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Kapitel 5

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Aus der Ferne sieht sie, dass etwas am Ufer liegt. Doch sie kann nicht erkennen, was es ist. Sie joggt locker weiter und die Musik dröhnt ununterbrochen, lautstark durch die Kopfhörer in ihre Ohren. Fast täglich joggt Alessandra früh morgens dem Ufer der Limmat entlang und beginnt so ihren Tag bevor sie zur Arbeit geht. Sie erkennt sofort, wenn auf ihrem gewohnten Weg etwas anders ist als sonst. Plötzlich hält sie abrupt an und traut ihren Augen nicht. Was sie aus der Ferne sah, ist eine Frau, die am Boden liegt. In deren Nähe liegen Schuhe und eine Handtasche. Einige Weinflaschen stehen auf dem Boden. Auf den ersten Blick sind sie alle leer. Alessandra eilt sofort zu der Frau hin. Sie schüttelt sie und versucht sie wach zu bekommen. Aber da passiert nichts. Und als sie den Puls fühlt merkt sie schnell, dass die Unbekannte nicht mehr lebt und eine Leiche vor ihr liegt.

Zitternd und aufgeregt löst sie ihr Mobiltelefon vom Arm, welches mit einer Sporthalterung daran festgemacht ist und ruft die Polizei an. „Hallo? Polizei? Hier liegt eine Frau. Sie ist tot. Verdammte Scheisse… die lebt nicht mehr. Hören Sie? Sie müssen kommen.“ Nach Aufforderung der Dame am anderen Ende der Leitung berichtet sie, wo sie ist und wie sie heisst. „Alessandra Schmitz ist mein Name. Ja, ich warte hier. Danke.“ Alessandra ist aufgeregt und weiss nicht recht, was sie machen soll. Die Dame am Telefon sagte, sie solle warten und nichts anfassen. Doch die Tote hat sie nun schon angefasst und sie macht sich Sorgen, dass sie etwas falsch gemacht hat. Sie schaut sich um und zählt fünf leere Flaschen Wein, die sich um die Tote herum befinden. Ob diese alle von ihr sind? War sie mit Bekannten hier? Das muss wohl so gewesen sein, denn fünf Flaschen Wein kann man kaum alleine trinken, denkt sich Alessandra.

Es vergingen nur wenige Minuten, bis die Polizei eintraf. Drei Männer näherten sich vom Polizeiwagen an den Ort des Geschehens. Weiss bewegt sich schnellen Schrittes zuerst zu der am Boden liegenden Frau um sicher zu stellen, dass sie wirklich nicht mehr lebt. Als er dies ausgeschlossen hat, weil auch er keine Lebenszeichen mehr feststellen kann, geht er zurück zu Huber und Alessandra Schmitz. „Guten Morgen. Sie haben die Frau gefunden? Mein Name ist Huber. Und Sie sind?“ – fragt der offensichtliche Chef dieser Truppe mit schroffem Ton. „Alessandra Schmitz, ist mein Name. Ja, ich habe die Frau gefunden und Sie angerufen. Ich jogge fast jeden Morgen hier der Limmat entlang. Ich hätte nie im Leben gedacht, dass ich hier einmal eine Leiche finden werde. Schrecklich! Diese arme Frau! Was ist ihr wohl zugestossen?“ Alessandra ist von ihrem Fund immer noch sichtilich geschockt. Weiss versucht sie etwas zu beruhigen, indem er mit sehr ruhiger Stimme mit ihr spricht und ihr versichert, dass sie alles tun werden um herauszufinden, was mit dieser Frau geschehen ist. Nachdem Huber und Weiss, die zwei erfahrenen Polizisten noch mit Alessandra sprechen, schlich sich der Aspirant Bruno Glätzli heimlich zur Leiche hin. Denn bis zu diesem Tag hat er noch nie eine Leiche gesehen.

Bruno Glätzli ist ein zweiundzwanzig Jähriger Aspirant. Polizist in Ausbildung. Oft fehlt es ihm an Zuverlässigkeit und er vermasselt immer wieder etwas. Für sein Alter hat er noch zu viele Flausen im Kopf. Trotzdem ist er Ehrgeizig und möchte ein guter Polizist werden. Von allen nur ‚Glätzli‘ genannt bemüht er sich stets, es allen irgendwie recht zu machen.

„Glätzli“ – schrie Huber plötzlich so, dass Alessandra zusammenzuckte und sichtlich erschrak. „Glätzli. Herrgott. Du sollst nichts ohne Handschuhe anfassen. Herrgott noch mal.“ Er weist seinen Aspiranten in gleichermassen strammen Ton an, den Ort um die Tote abzusperren. Glätzli hebt seinen Arm hoch als Zeichen, dass er ihn verstanden hat. ‚Oje – der hat wieder gute Laune gefrühstückt‘ murmelt Glätzli vor sich hin und merkt nicht, dass Huber schon neben ihm steht. Die Äusserung seines Aspiranten hat er sehr wohl gehört. Doch auf eine Reaktion verzichtet er. In der Zwischenzeit hat der Kollege Weiss, Alessandra vom Fundort entlassen. Der Fundort ist mittlerweile von Glätzli abgesperrt worden und alles Nötige, was sie in ihrer Funktion machen können ist veranlasst und erledigt. Nun muss das Dreiergespann auf die angeforderten Einheiten warten.

