Читать книгу Das Geheimnis von Sittaford - Agatha Christie - Страница 5

2 Die Botschaft

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Nach dem Tee schlug Mrs Willett eine Partie Bridge vor.

»Wir sind zwar zu sechst, aber zwei Mitspieler könnte man später einwechseln.«

Ronnie strahlte.

»Fangen Sie erst mal an«, sagte er. »Miss Willett und ich lassen uns einwechseln.«

Doch Mr Duke erklärte, er spiele kein Bridge.

Augenblicklich verdüsterte sich Ronnies Miene.

»Wie wäre es dann mit einem Gesellschaftsspiel?«, fragte Mrs Willett.

»Oder Tischrücken«, rief Ronnie. »Dieser düstere Spätnachmittag ist wie gemacht dafür. Wir haben uns erst neulich darüber unterhalten, erinnern Sie sich? Und Mr Rycroft und ich haben auf dem Weg hierher auch darüber gesprochen.«

»Ich bin Mitglied der Psychical Research Society«, erklärte Mr Rycroft in seiner präzisen Ausdrucksweise, »und konnte meinen jungen Freund in ein, zwei Punkten korrigieren.«

»Alles Blödsinn«, entgegnete Major Burnaby entschieden.

»Aber es macht Spaß«, wandte Violet Willett ein. »Niemand glaubt ernsthaft daran, es ist nur ein harmloser Zeitvertreib. Was meinen Sie, Mr Duke?«

»Ganz wie Sie wünschen, Miss Willett.«

»Wir brauchen einen geeigneten Tisch und müssen das Licht ausmachen. Nein, Mutter, nicht den. Der ist viel zu schwer.«

Man traf die entsprechenden Vorbereitungen. Aus dem Nebenzimmer wurde ein kleiner runder Tisch mit polierter Platte hereingetragen und vor den Kamin gestellt. Dann nahmen alle ihre Plätze ein, und die Lampen wurden gelöscht.

Major Burnaby saß zwischen der Gastgeberin und Violet, während Ronnie Garfield an der anderen Seite der jungen Frau Platz genommen hatte. Zu meiner Zeit haben wir Grummeln gespielt, dachte der Major sarkastisch lächelnd und versuchte auf den Namen des Mädchens mit dem lockigen blonden Haar zu kommen, dessen Hand er unter dem Tisch einmal ziemlich lange gehalten hatte. Das war zwar ewig her, aber Grummeln war ein tolles Spiel gewesen.

Hin und wieder kam am Tisch Gelächter auf. Dazwischen wurde getuschelt und die eine oder andere abgedroschene Floskel geäußert.

»Die Geister lassen aber lang auf sich warten.«

»Es ist eben ein weiter Weg.«

»Pst! Wenn wir die Sache nicht ernst nehmen, passiert überhaupt nichts.«

»Bitte jetzt alle ganz ruhig sein!«

»Es tut sich nichts.«

»So schnell geht das nicht, es braucht Zeit.«

»Wenn nur alle endlich still wären!«

So ging es weiter, bis das Gemurmel nach ein paar Minuten erstarb.

Alle schwiegen.

»Dieser Tisch ist mausetot«, murrte Ronnie Garfield.

»Sch!«

Plötzlich fuhr ein Zittern durch die polierte Platte, und der Tisch begann sich ruckartig zu bewegen.

»Jetzt müssen wir Fragen stellen. Wer fängt an? Sie, Ronnie.«

»Äh, dann würde ich gern … Was soll ich denn fragen?«

»Ob ein Geist anwesend ist«, schlug Violet vor.

»Na gut. Hallo, ist da ein Geist?«

Der Tisch machte einen heftigen Ruck.

»Das bedeutet Ja«, erklärte Violet.

»Und, äh – wer bist du?«

Keine Antwort.

»Er soll seinen Namen buchstabieren.«

»Wie soll das gehen?«

»Wir zählen die einzelnen Bewegungen.«

»Na gut. Buchstabiere bitte deinen Namen.«

Der Tisch ruckelte heftig los.

