Читать книгу Auf dem Weg zur Auferstehung - Achim Blackstein - Страница 9
3. Ansprache: Der Nagel im Knöchel
(zu Mt 27,1–30)
ОглавлениеMit den Stichworten „Fersenbein Nagel“ lässt sich im Internet schnell das hier gezeigte Bild finden.
Cicero, der große römische Redner, hat einmal gesagt, die Kreuzigung sei die grausamste Hinrichtungsart und dürfe deshalb nicht an römischen Bürgern vollzogen werden. Als Zeitzeuge musste er wissen, wovon er sprach.
Wie lange es dauerte, bis ein gekreuzigter Mensch endlich starb, war sehr unterschiedlich und hing zum einen von der körperlichen Konstitution des Gekreuzigten ab, aber auch zum anderen von der Arbeit der Henker. Mit ausgestreckten Armen wurde der Verurteilte ans Kreuz gehängt. Seile banden die Arme an den Querbalken. Nägel wurden in die Handwurzeln getrieben.
Wenn man das Leiden verlängern wollte, befestigte man in passender Höhe einen schmalen Sitz. Es war nur ein Brett, ein Querriegel, aber der Gekreuzigte konnte sich darauf mit dem Gesäß abstützen und seinen Körper wenigstens kurz entlasten. Für diese Sekunden oder höchstens wenigen Minuten konnte er nun besser ein- und ausatmen. Doch der Sitz war schmal und er rutschte immer wieder ab. Also versuchte es der Gekreuzigte erneut, sich hochzuziehen und abzustützen. Geschickt angebracht, war es so möglich, den Menschen über Tage am Leben zu halten und seinen Tod hinauszuzögern. Es war grausam. Ekelhaft. Menschenunwürdig. Und jeder sehnte den Tod des Gekreuzigten herbei, bis er endlich durch Kreislaufkollaps und Herzversagen eintrat.
Es gibt viele Berichte über Kreuzigungen in der Antike. Aber keine Bilder. Erst 1968 fanden Archäologen in einer Urne die 2000 Jahre alten Knochen eines gekreuzigten Mannes. So berichtet es der Paläoanthropologe Joe Zias. Obwohl Hunderttausende gekreuzigt wurden, ist das bis heute der einzige archäologische Beweis weltweit.
Im Fersenknochen des Gekreuzigten steckt noch der Nagel. Im Bild auf der Leinwand kann man es sehen. Sogar Reste der Unterlegscheiben aus Holz sind erhalten. So ist Jesus auch hingerichtet worden. Er muss Höllenqualen durchlitten haben und hielt die Tortur offenbar nicht lange aus. Schon nach wenigen Stunden prüfte der Hauptmann, ob Jesus wirklich tot war.
Der Fersenknochen mit Nagel ist keine Reliquie im engeren Sinne. Es ist ein archäologisches Fundstück. Einfach der Knochen eines Mannes, der am Kreuz starb und uns heute lebendig vor Augen führt, wie es auch bei Jesus gewesen sein muss.
Wir haben in der Lesung gehört, wie es dazu kam, dass man Jesus kreuzigte.
Wir sehen Jesus am Kreuz hängen. Es war die härteste Strafe in der damaligen Zeit. Sie kam nur für Schwerverbrecher in Frage oder für Feinde des Römischen Reiches.
Jesus war nichts davon. Doch er hat es ertragen.
Warum musste Jesus sterben?
Was geschah am 7. April 301, dem Tag der Kreuzigung auf Golgatha?
Manche behaupten, Gott ist heilig. Und wir Menschen sind sündig. Aber Gottes Heiligkeit und menschliche Sünde passen nicht zusammen. Sie stoßen sich ab, wie die beiden gleichen Pole zweier Magneten. Um nun uns sündige Menschen doch annehmen zu können, brauchte Gott ein Opfer, so wird behauptet. Wie im Alten Testament, wo jedes Jahr zu „Yom Kippur“ ein Widder mit der Schuld des Volkes „beladen“ und in die Wüste, also den sicheren Tod, geschickt wurde.
Ich wehre mich dagegen zu behaupten, dass Jesus als Sühnopfer für unsere Sünden gestorben ist, wenn damit gemeint sein soll, dass sein Tod den Zorn Gottes besänftigt. Und wenn damit dann gleichzeitig behauptet wird, dass sich Gott über dieses Opfer gefreut hat und er damit zufrieden war, vielleicht auch, weil es ihn nun in die Lage versetzt hat, zu vergeben.
Denn es geht bei der Kreuzigung und dem Sterben von Jesus nicht darum, dass da Gott ist und auf der anderen Seite das Menschenopfer, mit dem dieser vor Zorn und Wut schnaubende Gott besänftigt werden soll.
Das Neue Testament sagt es ganz anders: „In Christus hat Gott selbst gehandelt und hat die Menschen mit sich versöhnt. Er hat ihnen ihre Verfehlungen vergeben und rechnet sie nicht an.“ (2. Kor. 5,19). Weil Gott die Welt so sehr geliebt hat (vgl. Joh. 3,16).
Wir dürfen am Kreuz eine entscheidende Tatsache wahrnehmen: Wir sind Gott nicht egal.
