Читать книгу Mord an der Limmat - Adriana Weisskopf - Страница 8

Kapitel 4

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„Erika, lass mich in Ruhe. Verdammt noch mal. Geht das nicht in deinen Kopf, dass ich nichts von dir möchte?“- schreit Roman in das Telefon. Er droht ihr, sie wegen Belästigung anzuzeigen und legt wütend den Hörer auf.

Seit Wochen belästigt sie ihn mit Anrufen oder steht bei ihm zu Hause vor der Tür. Roman ist mit den Nerven am Ende. Hätte er gewusst, was Erika für eine Frau ist, wäre er doch nie mit ihr im Bett gelandet. Doch diese Einsicht kommt nun etwas zu spät und Erika denkt nicht im Geringsten daran, Roman in Ruhe zu lassen.

Sie ist keine Frau für nur eine Nacht. Auch wurde sie schon lange nicht mehr so sehr verletzt. Sie kann und will ihm nicht verzeihen. Nicht dafür, dass er mit ihr gespielt hat und auch nicht, weil er sie unglaublich verletzt hat. So oder so… sie kann nicht verstehen, warum Roman nichts von ihr möchte. Nach ihrer Selbsteinschätzung, welche wahrscheinlich etwas überheblich und weit weg von jeglicher Realität ist, kann ihr doch kein Mann widerstehen. Warum also, sträubt sich Roman so, mit ihr eine Beziehung anzufangen?

Zwei Tage später – es soll ein schöner, lauer Herbsttag werden – beschliesst Erika vor Romans Büro einen Sitzstreik zu machen. Frühmorgens setzt sie sich vor der Eingangstür auf den Boden. Ihre Hände klammern sich an ein Schild das sie am Abend zuvor aus Pappkarton bastelte.

Mit den Worten

Frauen – lasst euch keine Immobilie von Roman Falk vermitteln. Er will nur mit euch ins Bett

will sie andere Frauen davon abhalten, das Büro zu betreten und Roman einen Auftrag zur Immobilienvermittlung zu erteilen. Neben ihr steht eine Flasche Wein. Mittlerweile trinkt Erika bereits am Morgen und es vergeht kaum ein Tag mehr, an dem sie nicht betrunken ist. Zur Arbeit erscheint sie nur noch sehr selten und sie ist kurz davor, ihren Job zu verlieren. Nach zwei mündlichen und einer schriftlichen Abmahnung kommt sie immer noch nicht zur Einsicht, sich wieder normal ihrem Alltag zu widmen. Stattdessen widmet sie sich regelmässig dem Alkohol und verkommt immer mehr in der fixen Idee, mit Roman eine Beziehung haben zu wollen. Dass ihre Aktionen jedoch kontraproduktiv dafür sind, blendet sie völlig aus. Erika trinkt erst seit kurzem wieder. Seit der Sache mit Roman. Als sie Gino kennenlernte hatte sie bereits einmal Probleme mit dem Alkohol. Doch das konnte sie mit der Hilfe von Gino und Freunden überwinden. Und nun, hinterlässt der Alkohol schon wieder seine ersten Spuren bei ihr.

Wie jeden Tag kommt Barbara Weber auch an diesem letzten Arbeitstag der Woche gegen sieben Uhr zur Arbeit. Entsetzt sieht sie Erika schon aus der Entfernung auf dem Boden sitzen. In der Zwischenzeit ist Erika in Romans Umfeld bekannt. Sogar sehr bekannt.

„Was zum Teufel will die schon wieder hier? Das darf doch nicht wahr sein. Dieses Miststück ist doch wirklich wie ein hartnäckiger Parasit. Verdammt noch mal!“ – brummt sie vor sich hin. Schnellen Schrittes schreitet die taffe Empfangsdame, die Roman Falk schon seit gut zwölf Jahren in seinem Immobilienbüro tatkräftig unterstützt und so etwas wie die gute Seele des Hauses ist, auf Erika zu.

