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Seltsames tat sich an jenem Morgen an der ältesten Diamantenbörse Antwerpens, der „Beurs voor“, an der Pelicanstraat 78. Wie viele Handelsgesellschaften war dort auch De Beers als weltgrösste Diamantengesellschaft vertreten. Ihre Interessen nahmen seit vielen Jahren unter anderen der jüdische Händler Ruben Stern erfolgreich war.

Wie alle Tage sass Stern auch heute wieder an der Börse. Stern kratzte sich den Schädel, rieb sich die Augen und starrte weiter auf den Monitor. Seit Stunden schon zuckelte der Lospreis für eine gewisse Reinheitsklasse kontinuierlich in eine ihm unerklärliche Baisse.

„Das wird sich sicher erklären lassen“, sinnierte er, den Kopf räuspernd auf beide Hände gestützt, fand aber keinen stichhaltigen Grund. Jedenfalls keinen, der ihm die grosse Erleuchtung brachte.

Grosse, eigene Aufkäufe vermochten die Baisse nicht zu stoppen. Tiefes Durchatmen machte die Sache auch nicht besser. Und nichts, aber auch gar nichts wollte sich an jenem Morgen bewegen.

Dabei war Stern bei Gott keiner, der sich mit über zwanzig Jahren Berufserfahrung so rasch ins Bockshorn jagen liess. Tief seufzte er auf, und streckte gleichzeitig die verkrampften Glieder:

„Damit verbreite ich bei De Beers sicher keine eitle Freude! Wie im Tollhaus wird es dort nächstens zugehen. Eigene Klienten werden mich telefonisch bis tief in die Nacht hinein bestürmen, werden jammern und sich notfalls gar aufs betteln besinnen. Als ob ich denn ein Auskunftsbüro, oder gar ein Prognosen-Institut mit Garantieabgabe wäre“, murrte er.

Ja, dieser Morgen war wahrlich nicht nach dem Geschmack von Ruben Stern, er roch förmlich schon das kommende Ungemach.

Stern war ein traditionell geprägter Jude mit allem drum und dran, was halt so dazu gehört: Ein naturbelassener, wilder Vollbart, den Kopf stets mit Hut bedeckt und den empfohlenen langen Schläfenlocken. So, und mit korrekt geknüpftem Mantel trat er gemessenen Schrittes seinen Mitmenschen entgegen. Dabei blickte er ernst und würdevoll durch seine spiegelnde Nickelbrille, die ihm ein gewisses intellektuelles Aussehen verlieh. Auch innere Werte legte er gerne an den Tag: Das freundliche Nachfragen bei den Nachbarn. Der regelmässige Besuch in seiner Synagoge. Das anschliessende Gespräch mit Glaubensbrüdern. Die hilfreiche Suche nach einer geeigneten Arbeit für den jungen Raphael. Ein heisser Börsentipp für Herrn Goldmann. Ja, man wollte allen, und Jahwe im Besonderen, stets zu Diensten sein. Wer wusste denn schon, wann einem das letzte Stündlein blühte?

Stern wohnte seit Kindsbeinen an mitten in Antwerpen, an der Rijfstraat im Joodse Buurt, dem jüdischen Viertel, das eingesäumt mit achtunddreissig Synagogen und unweit der Schelde liegt, die seit Urzeiten als Nabel zur Welt gilt.

Seine Eltern hatten ihm das praktische Altstadthaus nach ihrem Tode vererbt, wohl in der Hoffnung, dass er hier traditionell eine weitere Familie gründen und Geschlecht und Handwerk der Sterns weiter erhalten würde.

Geheiratet im eigentlichen Sinne hat Stern zu seinem Leidwesen nie. Er war sich dieser Unvollkommenheit stets bewusst und klagte gelegentlich zu Jahwe. Geheiratet, aber im übertragenen Sinne, hatte Ruben Stern nämlich nur seinen Beruf, den er als eingetragener und lizenzierter Diamantenhändler der Gilde nach deren allgemein verbindlichen Richtlinien und moralischen Grundsätzen pflichtgetreu betrieb. In diesem erlauchten Kreis haben seit Jahrhunderten fast nur Händler jüdischen Ursprungs Zugang. Sozusagen vom Vater auf den Sohn vererbt. Andere, nichtjüdische Händler hatten praktisch keine Chance, in dieser abgeschotteten Gilde Fuss zu fassen.

