Читать книгу Auf dem Weg zur Auferstehung - Achim Blackstein - Страница 11
5. Ansprache: Die Lanze des Longinus
(zu Mt 27,47–56)
ОглавлениеWenn man Kaiser im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen war, dann war man Besitzer der sogenannten Reichskleinodien. Das waren etwa ein Dutzend verschiedene Zeichen der Macht, wie der Reichsapfel, die Reichskrone, ein Handschuh, ein Gewand, verschiedene Reliquien und anderes mehr. Alles kann man heute in der „Weltlichen Schatzkammer“ der Habsburger in Wien bestaunen. Ein wertvoller Schatz aus dem Mittelalter, der die fast 1000-jährige Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation von 843 bis 1806 nacherzählt.
Zum Schatz gehört auch die Heilige Lanze. Von ihr ist heute nur noch der Aufsatz erhalten geblieben, eine 50,7 Zentimeter lange Flügellanze aus Metall. Der Lanzenschaft (die „Stange“), der wohl aus Holz gefertigt war, fehlt.
Im Lanzenblatt gibt es eine Öffnung, in der ein kunstvoll verzierter Dorn eingelagert ist. Bei dem Dorn soll es sich um einen „heiligen Nagel“ handeln. Doch ein Nagel vom Kreuz Christi kann es kaum sein, dazu ist er viel zu kurz.
Die Lanze ist wahrscheinlich 1000 Jahre alt. Das Lanzenblatt ist gebrochen und die Bruchstelle wurde dreifach mit einem schmalen Eisenband, dann mit einem breiten Silberblech und zuletzt mit einem Goldblech verkleidet.
Zeitweise war diese Lanze das bedeutendste Stück der Herrschaftszeichen. Später wurde sie von der Reichskrone abgelöst. Aber ein Herrscher, der diese Lanze sein Eigentum nennen konnte, galt als unbesiegbar. Sie zeigte öffentlich an, dass seine Macht direkt von Gott kam und er der Stellvertreter Christi war.
Eine Lanze ist eine Stichwaffe. Und das passt zu ihrem Träger, dem Soldaten Longinus. Den Namen kennen wir nur aus der Tradition. Er ist in den Evangelien nicht überliefert. Überliefert ist nur, was dieser Longinus tat. Im Johannesevangelium lesen wir, wie er mit der Lanze in die Seite von Jesus stach, um zu prüfen, ob er wirklich tot war. Eigentlich hatte man Jesus die Beine brechen wollen, aber als man merkte, dass das gar nicht mehr nötig war, um das Sterben zu beschleunigen, da stach der Soldat Jesus in die Seite. Hätte Jesus noch gelebt, so hätte er sich nun wohl geregt. Die anderen Evangelien überliefern einen Satz von Longinus: „Er war wirklich Gottes Sohn!“ (Mt 27,54)
Und mit diesem Satz wurde der Soldat zum ersten Heiden, der öffentlich Jesus als Sohn Gottes, als Messias bekannte.
Was ihn letztlich überzeugt hatte, wissen wir natürlich nicht genau. Wie viel er von Jesus im Vorfeld wusste, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich war es nicht sehr viel. Aber wenn man den Texten der Evangelien folgt, dann waren es der Tod von Jesus und die Umstände seines Sterbens, die Longinus zu seinem Urteil über Jesus motivierten: die Dunkelheit, das Erdbeben, das freiwillige Sterben Jesu.
Und ich finde, dieser Longinus macht etwas richtig. Auch wenn er als Soldat, der an dieser Hinrichtung aktiv beteiligt war, nicht nur Sympathie weckt.
Aus sicherer Entfernung stochert er prüfend an Jesus herum. Wer bist du Jesus? Und bist du wirklich tot? Auch wir dürfen stochern und wühlen, schauen und prüfen, gerne auch aus dem Abstand, wie mit einem Zeigestock in der Hand, was es mit diesem Jesus auf sich hat.
Der Longinus macht das richtig. Finde ich.
Meistens nehmen wir es doch alles so hin, wie wir es schon immer gehört haben. Longinus aber will nicht Informationen aus zweiter Hand, er will selbst prüfen, selbst sehen, sich vergewissern. Wann haben Sie das letzte Mal geprüft und gestochert, in der Bibel gelesen und nachgeforscht, was es mit Jesus auf sich hat und wie wir das heutzutage zu verstehen haben?
Die Reliquien, so skurril sie uns auch vorkommen mögen, fordern mich dazu heraus. Genau wie eben diese Lanze. Ob sie nun in Wirklichkeit echt ist, oder nicht. Die Reliquien sind Glaubenszeugnisse, die auch zu unserer Geschichte gehören. Hören wir doch mal wieder neu auf ihre Geschichte, die sie zu erzählen haben. Hören wir doch mal wieder neu auf Gottes Botschaft.
Bist du wirklich tot? So fragt sich Longinus unter dem Kreuz stehend, als er mit seiner Lanze Jesus in die Rippen sticht. Warum ist das eigentlich so wichtig?
„Gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen in das Reich des Todes“ – so beten wir regelmäßig im Glaubensbekenntnis. Jedes Wort für sich spricht eigentlich schon ausreichend davon, dass Jesus gestorben ist. Diese vierfache Nennung übertreibt es geradezu „gekreuzigt, gestorben und begraben, hinabgestiegen“. Wer es jetzt nicht verstanden hat, dem ist nicht mehr zu helfen. Jesus war wirklich tot. Toter ging es nicht. Mausetot. Todestot. Da zuckte nichts mehr. Und Longinus konnte sich mit eigenen Augen davon überzeugen. Dieser Mensch Jesus war so tot, wie man nur sein kann.
Immer wieder gab es Gruppen, Sekten und einzelne Prediger, die behauptet hatten, Jesus wäre gar nicht wirklich gestorben. Scheintot hätte er im Grab gelegen, um dann – o Wunder – wieder aufzuerstehen. Gegen solche richtet sich dieses vierfache Todeszeugnis, gegen solche Spekulationen richtet sich die Lanze des Longinus. Nicht scheintot, sondern wirklich, echt, richtig tot ist Jesus gewesen. Und darum auch wirklich, echt, richtig lebendig und auferstanden! Ein Wunder vor unseren Augen – Gottes neue Schöpfung zuerst durch Jesus und an Jesus – und dann aber auch an und für uns und die Lieben, die wir verloren haben.
Wenn wir sterben und richtig tot sind, wie man nicht toter sein kann, dann kommt der, der hinabgestiegen ist, ins Reich des Todes und holt auch uns wieder hinauf ins Lebens, in Gottes Himmel.
Das ist die Botschaft der Lanze des Longinus.
Das ist unsere Hoffnung: „Jesus Christus spricht: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Denn ich lebe und ihr sollt auch leben.“ (frei nach Joh 11,25)
Amen.