Читать книгу Spätes Opfer - A.B. Exner - Страница 5
Reginald Hübler
ОглавлениеDa stand er nun vor mir.
Das Schild an seinem Briefkasten hatte ich schon vor Wochen zum ersten Mal gesehen.
B. Klose stand drauf.
Jetzt wusste ich, dass „B“ Bert bedeutete.
Bert Klose also. Mein neuer Nachbar.
Er hatte eine Flasche Asbach Uralt in der linken Hand und in der rechten einen Tempranillo.
Ich winkte ihn rein und nahm ihm die Flasche Rotwein aus der Hand.
Ein attraktiver Kerl, soviel stand fest. Bestimmt fast einen Meter neunzig groß, leichte Grautöne an den Schläfen im sonst borstigen Haar, wache Augen hinter der schnörkellosen Brille. Hundertprozentig hatte Bert Idealgewicht. Durchtrainiert? Nein, sicher nicht. Aber fit war er wohl. Glattrasiertes Gesicht, ein neckisches Grübchen in der Kinnmitte. Ehrlicher Blick mit nicht nur altersbedingten Lachfältchen. Der Typ konnte urkomisch sein. Das sah ich sofort.
Er hatte seine Jeanslatzhose an. Präzis ausgedrückt sah ich ihn bei Arbeit oder Erholung im Garten immer nur in dieser Hose.
Wir verstanden uns von der ersten Sekunde an. Jeder hatte seinen Spleen. Jeder akzeptierte die Macken des anderen. Jeder von uns neckte gern, besser gesagt, verarschte herzhaft.
Jeder aber konnte bei Bedarf, ebenso tiefgründig wie oberflächlich sein.
An diesem ersten Abend lernte ich die erste Marotte von Bert kennen. Die Datumsmanie.
Er erklärte mir doch tatsächlich, dass er genau seit dem 1. September 1983, seit dem Tag, als die Sowjets einen südkoreanischen Jumbojet abgeschossen hatten, in der Bundesrepublik lebte.
Das war so ziemlich genau ein Jahr her. Er hatte sich in diesem Jahr mit dem neuen Leben arrangiert und sich einen Job gesucht. Es ging ihm gut. Das Geld aus einem Fond für Flüchtlinge und einem Kredit reichte aus, um das Bauernhaus gegenüber zu finanzieren.
Weshalb er aus dem Osten, sprich aus der DDR, geflohen war, habe ich damals nicht erfahren.
Trotz dreier Flaschen Rotwein an diesem Abend.
Präziser ausgedrückt, ich hab es niemals erfahren. Trotz der Mengen an Alkohol, die wir gemeinsam vernichteten. Über sein Geburtsland, er sagte nie Mutter- oder Vaterland, sprach er oft. Der Grund seiner Flucht blieb im Verborgenen.
Ich habe diesen Grund auch nie in Erfahrung bringen können.
Na, vielleicht schaff ich es ja doch noch.
Fragen muss ich jetzt aber andere, ihn kann ich nicht mehr fragen.
Einige Abende später hörte ich, wie Bert in seinem völlig bewucherten Garten mit der Säge zugange war. Ich schnappte mir zwei Bier und überstieg die nicht erkennbaren Grundstücksgrenzen. Mein Garten sah ähnlich verwildert aus.
Dort, wo wir wohnten, konnten wir uns solche Nachlässigkeiten leisten. Immerhin jedoch hatten wir beide im Sommer Schmetterlinge im Garten und keine Sorgen, wie wir unseren Wimbledonrasen vor irgendwelchem streunenden Getier schützen sollten.
Das nächste Grundstück war hinter dem Acker, der in diesem Sommer mit Mais bepflanzt war. Dahinter kam dann schon das Zwischenahner Meer. Das liegt in der Nähe von Oldenburg bei Bremen.
Ich half ihm schnell beim Beseitigen eines toten Birnbaums. Danach setzten wir uns in zwei an einer Eiche angebrachte Hängematten und genossen den leise ausklingenden Tag.
Neben den Eichen befand sich ein trockener Brunnen.
Der Vorbesitzer des Hauses hatte den holprig gemauerten Brunnen wie in der griechischen Heimat mit einer langen Wippe ausgestattet. Der Sockel der Wippe war noch intakt.
Am oberen Ende der Wippe war eine Kette angebracht, dann folgte ein langes Seil, das bis zum Grund des Brunnens reichte. Die Wippe seines Brunnens stand senkrecht. Eigentlich war es eine Peitsche aus jungem Birkenholz, ein bestimmt fünf Meter langes Stück Holz,
Das Gegengewicht bestand aus einem alten Rad eines Pferdefuhrwerkes.
Der Brunnen war nie zu Ende gegraben worden.
Somit lediglich Schmuck seines Gartens.
Ich erfuhr, dass er nach der Schulzeit, in dem Monat, in dem die Helsinkier KSZE Schlussakte unterzeichnet worden war (da war seine Datumsmacke wieder), also im August 1975, eine Lehre begonnen hatte. BMSR sagte er. Ich erinnere mich genau.
Betriebs-Mess-Steuerungs- und Regeltechnik.
Danach knallten wir uns erst einmal deutsch-deutsche Abkürzungen an den Kopf.
Wäre es ein Wettkampf gewesen, verdammt, ich bin sicher, er hätte gewonnen.
Während der Lehre überredete ihn sein Kumpel, Dirk Färber, doch einfach mal zum Tauchen mitzukommen. Bert war nach dem ersten Training begeistert. Das wollte er. Das war sein Ding.
Innerhalb eines halben Jahres hatte er alle Berechtigungsscheine in der Tasche. Bert Klose wurde der stellvertretende Übungsleiter im Tauchclub „Nautilus“. Sein Ehrgeiz ging dem alten Schulfreund, Dirk Färber, derartig auf die Nerven, dass dieser den Sport aufgab. Von da an ging Dirk angeln.
Die Lehre von Bert Klose aber, litt keineswegs unter Berts Engagement beim Tauchen.
Im Gegenteil.
Bert baute sich in der Lehrwerkstatt gemeinsam mit seinem Lehrausbilder einen eigenen Lungenautomaten, bei dem die ausgeblasene Atemluft nicht mehr vorn vor der Tauchmaske aufstieg, sondern links und rechts an der Maske vorbei geleitet wurde. Bessere Sicht war das Ergebnis.
Er war ein Tüftler, ein Weitermacher, ein Stillstandshasser, ein Zu-Ende-Denker.
Mit dieser Ausbildung in Sachen BMSR hätte er im Osten was werden können. Abschluss der Ausbildung mit einer blank polierten Eins. Er bewarb sich bei einer Schiffswerft irgendwo im Norden. Allerdings kam vorher der Dienst in der Ostarmee.
Irgend so ein Parteibonze aus dem Betrieb gab Bert und dem Wehrkreiskommando einen Tipp. Einen dezenten Hinweis wegen des Tauchens. Daraufhin wurde Bert an die Ostseeküste nach Stralsund versetzt. Er wurde Bergetaucher.
Dachten alle.