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Keine Punks in Kirgistan
ОглавлениеWas lässt sich nicht alles über ein Handy retten! Sein eigen Seelenheil zum Beispiel, durch einen Segen vom Papst per SMS, das ist das Neueste und im Grunde auch gleich das Letzte. Auf wie viel Megaherz lässt sich so ein Segen überhaupt dezimieren, auf dass ein Segen noch ein Segen bleibt? Hielte so was einer Komprimierung auf MP3-Format stand? Ich denke, so Gott will, ja. – Aber da wäre ich mir nicht so sicher, was seinen Willen betrifft. Abgesehen davon glaube ich, es macht gar nicht der Papst, sondern da wühlt irgendein Messdiener in klerikalen Dossiers und tippt sich dann die Daumen wund.
Menschenleben kann ein Handy andererseits auch retten. So erging’s einem jungen Australier, der sich in Bischkek verlaufen hatte. Er ist Gast in der Pension. Gerade erst angereist, unternahm er einen Spaziergang durch die verwinkelte Stadt und verirrte sich dabei hoffnungslos. Verzweifelt rief er seine Reiseagentur an, um sich herausholen zu lassen. Leider hatte er ein zusätzliches Problem. Er kennt die kyrillische Schrift nicht, somit war er nicht imstande, die Straßennamen zu lesen, und kein Passant war fähig, ihm zu sagen, wo es langging, weil ihn keiner verstand. (Die Kirgisen sind ganz bestimmt nicht die Einzigen, die Australier gar nicht oder kaum verstehen.) Im Reisebüro rieten sie ihm, ein Straßenschild mit dem Handy zu fotografieren und ihnen als MMS zu schicken. Das klappte.
Der ganze Rettungseinsatz kommt gut an bei uns, und als der blasse Typ Stunden später in die Pension zurückkehrt, erntet er reichlich Gelächter von uns allen, nachdem wir in einer explosiven Phase krampfhaft bemüht waren, nicht wie angeschraubte Sektkorken loszuplatzen.
Am späten Nachmittag treffe ich mich mit Jasina und wir machen erneut einen Stadtbummel. Dabei führen wir angeregte Gespräche über so manches, was 19- und 46-Jährige so interessiert und verbindet. – Und das ist viel mehr, als man meinen möchte. Ein bisschen was von Politik und Religion ist auch dabei.
Wir gelangen zu einem schönen, mit Springbrunnen und Rasenflächen gestalteten Platz, an dessen verlängertem Ende die verschneiten Berge des Tien Shan als Schutzwall für die große Stadt thronen.
„Allah ist groß“, schwärmt Jasina und deutet auf die Gebirgskette.
„Ja! Aber Buddha ist es auch!“ – Und nicht nur sein Bauch. Aber das kann ich mir gerade noch verkneifen. So auch das: Jesus war auch kein Kleiner.
Staatstragend nähern wir uns dem Parlament; ein schmucker Bau mit Säulenvorhalle, der nicht nur an das Weiße Haus erinnert, sondern auch so heißt.
„Unser Präsident Bakiev ist ein guter Präsident. Er kommt aus dem Volke und versteht die einfachen Menschen im Lande.“
Monate später werden Proteste und Massenkundgebungen, die in gewalttätigen Ausschreitungen enden, eine andere Sprache sprechen. Der gute Präsident wird sich doch etwas zu viel herausgenommen haben. Gott sei Dank macht ein Schurke allein noch keinen Schurkenstaat, dazu gehört noch mindestens eine laute Partei oder eine ebensolche Religion, besser beides in einem. Und vergessen darf man nicht, da gibt es einen langen, behaarten Arm, der beschützt oder rempelt, je nachdem, kein Mensch weiß wie lange er das noch tut, ausgestreckt wird er jedenfalls von Moskau aus. Im Prinzip sind die Nachfolgestaaten der frühen Sowjetunion bestenfalls Deckmanteldemokratien, was zwar weicher klingt als etwa „Tarnkappendiktaturen“, aber ein und dasselbe beschreibt. Andererseits, was sind schon unsere Demokratien? Lebensbedingungen von einer Mehrheit aufgezwungen zu bekommen ist Demokratie; von einer Minderheit, Diktatur. Gut meinen tun es alle. – Mit sich selbst.
Überhaupt. Wahres und Wahrheiten sind noch nie mehrheitsfähig gewesen, die Masse folgt immer dem Verführungsgesäusel des Rattenfängers, getreu bis in den Wassertod. Und Meinungsminderheiten zu vertreten, ist oft anstrengend. Gefährlich ist es auch, ich mach so was häufig und gerate dabei für gewöhnlich leicht in einen Argumentationsdschungel.
Nehme man zum Beispiel das hohle Sinnsprüchlein „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Das meinen viele – ja fast schon Volksmeinung –, hingegen lässt es sich bedenklich weiterspinnen: Jeder Mensch verdient ihm widerfahrendes Heil und Unheil, den Partner, den er sich aussucht, seine Eltern, und, jetzt wird’s haarig, jedes Volk verdient die Regierung, die es regiert. Im Verlauf einer solchen gedanklichen Querfeldeinexpedition macht man sich immer mehr zu einer Minderheit, und am Schluss steht man mit dieser Meinung möglicherweise nicht nur alleine, sondern dazu noch ganz schön blöd da.
Ich sage zu Jasina: „Viele Europäer sind Amerika-kritisch!“
„Waaas? Wirkliiich? Wiesooo? An unserer Uni unterrichten Amerikaner, die sind sooo nett.“ Jasina ist schockiert. Es geht an die Tabuzone.
