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Kapitel 1 – Die Anreise

Draußen prasselte unaufhaltsam der Regen auf die ausgetrocknete Erde und färbte die Landschaft in ein trostloses Grau. Vanny packte wehmütig ihren letzten Koffer. Am liebsten würde sie sofort damit aufhören und alles wieder auspacken. Doch das blieben Wunschgedanken. Schon vom nächsten Morgen an sollte sie bei ihrem Onkel mütterlicherseits die gesamten Sommerferien verbringen. Sie hatte grundsätzlich nichts gegen Familie und Verwandtschaft, doch hatte sie ihren Onkel nur ein einziges Mal gesehen und zwar zu ihrer Kommunion. Die Erinnerungen an ihn waren nicht gerade die besten, denn sie hatte ihn als verschlossenen, finster dreinblickenden Eigenbrötler kennengelernt, der sich von allen fernhielt und die Stimmung mit seiner bloßen Anwesenheit trübte. Kein einziges Wort hatte er damals gesprochen und sie wusste noch, wie unwohl ihr zumute gewesen war, und dass sie auf der Feier ziemlich Angst vor seiner Erscheinung gehabt hatte. Zweitens hatte sie etwas anderes vorgehabt, statt in den schönsten Ferien des Schullebens zur Verwandtschaft abgeschoben zu werden. So musste sie nun alle lang geplanten Verabredungen, Vorbereitungen und Events mit ihren Freundinnen absagen, denn ihr Onkel wohnte ganze vier Kilometer vom nächsten Dorf und nochmals fünf Stunden Autofahrt zu ihrem Heimatort entfernt. Die Zug- und Busverbindungen, so hatte sie im Internet gesehen, waren einfach miserabel. Vanny Nehrenhaus wusste nicht, ob sie nun enttäuscht, traurig oder wütend darüber sein sollte. Vielmehr war sie aufgeregt, da sie nicht wusste, was sie erwarten würde. Ihr Onkel war praktisch ein Fremder für sie. Was hatten sich ihre Eltern bloß dabei gedacht?! Sie war 17 Jahre alt und konnte doch wohl sechs Wochen alleine ohne Babysitter daheim verbringen. Es wunderte sie ebenso, dass der Bruder ihrer Mutter dieser Entscheidung zugestimmt hatte. Er musste sich doch genauso überrollt und unwohl fühlen! Sie hasste es, dass ihre Eltern ihr nicht mehr vertrauten und einfach über ihren Kopf hinweg entschieden. Seit dem Vorfall vor zwei Jahren hatte sich ihr Verhältnis zueinander drastisch verändert. Ein schmerzender Stich durchfuhr ihren Körper, als sie an früher dachte. Damals hatte sie sich super mit ihren Eltern verstanden und sie hatte nicht einmal im Traum daran gedacht, dass die Stimmung, das gute Verhältnis, so leicht bröckeln könnte und schließlich auch würde. Vanny schluckte die aufkommende Traurigkeit wie einen dicken, klumpigen Kloß hinunter. Sie würde bald ihren Realschulabschluss machen, sich eine Ausbildungsstelle suchen, irgendetwas im Bürobereich, und ausziehen. Vielleicht würde sich durch etwas Abstand und Distanz das gestörte Verhältnis zu ihren Eltern wieder bessern. Entschlossen klappte sie seufzend den letzten Koffer zu und trug ihr Gepäck schweren Herzens die Treppe in den Flur hinunter.

*

Anfangs hatte sie noch versucht ihre Augen offen zu halten. Es war drei Uhr nachts und sie waren bereits eine Stunde im Auto unterwegs. Ihre Mutter unterbrach nun die drückende Stille.

„Vanny, bist du wach?“

„Mh … ja.“

„Gut, dann hör mir jetzt bitte aufmerksam zu. Dein Onkel lebt seit Jahren in einem richtigen Singlehaushalt. Ich möchte, nein, erwarte, dass du ihm helfend unter die Arme greifst. Hast du mich verstanden?“

„Schon …“

„Auf keinen Fall darfst du ihm zur Last fallen. Er hat schon Sorgen genug. Bereite ihm keine Probleme. Hörst du mich?“

„Ja, natürlich“, murmelte Vanny verbissen vor sich hin. Sie konnte nichts erwidern. Immerhin hatten ihre Eltern sie nicht gefragt, ob sie mit der Unterbringung und ihren Plänen einverstanden war. Im Gegenteil: Erst drei Tage vor der Abreise hatte ihr ihre Mutter dieses für sie desaströse Vorhaben offenbart. Warum sollte sie dagegen aufbegehren? Es würde letztendlich nichts an der Situation ändern, außerdem hatte sie die leise Hoffnung, dass, wenn sie alles widerstandslos tun würde, was ihre Eltern von ihr verlangten, sie den Vorfall von damals wieder gutmachen könnte und sich dadurch alles bessern würde …

Deshalb schloss sie schweigend die Augen und hörte sich die Rede ihrer Mutter geduldig an, bis sie schließlich doch noch einschlief.