„Glätzli, als Aspirant darfst du nicht an diesem Fall arbeiten. Davon gehe ich zumindest aus. Aber wenn wir dich schon im Schlepptau haben… was siehst du? Was hast du schon angefasst?“ – fragt ihn Huber. Glätzli ist sofort etwas aufgeregt und berichtet: “Chef, ich sehe eine Leiche. Eine weibliche Leiche. Ich habe den Puls gefühlt, aber da ist keiner mehr. Sonst habe ich nichts ohne Handschuhe angefasst. Ausserdem liegen hier Schuhe. Ich gehe davon aus, dass diese von der Toten sind, weil sie keine Schuhe an den Füssen hat. Die Handtasche daneben scheint auch ihre zu sein. Ich habe eine Geldbörse darin gefunden. Was ich übrigens nur mit Handschuhen angefasst habe, Chef. Nach dem Ausweis handelt es sich um eine Frau Erika Castioni. Es scheint, als wären die leeren Weinflaschen von ihr. Aber ob sie das alles alleine trank? Zudem kann ich keine Verletzungen sehen.“ Huber lobt seinen Schützling und schaut sich selber noch um. Zuvor hat er sich natürlich von Weiss bestätigen lassen, dass die Frau wirklich tot ist. Diese Verantwortung kann nicht einem Aspiranten übertragen werden. Schon gar nicht, Glätzli. Trotzdem legt Huber viel Wert auf Glätzli’s Aussage, dass er den Puls fühlte. Damit zeigt er seinem Chef, dass er doch daran gedacht hat. Es scheint, als wäre er am heutigen Tag mit den Gedanken etwas mehr bei der Sache als sonst. Das freut Huber. Weiss hat in der Zwischenzeit alle eintreffenden Einheiten von der Kriminaltechnik bis Leichenwagen eingewiesen. Für das Trio ist die Sache mit der Arbeitsübergabe an die eingetroffenen Einheiten vorerst beendet.

Auf dem Weg zur Dienststelle macht das Trio einen Pausenhalt an einem Imbiss. Ein Kaffee ist jetzt genau das richtige. Eifrig diskutieren sie, was wohl mit dieser Frau geschehen ist. „Interessant ist, dass wir keine Verletzungen sehen konnten.“ – sagt Huber und fährt fort: „Aber ich hoffe trotzdem, dass dieser Fall für uns hier beendet ist. Das ist ja eigentlich sowieso keine Sache für uns. Jetzt fahren wir erst einmal zur Dienststelle und schreiben unseren Bericht. Scheiss Papierkram“, trinkt seinen Kaffee fertig und geht in Richtung Polizeiwagen. Weiss und Glätzli tun es ihm gleich und marschieren im Gleichschritt hinterher.

In der Dienststelle angekommen machen sie sich sofort an den Bericht, den sie gemeinsam versuchen zusammen zu bringen. Denn der Schreibkram ist ein leidiges Thema und bei weitem nicht ihre Stärke. Doch schon nach wenigen Minuten wird Huber zum Chef gerufen.

Vor der Tür, welche in das Büro des Chefs führt bleibt Huber stehen. Er richtet seine Krawatte, atmet tief ein und aus und klopft schliesslich an die Tür. Nachdem er ein leises „herein“ vernehmen konnte, tritt er in das Büro ein. Huber mag das Büro des Chefs nicht. Kitschig eingerichtet, überfüllt mit Modellautos sieht es schon fast wie ein Kinderzimmer aus. Wären da nicht auch noch die Kunstgemälde an den Wänden aus seiner privaten Sammlung. Mit beidem gibt der Chef, Heinz Dahler, sehr gerne an. Er weiss, dass er nicht sehr beliebt ist. Doch das kümmert ihn nicht. Generell spricht er seine Mitarbeiter nur mit dem Nachnamen an. Ohne eine Anrede von Frau oder Herr davor. Das scheint ihm überflüssig zu sein. Und so hat sich dies im Laufe der Zeit in der ganzen Dienststelle eingeschlichen.

