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Ich folge Jesus,
weil …

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… er freundlich zu Leuten ist, die tief verletzt worden sind

Lassen Sie mich Ihnen nun von einem der wichtigsten Dinge erzählen, die mir je passiert sind. Ich hoffe, dass es Ihnen etwas Besonderes sagen wird und dass Sie dadurch vielleicht etwas mehr von der Barmherzigkeit Gottes begreifen und, was viel weniger wichtig ist, vielleicht auch mich etwas besser verstehen werden.

Dieses Erlebnis hatte ich in den frühen Morgenstunden auf dem British-Airways-Flug BA 2028, als unsere Maschine auf dem Weg von der aserbeidschanischen Hauptstadt Baku zum Flughafen Gatwick in England durch den dunklen Himmel über Europa dröhnte.

Ich war sowieso schon innerlich sehr bewegt. In Baku unterrichtete mein ältester Sohn Matthew englische Konversation an einer privaten Sprachschule. Als ich dort im Flugzeug saß, erinnerte ich mich an jenen unglaublichen Moment, als ich den kleinen Matthew zum ersten Mal gesehen und mir selbst zugeflüstert hatte, dass mir damit vielleicht zum ersten Mal ein Spielzeug geschenkt wurde, das eine echte Chance hatte, nicht kaputt gemacht zu werden. Und jetzt, kurz vor seinem vierundzwanzigsten Geburtstag, hatte ich ihn eine Woche lang besucht und eine Stadt voller faszinierender Extreme erkundet.

Aserbeidschan, noch bis vor kurzem Teil der Sowjetunion, ist ein islamisches Land, dessen Umrisse – sehr passenderweise, wenn man seine Lage im Osten der Türkei bedenkt – an einen Adler erinnert, der von Westen nach Osten fliegt. Um die Jahrhundertwende war es eines der großen ölproduzierenden Länder, und vielleicht wird es das wieder sein, wenn das schwarze Gold wieder zu fließen beginnt. Einstweilen jedoch scheinen die Sowjets das Land ausgesaugt zu haben und dann wieder verschwunden zu sein, und zurück blieb ein Volk, das vielleicht den Willen, die Möglichkeiten und die Mittel verloren hat, sich einen erträglichen Lebensstandard zu sichern. An jeder Straße und in jeder Gasse sah ich Stände, an denen entweder billige Plastikartikel, Ersatzteile für die unter den miserablen Straßen leidenden Autos oder Schuhreparaturen feilgeboten wurden, unverzichtbar wegen der ebenso unebenen und verwahrlosten Bürgersteige. Mehrmals begegnete ich älteren Leuten, die resigniert neben alten, verstaubten Personenwaagen saßen, offenbar in der Hoffnung, dass der eine oder andere Passant vielleicht plötzlich den unwiderstehlichen Drang verspüren würde, gegen Bezahlung sein Gewicht zu erfahren. Manche Straßenstände, die oft, aber keineswegs immer von Kindern beaufsichtigt wurden, waren nicht mehr als Kartons, auf denen zwei oder drei Flaschen eines mit Kohlensäure versetzten Orangengetränks mit ungewissem Alter standen. Die Straßen waren voll von Taxis, hauptsächlich in Russland produzierten Ladas. Es waren so viele, dass schwer ersichtlich war, wer denn die potenziellen Fahrgäste sein sollten, wenn nicht andere Taxifahrer-Kollegen, deren Fahrzeuge auf der Strecke geblieben waren. Es war alles ziemlich deprimierend gewesen.

Andererseits konnten manche Aspekte der aserbeidschanischen Kultur schon Neid erwecken. Ich bin Kindern begegnet, die zusammen im Dunkeln nach Hause gingen, ohne sich vor irgendwelchen Angriffen zu fürchten, und die meisten Frauen, mit denen ich sprach, fühlten sich auf den meisten Straßen zu jeder Tages- und Nachtzeit ebenso sicher. Arbeitslosengeld gibt es in Aserbeidschan nicht, und die Alterspension beträgt nur rund acht Euro im Monat, aber dafür werden die Alten dort nicht vernachlässigt, im Stich gelassen oder in die Fremdbetreuung abgeschoben. Sie haben bis zum Tod einen Platz in ihren Familien. Ich fand die Leute in Aserbeidschan sehr gastfreundlich und gern bereit, das Wenige, das sie hatten, zu teilen.

