Читать книгу Ausgerechnet Kirgistan - Adi Traar - Страница 7
Mit und ohne Berührungsängste
ОглавлениеDer kleine Innenhof ist von drei notdürftig geweißten Gebäudeflügeln eingefasst, darauf prangen die Zimmereingangstüren, in Eigenregie bunt bemalt, mit je einem Fensterchen zur Seite. Visà-vis der Einfahrt führt eine steile, hölzerne Freitreppe geradlinig auf die Dachterrasse des ebenerdigen Hauses, wo ein von der Sonne zermürbter, bleicher Sonnenschirm eine Garnitur hölzerner Sesselchen und ein Plastiktischchen verbirgt. Die Zimmer selbst sind zweckmäßig und nach westlichen Mindestanforderungen eingerichtet; ein mit Kissen und Decken aufgedonnertes Bett, ein Kasten und ein Tisch, darauf die eigentliche Mindestanforderung, ein Fernseher. Ein kleiner Garten inmitten des Innenhofs ist im Werden, ein Wasserfall in Projektstadium, auf einer Hausmauer räkelt sich ansatzweise spärliches Grün – ein Land, eine Familie im Aufbruch. Ganz so wie ich am nächsten Tag. Hoffentlich.
Ich werde überschwänglich empfangen; ab dem Moment weiß ich, wie sich kirgisisches Familienleben anfühlt, und dass man ihm nur schwer entrinnen kann. Aber danach ist mir im Moment gar nicht, denn von der Tochter Jasina und ihrer dicken, stets freundlich lächelnden Mutter lasse ich mich gerne vereinnahmen. Jasinas Bruder Faris und ihr Onkel, das war der Nachtportier, scheinen von woanders entsannt, sie wirken ernst und ein wenig abweisend. Allesamt sind sie Moslems. Mein erster Eindruck wird sich im Laufe der Reise immer mehr vertiefen: Die Männer „genießen“ alle Rechte (tun sie’s wirklich?), scheinen damit aber nicht ganz zufrieden, sie wirken weniger glücklich als die Frauen. Am Ende schlummert in ihnen doch ein Sinn für Gleichheit und Gerechtigkeit, dessen Unterjochung unglücklich machen oder gar unter Druck setzen kann, und so hinken sie ihrer eigenen Glücksfähigkeit hinterher. Aber vielleicht ist es auch nur der Wodka, der den Männern das Gemüt verpantscht. Offenbar glaubt man hier in den muslimischen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion so manchem Druck durch reichliche Alkoholgaben ein Ventil verschaffen zu können. Ist das letztlich nicht heilsamer als in den alko-feindlichen, muslimischen Hardliner-Staaten, wo man sich, um Dampf abzulassen, anstatt alkoholischen lieber radikalen Ergüssen hingibt? Jedenfalls sind die Frauen hier sehr tüchtig, die Männer wären ohne sie weniger als die Hälfte, von einer besseren ganz zu schweigen; und womöglich ahnen sie das auch noch …
Die Familie gehört der Volksgruppe der Tataren an. Ehemals wurde die zentralasiatische Region ständig von irgendwelchen Eindringlingen überrannt, anfangs von Alexander dem Großen, dann einmal von Dschingis Khan – als Beispiel für die Prominenten. Und einer der letzten Großgrundbesitzer war Stalin; der kam, sah und siebte, siebte aus nämlich, und zwar andersstämmige Völker, die er aus dem Sowjet-Stammterritorium über den eigenen Tellerrand (über den er so ungern hinaussehen wollte), an den Tellerrand des Reiches deportierte, wo man zuvor, getrieben von Macht, Angst und Willkür, die Umrisse des heutigen Kirgistan gestanzt hatte, um ein wenig Pseudo-Autonomie zu gewähren. An dem ewigen Kommen und Gehen wie in einem orientalischen Lusthaus beteiligten sich eine Reihe von Völkern, ob geblieben oder vertrieben, so auch die Tataren – als Beispiel für die Gebliebenen.
