?“

Die drei Jugendlichen eilten zur Tür. Zweitausend Mark hatten sie erbeutet. Schäfer war unzufrieden. Aber daran ließ sich nun nichts mehr ändern.

Draußen schrillte die Alarmglocke.

Und es reagierte auch jemand darauf.

Ein junger Mann, Anfang dreißig, in Sweater und verwaschenen Jeans. Blond gelockt und braungebrannt. Ein Handwerker. Mit Fäusten, die so manchen Zahn einschlagen konnten. Mit Händen, die hart zupacken konnten.

Keine Sekunde dachte der Mann daran, dass er sein Leben aufs Spiel setzte. Jemand hatte den Apotheker überfallen, und er wollte dem Mann helfen. Das war wichtig. Alles andere stellte er hintenan.

Mit langen Sätzen rannte er den Bürgersteig entlang. Die drei jugendlichen Verbrecher traten aus der Apotheke. Als Jonas Thaler den Arbeiter sah, prallte er zurück. Auch Nadler war für einen Moment ratlos.

Jetzt konnte sich Freddy Schäfer hervortun und den andern zeigen, dass sie kleine Lichter gegen ihn waren. Er nutzte die Chance. Sein Revolver zuckte hoch. Er zielte nicht lange, hatte gar nicht die Absicht, den Anstürmenden zu töten. Er wollte ihn bloß stoppen. Aber er drückte zu überhastet ab. Vielleicht verriss er die Waffe auch geringfügig. Sofort löste sich krachend der Schuss.

Und der Mann rannte nicht mehr weiter. Die Kugel stieß ihn zurück. Er presste beide Hände gegen die Brust. Blut war zwischen seinen Fingern zu sehen, und als er lang auf dem Asphalt aufschlug, lebte er nicht mehr.

Freddy Schäfer hatte seinen ersten Mord begangen ...

Früh übt sich der Mörder: Berlin 1968 Kriminalroman Band 56

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