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2. Ansprache: Das Schweißtuch
(zu Mt 26,57–75)

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Wer im Internet eine Bildersuche nach „Schleier von Manoppello“ durchführt, findet das genannte Bild sehr schnell.

Wir sehen einen Menschen und haben sofort ein Bild von ihm. Wir schauen in das Gesicht einer Person und meinen darin lesen zu können, wie in einem offenen Buch.

Manchmal scheint es, als lesen wir die gesamte Lebensgeschichte. Die Haare, die Frisur, die Augen, der Blick (Ist er müde? Oder fröhlich? Angespannt? Voller Sorgen? Lächelnd?).

Jede Falte wird gedeutet. Ob wettergegerbt oder von Büroluft ermattet. Ein Blick von uns und wir haben unser Bild abgespeichert. Unsere Hypothese gesetzt, unser Urteil gefällt.

Welches Bild haben Sie von Jesus?

Ich habe hier auf der Leinwand das Bild eines Mannes mitgebracht. Ein ganz besonderes Bild. Eine Reliquie von Jesus. Ist sie echt? Vielleicht. Sogar wahrscheinlich. Aber was heißt das?

Der Schleier von Manoppello, auch als Volto Santo von Manoppello bekannt, ist eine Ikone auf einem hauchdünnen Tuch, die in dem kleinen italienischen Städtchen Manoppello in den Abruzzen als Reliquie verehrt wird. In den letzten Jahren wurde das Tuch aufgrund der Rätselhaftigkeit seiner Herkunft, seines Materials und des darauf befindlichen Gesichtes bekannt.

Das Volto Santo (Das „Heilige Antlitz“) ist ein 17,5 cm breiter und 24 cm hoher Schleier. In der Kapuzinerkirche Santuario del Volto Santo auf dem Tarignihügel wird es aufbewahrt. Es liegt gut verschlossen hinter Glas und seit Jahrhunderten hat man es nicht mehr aus seinem Rahmen genommen. Nur mit Mikroskopen oder ultraviolettem Licht konnte es bisher untersucht werden.

Der Schleier scheint aus Byssus, auch Muschelseide genannt, gewebt zu sein. Muschelseide ist ein Stoff, der aus den äußerst feinen und widerstandsfähigen Ankerfäden der im Mittelmeer lebenden Steckmuschel gewonnen wird. Früher, in der Antike und im Mittelalter, gehörte der Stoff zu den kostbarsten überhaupt. Heute weiß fast niemand mehr, wie man Byssus herstellt. Aber Muschelseide gilt als nicht zu bemalen und ist nur sehr schwer zu färben.

Das Gesicht auf dem Tuch ist von beiden Seiten gleichermaßen, wenn auch spiegelverkehrt wie auf einem Dia, zu sehen. Der Stoff ist so dünn und fein, man könnte eine Zeitung lesen, die darunter liegt. Gegen die Sonne gehalten, wird das Tuch beinahe so transparent wie Glas.

Schauen wir uns das Gesicht noch einmal genauer an.

Wir sehen das Gesicht eines Mannes mit langen Haaren. Er trägt einen Bart. Seine Augen sind geöffnet. Auch der Mund ist leicht offen. Die Zähne sind nur von einer Seite zu sehen. Und auf dem Gesicht erscheinen rötliche Flecken. Sind das Wunden? Sie könnten durch Folterungen oder Geißelung entstanden sein, wie bei Jesus.

Bemerkenswert ist, dass die Proportionen des Gesichtes und die Lage der Wunden mit dem Gesicht auf dem Turiner Grabtuch übereinstimmen. Man geht darum davon aus, dass auf beiden Tüchern ein und dieselbe Person dargestellt ist.

Bemerkenswert ist auch, dass der Schleier von Manoppello wie das Turiner Grabtuch einzigartig zu sein scheint. Niemals wurde etwas Ähnliches irgendwo entdeckt.

Es wirkt wie gemalt und statisch. Bei wechselndem Licht kommt aber plötzlich Leben hinein und das Gesicht scheint sich zu bewegen. Die Farben changieren zwischen verschiedenen Gold-, Bronze-, Braun- und Rottönen. Sie schimmern, wie die Farben auf einem Schmetterlingsflügel.

Ist es das Schweißtuch der Veronika?

Nach der christlichen Überlieferung hat Veronika ihr Tuch Jesus von Nazareth auf seinem Weg nach Golgatha gereicht. Hiermit konnte er Schweiß und Blut vom Gesicht abwischen. Dabei soll sich dann das Gesicht Jesu auf wunderbare Weise auf dem Schweißtuch abgebildet haben. Das Tuch der Veronika entstand.

Einige Theologen und Forscher vermuten tatsächlich, dass das Schweißtuch zusammen mit dem Turiner Grabtuch direkt aus dem Grab von Jesus stammt. Somit wäre es eines der Tücher aus den Erzählungen vom leeren Grab. Und vieles spricht tatsächlich genau dafür. Das ist sehr spannend!