»A B C D E F G H I – war das jetzt ein I oder ein J?«

»Fragen Sie ihn. War das ein I?«

Der Tisch machte einen einzigen Ruck.

»Ja. Den nächsten Buchstaben, bitte.«

Der Name des Geistes lautete Ida.

»Hast du eine Botschaft für einen von uns?«

»Ja.«

»Für wen? Für Miss Willett?«

»Nein.«

»Für Mrs Willett?«

»Nein.«

»Für Mr Rycroft?«

»Nein.

»Für mich?«

»Ja.«

»Eine Botschaft für Sie, Ronnie! Schnell weiter jetzt! Der Geist soll die Botschaft ausbuchstabieren.«

Der Tisch buchstabierte »Diana«.

»Wer ist Diana? Kennen Sie eine Diana?«

»Nein. Das heißt …«

»Aha. Also doch.«

»Fragen Sie den Geist, ob diese Diana verwitwet ist.«

Der Spaß ging weiter. Mr Rycroft lächelte nachsichtig. Junge Leute brauchten ihr Vergnügen. Einmal loderte das Feuer kurz auf und tauchte das Gesicht der Gastgeberin in seinen hellen Schein. Es wirkte besorgt, fast entrückt. Sie war mit dem Kopf ganz woanders.

Major Burnaby dachte an den Schnee. Abends würde es wieder losgehen. Er konnte sich an keinen so strengen Winter erinnern.

Mr Duke war dagegen mit großem Ernst bei der Sache, obwohl ihm die Geister zu seinem Leidwesen kaum Beachtung schenkten. Alle Botschaften richteten sich entweder an Violet oder an Ronnie.

Violet erfuhr, dass sie nach Italien reisen werde. Nicht allein, sondern in Begleitung. Nicht in Begleitung einer Frau, sondern eines Mannes, eines gewissen Leonard.

Alles lachte. Der Tisch buchstabierte den Namen der Stadt. Ein russisch klingendes Durcheinander, ganz und gar nicht italienisch.

Daraufhin wurden die üblichen Anschuldigungen erhoben.

»Sie schieben ja, Violet!« (Auf das »Miss Willett« verzichtete Ronnie inzwischen.)

»Das ist nicht wahr. Sehen Sie – er bewegt sich, auch wenn ich ihn gar nicht berühre.«

»Klopfen gefällt mir besser. Ich bitte ihn einfach, laut zu klopfen.«

Ronnie wandte sich an Mr Rycroft und fragte: »Klopfen gehört doch dazu, oder nicht, Sir?«

»Unter den gegebenen Umständen halte ich Klopfen für eher unwahrscheinlich«, antwortete Mr Rycroft trocken.

Eine Pause trat ein. Der Tisch bewegte sich nicht und beantwortete keine Fragen mehr.

»Ist Ida verschwunden?«

Der Tisch produzierte nur einen müden Ruck.

»Könnte bitte ein anderer Geist erscheinen?«

Nichts. Doch dann erbebte das Möbel und tat fast einen Sprung.

»Hurra! Bist du der neue Geist?«

»Ja.«

»Hast du eine Botschaft für einen von uns?«

»Ja.«

»Für mich?«

»Nein.«

»Für Violet?«

»Nein.«

»Für Major Burnaby?«

»Ja.«

»Für Sie, Major. Geist, bitte buchstabiere.«

Der Tisch geriet langsam ins Schaukeln.

»T-R-E-V – sollte das wirklich ein V sein? T-R-E-V – das ergibt keinen Sinn.«

»Das soll Trevelyan heißen, ist doch klar«, sagte Mrs Willett. »Captain Trevelyan.«

»Meinst du Captain Trevelyan?«

»Ja.«

»Du hast eine Botschaft für Captain Trevelyan?«

»Nein.«

»Was dann?«

Die rhythmischen Schaukelbewegungen, in die der Tisch nun geriet, waren so langsam, dass es nicht schwerfiel, die einzelnen Buchstaben abzuzählen.