„Wegen ihrer Entschlussfreudigkeit in Bezug auf Krieg.“ Beinahe schon: Lizenz zum Krieg. „Aber das richtet sich gegen die Regierung und ihre Außenpolitik, nicht gegen das Volk.“ Wenn aber das wiederum die Regierung verdient, die es regiert? Der Dschungel wird dichter, und ich suche nach einer Liane, um abzuschwingen.
„Ganz allgemein ernten wir Menschen, was wir säen.“ Völlig unbeabsichtigt ist mir da ein Brückenschlag zum Propheten Mohammed gelungen, der findet das nämlich auch.
„Warum ich die Backstreet-Boys nicht mag, hast du mich früher gefragt?“, jetzt ergreife ich endlich die Liane. Über diese Frage war ich heute schon einmal in Argumentationsnotstand geraten. Für den Moment verhilft mir mein Notstand von eben zu einer Argumentation in dieser aufgeschobenen Backstreet-Boys-Frage: Dieses ‚Ich bin so cool, und ich liebe dich‘ Ist mir auf Dauer denn doch zu monoton. Im Leben gibt’s ja auch mehr als nur das Eine.“
„Aber sie singen doch toll, findest du nicht?“
„ …“ Und schon hab ich wieder einen Notstand.
Gegen Abend nimmt wieder Medina an unseren Kreuz- und Quergängen durch sämtliche Gesprächsthemen und durch die Viertel der Stadt teil. Dort wo einmal Lenin stand – als Denkmal natürlich – steht jetzt ein Freiheitsstatuenklon auf hoher Säule, die Erkindik-Statue. Anstatt der Fackel hält sie den Tündük, den Rauchabzug einer Jurte, deren Mittelpunkt, in der emporgestreckten Hand. Abermals ergreife ich die Gelegenheit, Jasinas verklärtes Bild vom heilen Amerika ein wenig zu beklecksen. Ich meine, ein bisschen bilaterales Gleichgewicht kann nicht schaden. Sonst kriegt die Welt auch noch Übergewicht, dort wo der Westen ist, und das schlägt sich noch auf die Erdrotation durch. Bald aber werde ich hellhörig und stutze, als Jasina mir kurzentschlossen eröffnet, sie habe soeben ihre Zukunftspläne umgekrempelt und ihren angestrebten Studienplatz von New York nach Europa verlegt, wie hieße es dort doch gleich, woher ich käme? Ach ja, Wien, und außerdem wollte sie schon immer einmal nach Australien. Diesen Eigenwerbefeldzug hat sich Europa jetzt aber wirklich nicht verdient.
Medinas Eltern sind strenggläubige Moslems, in gewissen Abständen erfolgen Kontrollanrufe übers Handy. Dabei lügt sie, was das Netz erlaubt. Jasina übersetzt mir simultan.
Jasina und sie wären in der Uni-Bibliothek gewesen (Lüge 1), dort hätten sie jemanden getroffen (Lüge 2): einen Amerikaner (Lüge 3 und 4, weil die zählt doppelt).
Da ist es schon wieder. Das verflixt hohe Ansehen der Amis. Dabei ist denen keine Ecke und kein Ende zu weit, um nicht zwecks Markierung neuer Reviere Duftmarken in die Lande zu setzen. Aber Weltmächte machten wohl immer schon so rum, sonst würden sie ja nicht so heißen.
Werde ich nun also schon als Amerikaner ausgegeben, kann ich meine Pro-Europa-Mission gleich bleiben lassen.
Medina weiter: „Bitte Vater, lass mich! Wir gehen noch ein bisschen spazieren. Es ist sehr interessant, mit ihm zu plaudern.“ Und das ist jetzt wieder wahr.
Wir treffen männliche Studienkollegen der beiden. Die wirken alle ein wenig verschüchtert, lassen sich von den couragierten Mädchen anquatschen, ist womöglich aber nur so ein Macho-Gehabe. Genau in diese Kerbe schlägt Jasina: „Wenn du als Mädchen einen Jungen kennen lernst, wird er dir seine Telefonnummer geben, damit du ihn anrufen kannst. Er würde es bestimmt nicht tun.“
Ich bin entrüstet. „Lass das doch die Männer machen!“ Ich kann das Missionieren nicht lassen.
„Es funktioniert nun einmal nur so. Wir leben hier nicht in Australien.“
Die Straßen sind übersät mit jungen Leuten; Mädchen in modernem, aufreizendem Outfit und begierige Burschen, sie operieren mehr aus dem Hintergrund, aus jedem finsteren Gassenwinkel gaffen sie den Mädels hinterher. Wirkt alles sehr nett. Keine Punks, keine Gothics, keine Skins – man bewegt sich fernab jeglicher zeitgebundener Jugendbewegungen.
Irgendwann wird es Medinas Eltern zu blöd und sie schicken den Privat-Chauffeur (!), der uns aufgabelt und nach Hause führt. Sehnsüchtig erwartet man uns dort bereits.
Mama schleppt das überquellende Familienfotoalbum an, und wir blättern darin. Sofort fällt auf, es wird von Klein-Jasina regelrecht dominiert, und das nicht zu unrecht, sie war ein süßer Fratz; und boykottiert wird das Album vom Vater, von ihm existiert kein einziges Foto darin. Dafür vom Onkel. Er hat in der Sowjet-Armee gedient, ein abgrundtief stolzes Foto zeugt davon, vielleicht hat er dort das Lachen verlernt. Und das weltoffene Schauen.
Die Nacht – unruhig und schwül. Schußsalven und damit einhergehende, beängstigende Phantasien lassen mich nicht schlafen.
„Das war sicher ein Feuerwerk“, wird mich Jasina am nächsten Tag beschwichtigen. Dabei klingt das nach ganz etwas anderem.