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ОглавлениеKapitel 4 - Tag 2 - Dienstag
Sie war gestern rechtzeitig zurückgekommen und hatte gleich Abendessen zubereitet – Spaghetti mit Tomatensoße. Ernst war zwar nicht sehr gesprächig gewesen, doch hatte er mit großem Appetit gegessen und zu ihrer großen Überraschung hatte er ihr sogar eine heiße Schokolade gekocht. Diese hatte zwar etwas seltsam geschmeckt, sie konnte den Nebengeschmack nicht zuordnen, aber was konnte man auch von einem eingefleischten und gealterten Junggesellen schon erwarten? Auch wollte sie diesen ersten Versuch, ihr entgegen zukommen, nicht zerstören. Ihr Onkel war nicht lange geblieben und da sich Müdigkeit bei ihr vom langen Marsch des Tages bemerkbar gemacht hatte, hatte Vanny nur noch schnell den Abwasch erledigt, sich gewaschen, umgezogen und sich dann sofort hingelegt. Es hatte nicht lange gedauert, bis sie eingenickt war. So tief und fest, wie sie in dieser Nacht geschlafen hatte, hatte sie schon sehr lange nicht mehr geschlafen.
Als am nächsten Morgen ihr kleiner Funkwecker klingelte, fühlte sie sich entspannt und ausgeruht. Munter und tatenfroh brühte sie den Kaffee auf und machte sich ein Brot zum Frühstück. Da sich ihr Onkel diesmal nicht blicken ließ, trank sie den Kaffee alleine und machte sich sofort daran, die Abstellkammer auszumisten. Und das war auch bitter nötig! Der größte Teil der gelagerten Lebensmittel war abgelaufen und in einigen Dosen bildeten sich schon selbstständige Biotope. Es war ekeliger, als sie gedacht hatte. Wie gut, dass sie gestern einkaufen gegangen war, sonst wäre fast nichts Essbares mehr im Haus. Allerdings war ihr bewusst, falsch gehandelt zu haben. Ihr war schon klar, dass man zuerst nachsah, was man dahatte und dann die fehlenden Dinge besorgte. Aber dennoch: Sie hatte gestern eine Auszeit gebraucht! Also kein Grund, sich darüber weiter Gedanken zu machen! Wie konnte er nur Sachen lagern, die über zwei Jahre abgelaufen waren? Was aß dieser Mensch denn, wenn er alleine war? Vielleicht kamen die Eigenarten daher? Klassischer Fall von Lebensmittelvergiftung? Vanny schüttelte den Kopf. Okay, das war nun wirklich gemein. Warum hatte sie manchmal solche bösen oder gehässigen Gedanken? Sie war stets bemüht, freundlich und hilfsbereit im Alltag anderen gegenüber zu sein, doch immer wieder drängten sich ihr solch unangenehmen Gedanken auf, obwohl sie das gar nicht wollte. Sie wollte nicht ungerecht und vorschnell über andere urteilen oder handeln. Eventuell war ihr ganzes Verhalten nur ein vergeblicher Versuch, jemand zu sein, der sie gar nicht war? War sie eventuell das genaue Gegenteil von ihren Idealen und sie wollte es nur nicht wahrhaben? Nein! Darüber wollte sie nun ganz gewiss nicht nachdenken! Noch energischer als zuvor stürzte sie sich in ihre Arbeit und schon nach wenigen Minuten zeigte dies Wirkung.