*

Die Autofahrt war anstrengend und kräftezehrend gewesen, weswegen sie fast schon froh war, als sie endlich ankamen, sie aussteigen und sich die Beine vertreten konnte. Angenehm überrascht sah sie auf das große, aber dennoch gemütlich wirkende Haus, welches von der Sonne hell beschienen wurde. Es war weiß gestrichen, wobei die Zeit deutliche Gebrauchsspuren am Putz erkennen ließ. An einer Ecke bahnte sich Efeu seinen Weg zu dem rotbraun geziegelten Dach, das schon bessere Zeiten erlebt hatte. Ihr Vater blieb im Wagen sitzen und die Verabschiedung von ihm fiel wie gewohnt kühl und knapp aus. Vanny schob es darauf, dass Männer wohl allgemein ihre Gefühle nicht so gut zeigen konnten. Ihre Mutter stieg mit ihr aus und begleitete sie über den schmalen Steinweg über den etwas verwilderten Rasen zum Haus.

„Sieht doch ganz nett aus, oder?“, versuchte ihre Mutter sie zu beschwichtigen. Vanny nickte nur stumm. Eigentlich wäre dies eine ideale Gelegenheit noch ein Gespräch anzufangen oder anzuknüpfen, jedoch machte ihr das ein großer Kloß, den sie seit dem Morgen im Hals spürte, unmöglich. Sie fühlte sich hilflos und irgendwie verlassen. Hastig und viel zu schnell drückte ihre Mutter auf die Klingel des Hauses und in der Jugendlichen tauchte das Bild eines ausgesetzten Hundes auf.

Es ertönte sogleich ein seltsames und ohrenbetäubendes Läuten.

„Oh, auch mal was anderes als das gewöhnliche Klingeln“, meinte ihre Mutter etwas nervös klingend. Ihr schien jede Sekunde des Wartens zu viel. Wollte sie sie so schnell loswerden? Vanny trat von einem Bein auf das andere. Nur mit Mühe konnte sie die aufsteigenden Tränen zurückhalten. Ihre Mutter blickte noch einmal gestresst auf ihre Armbanduhr, bevor die Tür ruppig aufgezogen wurde. Ein streng dreinblickender Mann im Alter von ungefähr 50 Jahren in abgetragenen, verbeulten Jeans und schlabbrigem Pullover stand vor ihnen.

„Ernst?! Bist du das wirklich? Ich bin es, Elena, deine Schwester!“

Ihre Mutter trat selbstsicher auf ihn zu und nahm ihn zur Begrüßung flüchtig in die Arme. Er wirkte wenig angetan, erwiderte nichts und klopfte ihr unbeholfen auf die Schulter.

„Möchtest du etwas trinken?“, fragte er wenig herzlich zurück. Ihre Mutter verneinte sofort mit einem Seitenblick auf das geparkte Auto, in welchem Vannys Vater auf sie wartete.

„Das ist lieb, aber wir sind leider in Eile, danke dir. Du weißt, wie du uns erreichen kannst. Es war schön, dich wiederzusehen.“

„Mh, mh, ja.“

Schnellstens verabschiedeten sich die Geschwister voneinander, dann eilte ihre Mutter davon, ohne ein Wort oder eine Gestik an die Tochter zu verschwenden. Vanny sah dem abfahrenden Auto ihrer Eltern noch lange und wehmütig hinterher. Erst das laute Zuschlagen einer Tür riss sie aus ihren Gedanken. Erschrocken drehte sich die Jugendliche um – sie stand allein vor der verschlossenen Haustür ihres Onkels! Hatte dieser sie doch tatsächlich wissentlich ausgesperrt!