»T …« Eine kurze Pause. »O-T.«

»Tot.«

»Jemand ist tot?«

Anstatt mit Ja oder Nein zu antworten, rückte der Tisch so lange, bis er den Buchstaben T erreicht hatte.

»T – meinst du Trevelyan?«

»Ja.«

»Trevelyan ist tot?«

Ein heftiger Ruck. »Ja.«

Einer der Anwesenden sog scharf die Luft ein, und alle am Tisch erwachten aus ihrer Starre.

Als Ronnie weiterfragte, klang seine Stimme plötzlich beklommen, ja fast ehrfürchtig.

»Soll das heißen, dass Captain Trevelyan tot ist?«

»Ja.«

Es wurde still. Niemand wusste, was man noch fragen könnte und wie man mit der unerwarteten Wendung umgehen sollte.

Während alles schwieg, begann der Tisch erneut zu rücken. Langsam und rhythmisch sprach Ronnie die Buchstaben nach.

M-O-R-D …

Mrs Willett schrie auf und nahm blitzschnell die Hände vom Tisch.

»Mir reicht es. Das ist ja grauenhaft.«

Mr Duke übernahm und stellte dem Tisch mit klarer, sonorer Stimme die nächste Frage.

»Soll das heißen, dass Trevelyan ermordet wurde?«

Kaum hatte er den Satz zu Ende gesprochen, kam auch schon die Antwort. Es war nur ein einziger Ruck, der jedoch so heftig ausfiel, dass der Tisch beinahe kippte.

»Ja …«

»Für meine Begriffe ist das ein übler Scherz«, sagte Ronnie mit zittriger Stimme und nahm ebenfalls die Hände von der Platte.

»Schalten Sie das Licht ein«, bat Mr Rycroft.

Major Burnaby erhob sich und knipste die Lampen an. In der plötzlichen Helle sah man einen Kreis bleicher, verstörter Gesichter.

Alle blickten sich an. Keiner wusste etwas zu sagen.

»Kompletter Blödsinn«, murmelte Ronnie mit einem gekünstelten Lachen.

»Unglaublich dumm«, sagte Mrs Willett. »Über den Tod macht man keine Witze.«

»Nein, damit darf man wirklich nicht scherzen«, pflichtete Violet ihrer Mutter bei. »Das ist – also, das ist widerlich.«

»Ich schwöre, dass ich nicht geschoben habe!«, rief Ronnie, der sich einem unausgesprochenen Vorwurf ausgesetzt sah.

»Dasselbe gilt für mich«, erklärte Mr Duke. »Für Sie auch, Mr Rycroft?«

»Selbstverständlich«, erwiderte Mr Rycroft sehr freundlich.

»Sie glauben doch nicht, dass ich zu einem so geschmacklosen Scherz fähig wäre«, knurrte Major Burnaby.

»Violet, Liebes …«

»Ich habe nichts gemacht, Mutter. So etwas würde ich nie tun.«

Die junge Frau war den Tränen nahe.

Alle blickten verlegen zu Boden. Plötzlich lag ein dunkler Schatten auf der fröhlichen Gesellschaft.

Major Burnaby schob seinen Stuhl zurück, trat ans Fenster, zog den Vorhang zur Seite und sah, mit dem Rücken zu den anderen, hinaus.

»Fünf vor halb sechs«, sagte Mr Rycroft nach einem Blick zur Standuhr und verglich die Zeit mit der auf seiner eigenen Uhr. Irgendwie erschien diese Maßnahme allen bedeutungsvoll.

»So, jetzt gönnen wir uns einen Cocktail«, sagte Mrs Willett gezwungen fröhlich. »Wenn Sie klingeln würden, Mr Garfield …«

Ronnie folgte ihrer Bitte.

Die Cocktailzutaten wurden gebracht, und man ernannte Ronnie zum Mixer. Nach und nach entspannte sich die Atmosphäre etwas.

»Zum Wohl!« Ronnie hob sein Glas.

Auch alle anderen prosteten sich zu – nur die stumme Gestalt am Fenster nicht.

»Ihr Cocktail, Major Burnaby.«

Der Major fuhr zusammen und drehte sich langsam um.