Matthews Apartment, das er mit zwei anderen Lehrern teilte, befand sich im zweiten Stock eines Hauses, das einmal eine geradezu palastartige Privatresidenz gewesen sein muss. Baku war voll von solchen Überbleibseln einer vergangenen Zeit, herrlich verzierten Gebäuden, die man so sehr hat verfallen und verrotten lassen, dass die dreckigen Treppenhäuser und Hinterhöfe den Kulissen für Oliver Twist glichen oder jenen alten Fotos aus den Armenvierteln des viktorianischen London. Wie ich hörte, waren Ratten ein ziemliches Problem in Baku.

Ich blieb etwas unter einer Woche bei Matthew, genoss wie immer in vollen Zügen seine Gesellschaft und freute mich besonders darüber zu sehen, wie er in einer so fremdartigen Umgebung so gut seinen Mann stand. Manches an der Kindheit meines ältesten Sohnes, besonders die Zeit meiner Krankheit vor mehr als einem Jahrzehnt, war alles andere als einfach für ihn, und deshalb tat es gut, zu sehen, wie die Gegenwart die Vergangenheit auszulöschen begann. Als mein Aufenthalt zu Ende ging, fiel es mir schwer, Matthew zurückzulassen, nicht jedoch den Flughafen von Baku, sicherlich einen der deprimierendsten Orte der Erde, der mich stark an eine besonders billig gemachte Kulisse aus der alten Fernsehserie Mit Schirm, Charme und Melone erinnerte.

Als ich im Flugzeug saß und mich innerlich auf die mehr als fünfstündige Reise einstellte, dachte ich an die Menschen von Aserbeidschan und an Matthew, an den Rest meiner Familie, mit dem ich bald wieder vereint sein würde, und an die verschiedenen Herausforderungen, die mich zu Hause erwarteten. Ich spürte, wie ich ganz langsam in meine allzu vertraute Stimmung aus Selbstzweifeln und Verzagen glitt. Es gibt Zeiten, und dazu gehörte auch dieser Moment des Übergangs, in denen Glaube und Hoffnung leere Worte sind und all meine Bezugspunkte und Maßstäbe schwammig werden und aus meiner Reichweite davonschweben. Mancher von Ihnen weiß, was ich meine, wenn ich sage, dass ich beinahe erschauerte vor der Komplexität und Undurchschaubarkeit des schieren Lebendigseins, und aus einer tiefen Furcht vor irgendetwas tief in meinem Innern, das ich nicht benennen konnte (oder wollte), aus Angst davor, seine Existenz anzuerkennen.

Seltsamerweise waren diese beunruhigenden Momente oft das Vorspiel zu einer wichtigen Lektion über Gott; vielleicht deshalb, weil es leichter ist, ein leeres Gefäß zu füllen als ein volles – ich weiß es nicht. Bei dieser Gelegenheit jedoch gab es keine unmittelbaren Anzeichen einer solchen Lektion, denn es ging mir schon bald wieder besser.

Es ist doch erstaunlich und ein wenig deprimierend, nicht wahr, wie leicht das Servieren einer Mahlzeit und einer kleinen Flasche Wein solche düsteren Grübeleien vorübergehend zerstreuen können. Darüber hinaus erfuhr ich zu meiner großen Freude, dass zur Unterhaltung der Fluggäste Good Will Hunting gezeigt werden sollte, ein Film, der in jenem Jahr mit einem reichen Oscar-Segen bedacht worden war. Ich hatte diesen Film schon lange sehen wollen. Jetzt hatte ich endlich die Gelegenheit. Als die Vorführung begann, bedeckte ich mit beiden Händen die Kopfhörer über meinen Ohren, um Nebengeräusche abzuschirmen, und setzte mich bequem zurecht, um mich für eine oder zwei Stunden gut unterhalten zu lassen.