„Was wollen Sie hier? Schauen Sie zu, dass Sie hier wegkommen. Aber schnell. Bevor mein Chef kommt. Haben Sie nicht schon genug angerichtet?“ – schnauzt sie Erika an. Doch Erika reagiert nicht auf die Worte von Barbara. Sie sitzt einfach da und klammert sich weiterhin an ihrem Schild fest. Schliesslich ist es nicht ihre Art, mit Empfangsdamen oder Assistentinnen zu diskutieren. Das ist immer noch unter ihrer Würde. Barbara drängelt sich irgendwie an Erika vorbei und verschwindet in den Räumlichkeiten. Sofort ruft sie ihren Chef an und schildert ihm aufgeregt, was vor dem Büro los ist. Roman kann sie ein wenig beruhigen, als er ihr ankündigt, in einer halben Stunde vor Ort zu sein. Gleichzeitig bittet er Barbara darum, schon einmal die Polizei zu informieren. Nach dem Gespräch sprintet Roman zu Hause die Treppen runter. Es dauert ihm zu lange, bis der Fahrstuhl ganz oben ankommt. In der Tiefgarage angekommen ist er mit einem Schwung in seinem Sportwagen und fährt mit quietschenden Reifen davon.

Die Polizei ist bereits vor Ort, als Roman ankommt. Er stellt sich den uniformierten Beamten vor und erklärt, wie ihn Erika in den letzten Wochen belästigt hat.

„Bitte entfernen Sie diese Frau von hier. Ich kann sie nicht mehr sehen und sie hat hier auch nichts zu suchen“ – fleht er die Polizisten an. Erika bekommt einen Platzverweis und wird aufgefordert sich von diesem Ort zu entfernen. Sie versucht noch mit den Ordnungshütern zu diskutieren. Doch sie merkt schnell, dass es sinnlos ist und sie keine Chance hat. Also nimmt sie ihre Sachen zusammen. Gemächlich macht sie das. Sehr gemächlich und zeigt kein bisschen, Eile. Nach einer wüsten Beschimpfung, welche sich an Roman richtete verlässt sie die Örtlichkeit endlich. Froh, dass es vorbei ist kann für Barbara und Roman endlich der Arbeitsalltag beginnen. „Ich habe nicht daran geglaubt, dass die Polizei schon nach dem ersten Anruf kommt, nachdem sie bei den letzten Malen so unglaublich schwierig taten.“ – sagt Barbara erleichtert. Sie verschwindet im Aufenthaltsraum wo sie für ihren Chef einen Kaffee zubereitet. Wie jeden Tag!

Eine Woche ist seit dem letzten Vorfall bereits vergangen und Roman hat nichts mehr von Erika gehört. Doch ein Schreck erreicht ihn, nachdem sein Telefon klingelt und sich jemand mit dem Namen Gino Castioni meldet. Er bittet Roman um Hilfe, weil er eine Wohnung sucht und aus dem Haus in dem er momentan noch wohnt ausziehen möchte. Es ist ihm einfach viel zu gross für sich alleine. Roman hält inne und überlegt, ob er diesen Auftrag annehmen soll. „Gut, Ich nehme Ihren Auftrag an. Ich melde mich zur gegebenen Zeit bei Ihnen.“

Roman hat beim Anrufer nicht nachgefragt, ob er der noch-Ehemann von Erika ist. Er geht aber davon aus, weil Erika ihm in ihren Erzählungen sagte, dass er Gino heisst. Gino wiederum weiss nicht, dass Roman Falk der Immobilienmakler ist, der auch Erika die Wohnung vermittelte. Vom ganzen Drama, welches sich seither zwischen Erika und Roman abspielt, hat er bislang noch nichts mitbekommen. Wie sollte er auch? Bis anhin ist er froh, nichts mehr von Erika gehört zu haben und es interessiert ihn überhaupt nicht, wo sie ist und was sie macht. Sein Interesse, noch irgendwie an ihrem Leben teil zu haben, ist mittlerweile auf dem Nullpunkt.