Jasina ist neunzehn Jahre, eher klein, hat schwarzes Haar, große, braune Augen – sie sind von Beginn an geöffnet – mit konkurrenzlos langen Wimpern. Die frühe Morgenstunde macht uns beiden zu schaffen, und obwohl sich die Sonne noch nicht einmal über den Horizont reckt, geht sie für mich in Gestalt dieses kirgisischen Mädchens auf. Womöglich ist sie es nicht gewohnt, dass ihr Lächeln von einem Mann erwidert wird, und schon gar nicht, dass ihr dabei zuvorgekommen wird. Wir lachen uns nur an und lassen die Sonne im Zenit erstrahlen. Die Zeit dreht längst keine Runden mehr. Jasina wird zur wichtigsten Bezugsperson für mich, nicht nur weil sie der Welt (und mir) mit offenen Augen begegnet, sondern weil sie die Einzige ist, die englisch spricht. Die Familie redet russisch miteinander, die Jungen können gar kein vernünftiges Kirgisisch mehr, die Großmutter versucht es trotzdem beharrlich mit ihnen.
„Ich bin ein glückliches Mädchen“, sagt Jasina und strahlt das tatsächlich aus. Sie ist sehr fleißig und andauernd bemüht, Anweisungen ihrer Mutter und ihres Onkels zu befolgen, ohne dass auch nur der geringste Widerspruchsgeist auflodert. Hoffentlich hat sie die Pubertät nicht ausgelassen. Ich meine, ein Hoch den Flegeljahren! Da sollte jeder durch. Rechtzeitig. Späteres Nachholen ist immer verzwickt und problematisch und hat etwas Aufgehoben-Aufgeschobenes wie ein lahmender Nachsendeauftrag der Post; oder Abendmatura.
Der Onkel weist mit seinem Zeigefinger ins Hausinnere, zeigt sodann auf den Hof, vollführt ein paar heftige Wedelbewegungen, und Anisa fegt den Fußboden. Der Onkel schickt wieder den Zeigefinger auf Reisen, nimmt den Daumen dazu, führt damit eine imaginäre Schale zum Mund, und Anisa bringt Tee.
Sie wirkt jedenfalls glücklich bei ihrer Arbeit, mit Dienen scheint sie kein Problem zu haben, zumal sie beherzt zur Sache geht. Bei uns ist „Dienen“ ja bedenklich außer Mode gekommen, es wird nur mehr im Sinne von ‚Bedienen‘ rein abwertend gebraucht, und noch schlimmer kommt es weg, wenn jemand gar „bedient ist“. Dabei wird Dienen wohl der ergänzende Gegenpol zur Verwirklichung des eigenen Selbst sein, soll es nicht völlig in Selbstsucht versanden. Aber mit dem Dienen verhält es sich so wie mit dem Koitus. Es funktioniert nur, wenn beide Seiten es wollen und nicht nur einer es macht.
Gemeinsam mit Medina, Jasinas Freundin – sie fungiert als von der besorgten Familie entsandte Aufpasserin –, machen wir einen Spaziergang ins Stadtzentrum. Es befindet sich nicht gerade um die Ecke, protzt ein bisschen und gibt deutlich zu verstehen, dass es mit dem umliegenden Areal wenig im Sinn hat. Diesseits nun, ein paar stattliche Bauten, Museen, Plätze, viele Parks, Boulevards, Cafés, manch modernes Geschäft; jenseits, unweit davon, nicht sonderlich herausgeputzte, einstöckige Häuser, umgeben von bescheidenen Grünanlagen, Wohnblöcken, verbunden auf Straßen mit schlaglöchrigem Schotterbelag. Kurios dabei eine Straße, in der sich zahlreiche Autowäscher aneinanderreihen. Jedes vorbei fahrende Auto wird herangewinkt, die Konkurrenz ist groß, der Bedarf auch, man fragt sich, wo die Stadt all die auffahrenden Mercedes´ und Audis sonst unter Verschluss hält. Gibt es gerade keine Kundschaft, vertreibt man sich die Zeit mit ausufernden Wasserschlachten, die bieten sich förmlich an, man arbeitet händisch, nur mit Schwamm und Wassereimer. Am Gefecht beteiligt ist die ganze Familie. Und unfreiwillig so manche Passanten, so wie wir; nur mit Mühe schlängeln wir uns durch die Fronten, pudelnasse Kinder grinsen uns an, lassen das Wasser in ihren Eimern bis an die Ränder schwappen – und darüber hinaus – und täuschen einen Angriff auf uns vor. Ich vermeide jegliche Reaktion, die mir als Einladung zum Mitspielen ausgelegt werden könnte. Einfach da durch.
