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Kapitel 6 - Tag 4 - Donnerstag

Erschöpft schleppte sie sich in das Badezimmer und danach in die Küche, deckte den Frühstückstisch und setzte Kaffee auf. Genau in dem Moment als der schwarze Muntermacher - wie ihr Vater zu sagen pflegte - gerade fertig wurde, kam Ernst. Ohne ein Wort an sie zu richten, schenkte er sich eine Tasse davon ein und wollte gleich wieder verschwinden, als sie Ernst kurz anhielt.

„Guten Morgen. Eine Frage, Onkel, wie sieht es eigentlich mit deinem Zimmer aus? Ich … ähm …. also …“

Mist, was stammelte sie da eigentlich zusammen?! Innerlich verfluchte sich die Jugendliche selbst. Er sah sie finster an, als wolle er sie wie ein Riese in die Hand nehmen und mit bloßer Kraft zerquetschen. Unsicher rutschte sie auf ihrem Stuhl unter seinem zermalmenden Blick hin und her.

„Ich meine doch nur, ob ich es putzen soll?“

„Mach es halt sauber!“, raunzte er sie barsch an und wandte sich gleich wieder von ihr ab. Eilig und so schlecht gelaunt, wie er gekommen war, verließ er die Küche. Vanny versuchte, ihren immer stärker werdenden Missmut zu unterdrücken, gab den Widerstand jedoch nach ein paar Minuten, die ihr wie eine Ewigkeit vorkamen, auf. Der Appetit war ihr gründlich vergangen, deswegen warf sie wütend den Rest ihres fast nicht angerührten Frühstückes weg und richtete das Putzwerkzeug für die bevorstehende Arbeit.

*

Als sie die Tür zum Schlafzimmer ihres Onkels öffnete, kam sie aus dem Staunen nicht mehr heraus. Dieser Raum war das komplette Gegenteil zu der ihr zugewiesenen Kammer. Es war zwar auch recht klein, doch hatte es geschätzt bestimmt 5m² mehr zu bieten. Auch hier waren die Möbel aus altem Holz, allerdings waren diese mit zarten und verspielten Schnitzereien verziert, ganz im Gegensatz zu ihren, die mit Kratzspuren übersät waren. Die Möbel hatten einen charmanten und antiken Touch, was sich auf das ganze Zimmer auswirkte. Sein Bett war ordentlich gemacht, auch die Bücher auf dem kleinen Schreibtisch waren fast schon pingelig und akkurat aufgereiht. Doch die dicke Staubschicht, die alles in diesem Raum bedeckte, ließ alles unecht, wie aus einem Traum erscheinen. So, als würde sich das Szenario nach nur einem Augenschlag wieder auflösen. Wofür auch immer er dieses Zimmer benutzen mochte, sie konnte sich nicht vorstellen, dass er in diesem Raum tatsächlich schlief! Der Staub wies keinerlei Fingerabdrücke oder Sonstiges auf. Vorsichtig untersuchte sie jeden einzelnen Quadratmeter - auf der Suche nach Gebrauchsspuren. Nichts. Sie konnte keinen einzigen Hinweis finden. Zu gleichmäßig lag der Staub über den Oberflächen verteilt. Warum log ihr Onkel sie offensichtlich an? Seufzend griff die Jugendliche nach dem Staubtuch und machte sich erst mal daran, zu wischen und das Zimmer gründlich durchzufegen. Sie wollte nicht über Probleme nachdenken. Irgendwie fiel ihr das in letzter Zeit schwer. Nach getaner Arbeit öffnete sie das Fenster zum Lüften, nur um festzustellen, dass auch das Fenster schon eine sehr lange Zeit kein Wasser mehr gesehen hatten. Abermals seufzend holte sie neue Tücher und den Glasreiniger aus dem Schrank, wechselte das Putzwasser, um die Fenster zu säubern. Wie konnte man sein Haus nur so verkommen lassen? Sie selbst war ja auch nicht unbedingt ein Fan von großer Reinlichkeit, aber das ging definitiv zu weit. Nachdem Vanny das schmale Fenster geputzt hatte, wischte sie nochmals behutsam über den mit verschnörkelten Verzierungen übersäten Holzkleiderschrank. Dabei beschlichen sie die Neugier und der Wunsch, einen kurzen Blick hineinzuwerfen. Schließlich gab sie ihrem Drang nach. Beim Öffnen kam ihr ein süßlicher Geruch von altem Parfum entgegen. Ihre Augen weiteten sich vor Überraschung. Der Kleiderschrank ihres Onkels war voller bunter und mit Spitze benähter Mädchenkleider. Was hatte das zu bedeuten? Sollte das alles ein schlechter Scherz sein? Warum bewahrte ihr Onkel diese Kleider auf? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er diese selbst trug oder je getragen hatte. Wieso log er sie wegen eines Zimmers an? Was mochte er noch vor ihr verheimlichen? Und vor allen Dingen: Warum? Ein ungutes Gefühl beschlich sie und biss sich in ihr fest wie eine Zecke in das Fleisch seines Opfers.