Bereits zwei Tage später trifft sich Gino mit Roman um drei Wohnungen zu besichtigen. Schnell ist das Gespräch um Erika lanciert. Roman setzt seinen Kunden über die Machenschaften von Erika in Kenntnis und Gino kann kaum glauben, was er alles hört. Die erste Wohnung ist besichtigt, doch sie gefällt Gino nicht. So schlägt Roman vor, dass sie zum zweiten Objekt fahren. „Also wenn dir die nächste Wohnung nicht gefällt, dann weiss ich auch nicht, was ich dir suchen und anbieten kann. Das ist die beste Wohnung, die ich dir heute zeigen kann.“ – meint er. Sie verstehen sich sehr gut und Gino ist mit dem Vorschlag einverstanden. Die zweite Wohnung befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Bellevue. Bereits als sie diese betreten ist Gino von den Lichtdurchfluteten Räumen begeistert. Nach dem Rundgang durch alle Räumlichkeiten steht für ihn fest, dass er diese Wohnung möchte. Ein Handschlag besiegelt vorerst diesen Abschluss. Gino schaut auf die Uhr. Es ist bereits sechs Uhr abends. „Gehen wir etwas essen? Ich habe Hunger. Ich lade dich ein.“ – fragt er und klopft dabei Roman auf die Schulter. Dieser stimmt dem essen lachend zu, aber einladen will er sich nicht lassen: „Das kommt nicht in Frage. Du wirst von mir eingeladen. Ich lade meine Kunden immer nach einem Abschluss ein.“

Während sie den ausgezeichneten Hauptgang geniessen klingelt Ginos Mobiltelefon. „Was will die denn jetzt?“ – fragt er beim Anblick auf das Display und drückt den Anruf weg. Erika! „Ich weiss nicht was sie will. Jetzt habe ich eine ganze Weile nichts mehr von ihr gehört und ausgerechnet jetzt… Wie konnte ich nur zwanzig Jahre mit dieser Frau verheiratet gewesen sein. Na ja – früher, war sie ein ganz anderer Mensch als sie es heute ist. Und ich weiss nicht, wieso sie sich derart verändert hat. Ich weiss es wirklich nicht!“ Sie diskutieren sämtliche Episoden von und mit Erika durch. Jede Geschichte ist schlimmer als die zuvor.

Gerade als der Kellner an den Tisch tritt hört er Roman sagen: „Eigentlich gehört doch diese Frau umgebracht, damit sie niemandem mehr schaden kann. Findest du nicht?“ Mit grossen Augen schaut der Kellner Roman an und fragt etwas erschrocken, ob alles in Ordnung ist oder sie einen Wunsch haben. Beide schmunzelten, weil ihnen die Reaktion des Kellners auf Romans Worte nicht verborgen blieb und deuten ihm aber, dass alles in Ordnung ist. Soll Erika erstochen, erwürgt oder vergiftet werden? Nach einigem witzeln und herzhaftem Lachen denken sie jedoch, dass alle diese Arten nicht gut genug sind um Erika umzubringen.

Sie sind zu gewöhnlich und es wäre doch wirklich ein sehr einfallsloser Mord. Aber schliesslich sind es nur Hirngespinnste die sie sich da zusammenreimen. Obwohl… Nein, Erika ist es nicht wert, dass man sich das eigene Leben wegen ihr ruiniert.

Es ist spät geworden. Erst kurz vor Mitternacht verlassen sie das Lokal. Jeder mit noch mehr Informationen über Erika, als ihm eigentlich lieb ist. Sie verabschieden sich und gehen ihrer Wege. Gino beschliesst, auf dem Fussweg nach Hause zu gehen und schlendert erst der Seepromenade und danach der Limmat entlang. Auf Höhe der Rathausbrücke bleibt er stehen und hängt seinen Gedanken nach. Wie oft war er als Kind mit seinen Eltern auf dieser Brücke? Einmal pro Woche war das bestimmt. Früher war hier ein Gemüsemarkt, wo er regelmässig mit seiner Mutter frisches Gemüse holte. Die Brücke wird wegen dem einstigen Gemüsemarkt heute noch im Volksmund Gemüsebrücke genannt. Gino hat viele schöne Erinnerungen daran, an die er im Moment gerne zurückdenkt. Er fragt sich wie lange es her ist, dass er so an seine Eltern gedacht hat, die vor sieben Jahren bei einem Autounfall ums Leben kamen. Es muss sehr lange her sein. Denn er weiss nicht, wann das war. Die Erinnerungen zaubern ihm ein Lächeln ins Gesicht. Etwa zwanzig Minuten später ist Gino zu Hause.