Die Fußgängerunterführungen erinnern in Aussehen und Bedrohlichkeit an Moskaus Passagen. Fugenlos bis in die letzte, finstere Nische sind mit allerhand Kleinkram belegte Verkaufsstände aneinandergekleistert; dazwischen eingeklemmt, einzelne Personen, so viel sie am Körper zu tragen und halten imstande sind, bieten sie zum Verkauf an. Gebrauchte Magazine und Bücher, T-Shirts, Army-Kappen, Hosenträger, Knöpfe für Hemd und Hose, Brillenfassungen, Zahnbürsten, Feuerzeuge erwecken den Anschein, schon mehrmals den Besitzer gewechselt zu haben, ehe sie hier herunten auf ein Weiteres verhökert werden. Auffallend durchsetzt ist die Unterweltszenerie von ganz – bis nicht mehr so – jungen Männern, die außer Leute-wie-mich-Anstarren nichts Augenfälliges zu tun haben. Auf diesem ersten Stadtspaziergang wird mir nicht gerade zutraulich ums Herz, wären da nicht meine beiden 19-jährigen Mädels, die mich beiderseitig eskortieren und auf diese Weise, wie sie behaupten, potentielle Diebe von mir fernhalten. Das gibt rein optisch ein rührendes Bild ab.
„Bleib in der Mitte, dann passiert dir nichts.“
„Ja?“
„Hast du den Jungen gesehen? Er wollte sich an dich ranmachen.“
„Ja?“
„Du brauchst keine Angst zu haben.“
„Nein?“
Im unterirdischen Kopiershop lässt sich Medina von einer sichtlich erholungsbedürftigen Russin ein paar Seiten vervielfältigen, ausführlich wird eine Reihe von Details geklärt. Die Kopien sind erst nach einer Stunde Wartezeit abzuholen. Mit Geduld hat man hier kein Problem, sie wird einem andauernd zwangsverordnet.
Anschließend suchen wir das Kartengeschäft auf, ich benötige exakte Landkarten von jenen entlegenen Gebieten, die ich befahren will, und in denen nicht gerade mit anschaulicher Straßenführung, Beschilderung oder gar auskunftsfreudigen Polizisten zu rechnen sein wird. Medina verabschiedet sich von uns, um nach ihren Kopien zu sehen. Nun bin ich allein mit Jasina.
Immer wieder gerate ich in Erstaunen, was in den Straßen alles feilgeboten wird. Eine Frau mit Waage, vor der sich eine Warteschlange aus leichtgewichteten, wissbegierigen Kunden bildet, ein Junge, der eine Handvoll Nüsse anpreist, sogar einzelne Zigaretten werden verkauft, und immer wieder trifft man auf das Anbot von einzelnen Stücken Obst. Vor diesem habe ich noch große Scheu, ich möchte mir keinesfalls schon zu Beginn meiner Reise etwas Unverträgliches einfangen. „Schäl es, koch es, oder vergiss es“, schwebt’s mir irgendwo im Hinterkopf. Abgesehen davon bin ich aus meinem kulinarischen Koma, welches ich mir im Londoner Flughafenshop geholt hatte, noch immer nicht komplett erwacht, und so bewahre ich meine Anti-Obsthaltung.
Ein alter, weißbärtiger Mann, der in folkloristische Kleider gesteckt ist, steht am Gehsteigrand und bezaubert mit einer Art Blockflöte. Er sucht meinen Blick, fängt ihn ein und zieht ihn, ohne sein Instrument abzusetzen, unmissverständlich in Richtung seines mit funkelnden Münzen gefüllten Körbchens. Ich komme der gar nicht stillen Aufforderung gerne nach – wir Musiker müssen zusammenhalten, gegenseitig der Karriere dienliche Auftrittsmöglichkeiten unterstützen und uns gemeinsam bemühen, jeglichen heiß erkämpften Musikerstatus aufrechtzuerhalten, sollte man auch schon längst in der Gosse gelandet sein, wie der da. Wenigstens ist der Künstler hier vor allzu leidigem Dirigentenaufkommen sicher. Ohne mich als Kollege erkennen zugeben, lassen wir von dieser Armutstribüne ab.
