Читать книгу Ausgerechnet Kirgistan - Adi Traar - Страница 6
Wie eine Blondine in Italien
ОглавлениеDabei habe ich mich für die kommenden Wochen auf kärgliche, zentralasiatische Kost eingestellt. Und ausgerechnet noch im Flugzeug (nun gut, es ist die British Airways) muss ich, eben ein verwelktes Sandwich hinuntergewürgt, sagen: Es kann eigentlich nur mehr besser werden. – Wird aber noch schlimmer. Nach der Zwischenlandung in London bin ich in den Flughafen-Shops auf verzweifelter Suche nach frischem Obst und stoße voller Entsetzen auf ein paar schrumpelige, in Plastik verpackte Apfelscheiben. Sagt man: ‚Ein Apfel am Tag spart den Doktor‘, muss ich jetzt sagen: ‚Aber so manche Äpfel kann man sich auch gleich sparen.‘ Der Anblick versetzt mich in ein kulinarisches Koma, aus welchem ich eine Zeitlang nicht erwachen werde. Und es wird mein Nachteil nicht sein.
Es folgen ein paar Scherereien: Kann ja nicht sein I; Kann ja nicht sein II; Kann ja nicht sein III.
Das versehentlich im Handgepäck verstaute Titan-Essbesteck (Kann ja nicht sein I), Marke Ultra-Light, stieß beim Wiener Security-Check noch auf wohlwollende Toleranz – man schloss vom geringen Gewicht auf eine gewisse Harmlosigkeit –, das tut es in London jedoch ganz und gar nicht. Gewiss misst man hier so manchen Dingen ein ganz anderes Gewicht bei. Ein strenger Zeigefinger signalisiert mir Platzverweis. Nochmals einchecken, ungern meine umgehängte Fahrradlenkertasche als Verpackung fürs Besteck aufgeben, dann wieder anstellen für den Security-Check. Ich muss meinen Kopf gleich mit dem Fluggepäck aufgegeben haben; eine findige, alte Dame entdeckt tatsächlich mein Taschenmesser in meinem Bord-Rucksack, auch das haben die gemütlichen Wiener übersehen, und ich sowieso (Kann ja nicht sein II). Und da kommt mir jetzt was in den Sinn, noch nicht Amoklauf oder gar Selbstausschaltung, aber irgendetwas knapp davor. Auf keinen Fall will ich das Ding verpacken, aufgeben und mich erneut anstellen, und so zeige ich mich opferbereit und spende das Messer diesem bemitleidenswerten Land, welches an den schamlosen Aufwendungen seines Königshauses und am allherbstlichen Smog ohnedies zu ersticken droht. Der Angestellten ist ihr Coup richtig unangenehm. Mir auch.
„Entschuldigen Sie, aber Sie werden in Kurdistan ein besseres Messer bekommen.“
Danke, für den professionellen Zweckoptimismus – und gratuliere zum geographischen Basiswissen (Kann ja nicht sein III).
Nach Zwischenlandung in Eriwan erste zentralasiatische Eindrücke. Menschenleere. Mäandernde Flussläufe, die sich zaudernd durch eine erwachende Landschaft aus riesigen Steppenböden schlängeln.
Zu den verhängnisvollsten Momenten meines Lebens zählen vermutlich die Rückgabe von Latein-Klassenarbeiten und die meines Fahrrades nach Fernflügen. Setzt man eine Lateinschularbeit in den Sand, lässt sich das ausbessern, eine gebrochene Federgabel in Kirgistan sicher nicht. Albträume werden wahr, als ich, eben in Bischkek gelandet, bei der Gepäckrückgabe eintreffe. Der Fahrradkarton, oder besser Stücke davon, liegen am Boden, maßgebliche Teile Gisis lugen heraus (Gisi ist der Name meines neuen Mountainbikes, etwas verschachtelt, aber raffiniert abgeleitet von Kirgisien), ich höre förmlich ihr Wimmern, und mir wird ganz bang ums Herz, den Hals hat es mir längst schon zugeschnürt. Zögerlich überprüfe ich die Hauptfunktionen Treten, Lenken, Bremsen, dann Schalten, Sitzen, Tragen. Dabei hämmert mir das Herz im Halse – eben nur bis zur Zuschnürung. Zum Glück ist nichts passiert, bis auf ein paar bedeutungslose Kratzer und Scheuerspuren an Lenker, Sattel und Rahmen. Da war heute ein Schutzengel als blinder Passagier im Laderaum, obschon er zeitweilig ein bisschen geschlafen haben muss.
Den nächsten Aufreger beschert mir ein landestypisches Phänomen. Durch Recherchen in einschlägiger Literatur bin ich ausreichend schlau gemacht und vorgewarnt: Kirgisische Polizei – nur wenn es sein muss! Und dann auch nur im großen Bogen um sie herum. Die Fälle sind häufig, in denen sie Touristen den Reisepass abnehmen, und sie ihn nur dann zurückbekommen, sobald sie einen Haufen Geld dafür bezahlt haben. Bei der Gelegenheit werden sie aus dem verwinkelten Gassengewirr wieder herausgelotst, nachdem die Polizei sie zuvor dort hineingelotst hat.
Nach Dienstschluss beteiligen sich Angehörige der Polizei und Miliz hin und wieder an Raubüberfällen auf Touristen – quasi im Nebenerwerb. Deswegen entstand in mir schon zu Hause ein Feindbild, und das nimmt jetzt in Form zweier unrasierter Polizisten, die uns paar Neuankömmlinge mit aufdringlichem Interesse mustern, uniformierte Gestalt an. Sollen mich gefälligst in Ruhe lassen. Tun sie zum Glück eh.
