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Kapitel 5 - Tag 3 - Mittwoch

Vanny hatte gut geschlafen und freute sich auf eine Tasse Kaffee. Deswegen war sie gleich aufgestanden und hatte alles für ein gemütliches Frühstück gerichtet. Sie goss sich soeben eine Tasse des heißen, duftenden Muntermachers ein, als ihr Onkel mit blitzenden Augen und stecknadelgroßen Pupillen durch die Tür schlurfte. Sein Blick war grimmig wie zuvor, sein Gang schwerfällig, so stapfte er murrend zum Kaffee, nahm sich eine Tasse und ging, ohne ein Wort an die Jugendliche zu richten, wieder aus der Küche. Ausdruckslos hatte sie alles beobachtet. Höflich fand sie es nicht gerade, aber da war wohl nichts zu machen. Ernst schien ein richtiger Morgenmuffel zu sein. Immerhin hatte er anscheinend gegen Abend bessere Laune. Sie verputzte gemütlich ihr Frühstück, verrichtete eine Katzenwäsche und zog sich schleunigst um. Für heute hatte sich Vanny das Badezimmer vorgenommen, und dies wollte sie besonders gründlich reinigen, weil sie sich zur Belohnung im Anschluss ein Entspannungsbad gönnen wollte. Zuerst schrubbte sie das total versiffte Waschbecken, was ihr den Schweiß aus den Poren trieb, bis sie endlich ein akzeptables Ergebnis erreichte. Nach einer kurzen Pause wischte sie Staub und traute sich zuletzt an das größte Übel: die Badewanne. So eine dreckige Wanne hatte sie noch nie gesehen! Sie konnte nicht verstehen, wie jemand sein Haus so verkommen lassen konnte. Wie sollte man sich hier wohlfühlen? Ja, wie konnte sich ihr Onkel so wohlfühlen? Aber fühlte er sich überhaupt behaglich in seinem Dreck? Vanny holte noch mal tief Luft, bevor sie sich ihrer größten Herausforderung widmete: der in den seltsamsten Farbtönen erstrahlenden Badewanne, die sie sehnlichst zu erwarten schien.

*

Ihr war dabei speiübel geworden, sodass sie erst einmal frische Luft hatte schnappen müssen. Es war jetzt schon Mittag, sie hatte länger gebraucht als erwartet. Er sollte ihr bloß nicht verraten, wie lange er nicht mehr sauber gemacht hatte! Abermals schossen in ihr Gefühle und Gedanken hoch, die sie so nicht haben wollte. Sogar eine kleine Träne bahnte sich den Weg über ihre Wange. Schnell wischte Vanny sie beiseite und ging in ihr Zimmer, um nach den kleinen Duftkerzen, die sie zum Glück eingepackt hatte, und den Badeperlen zu kramen. Ausgestattet mit ihrem Entspannungsaccessoire lief sie in das nun glänzende Badezimmer und ließ warmes Wasser in die große Wanne laufen. Behutsam platzierte sie die Kerzen auf und um die Badewanne herum und schloss dann die Tür zu. Badeperlen und Kerzen verströmten einen wohltuenden Geruch von Vanille, und das Plätschern des Wassers ließ sie langsam zur Ruhe kommen. Sie entkleidete sich eilig und stieg in ihr präpariertes Wohlfühlbad. Der Druck und ein Teil ihrer Anspannung schienen von ihr abzufallen. Entspannung kehrte in ihren Körper ein, vertrieb die Sorgen der letzten Tage und Vanny schloss erleichtert die Augen. Jetzt fehlte nur noch Musik, um alles perfekt zu machen, doch das war nicht so schlimm. Die vergangenen Tage gingen ihr nochmals durch den Kopf. Ihr Onkel, das Haus, der Dreck, ihre Eltern, Nina und die anderen ... doof, dass sie sich nicht gleich mit den Teenagern fest verabredet hatte. Sie würde sie wirklich gerne wiedersehen. Womöglich konnte sie am nächsten Tag probieren, sie im Dorf zu treffen? Einen Versuch war es auf jeden Fall wert.

Was war eigentlich mit dem Zimmer von ihrem Onkel? Sollte sie das auch säubern? Vanny nahm sich vor, ihn bei nächster Gelegenheit zu fragen, auch wenn ihr davor graute. Ihr Onkel war ihr einfach nicht geheuer.