Wir müssen zur Reiseagentur Tien-Shan Travel, finden das Büro aber nicht. An der Stelle, die man uns beschrieben hatte, befindet sich lediglich ein klappriger Stiegenaufgang, geheftet an ein mysteriös anmutendes Gebäude, das gewiss vieles hinter sich, aber wohl nur mehr den Abbruch vor sich hat. Eine usbekische Brotbäckerin, die in einem schmalen, verkommenen Hinterhof Teig knetet, kann uns nicht weiterhelfen, widerwillig schüttelt sie den Kopf. Unverrichteten Besuchs ziehen wir weiter.
Ohne Ermüdungserscheinungen zerrt mich Jasina durch die Stadt und zeigt mir voll Stolz die Sehenswürdigkeiten. Die Plätze sind großzügig angelegt. Als wir über den riesigen Ala-Too-Platz schlendern, verlieren wir uns beinahe auf ihm, und auf einmal gehen wir annähernd im Gleichschritt mit zwei Wachsoldaten, die sich gerade mit Riesen-Trara zeremoniell ablösen. Sie üben noch immer Sowjetunion. Puck puck, geht’s im Stechschritt, knack knack, knallen die Hacken, klaps klaps, klappen die salutierenden Karatehände an die Schirmmützen. Und tipp tipp, sollte man sich an die Stirn tippen, sähe man den ganzen Zirkus nicht als zwar modrige, aber gelungene Freizeit-Attraktion. Jasina rafft mich von hier fort, sie hat noch Einiges vor mit mir.
Ihre Universität, die American University, auf der sie ein Wirtschaftsstudium absolviert, muss natürlich abgelichtet werden, mit stolzer Jasina davor. Ein respektabler Bau von ansehnlicher Breite. Wenn man bedenkt, dass sich vor 1825 so gut wie nichts auf dem heutigen Stadtboden rekelte und erst 1910 das erste zweistöckige Haus gebaut wurde, Respekt, Respekt. So einen erweise ich ihr. Jasina ist geschmeichelt. „Das ist ein ganz besonderer Tag für mich“, sagt sie, und sie werde ihn nie vergessen.
Ich dich auch nicht, Jasina.
Stetig gewinnt der Tag an Qualität, vom leeren Raum des Nichtstunmüssens herrührend, ein Wandeln im Nichts gleichsam. Der Kopf wird leicht, das Gewicht sackt tiefer, keinesfalls aber erstarrt es und macht bleierne Füße; trotz andauernder Rennerei.
Wir wollen uns mit ihrem Bruder treffen, der tritt an die Stelle von Medina als Aufpasser. Ich freue mich schon auf die geplante Besichtigung einer Moschee während der Gebetszeit. Wir erreichen die Neue Moschee nach kurzer Fahrt. Faris verschwindet kurz ins Innere des großen, runden, schmucklosen Baus, um eine Besuchserlaubnis für mich zu holen. Dass ich als Anders- (ist gleich: Nicht-) Gläubiger allemal mehr Zutrittsrechte besitze als moslemische Frauen, scheint Jasina nicht sonderlich zu stören. – Sie muss draußen warten.
„Das macht mir wirklich nichts aus. Geht nur hinein, vergesst aber nicht auf mich!“ Sie findet sich dem Anschein nach damit ab, dass sie ihre Gottesanliegen erst einem Mann anvertrauen muss, und nur dieser die Angelegenheit an allerhöchste Stelle weiterleiten darf. Wenn er will – und wie er will. Im Grunde könnte so was ein Anlass für Vertrauensbildung innerhalb von Partnerschaften sein, andererseits aber auch für Missgriffe. Gerade weil in Jasinas Ansichten immer ein Quäntchen Mut und Weltverbesserei mitklingt, überrascht mich ihre Reaktion.
„Ich verstehe nicht, dass du das so hinnimmst!“, misstraue ich ihr.
„Wieso? Beten kann ich hier draußen genauso.“
„Da hast du auch wieder Recht“, traue ich ihr.
Immer mehr gewinnt Jasina für mich an Stärke und Festigkeit.
Das Innere des Gottesbaus ist mit riesigen Teppichen ausgelegt. Ins Gebet versunkene Männer knien darauf und werfen immerzu ihre Oberkörper nach vorne. Die Stimme des Muezzins dringt von außen herein. Sonnenlicht, das durch die Kuppelfenster auf Wand und Boden fällt, erhellt Mensch und Gemüt. Eine Runde vollbärtiger Männer ist in ein lebhaftes Gespräch verwickelt, der Heftigkeit nach geht’s dabei wohl um Gott, oder vielleicht auch nur um mich, denn ich werde argwöhnisch gemustert und fixiert. Fraglos sitzen uns Westlern momentan die dänischen Mohammed-Karikaturen – mitnichten als Schalk – im Nacken. Faris zieht ein kurzes Pflichtprogramm an Gottesbezeugungen durch, grinst mich verlegen an, und schon wenden wir uns wieder dem Ausgang zu. Die scheelen Blicke bleiben an mir haften und verkleben mir die Rückenhaare.