»Danke, Mrs Willett, für mich bitte nicht.« Nachdem er noch einmal in den Abend hinausgeblickt hatte, kehrte er langsam zu der Gruppe am Kamin zurück. »Vielen Dank für den angenehmen Aufenthalt. Gute Nacht.«

»Sie gehen?«

»So ist es.«

»Doch nicht schon jetzt! Noch dazu an einem solchen Abend!«

»Ich bedaure, Mrs Willett, aber es muss sein. Wenn es hier nur ein Telefon gäbe!«

»Ein Telefon?«

»Ja. Ich bin ehrlich gesagt – also, ich möchte mich davon überzeugen, dass Captain Trevelyan wohlauf ist. Reiner Aberglaube oder wie Sie es auch immer nennen mögen, aber so ist es eben. Ich messe diesem Unsinn zwar nicht die geringste Bedeutung bei, aber …«

»Sie können hier nirgendwo telefonieren. Es gibt in ganz Sittaford keinen einzigen Apparat.«

»Das ist es ja gerade. Und weil ich nicht telefonieren kann, muss ich persönlich hin.«

»Bei diesen Straßenverhältnissen kommt kein Auto durch. An so einem Abend fährt Elmer Sie garantiert nicht.«

Elmer, der einzige Autobesitzer in Sittaford, vermietete seinen alten Ford zu einem ansehnlichen Preis an Dorfbewohner, die nach Exhampton wollten.

»Nein, nein, natürlich nicht mit dem Auto. Ich gehe zu Fuß.«

Er erntete lautstarken Protest.

»Das ist völlig ausgeschlossen, Major Burnaby. Sie haben selbst gesagt, dass es wieder schneien wird.«

»Erst in einer Stunde oder noch später. Keine Sorge, das schaffe ich schon.«

»Das lassen wir nicht zu!«

Mrs Willett war zutiefst besorgt, ja fast empört.

Doch weder Argumente noch Bitten konnten den Major umstimmen. Stur, wie er war, ließ er sich von einem einmal gefassten Entschluss niemals abbringen.

Er hatte entschieden, nach Exhampton zu laufen, um sich vom Wohlergehen seines alten Freunds Trevelyan zu überzeugen, und wiederholte diese schlichte Aussage gut und gern fünf-, sechsmal.

Nach und nach wurde den anderen klar, dass er es ernst meinte. Er packte sich in seinen Mantel, entzündete die Sturmlaterne und trat in die Nacht hinaus.

»Ich hole vorher noch bei mir zu Hause meinen Flachmann, dann geht es los«, sagte er fröhlich. »Übernachten kann ich bei Trevelyan. Eigentlich völlig unnötig das Ganze, es ist bestimmt alles in Ordnung. Aber machen Sie sich keine Sorgen, Mrs Willett, in ein paar Stunden bin ich dort, egal ob es schneit oder nicht. Gute Nacht.«

Er stapfte davon, während die anderen zum Feuer zurückkehrten.

Nachdem er kurz den Himmel betrachtet hatte, wandte sich Mr Rycroft zu Mr Duke und murmelte:

»Es wird wieder schneien, und zwar lang bevor er Exhampton erreicht hat. Ich kann nur hoffen, dass ihm unterwegs nichts passiert.«

Duke runzelte die Stirn.

»Ich hätte mitgehen sollen. Einer von uns hätte ihn begleiten müssen.«

»Eine schreckliche Geschichte, einfach schrecklich«, jammerte Mrs Willett. »Dieses dumme Spiel wird hier nie wieder veranstaltet, Violet. Wahrscheinlich gerät der arme Major in eine Schneewehe oder holt sich den Tod in dieser Kälte. Und das in seinem Alter! Ein Irrsinn, einfach loszuziehen. Captain Trevelyan befindet sich bestimmt bei bester Gesundheit.«

»Ganz sicher, ganz sicher«, tönte es aus der Runde.

Doch das allgemeine Unbehagen blieb.

Was, wenn dem Captain doch etwas zugestoßen war …

Das Geheimnis von Sittaford

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