„AAAAAAH!“

Vanny erschrak und riss die Augen auf. War das eben ein Schrei gewesen? Sie war sich sicher, jemand gehört zu haben. Vielleicht hatte sich ihr Onkel verletzt? Die Jugendliche lauschte angestrengt in den Raum und wartete, doch es herrschte Totenstille. Hatte sie sich das eingebildet? Gedanken kamen und zerplatzten an der Oberfläche wie Seifenblasen. Sie wollte gerade wieder die Augen schließen, als sie ein schmerzerfülltes Stöhnen hörte, gefolgt von einem kurzen Schrei. Vanny fröstelte und ihre Glieder versteiften sich. Das konnte sie sich nicht einbilden! Sie stand auf und drapierte ihr großes Badehandtuch um ihren schlanken Körper. Abermals lauschte sie in die Stille, während sie versuchte, sich etwas zu beruhigen. Sie brauchte nicht lange zu warten, da vernahm sie wiederum ein Ächzen und Stöhnen, kaum hörbar. Die Geräusche schienen aus der Wand zu kommen! Vanny stellte sich auf den Klodeckel und drückte ihr Ohr an die Wand. Tatsächlich waren hier die Laute deutlich zu hören. Ein Schauer lief ihr über den Rücken, Blässe überzog ihr Gesicht, es gruselte ihr. Wie war das möglich? Was oder wer war da? Es hörte sich ganz und gar nicht an wie ihr Onkel. Wo kam es her?

Entschlossen und hastig zog sie sich an. Sie machte die Kerzen aus, ließ das Wasser aus der Wanne und verließ das Badezimmer. Ihre Muskeln waren vor Anspannung verhärtet und ihre Stirn fing wieder an zu pochen. Sie war blass und ihr war schwindelig. Vanny fing an, jedes Zimmer der Reihe nach abzuhören. Sie begann in der Küche und stand einige Minuten lang still, doch nur das Surren des Kühlschranks durchzog den trostlosen Raum. Danach ging sie in das Wohnzimmer, wiederholte das Vorgehen, doch auch hier war nichts Unnatürliches zu vernehmen. Sie sah kurz zur Treppe, doch traute sie sich nicht nach oben. Das Verbot ihres Onkels hielt sie davon ab. Auch das Schlafzimmer von Ernst ließ sie aus. Also betrat sie ihre Schlafkammer und lauschte intensiv. Die Jugendliche war sich nicht ganz sicher, doch glaubte sie, auch hier diese unheimlichen Geräusche zu hören. Ein Frösteln durchzog ihren dünnen Körper und sie verließ schnell den Raum, um das letzte Zimmer auf die mysteriösen Laute hin zu überprüfen. Noch einmal holte sie tief Luft und kam sich irgendwie albern vor. Verhielt sie sich gerade nicht absolut dämlich? War sie womöglich paranoid? Wenn sie sich bloß nicht so sicher wäre, diese Laute und das schmerzerfüllte Ächzen gehört zu haben!

Schnell stolperte sie in die Abstellkammer und lauschte in die Dunkelheit. Es dauerte keine fünf Sekunden, bis sie einen markerschütternden Schrei vernahm. Erschrocken fuhr sie zusammen und versuchte, ihre durcheinanderwirbelnden Gedanken zu ordnen, was ihr nicht gelingen wollte. Gerade als sie sich wieder gefasst hatte, erklang erneut ein Schrei, gepaart mit einem unheimlichen Lachen. Das war zu viel für Vanny. Von Panik ergriffen rannte sie blindlings aus dem Raum. Irgendetwas fiel auf den Boden und zersprang, doch sie drehte sich nicht um. Sie hastete durch den Flur und hinaus aus dem unheimlichen Haus ihres Onkels, durch den verkümmerten Garten und durch die Felder, bis ihr der Atem ausging. Nach Luft ringend blieb sie stehen und stützte ihre bleichen Hände auf die zitternden Knie. Ihr Herz pochte wie verrückt, als wolle es zerspringen. Ihre Ohren schienen zu dröhnen und ihre Lunge brannte wie Feuer. Sportlich war sie noch nie gewesen. Ein kleines verzweifeltes Lächeln durchzog ihr Gesicht.