Der Morgen danach, zeugt von zu viel Wein am Vorabend und einer viel zu kurzen Nacht. Als Gino aus der Dusche kommt und der erste Kaffee trinken will klingelt das Mobiltelefon. „Hallo“ – meldet er sich mit tiefer und verkaterter Stimme. Wieder versäumte er es, auf dem Display nachzuschauen wer anruft. Jetzt ist es zu spät. „Gino? Ich bin es. Erika. Gino ich muss noch einige Dinge bei dir abholen, die ich brauche. Kann ich jetzt vorbeikommen? Oder legst du mir den Schlüssel unter die Fussmatte?“ Gino wimmelt sie ab und erklärt ihr, dass er nun wirklich keine Zeit hat und er nicht daran denkt, ihr den Schlüssel unter die Fussmatte zu legen. Er hat kein Vertrauen mehr in Erika und vermutet, dass sie das ganze Haus ausräumen würde, wenn er nicht da ist. Sie vereinbaren, dass sie am nächsten Tag noch einmal anruft. Nach der zweiten Tassen Kaffee, geht Gino mit der dritten Tasse Kaffee ins Büro, in die obere Etage und beginnt zu arbeiten. Zumindest versucht er das. Denn er muss immer an den Vorabend denken. An die Geschichten, die ihm Roman von Erika erzählte. Es fällt ihm schwer, sich zu konzentrieren. So lässt er die Arbeit liegen und beginnt, den Umzug vorzubereiten.

Nach dem Mittagessen, das er im gleichen Restaurant einnimmt, in dem er am Vorabend mit Roman war, besucht er diesen in seinem Immobilienbüro. Sie haben sich verabredet, weil Gino diese Räumlichkeiten sehen möchte. Grosszügige Räume, hell und luxuriös, waren Stichworte in Romans Beschreibung, welche Gino neugierig gemacht haben. Denn er überlegt sich, für sich selbst auch Büroräumlichkeiten zu suchen und nicht mehr zu Hause zu arbeiten. Dort angekommen wird er gleich Zeuge davon, wie sich Roman fürchterlich aufregt. Der Auslöser dafür liegt bei Erika. Natürlich bei Erika!

Ein Paket mit sechs Flaschen sehr teurem Wein wurde an Roman geliefert. Wein, den er allerdings nicht bestellt hat. Die beiliegende Rechnung lautet auf seinen Namen und dazu ist eine Karte beigelegt. Roman rauft sich die Haare, als er die Rechnung betrachtet. Und der Text auf der Karte mit den Worten

Mein Liebling. Dieser Wein wird uns bestimmt schmecken. Ich freue mich auf dich und den Wein. Deine Erika

treibt ihn förmlich zur Weissglut. „Dieses Miststück. Dieses elende Miststück!“ – schreit er. Mehr Worte kommen nicht aus ihm heraus. Roman ist nahe dran, sein eigenes Mobiliar vor Wut zusammenzuschlagen. Barbara und Gino versuchen ihn etwas zu beruhigen. Und es ist allen klar, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Diese Machenschaften von Erika sind ein Ding der Unmöglichkeit. Und sie sind nicht mehr bereit, das alles so hinzunehmen.

Sie setzen sich zusammen und überlegen gemeinsam, wie sie Erika von weiterem, solch abstrusem Handeln abhalten können. Doch diese Diskussion endet in Hirngespinsten und Blödeleien. Barbara ist froh, dass sich Roman etwas beruhigt hat. Denn in letzter Zeit macht sie sich wirklich grosse Sorgen um ihn. Er hat einiges an Gewicht verloren, weil ihm diese Sache mit Erika so zusetzt.

Obwohl er keine Schuld am Verhalten von Erika hat, ist es Gino sichtlich unangenehm, was Roman durchleben muss. „Hör zu Roman. Ich weiss nicht was mit Erika los ist und auf welchem Trip sie ist. Aber ich werde die Rechnung von diesem Wein bezahlen. Das geht doch einfach nicht, was diese Hexe mit dir veranstaltet.“ Doch Roman lehnt dieses Angebot ab. Er wird den Wein zurücksenden. Und bestimmt wird es eine Lösung geben um Erika zu stoppen. Irgendwann.

Mord an der Limmat

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