Читать книгу Mord an der Limmat - Adriana Weisskopf - Страница 5
Kapitel 1
ОглавлениеSie haben sich gemeinsam für eine Familie entschieden und trotzdem sollte die Karriere nicht hintenanstehen müssen. Gino Castioni führt erfolgreich eine Beratungs- und Coachingfirma, die er selbst gegründet und aufgebaut hat. Erika Castioni erlebt ihre Karriere in einer grossen Versicherungsgesellschaft in der sie sich von der Sortiererin, welche die tägliche Post sortiert, verteilt und tagsüber in sämtlichen Büros einsammelt um sie am Abend zur Post zu bringen, mittlerweile zur Abteilungsleiterin hochgearbeitet hat. Von ihren Angestellten wird sie mittlerweile mehr gefürchtet als geliebt. Denn der Wohlstand und ihren Erfolg haben sie in den vergangenen Jahren zu einer harten, kalten und verständnislosen Frau gemacht. Der Kinderwunsch blieb über all die Jahre unerfüllt. Umso mehr konzentrierten sich Erika und Gino auf die Karriere. Vor allem Erika. Für sie gibt es nichts anderes mehr als Karriere, Geld und Macht.
Doch während sich Erika im Laufe der Zeit nur noch auf Luxus und die materiellen Dinge konzentrierte, ist Gino dagegen der Mann geblieben, den er schon immer war. Sanft, gutmütig und sehr verständnisvoll. Allerdings kann er gegenüber seiner Frau nicht mehr so verständnisvoll sein, wie er dies einmal war. Nein, er kann nicht verstehen, wie sie sich derart verändern konnte. Warum sie so geworden ist, dass ihr nur noch materielle Dinge wichtig sind und alles andere spielt so gut wie keine Rolle mehr. Früher war sie anders. Ja, sie war eine liebevolle und einfühlsame Frau.
Gino sitzt in seinem Arbeitszimmer. In Gedanken versunken und berieselt von leiser Musik die im Hintergrund aus den Lautsprechern klingt. `Was ist bloss aus uns geworden`- fragt er sich. Und immer wieder überlegt er, ob die Ehe mit Erika anders verlaufen wäre, wenn sie Kinder hätten. Ob Erika mit Kindern auch so geworden wäre? Sie haben sich doch dafür entschieden, Kinder zu bekommen und trotzdem sollten beide eine Karriere machen können. Doch leider gab es keinen Nachwuchs und Gino trauert in Gedanken den alten Zeiten nach. Den Zeiten, in denen sie noch nichts hatten, dafür aber glücklich waren. Als sie noch zusammen sprechen und diskutieren konnten. Das gemeinsame Lachen fehlt ihm besonders. Ja, wann haben sie das letzte Mal zusammen gelacht? So richtig von Herzen zusammen gelacht? Er kann sich gar nicht mehr daran erinnern. So lange ist das schon her. Mittlerweile sind sie beide über vierzig und Gino hat genug von dieser Ehe. Von der Ehe und aber hauptsächlich von Erika. Wenn er ehrlich zu sich selbst ist, kann er diese Frau nach zwanzig Ehejahren nicht mehr ertragen.
Plötzlich reisst ihn ein lautes Geschrei aus seinen Gedanken. Erika ist nach Hause gekommen. Bevor Gino das Arbeitszimmer verlassen kann um nachzusehen was los ist, steht Erika bereits schnaubend vor ihm. Wutentbrannt und mit sehr lauter Stimme lässt sie Gino wissen, dass irgendein Idiot in der Tiefgarage der Firma in ihr parkiertes Auto gefahren ist. Natürlich weiss sie nicht wer und auch nicht wann das war. Erika kann sich nicht beruhigen. Wiederholt schreit sie Gino an: “Der Wagen ist Schrott. Ich kann doch nicht mit einem Wagen rumfahren, der Schrott ist. Verdammt, Gino. Jetzt sag doch auch mal etwas.“ Erika bleibt mitten im Raum stehen. Mit ihren langen Beinen, in hochhackigen Schuhen, scheint sie fast etwas grösser zu sein als ihr Mann. Sie sieht immer noch gut aus. Die langen, fast schwarzen Haare umbahnen ein schönes, ausdrucksstarkes Gesicht. Allerdings zieht mittlerweile die eine oder andere Gesichtsfalte mehr oder weniger die Blicke auf sich. Doch der Schönheit, die sie immer noch mit sich trägt, tut dies keinen Abbruch.
Gino wendet sich von Erika ab um die Musik, welche immer noch im Hintergrund läuft, aus zu machen. Die Hände nun in den Hosentaschen versenkt und aus dem Fenster blickend hört er sich leise „Erika, es ist nur ein Auto. Man kann das reparieren lassen und dann ist es wieder gut“, vor sich hersagen und merkt dabei, dass er absolut kein Interesse mehr an ihren Dingen und schon gar nicht an ihrem hysterischen Auftreten hat. „Nur ein Auto? Es ist nur ein Auto?“, schreit ihn Erika an. „Gino – es ist mein Auto. Es ist mein Lotus. Es ist nicht einfach nur ein Auto. Verdammt, Gino. Was ist bloss los mit dir?“ Wild gestikulierend geht sie einige Schritte auf ihn zu.
Kopfschüttelnd und genervt geht Gino an Erika vorbei und verlässt das Arbeitszimmer – ohne sie noch einmal anzuschauen oder noch ein Wort zu sagen. Erika kann nicht glauben, dass Gino kein Interesse an der Katastrophe hat, die ihr widerfahren ist. Sie verlässt ebenfalls das Arbeitszimmer und will ihm nachgehen. Doch Gino hat das Haus bereits verlassen. Erika nimmt dies durch das zuschlagen der Haustüre zur Kenntnis.