„Ja, so ist es gut. Denk an etwas anderes, etwas Lustiges oder Beruhigendes“, ermahnte sie sich, bis dies tatsächlich Wirkung zeigte und sowohl ihr Körper als auch ihre Sinne sich wieder normalisierten. Vanny richtete sich auf und blickte in den Himmel. Sie beschloss, spazieren zu gehen, denn sie wollte vorerst auf keinen Fall zurück in dieses furchteinflößende Haus! Außerdem musste sie über die Ereignisse nachdenken, andererseits: Was gab es da schon zu überlegen? Es gab doch nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie war total von der Rolle und würde als nächstes Kleidungsstück bald eine weiße Jacke anhaben oder es befand sich noch jemand anderes in diesem Haus ... aber hätte ihr Onkel dann nicht etwas erwähnt? War es womöglich doch Ernst gewesen? Steckte er vielleicht sogar in Schwierigkeiten? Hätte sie ihm helfen müssen? Aber sie hatte ja noch nicht einmal die Herkunft der Schreie gefunden und nach ihrem Onkel hatte sich das ganz und gar nicht angehört. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Ernst das gewesen sein sollte. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Was sollte sie nur tun? Sie hatte Angst und am liebsten würde sie davon laufen. Allerdings wusste sie, wie unrealistisch dieses Unterfangen war, denn wo sollte sie hin? Nach Hause? Hier gab es keine öffentlichen Verkehrsmittel, per Anhalter wollte sie nicht fahren und laufen? Auf ihre Orientierung bauen – vergeblich. Sie kämpfe gegen die aufsteigenden Tränen an, die sich schon bis zu ihren Augenwinkeln vorgekämpft hatten.

„Vanny! Vanny, bist du es? Hey!“

Erstaunt blieb sie stehen, als sie die Rufe vernahm. Sie drehte sich um und blickte in Ninas strahlendes Gesicht und lächelte erleichtert. Ihre neue Freundin kam genau im richtigen Moment.

„Nina! Was suchst du denn hier?“

Diese stieg von ihrem Fahrrad und begrüßte Vanny mit einer kurzen, aber herzlichen Umarmung.

„Na, ich hab dich gesucht, weil ich mir ... na ja, Sorgen um dich gemacht habe, und auf mein Klopfen und Klingeln hatte niemand reagiert, da dachte ich, dass ich einfach mal die Gegend mit meinem Fahrrad abfahre und voilà! Aber ... du siehst gar nicht gut aus. Ist etwas passiert?“

Besorgt schaute sie sie an und ihr warmherziger Blick gab Vanny neue Kraft, doch zu sagen, was genau los war, traute sie sich nicht. Sie wollte nicht, dass ausgerechnet Nina sie für verrückt hielt.

„Ich habe mich so ... erdrückt gefühlt und musste einfach mal raus, frische Luft schnappen und ... du hast dir Sorgen um mich gemacht? Wieso das denn?“

Vanny war überrascht und blickte die Freundin neugierig an. Diese lächelte abermals.

„Na ja ... Dein Onkel ist nicht gerade als sehr zugänglicher Mensch bekannt und wirkt immer sehr unheimlich. Ich möchte ja nicht voreingenommen sein, aber er war den anderen und mir noch nie geheuer und sogar Enjoji war sprachlos, als er hörte, wo du untergebracht bist. Und weißt du, das kommt bei ihm nicht oft vor.“

Nina zwinkerte ihr spielerisch zu und Vanny fing daraufhin an zu lachen. Ihr war nun viel leichter ums Herz und am liebsten wäre sie Nina um den Hals gefallen. Sie war fasziniert von dem fast gleichaltrigen Mädchen, das stets herzlich und fröhlich schien, das absolute Gegenteil von ihr selbst. Wenn sie vielleicht ein bisschen mehr wie sie wäre, schoss es Vanny durch den Kopf, würde ihre Mutter ihr dann verzeihen? Um sich schnell auf andere Gedanken zu bringen und sich nichts anmerken zu lassen, meinte sie:

„Sag mal, wie lange kennt ihr euch eigentlich schon?“

Nina überlegte kurz, während sie weitergingen.

„Nun, eigentlich kenne ich die anderen schon seit dem Kindergarten. Damals mochte ich Keigo und Enjoji nicht besonders, da sie immer viel Blödsinn machten. Dennoch bin ich ihnen nachgerannt und wollte ihnen gleichgestellt sein – kein leichtes Unterfangen.“ Sie kicherte und fuhr dann fort. „ Nun ja, immerhin hat es geklappt. Robin haben wir natürlich alle sofort ins Herz geschlossen, und auch wenn es Enjoji nicht zugeben wird, so würde er doch alles für ihn tun.“

Vanny blickte sie ungläubig an. Das konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen.

„Doch wirklich!“, entgegnete Nina, als sie ihren skeptischen Blick bemerkte. „Das kannst du mir glauben. Er zeigt seine Gefühle nur nicht so offen und versucht, alles hinter einer coolen Fassade zu verstecken. Er war nicht immer so

extrem ...“

Einen kurzen Augenblick lang meinte Vanny, einen traurigen Schleier auf Ninas Gesicht erkennen zu können. Doch bevor sie nachhaken konnte, sprach die andere schon weiter.