Gott ist Liebe (1. Joh. 4,8). Und jetzt stellen Sie sich bitte Eltern vor, denen ihr Kind weggelaufen ist. Die Eltern suchen nach dem Kind, sie rufen und hoffen, dass es wohlbehalten zurückgekehrt. Wenn Sie es dann wiederhaben, nehmen sie ihr Kind in die Arme und freuen sich und schimpfen dennoch. So ähnlich ist es auch bei Gott. Gott sehnt sich nach uns. Doch unser Weglaufen, unsere Sünde alles allein zu wollen, kann ihn nicht kalt lassen. Und das ist sein Zorn, dass er mit uns schimpft und um uns ringt. Aber wir müssen diesen Zorn ganz und gar von seiner Liebe her verstehen. Gottes Zorn ist sein Schmerz um uns Menschen. Seine Sorge um unser Wohlergehen. Es ist nicht Gleichgültigkeit, nicht Hass, nicht Ablehnung, sondern leidenschaftliche, herzliche Liebe, die händeringend wirbt und stirbt – für uns.
Gott stirbt, damit wir nicht sterben müssen.
Sünde ist Beziehungsabbruch, die Abkehr von Gott und die Abkehr von anderen Menschen, das Versagen der Nächstenliebe, der Abbruch der Beziehungen. Und Paulus schreibt: Der Sünde Sold, ihr Lohn, ist der Tod (Röm 6,23), und er hat Recht. Gott gibt Leben im Raum seiner Liebe. Jedes Leben, das sich diesem Raum entzieht ist totgeweihtes Leben. Gerichtetes Leben. Es entzieht sich selbst der Lebensgrundlage und muss zwangsläufig daran sterben. Wenn Sie Nahrung haben, aber nicht davon nehmen, werden Sie sterben. Wir haben die Liebe Gottes, die Gemeinschaft mit ihm, wollen sie aber nicht haben, versuchen es ohne und werden also an ihrem Mangel zugrunde gehen. Der Lohn der Sünde ist das Sterben fern aller Gemeinschaft von Gott und Mensch, verlassen von Gott und Mensch. Die Hölle ist darum vor allem ein Ort der Einsamkeit.
Was in Jesus passiert beschreibt Paulus so: „Er war in allem Gott gleich, und doch hielt er nicht gierig daran fest, so wie Gott zu sein. Er gab alle seine Vorrechte auf und wurde einem Sklaven gleich. Er wurde ein Mensch in dieser Welt und teilte das Leben der Menschen.“ (Phil 2,6–7).
In Jesus kommt Gott selbst auf die Welt.
Aber Gott will die Sünde nicht. Er will die Trennung überwinden. Das ist das Gericht. Gott will ja, dass wir bei ihm sind, von nun an bis in Ewigkeit. In Jesus hat Gott selbst diese Verlassenheit erlebt. Er, der Richter, nimmt den Zorn auf sich selbst und trägt die Konsequenz der Sünde: Er stirbt.
Gott hat sein Nein gegen die Sünde so ausgesprochen, dass er es an Jesus vollstreckte, also an sich selbst (keine Trennung von Gott und Jesus!) und damit von uns wegnahm. In Jesus ist Gott selbst auf unserer Seite (wortwörtlich). Er will ja die Gemeinschaft um jeden Preis, auch wenn es seinen Tod kostet. Das ist in Jesus passiert. Für Dich und mich. In Jesus und seinem Leben und Sterben und seiner Auferstehung am dritten Tag. Schon bei seiner Geburt in der Krippe beginnt dieser hingebungsvolle Weg aus Liebe.
Ein kleines Mädchen kommt vom Dorf in die Großstadt, sieht die vielen Kirchtürme und fragt die Mutter: „Warum sind auf den Kirchen die Pluszeichen?” Vom Rechnen wusste sie, dass das Kreuz das Zeichen für Plus ist. Ein gesegnetes Leben ist ein Leben, das unter dem Pluszeichen Gottes steht.2
Durch Jesus sind wir von Gott bejaht. Er hat das Minus unseres Lebens, das auf den Tod zusteuert, in ein Plus gewandelt. Dieses neue Vorzeichen, sein JA zu uns, macht uns überhaupt erst fähig und setzt uns erst in die Lage, uns auch als Schuldige zu bekennen und als schuldig bekannte dennoch wieder Bejahte zu werden. Es ist Gottes Gnade, die uns umkehren lässt.
Denn nun können wir, selbst wenn im Sterben die Sünden unseres ganzen Lebens über uns herfallen sollten, in kein Gericht, keinen Tod und keine Gottverlassenheit geraten, in der nicht der gekreuzigte Jesus schon voraus auf unserer Seite ist und in ihm Gott selbst, der uns annimmt.
Glauben heißt: Ich lasse mich in meinen Tod fallen und vertraue darauf, dass im Tod von Jesus Christus Gott für mich da ist und mich auffängt und zu sich aufnimmt. So falle ich vom Tod ins neue Leben hinein.
Vergessen wir nicht, dass immer gilt, was Paulus schreibt: „Niemand von uns lebt für sich selbst und niemand stirbt für sich selbst. Wenn wir leben, leben wir für den Herrn, und wenn wir sterben, sterben wir für den Herrn. Wir gehören dem Herrn im Leben und im Tod. Denn Christus ist gestorben und wieder lebendig geworden, um Herr zu sein über alle, Tote wie Lebende.“ (Röm 14,7–9).
Damit das so ist und für uns selbst wahr sein möge, dazu starb Jesus am 7. April 30 für uns.
Es ist vollbracht!
Amen.
1 Stuhlmacher, Theologie, S.55.
2 Kühner, Überlebensgeschichten, S. 63