Um im muslimischen Kirgistan nicht mehr aufzufallen, als es ohnedies unvermeidbar ist, habe ich mir vor der Reise eigens einen Vollbart wachsen lassen. Die paar Männer in der Moschee sollen die einzigen Vollbärtigen bleiben, denen ich auf meiner gesamten Reise begegne! Soweit zur Lage des Islam in Kirgistan. Noch dazu: In der kirgisischen Verfassung wird an keiner Stelle Bezug auf den Islam genommen.
Wir fahren weiter. Wobei, fahren ist eindeutig geschmeichelt. Vollauf schockiert denke ich schon auf den ersten Metern, dass es Faris darauf angelegt haben muss, sein klappriges Schrottfahrzeug per Karambolage zu entsorgen – so wie er den engen Kontakt mit anderen, an der Hetze beteiligten Autofahrern sucht, so wie er Fußgänger anvisiert, aber alle wie durch ein Wunder unversehrt lässt. Bald werde ich das als Radfahrer auch zu spüren bekommen, denke ich und ergraue.
Lange suchen wir nach halbwegs sauberem Benzin für meinen Kocher. Weder die vielen Straßenverkäufer noch Geschäfte führen so etwas wie Reinigungsbenzin. Also muss ich mich mit Autobenzin begnügen, wir fahren zu einer Tankstelle. Der Tankwart wundert sich nicht schlecht, beweist aber Fingerspitzengefühl beim Befüllen meiner kleinen Fläschchen. Was die (Über-) Lebensqualität der nächsten Wochen betrifft, würde mein Kocher wohl eine Schlüsselstellung einnehmen, und so wähle ich lieber eine hohe Oktananzahl. Bei der Gelegenheit lasse ich mein Gastgeberauto auch gleich volltanken. Beiden, Fahrer wie Auto, tut das merklich gut.
Erst durch anhaltende Starrköpfigkeit wird meine Einladung zum Pizzaessen angenommen. Es ist ein gepflegtes Türkisches Restaurant, und obwohl Hunger und Auswahl an Pizzas groß sind, fuhrwerken Jasina und Faris zusammen an einem Stück Pizza herum, nippen an den Wassergläsern – Wein ging nicht durch – und zieren sich bei allem. Irgendwie werde ich die Sorge nicht los, das Gastrecht verletzt zu haben, indem ich als Gast sie als Gastgeber einlade. Fies irgendwie, sie haben heute so viel für mich getan und gönnen mir die Retourkutsche nicht. Ich versuche die Sache anzusprechen, ich hätte es sein lassen sollen. Sie bleiben bei Ausflüchten, das mache wirklich nichts, sie würden mich sowieso für immer hier behalten, und allein dadurch ändere sich an essentiellen Dingen wie Gastgeberpflicht sowieso einiges.
Nichtsdestotrotz, die Pizza schmeckt, den köstlichen Salat kann ich nicht lassen. Meine Grundsätze („schäl es, koch es …“ – ach vergiss es) schwinden dahin; hoffentlich nicht Hand in Hand mit meinem Verdauungssystem.
Viel später als gewollt kommen wir nach Hause und begegnen einer Gruppe trauriger Gestalten, die gerade den Hof verlässt; gäbe es eine Türklinke, hätten wir sie ihnen in die Hand gegeben. Es sind Verwandte, die eigens wegen mir gekommen sind, den ganzen Abend gewartet haben und jetzt enttäuscht abziehen. Wieder so ein anschauliches Beispiel in Sachen Gastfreundschaft und menschlicher Wertschätzung. Oder habe ich jetzt zu hoch gegriffen und sollte es einfach Neugierde nennen? – Oder sind das am Ende gar die bevorstehenden Feierlichkeiten anlässlich meiner Infamiliennahme? Es lohnt sich, wachsam zu bleiben. Überhaupt morgen. Morgen geht’s los.