Antwerpen ist alte Stadt mit viel Kunst- und Traditionsbewusstsein. Spätestens seit den Fünfzigerjahren ist sie zudem Dreh- und Angelpunkt des weltweiten Diamantenhandels. Alleine hier sind vier der neunundzwanzig Diamantenbörsen weltweit angesiedelt. Ruben Stern gehörte den „Beurs voor“ Händlern an, der ältesten Gilde in Antwerpen, und war einer der dreitausend lizenzierten Händler weltweit. Jedes Jahr werden für dreizehn Milliarden Dollar Rohdiamanten geschürft und zwanzig Milliarden Dollar an der Börse umgesetzt. Die Stadt verdankt ihren Reichtum und Bekanntheitsgrad seit Jahrhunderten zum grossen Teil diesem Diamantenhandel und den andienenden Geschäften und Schleifereien, Goldschmieden, Schmuckdesignern sowie unzähligen Zulieferbetrieben.

Ruben Stern wich in punkto Essen auch niemals nur ein Jota von den Glaubensauslegungen der Thora ab. Ja koscher hat halt koscher zu bleiben, und da gibt es eben nur eine Auslegung, nämlich die des Rabbi. Und so konsultierte er in seinem Bezirk denn auch fleissig den einflussreichsten Rabbi Abraham Malinsky, um so stets auf der sicheren Seite zu sein.

Auch geschäftlich lief es bei Stern ausserordentlich gut. Er konnte sich denn auch alle Annehmlichkeiten und Extravaganzen des Lebens erlauben. Für diesen Luxus schuftete er wie ein Irrer an der Börse und bis spät in die Nacht hinein bei sich zu Hause, um optimale Kundenlösungen auszutüfteln.

Heute vor dem Zubettgehen ging ihm durch den Kopf, ob er wohl dieses oder erst nächstes Wochenende nach New York fliegen sollte. Seinen ehemaligen Schulkollegen wollte er treffen, von dem er seit Abitur nichts mehr gehört hatte. Sie hatten sich vor einiger Zeit auf einer Internetplattform bei einem Chat per absoluten Zufall virtuell wieder getroffen. Sie beschlossen, dies nächstens ein wenig zu feiern, und dass Ruben als Erster über den grossen Teich reisen soll. In Vorfreude des Wiedersehens überlegte sich Ruben angestrengt, mit welchem Überraschungsgeschenk er den Kameraden beeindrucken konnte.

„Soll es eine besondere Schweizeruhr oder vielleicht doch lieber ein kleiner Brillantring sein? Es muss ja kein allzu grosser sein, ach nein ach nein! Solch profane Entscheidungen, ach herrje und Jahwe sei dank, muss ich nicht jeden Tag fällen. Oder würde er sich über eine Uhr wohl eher freuen? Uhr oder Ring, oder Ring und Uhr? Ach, ich weiss es einfach nicht.“

Die Gnade des Schlafes übermannte ihn endlich. Ruben schlummerte unruhig. Fetzen seiner täglichen Gedankengänge verfolgten ihn wie Rauchschwaden. Er träumte von ungeheuren Mengen Diamanten, die er an der Börse kaufen müsse. Diesen Auftrag sollte er wieder und wieder ausführen, stets auf Geheiss eines mysteriösen Kunden. Zwischendurch mischte sich das Gesicht von Chaim ins Bild, der ihn ernst und fordernd fixierte:

„Und wage ja nicht dich zu sträuben, du wirst fürstlich bezahlt werden!“, schien ihm das Gesicht von Chaim mit unbewegtem Mund suggerieren zu wollen.

„Du wirst als führender Diamantenhändler in Europa in ungeahnte Sphären hochsteigen!“, und: „Man wird dich, Ruben, auch auf der andern Seite der Weltkugel achten und respektieren. Auf allen Kongressen der Welt wird in Zukunft deine Meinung gefragt sein!“

Stern ächzte und stöhnte im Bett, wand sich von einer auf die andere Seite. Die Zentnerlast auf Brust und Magen wollte und wollte nicht weichen. Und obenauf hockte Chaim, rittlings und mit stattlichem Gewicht, und lachte und lachte mit schallendem, hohlen Echo, und hopste auf ihm auf und nieder und auf und nieder. Wie auf einem Schaukelpferd.

Schweissgebadet erwachte Ruben Stern am frühen Morgen. Stern war schon immer ein schlechter Schläfer. Er hatte sich deshalb angewöhnt, in einem kleinen Nebenraum, seiner Bibliothek wie er dieses Zimmer zu nennen pflegte, zu lesen. Die Kammer war aber beileibe nichts Grossartiges, sie war reichlich heruntergekommen und hätte einen Anstrich bitter nötig gehabt. Der Teppich war löchrig wie ein Schweizerkäse und die Gardinen grau, wie der kommende Winter wohl wieder werden würde.

Für Stern jedoch tat die Kammer ihren Dienst. Vor allem im Winter, da dieser Raum mit kleinem Fenster das am besten beheizte Zimmer im ganzen Haus war und er hier seine chronisch kalten Füsse wärmen konnte. Lesen, das wollte er auch heute, denn, so glaubte er, an Schlaf war eh nicht mehr zu denken.

Gefährliche Geschäfte

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