„Weißt du, wir drei haben alle eine Gemeinsamkeit: Wir haben keine richtigen Eltern mehr. Keigo lebt bei seinen Großeltern, Enjoji wurde adoptiert und ich wohne hier bei meiner Tante.“

Überrascht blieb Vanny stehen. Damit hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Auch Nina hielt inne und bedachte sie mit einem leichten Lächeln.

„Nein, so war das nicht gemeint. Jetzt guck doch nicht so mitleidig. Das brauchst du echt nicht. Wir finden es alle gut, so wie es ist. Ich habe meine Tante wirklich gern und würde ich vor die Wahl gestellt werden, ob ich zu meiner Mutter ziehen oder hier bei meiner Tante bleiben möchte, dann würde ich Letzteres tun. Ich kann mich auch gar nicht mehr an sie erinnern, an meine Mutter, meine ich.“

„Aber vermisst du sie denn nicht? Hast du denn mit deinen Eltern Kontakt?“

Die Blondine schüttelt den Kopf.

„Nein, meine Mutter hatte mich bei meiner Tante abgegeben, als ich fünf Monate alt war. Einen Vater gab es offiziell nicht. So hat es mir meine Tante erzählt. Klar war ich öfters traurig, auch heute noch ab und zu. Manchmal, weil eben öfter die Frage in mir auftaucht, warum sie mich nicht wollte und will, ob sie wohl noch weiß, dass es mich gibt. So Fragen gehen mir dann durch den Kopf. Aber es wird wohl einen Grund geben, dass es so gekommen ist, denn nichts auf dieser Welt geschieht ohne Grund, auch wenn dieser für uns nicht immer offensichtlich ist.“

Vanny war sprachlos. Wie konnte Nina das nur so ruhig und gelassen sagen, wo ihr doch beim Zuhören schon fast die Tränen liefen? Sie bewunderte ihre Freundin. Sie schien so viel stärker und zuversichtlicher zu sein als sie selbst. Vor allen Dingen empfand sie ihre Offenheit als etwas Besonderes. Wo nahm sie nur dieses Vertrauen her? Sie würde gerne mit Nina über ihre Probleme und Ängste sprechen, doch sie traute sich nicht. Selbst mit ihrer besten Freundin Katrin hatte sie nie richtig über ihre Gefühle und Gedanken reden können. Irgendwie schien ihr das Urvertrauen zu fehlen.

„Weißt du was“, meinte Vanny, „ich finde dich echt stark!“

Erst blickte Nina sie etwas verblüfft an, dann fingen plötzlich beide an zu lachen. Ausgelassen miteinander sprechend gingen sie weiter, bis Vanny auf ihre Uhr sah und bedauernd feststellte, dass sie zurückmusste, um das Abendessen zu kochen. Nina ließ sie hinten aufsteigen und fuhr mit ihr zurück. Der Abschied fiel Vanny besonders schwer, denn am liebsten wäre sie mit ihrer Freundin ins Dorf gefahren, doch das war nicht möglich. Sie umarmten sich, dann schlenderte Vanny auf das alte Haus zu, als Nina sie noch mal zurückrief.

„Warte! Hier, ich schreib dir meine Adresse auf. Wenn irgendwas ist oder ich dir irgendwie helfen kann, ruf mich an, meine Nummer hast du ja, oder komm einfach vorbei. Bitte versprich mir das!“

Vanny nickte bejahend, doch fraß sie die Sorge von innerlich auf. Schweren Herzens betrat sie das Haus.

*

Das Abendessen war problemlos vonstattengegangen. Sie hatte einen Käse-Curry-Salat gemacht und dazu Baguettes aufgebacken. Ihr Onkel schien nicht wirklich begeistert gewesen zu sein, doch er hatte keinen Ton verlauten lassen. Ihr selbst war nicht sehr nach reden zumute und so herrschte eine drückende Stille während der gesamten Mahlzeit. Sie erledigte schnell den Abwasch und zog sich sofort in ihr Zimmer zurück, nachdem sie sich kurz im Bad fertig gemacht hatte. Nicht einmal die heiße Schokolade, die er ihr zubereitet hatte, hatte sie ausgetrunken. Im Bett zusammengekuschelt las sie noch ein bisschen und versuchte, sich so etwas abzulenken, jedoch ohne Erfolg. Es war mucksmäuschenstill, kein Laut war zu hören. Vanny lag noch lange wach und lauschte in die Dunkelheit, bis sie endlich einschlief. Jedoch schreckte sie immer wieder von Albträumen geplagt auf und wälzte sich von einer Seite auf die andere, bis schließlich ihr Wecker klingelte und sie von der furchtbaren Nacht erlöste.

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