*

Die Reinigung von Ernsts Zimmer hatte weder die erhoffte beruhigende Wirkung gebracht noch für Ablenkung gesorgt. Da sie nichts mit sich sonst anzufangen wusste, entschloss sie sich, in der Küche Staub zu wischen und sich somit an dieser Baustelle schon einmal vorzuarbeiten. Während sie sich in die Arbeit hineinsteigerte, wirbelten ihr Gedanken über ihre Eltern durch den Kopf. Wie es ihnen wohl ging? Was sie jetzt gerade machten? Ob sie Spaß hatten oder der Stress überwiegte? Wann sie wohl zurückkehren würden? Würde ihre Mutter womöglich besser auf sie zu sprechen sein, wenn sie hier durchhielt und ihrem Onkel half, die Hausarbeit gut erledigte und keinen Ärger machte? War dies vielleicht sogar ihre unausgesprochene zweite Chance, die es zu nutzen galt? Was ging in ihrer Mutter nur vor? Sie kam einfach nicht mehr zu ihr durch. Es war, als hätte sie eine dicke und feste Mauer um sich herum aufgebaut, die Vanny nicht durchdringen konnte. Doch dieser Zustand konnte sich nicht von heute auf morgen so ergeben haben. Wann und wo hatte es genau begonnen? Es konnte doch nicht alles an diesem einzigen Tag damals liegen? Wann nur hatte sich diese riesige Kluft zwischen ihnen gebildet? Die Jugendliche biss sich verzweifelt auf die Unterlippe, um mit dem Schmerz die aufkommenden Tränen zu unterdrücken.

„Und überhaupt, seit wann bin ich so ‘ne Heulsuse?“, murmelte sie schluchzend vor sich hin. Sie mochte sich in letzter Zeit selbst nicht leiden. Eigentlich war es kein Wunder, dass ihre Eltern sich so von ihr distanzierten. Wenn sie sich nicht mochte, wie sollten sie dann andere Menschen leiden können? Vanny schrak aus ihren Gedanken auf, als plötzlich etwas mit lautem Klirren zu Boden fiel. Vor sich her fluchend sah sie nach unten. Sie hatte nicht aufgepasst und beim Auswischen des Schrankes einen Gegenstand auf den Boden geworfen - So viel zum Thema zweite Chance und ihre Arbeit gut machen. Schnell ging sie in die Knie und hob einen zierlichen, schwungvoll gebogenen Messingschlüssel auf. Für einen Haustür- oder Zimmerschlüssel war er viel zu klein. Neugierig blickte sie sich um, um einen Hinweis zu entdecken, wohin der Schlüssel gehörte, doch sie hatte keinen Erfolg. Nach einer Weile gab sie schließlich enttäuscht auf und verstaute den Schlüssel wieder eilig dort, wo er vermutlich gelegen hatte. Vanny beschloss, mit der Hausarbeit Schluss zu machen, stellte alle Sachen sorgfältig zurück und verzog sich in ihre Schlafkammer. Dort schnappte sie sich ihren derzeitigen Roman und legte sich gemütlich auf das Bett, um zu entspannen. Vielleicht würde es ihr so gelingen, endlich alles, wenn auch nur für winzige Augenblicke, zu vergessen.