„Na, das fängt ja prima an“, murmelte die 17-Jährige entgeistert vor sich hin. Nicht wissend, was nun zu tun war, wartete sie fünf lange Minuten, bis sie zögernd zuerst an die Tür klopfte, worauf allerdings keine Reaktion erfolgte, und betätigte dann die Klingel. Barsch wurde die Tür nochmals mit Schwung aufgerissen.

„Was willst du?!“, fuhr er sie aggressiv an.

„Ah ... aber ich, also ich soll doch –ich ...“, fing sie verzweifelt an zu stottern. Seine Augen verformten sich zu engen Schlitzen, er wirkte fast wie ein bösartiger Dämon, den man unbedacht heraufbeschworen hatte. Es waren nur wenige Sekunden des Schweigens, doch ihr kamen sie vor wie nicht enden wollende Stunden, in denen sie sich mit gemischten Gefühlen anstarrten. Vanny war geschockt und gelähmt vor Angst. Sie wollte ihn nicht durch eine falsche Wortwahl noch wütender machen.

„Ach verdammt! Da war ja was ...“, murmelte ihr Onkel plötzlich grimmig vor sich hin, drehte sich auf der Stelle um, sie glaubte noch, „dann komm doch rein“ zu hören, bevor er im Innern des Hauses verschwand. Nun stand sie abermals allein, diesmal allerdings vor der offen stehenden Tür des großen fremden Hauses, das mit einem Schlag die gesamte Gemütlichkeit und Geborgenheit verloren hatte, die es zuvor ausgestrahlt hatte. Widerstrebend trat die Jugendliche ein und schloss die klobige Haustür hinter sich. Ihr Onkel kam ihr mit Bettzeug entgegen. Er nicke ihr flüchtig zu, um ihr zu signalisieren, ihm zu folgen. Sie gingen den breiten, kahlen Flur entlang. Kein einziges Bild oder Foto hing an den Wänden, und die verblichene Tapete sorgte für einen verwahrlosten und trostlosen Gesamteindruck. Als sie das Ende des Ganges erreicht hatten, drehte er sich zur rechts liegenden Tür und kramte einen kleinen Schlüssel aus seiner verbeulten Hosentasche. Mit einem lauten Quietschen schwang sie auf und sie traten ein. Staub und abgestandene Luft schlugen ihnen entgegen. Vanny rümpfte die Nase. Hier hatte wohl schon länger keiner mehr gelüftet, geschweige denn den Raum überhaupt betreten. Es war ein kleines Zimmer. Von der Tür aus sah man direkt auf das Bett, welches links und frontal an der Wandseite stand. Rechts daneben, auch direkt an der Wand, war ein alter klotziger Kleiderschrank aus Holz. Ein kleiner, ungefähr 50 Zentimeter hoher markanter Holzhocker stand links in der Ecke neben der Zimmertür. Ansonsten war das Zimmer leer. Lieblos warf Ernst das Bettzeug auf das alte Bett und murmelte etwas von Auspacken und Einleben. Bevor sie auch nur die Möglichkeit hatte, etwas zu fragen, war er aus der kleinen Kammer verschwunden. Resigniert stellte Vanny ihre Koffer ab und schloss die Zimmertür. Dann zog sie die vergilbten Fenstervorhänge zur Seite, versuchte den aufgewirbelten Staub zu ignorieren, der unangenehm in ihren dunkelbraunen Augen brannte, und öffnete das dreckige Fenster. Warme Sonnenstrahlen fielen herein und die Jugendliche fühlte sich ein kleines bisschen weniger verzweifelt, als wäre mit dem Blick nach draußen ein Stück Freiheit verbunden. Sie sah noch eine Weile auf die grüne Wiese mit dem bunten Wildblumen, bis sie sich überwand, das Bett zu beziehen und ihre Kleider in dem dunklen Schrank verstaute. Danach kramte sie ihr Handy aus der Tasche. Ein Gespräch mit ihren Freundinnen würde sie bestimmt trösten und ihr neuen Mut verleihen. Doch egal wo und wie sie sich hinstellte, wie hoch sie ihr Handy auch hob – sie hatte einfach keinen Empfang. Konnte es denn noch schlimmer kommen? Sie fühlte sich, als hätte man sie in ein dunkles Loch geworfen. Allein. Vergessen. Ausrangiert. Mit einem wütenden Schrei ließ sie sich rücklings auf das Bett fallen und schloss die Augen. Nun bekam sie auch noch dröhnende Kopfschmerzen ...

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