Good Will Hunting handelt von Will, einem jungen Mann, der zwar auf dem Gebiet der Mathematik bis zur Genialität begabt ist, auf Grund traumatischer Erlebnisse in seiner Kindheit jedoch in seinen praktischen persönlichen und sozialen Beziehungen unter einem schweren Handikap leidet. Der erste Hoffnungsschimmer kommt durch seine Begegnung mit einem unkonventionellen Therapeuten, gespielt von Robin Williams, der seinem Patienten nach einer Reihe von Sitzungen, durch die er immer mehr Zugang zu ihm gefunden hat, einen Ordner mit den Einzelheiten über seine problematische Vergangenheit hinhält und einfach sagt: „Es ist nicht deine Schuld.“ Der junge Mann weicht zurück, unfähig, eine solche Aussage zu verarbeiten, doch der Therapeut bleibt beharrlich, bis Will nach der vierten oder fünften Wiederholung dieses Satzes zum ersten Mal zusammenbricht und sich an der Schulter des Therapeuten ausweint.

Ich weinte auch. Eimerweise. Eigentlich ziemlich peinlich.

Um wen ich weinte?

Nun, zum einen weinte ich um die Heimkinder, mit denen ich früher arbeitete. Mit vielen von ihnen hatte ich denselben Prozess durchlaufen und ihnen so deutlich wie möglich zu verstehen gegeben: „Manche Dinge sind zweifellos deine Schuld, und dafür musst du die Verantwortung übernehmen, doch diese Dinge hier, die Dinge, auf die du keinen Einfluss hattest, die Dinge, die in dir einen Wirbelwind aus Furcht und Zorn und Schuldgefühlen erzeugen, wann immer sie an die Oberfläche deines Bewusstseins steigen – die sind nicht deine Schuld, und das waren sie auch nie. Es ist Zeit, das zu akzeptieren und nach vorn zu schauen.“ Manchmal hatte ich sogar vor dem Schlafengehen mit ihnen in ihren Akten geblättert, besonders dann, wenn sie kurz davor waren, zu Pflegeeltern zu kommen oder adoptiert zu werden. Für viele von ihnen war das eine Offenbarung. In solchen Momenten durfte ich Zeuge großer Tapferkeit und vieler Tränen werden.

Ich weinte um Matthew, den ich stets sehr geliebt und geschätzt hatte, der aber dennoch seine eigenen handfesten Dämonen auszutreiben hatte, Dämonen, deren Gegenwart ganz sicher nicht seine Schuld ist; und ich wünschte mir, ich könnte zurückfliegen, um ihm dabei zu helfen, auch wenn er inzwischen sehr gut allein zurecht zu kommen scheint.

Ein bisschen weinte ich um die Leute von Aserbeidschan, die offenbar immer von diesem oder jenem benutzt oder missbraucht werden, und besonders um die Kinder, die sich mit verwirrenden Veränderungen im historischen und politischen Ethos ihres Landes auseinandersetzen müssen, dem man die dritthöchste Korruptionsrate unter allen Ländern der Welt nachsagt. Sie haben zur Zeit so wenig, und dieser Mangel und die Verwirrung, die viele empfinden müssen, ist nicht ihre Schuld.

Ich weinte sogar ein bisschen um mich selbst und um den Rest meiner Familie, deren Leben manchmal durch den undefinierbaren Schatten, der mich seit meiner Kindheit bedrückt, unverdientermaßen verdunkelt wird.

Schließlich, und das ist mir wichtig, weil ich glaube, dass Gott möchte, dass ich das weitergebe, wohin immer ich gehe, weinte ich um die vielen Glieder der christlichen Gemeinde, die man nur über den Zorn und die Vergeltung und die Unbeugsamkeit Gottes belehrt hatte. Ich weinte um all die Männer, Frauen und Kinder, die nie richtig verstanden haben, dass Jesus, der Herr der Schöpfung, der zu Recht Buße von allen verlangt, die zum Vater heimkehren möchten, mit tiefer Barmherzigkeit auf alle diejenigen sieht, die in ihrem Leben mit uralten Wunden zu kämpfen haben. Ihnen legt er sanft die Hand auf die Schulter und sagt: „Ich weiß, was sie dir angetan haben, ich weiß, wie sie dir weh getan und dir das Gefühl gegeben haben, schuldig und wertlos zu sein. Ich weiß, wie dir immer wieder die Vergangenheit in der Kehle hochsteigt, um dir den Lebensatem zu rauben, und ich weiß auch, dass das nicht deine Schuld ist. Bitte, lass mich dir das noch einmal sagen – es ist nicht deine Schuld.“

Warum ich Jesus folge

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