„Bist du Christus, der versprochene Retter, der Sohn Gottes?“, so heißt es im Bibeltext (V.63).

Ich habe mich gefragt, was ich eigentlich für ein Bild von Jesus habe?

Was für ein Bild von Jesus haben Sie?

Wer ist er für uns? Ein Heiliger, ein großer Lehrer, ein Religionsstifter, der Sohn Gottes, ein Verrückter? Je mehr Menschen Sie fragen, desto mehr Antworten werden Sie bekommen.

Martin Luther hat auf die Frage mit den Worten geantwortet: Christus kennen, heißt ihn als den Gekreuzigten zu kennen .

Ich glaube, das ist nicht gerade etwas, was wir gerne nachsprechen. Mir fällt es schwer.

Mir ist der Bruder, der gute Mann, der Freund nämlich viel lieber, als der Mensch, der sein Leben für mich gab.

Mir ist er lieber, weil er leichter zu denken und auch leichter zu erklären, ja auch leichter zu predigen ist.

Paulus hat Recht, wenn er schreibt, das Kreuz ist eine Torheit und ein Ärgernis (vgl. 1. Kor.1).

Es wäre für uns leichter, wenn wir nur von den schönen Gottestaten erzählen bräuchten, der Schöpfung etwa und der Nächstenliebe, der Diakonie und dem Gemeindefest.

Das Kreuz ist unangenehm, weil ich nicht möchte, dass jemand für mich sterben muss. Und das Kreuz ist unangenehm, weil es auch mich als Mensch hinterfragt. Das Kreuz ist ganz eng verbunden mit der Sünde, mit meiner Sünde, ganz konkret und ganz persönlich.

Es ist verbunden mit dem, was mich von Gott trennt. Das Kreuz spricht mich an auf meinen Lebensentwurf: Lebe ich mit Gott oder ohne ihn? Versuche ich, seinen Willen zu tun, oder zählt nur mein Egoismus und ist mir nur mein Wille heilig?

Und weil mich das Kreuz auf meine Sünde vor Gott hin anspricht, widerspricht es mir als Mensch, hinterfragt mich. Es setzt ein Fragezeichen an meinen selbstgewählten Lebensentwurf und drängt mich zur Umkehr, zum Neuanfang.

Sich hinterfragen zu lassen in seinem Lebensentwurf und Lebenslauf ist aber wohl für keinen Menschen leicht. Viel leichter ist es doch, bestätigt zu werden und zu hören, dass doch alles geht und alles möglich ist, was soll also die Aufregung?

Ja, das Kreuz ist eine Torheit und ein Ärgernis.

Ohne das Kreuz gäbe es keine Kirche. Die Kreuzigung ist der Anfang.

Als das Kreuz in die Erde glitt, setzte Gott damit den Grundstein für seine Kirche.

Durch das Kreuz überschritt Gott selbst in seinem Sohn Jesus Christus den Graben der Sünde, schüttete ihn zu, bahnte den Weg zwischen uns und ihm. Ein Geschenk der Gnade aus Liebe für uns. Christen sind dazu da, dies den Menschen in aller Welt bekannt zu machen. Und die Gemeinschaft der Christen nennt man Kirche oder Gemeinde.

Jeder Kontinent der Erde soll es wissen, dass Gott uns nahe gekommen ist in Christus. Aus Liebe.

Das „Volto Santo“ aus Manoppello hält uns keinen Spiegel vor, sondern ein schlichtes, feines Bild von Christus, auf dem man, bei genauerem Hinsehen, sogar die Wunden erkennen kann, die Dornenkrone und Schläge ins Gesicht gezeichnet haben.

Jesus Christus, der für mich und Dich Gekreuzigte.

Der Blick auf den Gekreuzigten kann uns Trost und Halt geben.

Christus selbst hat unsere Schmerzen erlitten und ist unseren Tod gestorben. Das mag mich ärgern, es mag mir unangenehm sein. Daran mag ich mich reiben, aber ohne Reibung gibt es keinen Halt! In ihm haben wir einen echten Bruder des Mit-Leids. Des Mitleidens und Mitgehens in alle dunklen Zimmer und Ecken unseres Lebenshauses.

„Welches Bild haben Sie von Jesus?“, so fragte ich im Eingang.

Ich will Christus kennen als den Gekreuzigten, als den, der für mich gestorben ist. Der mich hinterfragt, aber der mir auch immer wieder einen Neuanfang anbietet.

Ich will ihn so kennen und immer besser kennenlernen, wie ihn uns das „Volto Santo“ vorhält. Nicht der große Held, der Wundermann, der Lehrer, sondern als der Demütige und von Herzen Sanftmütige. Gottes Sohn, der seine Heiligkeit ablegte, um an unsere Seite zu kommen und uns so zu nehmen, wie wir sind. Er, der sich nicht zu schade war, für mich alles zu geben, damit ich und wir alle leben können – auch wenn wir sterben.

Amen.

Auf dem Weg zur Auferstehung

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