„Huber. Danke, dass Sie sofort gekommen sind.“ Mit einer Handbewegung deutet er Huber an, dass er auf dem Stuhl, welcher auf der einen Tischseite steht, Platz nehmen soll. Huber folgt dieser Aufforderung und setzt sich. „Wie Sie wissen sind wir unterbelegt und völlig überlastet. So habe ich keine Wahl, als den Fall mit der Toten der Limmat, Ihnen und Weiss zu übertragen. Aber lassen Sie Glätzli aus dem Spiel. Er hat nicht an diesem Fall mitzuarbeiten. Er fungiert lediglich quasi als Zuschauer bei diesem Fall. Haben Sie das verstanden? Er lernt beim Zuschauen und Zuhören. Sie können ihn Notizen machen lassen. Mehr nicht! Und halten Sie mich auf dem Laufenden. Ich will fortlaufend über alles informiert werden. Auch über Glätzli. Ist das klar, Huber?“

„Selbstverständlich“ – erwidert Huber und schildert seinem Chef, was sie an der Limmat vorgefunden haben. Obwohl keine Verletzungen ersichtlich waren gehe er nicht von einem natürlichen Tod aus, erläutert Huber. Irgendetwas sagt ihm, dass da mehr dahintersteckt. Huber zeigt mit einer Handbewegung an, dass er mit seinen Ausführungen fertig ist. Er hofft insgeheim, dass er dieses schreckliche Büro endlich wieder verlassen kann und erhebt sich vom Stuhl. „Danke, Huber. Und schauen Sie, dass Sie diesen Fall so schnell wie möglich lösen und abschliessen können. Tun Sie alles dafür. Wir haben mehr als genug zu tun!“ Huber ist mittlerweile bereits an der Tür, nickt und bestätigt die Anweisungen des Chefs mit ein knappen: „Jawohl!“ Gleichzeitig hebt er die Hand als Zeichen des Verabschiedens.

Zurück in seinem Büro, in dem auch Weiss und Glätzli sitzen, setzt er seine Kollegen über die Anweisungen des Chefs in Kenntnis. Glätzli freut sich sehr darüber, bei einem solchen Fall dabei sein zu dürfen. Es macht ihn auch etwas stolz und er nimmt sich vor, wirklich sein Bestes zu geben.

Ihnen ist schnell klar, dass sie auf den Obduktionsbericht warten müssen um zu erfahren, wie die Frau ums Leben kam. „Vielleicht ist sie ja an einem natürlichen Tod gestorben“ – wirft Glätzli plötzlich in die Diskussion ein. „Schliesslich konnten wir keine Verletzungen sehen. Ist doch auch möglich, dass sie am Ufer stand und plötzlich einen Herzinfarkt hatte. Oder nicht?“ Sichtlich stolz und voller Übereifer schaut er erwartungsvoll seine Kollegen und gleichzeitigen Ausbilder an und wartet auf eine Bestätigung seiner Aussage. „Herzinfarkt? Hast du schon vergessen, dass sie keine Schuhe an den Füssen hatte? Die lagen doch irgendwo neben ihr. Bei einem Herzinfarkt fallen einem die Schuhe nicht einfach von den Füssen, Glätzli. Merk dir das! Und ich glaube auch nicht, dass sie an dieser Stelle der Limmat baden gehen wollte“, ereifert sich Huber mit erhobenem Zeigefinger. Huber bemüht sich wirklich sichtlich darum, sehr geduldig zu sein. Denn Geduld ist nicht unbedingt seine grösste Stärke. Doch der plötzliche Übereifer von Glätzli seit er die Tote sah, macht ihm jetzt schon zu schaffen und sogar auch ein wenig Angst. Weiss, der wie immer sehr ruhig ist und immer erst die anderen sprechen lässt, fasst zusammen, dass sie weder Todeszeitpunkt noch Todesursache kennen. Zudem, so gibt er zu bedenken, müssen sie jetzt erst einmal damit beginnen, das nähere Umfeld von dieser Erika Castioni zu durchleuchten. Doch als Erstes sollten sie die Angehörigen ausfindig machen und diese über den Tod von Erika Castioni informieren.

„Hier, Glätzli“ – kommt von Huber. Er hält dem Aspiranten ein kleines Notizbuch hin und fährt fort: „Da du uns zugeteilt bist, müssen wir dich mitnehmen. Aber du hältst dich zurück! Du machst überall und immer Notizen. Und zwar so, dass man hinterher weiss, um was es ging. Du hörst nur zu und sprichst nicht. Ist das klar? Das ist eine Anweisung vom Chef!“ Glätzli greift mit einem breiten Grinsen im Gesicht nach dem Notizbuch und stopft es etwas umständlich in eine Tasche seiner Jacke. Von seinem Schreibtisch nimmt er einen Stift, den er genauso umständlich in die gleiche Tasche steckt wie das Notizbuch.

Nachdem sie kurz darauf den Ehemann ausfindig machen können, beschliesst das ungleiche Trio, zuerst diesen aufzusuchen um ihm die traurige Nachricht über den Tod seiner Frau mitzuteilen.

Mord an der Limmat

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