*
Nach etwa zwei Stunden war sie fertig. Nachdem sie sich geduscht und eine Kleinigkeit zu Mittag gegessen hatte, packte sie kurz entschlossen ein bisschen Obst ein, schnappte sich den Zweitschlüssel, der im Flur offen hing, und ging spazieren. Sie nahm den Weg in die entgegengesetzte Richtung zum Dorf, welcher sie in einen Wald führte. Zuvor war sie eine Weile durch ein Feld voller Kornblumen gelaufen. Das Wetter war herrlich, die Sonne schien heiß auf sie nieder und im Schutz der Bäume des grünen Waldes war es angenehm kühl. Vanny hing ihren Gedanken nach, während sie der Duft von Laub und wilden Gräsern sanft einlullte. Was ihre Freundinnen wohl gerade machten? Hatte gestern die Party bei ihrer besten Freundin Katrin stattgefunden und war ihr Schwarm Gil dort aufgetaucht, wie erhofft? Noch einmal kramte sie nach ihrem Handy, jedoch hatte sie auch hier keinen Empfang. Leise seufzend steckte sie das kleine Mobiltelefon zurück in ihre Tasche. Sie war völlig von der Außenwelt abgeschnitten und wieder machte sich unaufhaltsam ein Gefühl der Einsamkeit in ihr breit. Wo waren ihre Eltern gerade? Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie gar nicht wusste, wo genau sie hingefahren waren. Sie ging noch einmal alles gedanklich durch, doch konnte sie sich nicht daran erinnern, dass ihre Eltern dies in irgendeiner Weise erwähnt hatten. War das Vertrauen in sie nun ganz verloren oder war dies nur im Stress untergegangen? Das war doch aber nicht normal und ungefährlich schon gar nicht! Wie sollte sie denn ihre Eltern erreichen, falls irgendetwas passieren sollte? Ihr Handy konnte sie ja wohl vergessen. Überhaupt, sie hatten sich bis jetzt noch kein einziges Mal bei ihr gemeldet. Immerhin hatte ihr Onkel wohl irgendwo im Haus ein Telefon, sonst hätte ihre Mutter auch nicht die Unterkunft organisieren können. Ob Ernst es vielleicht einfach nur vergessen hatte zu erwähnen, dass ihre Mutter oder ihr Vater versucht hatten, sie anzurufen? Immerhin hatte er ja kaum mit ihr gesprochen und sie konnte sich gut vorstellen, dass ihm so etwas entfallen war, weil er es nicht für wichtig und eventuell störend in seinem Einsiedlerdasein empfunden hatte. Doch warum sagte ihr Unterbewusstsein etwas ganz anderes, das ihr gar nicht gefiel? Und warum kamen ihr so plötzlich die Tränen, dass sie heulte wie ein ausgesetzter Hund?
*
Das Essen war gerade fertig, als Ernst die Küche betrat. Wie nicht anders erwartet, blickte er mürrisch drein und schwieg. Freundlich begrüßte die Jugendliche ihren Onkel und stellte das Brot mit dem selbst gemachten Brokkolisalat und den warmen Würstchen auf den Tisch. Er nickte ihr nur kurz zu und musterte misstrauisch den Salat mit einem Blick, der gleich verriet, dass er ihm nicht gefiel. Dennoch aß er alles mit gutem Appetit, ohne eine Miene zu verziehen. Vanny hingegen bekam kaum etwas herunter. Zu viele Gedanken und Sorgen kreisten in ihrem Inneren und schlugen ihr auf den Magen. Die Fragen vom Mittag ließen sie einfach nicht in Ruhe und schienen sie aufzufressen. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und fragte zaghaft mit zittriger Stimme:
„Haben sich meine Eltern in der Zwischenzeit gemeldet?“
Er hielt kurz inne und starrte sie ausdruckslos, fast wie ein Toter, an, sodass ihr ein Schauer über den Rücken lief, und legte sein Besteck beiseite.
„Nein, haben sie nicht“, antwortete er kurz angebunden mit einem genervten Unterton und musterte sie eindringlich. Enttäuscht blickte sie auf ihren noch fast vollen Teller und verkeilte ihre Finger unter dem Tisch ineinander. Ihre Befürchtungen waren somit bestätigt und ein dicker Klumpen schien in ihrem Hals zu stecken. Die Lust zum Essen war ihr nun endgültig vergangen. Ernst stand auf und rührte ihr eisern schweigend eine heiße Schokolade zusammen.
„Trink das, dann geht es dir besser ... Sie haben bestimmt viel zu tun.“
Mit diesen Worten ging er und ließ die traurige Jugendliche alleine zurück. Sie kämpfte gegen die erneut aufsteigenden Tränen und nippte an dem warmen Getränk. War ein Telefonat denn zu viel verlangt? Ein einziger Anruf? So beschäftigt konnten ihre Eltern doch gar nicht sein, dass sie sich nicht einmal fünf Minuten Zeit nehmen konnten. Nein … wenn sie wollten, dann würden sie bestimmt etwas Zeit für ein kurzes Gespräch erübrigen können. Sie biss sich schmerzhaft auf die Unterlippe, verfluchte sich und ihr gesamtes Leben.