Читать книгу Willkommen in Amberland - Adrienne Träger - Страница 7
Carlshaven, Bezirksbüro von Amnesty International, 07. Dezember 2015
Оглавление„Hallo Anna, was machst du denn hier?“, begrüßte Kemi ihre Freundin überrascht, als diese das Bezirksbüro betrat. Kemi und Anna waren seit der Schulzeit miteinander befreundet, hatten sich aber nun schon länger nicht mehr gesehen, da beide beruflich sehr eingespannt gewesen waren. Kemi war es auch gewesen, die Anna im letzten Jahr an David verwiesen hatte.
„Hallo, Kemi, ich will mich über Asylfragen informieren. Aber was machst du hier?“
Sie begrüßte ihre Freundin mit Küsschen rechts und Küsschen links.
„Ach, weißt du, ich hatte mich doch damals mit David unterhalten und es hat mich so beeindruckt, was man als einzelner Mensch alles machen kann, um anderen zu helfen. Ich habe mir dann alle Gruppen hier im Bezirk angeschaut und, na ja, da ich ja selber vor Jahren als Flüchtling hier nach Amberland kam, war die Asylgruppe das Naheliegende. Ich kann mich eben selber sehr gut in die Lage der Flüchtlinge hineinversetzen und weiß, mit welchen Schwierigkeiten man so zu kämpfen hat.“
„Finde ich toll, dass du das machst.“ Sie drehte sich zu David um. „Aber du hättest ruhig mal erwähnen können, dass Kemi hier in der Gruppe ist.“
Er grinste. „Du hast ja nicht gefragt.“
„Lasst uns ins Nebenzimmer gehen, da ist es ruhiger und wir stören die Kollegen nicht bei der Asylberatung.“
Das kleine Nebenzimmer war gemütlich eingerichtet und bestens für persönliche Gespräche geeignet.
„Setz dich doch“, sagte Kemi. „Was willst du wissen?“
„Wie geht das eigentlich mit dem Asylbeantragen?“
„Also, wenn der Flüchtling aus politischen Gründen nach Amberland kommt, kann er eigentlich bei jeder Behörde, also auch bei der Polizei, sagen, dass er einen Asylantrag stellen möchte. Die Behörde schickt ihn dann weiter zur sogenannten ‚Erstaufnahmeeinrichtung‘. Da kann er seinen Asylantrag stellen, der dann an das Bundesamt für Asylfragen weitergeleitet wird, das für die Bearbeitung des Asylantrags zuständig ist. Der Hauptsitz des Bundesamts ist hier in Carlshaven, aber es gibt Außenstellen in diesen sogenannten ‚Erstaufnahmeeinrichtungen‘ in mehreren Städten. Die Erstaufnahmeeinrichtung hier in Carlshaven liegt übrigens hinten am Stadtrand, in der alten Keller Kaserne. Wenn die Erstaufnahmeeinrichtungen nicht überlastet sind, wohnt derjenige dort dann in der Regel für die ersten drei Monate. Anschließend wird man nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel auf verschiedene Städte oder Landkreise verteilt, die dann für die Unterbringung zuständig sind. Meist sind das Gemeinschaftsunterkünfte. Na ja, und da bleibt man dann, bis das Asylverfahren abgeschlossen ist.“
„Und wie lange dauert so ein Verfahren?“
„Nach Angaben des Bundesamtes dauert so ein Verfahren im Schnitt fast acht Monate. Es gibt aber auch Fälle, da ist es schon nach wenigen Tagen abgeschlossen oder die Leute warten Jahre auf den Bescheid.“
„Fast acht Monate? Das ist aber ziemlich lange.“
„Ja. Im Juli 2013 gab es eine neue EU-Richtlinie, nach der die Verfahren künftig innerhalb von höchsten sechs Monaten abgeschlossen sein müssen. In besonderen Fällen innerhalb von neun. Die Mitgliedstaaten haben jetzt bis 2018 Zeit, diese Richtlinie umzusetzen.“
„Und wie lange darf man dann bleiben, wenn das Verfahren abgeschlossen ist und man als Flüchtling anerkannt wurde? Für immer?“
„Nein. Zunächst erstmal für drei Jahre. Dann wird geprüft, ob sich die Verhältnisse im Herkunftsland geändert haben und derjenige zurückkehren könnte. Wenn das der Fall ist, musst du zurück.“
„Kann man so einen Asylantrag eigentlich auch aus dem Ausland stellen?“
„Nein, das geht nur persönlich im Aufnahmeland.“
„Du hast gesagt, dass diese Erstaufnahmeeinrichtung hier in Carlshaven in der alten Keller Kaserne am Stadtrand untergebracht ist. Wenn jetzt jemand vor knapp einem Monat hier in Carlshaven einen Asylantrag gestellt hat, dann müsste der also da wohnen, richtig?“
„Ja, genau. Aber sag mal, wieso interessierst du dich eigentlich plötzlich so brennend für Flüchtlinge?“
„Och, das ist Ermittlungssache. Da kann ich nicht so richtig drüber sprechen.“
„Jetzt machst du mich aber neugierig. Komm, sag schon.“
„Na ja, gut. Also, wir haben da eine unbekannte Leiche und die Fingerabdrücke waren in EURODAC gespeichert. Vermutlich war er ein Flüchtling. Mehr kann ich nicht sagen.“
Kemi verzog das Gesicht.
„Ich finde es zum kotzen, dass die Polizei jetzt auf EURODAC zugreifen darf. Mal ehrlich, das kriminalisiert jeden Flüchtling. Und überhaupt, was geht das die Polizei an, ob einer hier einen Asylantrag gestellt hat oder nicht?“
„Na ja, wir dürfen ja auch nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen darauf zugreifen“, versuchte Anna ihre Freundin zu beschwichtigen.
„Alles andere wäre ja auch noch schöner. Schon mal was von ‚informationeller Selbstbestimmung‘ gehört? Wie würdest du das finden, wenn da jeder Hinz und Kunz auf deine Daten zugreifen könnte?“
„Aber wenn wir den Zugriff darauf nicht hätten, hätten wir jetzt gar keinen Anhaltspunkt, wer unser Toter eigentlich ist.“
Kemi schnaubte. „Das hattet ihr letztes Jahr bei der unbekannten Selbstmörderin auch nicht und deren Identität konntet ihr auch anders klären.“
Anna musste zugeben, dass ihre Freundin recht hatte. Bislang war es ihnen bei den wenigen Mordfällen, die es in Carlshaven zu bearbeiten gab, immer gelungen, die Identität eines Toten irgendwie zu klären, ohne auf spezielle Fingerabdruckdatenbanken zuzugreifen.
Da Annas Fragen vorerst beantwortet waren und sie sich nicht mit ihrer Freundin streiten wollte, verabschiedeten sie und David sich von Kemi und den anderen und fuhren nach Hause. Was Kemi über „informationelle Selbstbestimmung“ gesagt hatte, hatte Anna nachdenklich gemacht.