Ernste Gesichter, unter Sowjet-Schirmmützen vergraben, kontrollieren am anschließenden Schalter die Pässe samt den dazugehörigen Anreisenden. Die Beamtin schaut auf das Passbild, dann auf mich, dann wieder aufs Passbild, dann wieder auf mich, sie verzieht keine Miene dabei, obwohl ich ihr gleich in zweifacher Ausführung entgegengrinse.
„Are you a tourist?”
Komisch. Ich hätte nie gedacht, dass man mir das nicht ansieht.
„Yesss.“
Das hat ihr gefallen, der Bann ist gebrochen, und sie gibt mir Kirgistan frei.
Ich betrete ein Sehnsuchtsland. Zumindest ist es für mich so. Sehnsuchtsländer sind mit dem Nimbus des Unerreichbaren behaftet. Betritt man erst einmal so eines, ist der Zauber des Unerreichbaren enthüllt, der Nebel des Unbekannten entschleiert, und es wird ein gewöhnlicher Boden daraus, auf den man feste Schritte setzen kann wie in einem Kuhstall oder einem Einkaufszentrum. Oder in einer Flugankunftshalle. In so einer befinde ich mich jetzt, und unvermittelt beginnt das volle Asienprogramm.
Bereits auf den ersten Laufmetern bekomme ich eine Vorstellung davon, wie es einer Blondine in Italien so ergehen mag; von vorne, von hinten, von der Seite umgarnen mich tolldreiste Taxler, Typen und Diebe, und so habe ich bereits nach zehn Sekunden Zentralasien reichlich Körperkontakt. Am Ende des Gewirrs aus helfenden und nicht so gut gemeinten Händen entdecke ich ein hochgerecktes Schildchen, bekritzelt mit tollpatschigen Buchstaben, die in ihrer Zusammensetzung an meinen Namen erinnern:
Bis dorthin sollte ich es unbeschadet schaffen. Den Komfort, mich von einer Reiseagentur abholen zu lassen, habe ich mir heuer, nebst einem Handy im Reisegepäck, erstmals geleistet. Den betäfelten Mann mit ausdruckslosem Gesicht begrüße ich einigermaßen erleichtert. Er führt mich zu einem Auto in fortgeschrittenem Roststadium, dort wartet ein weiterer Mann im fortgeschrittenen Alkoholikerstadium, ihn begrüße ich nicht mehr, weil ich mich an eine ausdrückliche Warnung erinnere, man solle hierzulande niemals alleine in ein Auto einsteigen, in dem sich mehr als ein Mann befindet. Muss ich jetzt aber. Der Begleiter, er heißt Sergej, versucht sein Nahverhältnis zu Wodka und Konsorten zu verbergen und entpuppt sich bald als hilfsbereiter, netter Guide und überdies noch als Ehemann von Katja, der Chefin von Tien-Shan Travel, mit der ich daheim in E-Mail Kontakt getreten war. Mit ihr habe ich überdies vereinbart, meinen Fahrradkarton bis zum Rückflug im Reisebüro zu hinterlegen, was mir jetzt in Anbetracht der übriggebliebenen Pappkartonfetzen ein wenig überflüssig vorkommt.
Erst nach einiger Zeit, als unser Vehikel bereits unzählige Schlaglöcher ohne Achsbruch oder Unterbodenschaden passiert hat, schwinden letzte Reste an Zweifel und Misstrauen, und ich strecke Sergej die Hand zur Begrüßung entgegen. Er erzählt mir so einiges, warnt mich vor Banden, Mördern und Dieben. „Sei vorsichtig in den Dörfern, hüte dich vor den Kindern!“
„Weiß ich schon.“
„Und nimm dich in Acht vor der Polizei!“
„Weiß ich auch schon.“
„Und vor den Hunden.“
„Wow.“
Zudringliche Wodkaholiker, die dem Besucher des Landes, wie in einschlägiger Literatur eruiert, landauf landab bereits in den frühen Nachmittagsstunden entgegentorkeln und für jede Belästigung zu haben sind, stellen für ihn offenbar keine nennenswerte Gefahr dar, sie stehen wohl unter seinem moralischen Schutz.
Wir erreichen Bischkek und einiges später die vorbestellte Unterkunft, eine Pension, und halten direkt vor dem massiv verriegelten Einfahrtstor, das etwas vor Rest-Bischkek zu verbergen scheint.
So nett er zu mir war, mit den armen Gastleuten kennt Sergej kein Pardon. Er stützt sich auf seinen ausgestreckten linken Daumen, und der Daumen haftet an der Türklingel, und es ist nicht lange nach Mitternacht. Und so nett er zu mir auch war, möchte er mich mit Sicherheit loswerden und keinesfalls ein anderes Hotel suchen müssen, lieber schläft er sich zu Hause den Wodka aus dem Leibe. Ein um die Leibesmitte aufgedunsener Mann öffnet die Einfahrtstür – ich weiß nicht, was er sich aus dem Leibe geschlafen hat, aber es saß tief. Mit geschlossenen Augen begrüßt er uns nicht gerade aufs Allerfreundlichste und führt uns blind in den Hof. Erst viel später, als er die Augen öffnet, sehe ich, dass er welche hat.
Soweit der gesicherte Teilabschnitt meiner Reise.