„Am liebsten würde ich sie umbringen. Kaum zu glauben, dass diese Frau einmal die Liebe meines Lebens war“, jammert Gino. Inzwischen sitzt er mit seinem besten Freund Arno Kuster, den er anrief um ihm sein Leid zu klagen, in einem Restaurant im Niederdorf. Arno Kuster ist ein langjähriger Freund von Gino. Bereits die Schulzeit verbrachten sie zusammen und auch Arno ist heute ein erfolgreicher Geschäftsmann. Doch anders als Gino hat er nie geheiratet und ist überzeugter Single. Wiederholt nippt Gino an seinem Bier, auf das er eigentlich gar keine Lust hat. Nach zweistündigem Klagen hat auch Arno langsam genug von diesem Knatsch, der zwischen Erika und Gino doch schon seit längerer Zeit andauert. Auch Ginos Gejammer wird ihm allmählich etwas zu viel. So bietet Arno seinem Freund an, dass er einige Tage bei ihm wohnen kann, bis er weiss, wie es weiter gehen soll. „Komm“ – sagt er zu Gino und klopft ihm auf die Schulter – „gehen wir. Jedenfalls kann es auch keine Lösung sein, dass du sie umbringst. Es wird eine andere Lösung geben und alles wird wieder gut. Zudem glaube ich auch nicht, dass du in Gefängniskleidung wirklich gut aussehen würdest.“ Arno schmunzelt dabei und ist froh, dass er seinem Freund auch ein Lächeln ins Gesicht zaubern konnte.
Schlaflos liegt Gino bei Arno im Wohnzimmer auf dem Sofa. Er denkt nach. Über sein Leben, seine Ehe und darüber, wie sich Erika in den letzten Jahren verändert hat. Plötzlich fällt er die Entscheidung, sich von Erika zu trennen. Und zwar definitiv. Und er möchte das sofort tun. `Das alles muss jetzt ein Ende haben`, denkt er sich, nimmt das Mobiltelefon vom Tisch und schreibt eine Kurznachricht an Erika.
Erika
Ich halte es mit dir nicht mehr aus. Ich kann nicht mehr. Du hast eine Woche Zeit, um aus dem Haus auszuziehen. Ich kann dich nicht mehr ertragen und will dich auch nicht mehr sehen.
Gino
Das Haus gehört Gino. Es ist sein Elternhaus, in dem er aufgewachsen ist. Deshalb denkt er keine Sekunde darüber nach, selber auszuziehen und das Haus Erika zu überlassen.
Am nächsten Morgen erzählt Gino seinem Freund von der Kurznachricht, die er an Erika geschickt hat. Er findet es selber nicht ganz in Ordnung, nach zwanzig Ehejahren seine Frau per Kurznachricht über das Mobiltelefon rauszuschmeissen. Aber reden kann man mit ihr auch nicht mehr. Das bringt alles nichts. Arno kann das absolut verstehen und bietet Gino seine volle Unterstützung an. In allem, was noch kommt.
Erika tobt und kann es nicht fassen. Seit sie die Nachricht von Gino gelesen hat ist sie ausser sich. „Was für ein Feigling“ – schreit sie durch das Haus – „er traut sich mir nicht einmal gegenüber zu treten. Das gibt es doch nicht. Nach zwanzig Jahren! Nach verdammten zwanzig Jahren wirft er mich raus.“ Sie ist empört, über die Art, wie Gino zwanzig Ehejahren ein Ende bereiten möchte.
Aufgebracht ruft sie ihre Freundin Claudia an und erzählt ihr, ohne kaum Luft zu holen, was geschehen ist. Es ist Claudia unmöglich alles zu verstehen. Aber sie verstand, dass Erika von Gino aus dem Haus geworfen wird. „Sei mir nicht böse, Erika. Aber ich finde es ist an der Zeit, dass bei euch endlich einen Schlussstrich gezogen wird. So wie es bei euch läuft, kann es doch sowieso nicht weitergehen. Ihr zerbrecht beide daran. Und das ist doch wirklich nicht der Sinn einer Ehe.“ Das waren nicht die Worte, die Erika hören wollte. Trotzdem weiss sie, dass sie keine andere Wahl hat und es Gino ernst meint. Und dass es irgendwann so kommen musste, weiss sie eigentlich auch schon lange. Nur wahrhaben, wollte sie es nicht.
Claudia Erhard, fünfundvierzig Jahre alt begleitet Erika schon seit Jahren als Freundin durch ihr Leben. Auch sie hat Mühe damit, wie sich Erika in den letzten Jahren verändert hat. Negativ, verändert hat. Denn auch ihr gegenüber verhält sich Erika vermehrt abschätzend. Sie findet, dass Claudia mehr aus ihrem Leben hätte machen sollen. Vor allem in beruflicher Hinsicht. Doch Claudia ist mit Leib und Seele Arzthelferin. Schon seit Jahren in der gleichen Praxis eines bekannten Schönheitschirurgen, der auch noch eine eigene Privatklinik hat. Zudem ist sie gegenüber Erika sehr loyal und einfach eine treue Seele. Deshalb schmerzen die abfälligen und überflüssigen Kommentare von Erika in letzter Zeit immer häufiger.
Immerhin ist Claudia glücklich verheiratet. Sie lebt ein harmonisches und angenehmes Familienleben mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern. Im Gegensatz zu Erika lebt sie das Leben, das sie sich immer wünschte. Und sie ist glücklich mit ihrer Familie.