*

Nina legte nervös die Zeitung auf die Seite. Vanny hatte seit ihrem letzten Zusammentreffen nichts mehr von sich hören oder sehen lassen und sie machte sich Sorgen. Sie hatte nicht gut ausgesehen. Nina hatte zwar das Gefühl, sie etwas aufgeheitert zu haben, allerdings hatte Vanny nicht viel erzählt und es schien, als hätte sie etwas zurückgehalten. Grübelnd stand sie auf und blickte auf ihr Handy, doch sie hatte keine Nachricht bekommen. Was wusste sie selbst über Ernst? Eigentlich nichts. Er ließ sich im Dorf so gut wie nie blicken. Seine Lebensmittel schien er geliefert zu bekommen, und sie hätte nie im Traum daran gedacht, dass dieser Mensch tatsächlich so etwas wie eine Familie hatte. Vielleicht war er gar nicht so übel? Nina erschauerte leicht. Ihr ganzes Inneres protestierte gegen diesen Gedanken. Sie hörte ihre Tante im Nebenzimmer telefonieren. Womöglich konnte sie ihr mehr über den Einsiedler erzählen - Was er beruflich machte, ob sie ihn von früher kannte.

Entschlossen stand Nina auf und ging in das Nebenzimmer. Dort setzte sie sich auf die große Couch und wartete geduldig, bis ihre Tante mit dem Gespräch fertig war.

„Nina, was ist denn? Kann ich etwas für dich tun?“

Irritiert sah sie sie an. Die Jugendliche wusste, dass ihre Tante kein schlechter Mensch war und sich redlich um sie bemühte, so gut es ihr möglich war, aber Nina war sich schon länger bewusst, dass sie einfach nichts mit Kindern anfangen konnte, auch wenn sie versuchte, sich dies nicht anmerken zu lassen. Höchstwahrscheinlich ihr zuliebe. Sie hatte ihr nie Vorwürfe gemacht und würde es auch nicht tun. Immerhin hatte ihre Tante sehr viel für sie getan und Nina war ihr dankbar. Dennoch spürte sie wieder das Unwohlsein und die unterschwellige distanzierte Art.

„Eine Frage: Was weißt du über diesen Ernst? Der, der außerhalb des Dorfes alleine wohnt?“

Ihre Tante sah sie überrascht an.

„Nichts. Ich weiß nichts über ihn. Wieso interessiert er dich auf einmal?“, fragte diese ungewohnt barsch und wie aus der Pistole geschossen zurück. Nina erschrak über die Heftigkeit ihrer Worte, so kannte sie ihre Tante gar nicht. Diese bemerkte die Reaktion ihrer Nichte und zügelte ihren Ton.

„Entschuldige. Das kam jetzt härter raus, als es sollte. Ich habe nur wenig geschlafen und bin gerade etwas im Stress, da ich gleich zur Arbeit muss. Wir unterhalten uns ein andermal, okay?“

„Sicher …“, antwortete Nina unbehaglich zurück, doch ihre Tante war schon gegangen und hörte sie ohnehin nicht mehr.

*

Nach nur einer halben Stunde war es Vanny gelungen, sich voll und ganz auf den Roman zu konzentrieren und wirklich keine anderen abschweifenden Gedanken zu haben, als sie plötzlich erschrocken zusammenzuckte.

„AAAAAHH!“

Der verzerrte Schrei der fremden Stimme fuhr durch ihren gesamten Körper und das Buch, das sie eben noch gespannt in den Händen gehalten hatte, fiel polternd zu Boden. Leicht zitternd richtete sie sich auf und sie brauchte nicht lange zu warten, bis der nächste Schrei ertönte. Lauter und deutlicher als der vorherige. Jetzt war sie sich sicher, dass es keine Einbildung gewesen war!

Was ging hier nur vor sich? Sie kam sich vor wie in einem nicht enden wollenden Albtraum.

„NGAAAAH! AAAAAHH!“

In einem Anflug von Panik sprang Vanny entsetzt vom Bett auf. Es wurde ihr jetzt definitiv zu viel. Ihr Körper schien sich von ihrem Bewusstsein abgekapselt zu haben, denn noch bevor sie überhaupt bemerkte, was sie tat, fand sie sich schon auf dem Flur wieder und rannte direkt in ihren Onkel hinein, der gerade in Richtung Speisekammer hetzte. Erschrocken wich sie zurück, jetzt verschwand auch der letzte verbliebene Rest Farbe aus ihrem Gesicht und ihre Muskeln verkrampften sich vor Anspannung und Nervosität. Ernst hingegen schob sie rapide beiseite, wie ein lästiges, mickriges Hindernis. Als er schon weitereilen wollte, hielt sie ihn intuitiv am Ärmel fest. Sie konnte sich das alles nicht eingebildet haben, da war sie sich ganz sicher. Ihr Onkel musste die Schreie auch gehört haben und war bestimmt deswegen hierher geeilt. Vermutlich, ja ganz sicher, wusste er mehr!

„Die Schreie, hast du sie gehört? Was, wer ist das? Wo kommen sie her? Was passiert hier? Was zum Teufel geht hier nur vor?!“

Völlig außer sich, verzweifelt und voller Furcht hatte die Jugendliche ihre zittrigen Hände noch fester in den Stoff des robusten Hemdes ihres Onkels gekrallt. Doch dieser zog mit einer Mischung von Verachtung und Zorn eine Augenbraue nach oben und herrschte sie ungerührt an:

„Du solltest dich mal hören! Ich habe für solchen Unsinn keine Zeit! Also steh hier gefälligst nicht im Weg rum und belästige mich nicht mit kindischen Gruselgeschichten!“

Vanny riss bei der unerwarteten Reaktion ihres Onkels die Augen auf und starrte ihn ungläubig an. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein?! Ihre Stimme drohte zu versagen und ihr wurde mit einem Mal ganz schwindelig.

„A … aber du musst es doch auch gehört haben. Es war doch so laut!“

Ernst, der schon ein paar Schritte weitergelaufen war, blieb abermals stehen, drehte sich allerdings nicht zu seiner Nichte um, als er mit einem drohenden Unterton in der Stimme antwortete:

„Du gehst jetzt besser schnurstracks in dein Zimmer und lässt dich nicht mehr blicken! Auf das Abendessen kann ich heute verzichten! Auf deine an den Haaren herbeigezogenen Lügen habe ich keine Lust und erst recht keine Geduld, also verschone mich gefälligst damit! Deswegen hasse ich Kinder! Nichts als Unsinn im Kopf und zu nichts zu gebrauchen! Immer nur Ärger hat man mit euch! Verschwinde endlich, bevor ich mich vergesse!“

Er schlug mit der Faust gegen die Wand, bevor er seinen Weg zur Speisekammer fortsetzte, laut krachend die Tür zuschlug und seine völlig aufgelöste Nichte im Flur stehen ließ.

*

Weinend warf sie sich auf das knarrende Bett, schnappte sich ihren MP3-Player mit Kopfhörer und schaltete die Musik laut ein. Ihr Wunsch, einfach alles zu vergessen, niemanden mehr zu sehen und auf keinen Fall andere Stimmen zu hören, wuchs ins Unermessliche. Sie war wütend und enttäuscht zugleich. Enttäuscht von ihren Eltern, die sie ohne Skrupel hier gelassen hatten, ohne sie zu fragen oder mit ihr darüber zu sprechen. Wütend auf ihren angeblichen Verwandten, der sie behandelte wie den letzten Dreck. Sie hatte sich das Ganze hier nicht ausgesucht! Im Gegenteil, man hatte ihr keine andere Wahl gelassen! Das alles hatten einfach ihre Eltern beschlossen! Sie wäre jetzt lieber daheim und würde mit Katrin feiern gehen und die Ferien genießen, anstatt hier den Haushaltssklaven zu spielen! Sie hasste alle in diesem Moment! Ihre Eltern, ihren Onkel, ihre Freunde, die im Gegenteil zu ihr die Ferien richtig auskosten konnten, und vor allen Dingen hasste sie sich selbst! Sie fühlte sich so hilflos, das ständige Heulen und Angsthaben ging ihr so auf die Nerven! Zornig über die Umstände und auf das jetzige Leben nahm sie den Wecker vom Holzhocker und warf ihn gegen die kahle Wand. Vanny hatte das Gefühl, in ein tiefschwarzes Loch gefallen zu sein und den Weg nicht mehr herauszufinden. Dunkelheit schien sie zu umhüllen und Zweifel plagten sie, ob sie überhaupt in der Lage war, die ganzen Ferien durchzuhalten. Schwindel- und Übelkeitsanfälle überkamen sie. Sie wollte einfach nur noch schlafen und nicht mehr aufwachen.

Dunkle Geheimnisse

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