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II

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Es war mehr als eine Woche vergangen, als Luke, der gedankenverloren die Titelseite der Times überflog, einen plötzlichen Ausruf der Verwunderung ausstieß.

»Hol mich doch der Teufel!«

Jimmy Lorrimer schaute auf.

»Was gibt’s?«

Luke antwortete nicht. Sein Blick war an einem Namen hängengeblieben.

Jimmy wiederholte seine Frage.

Luke hob den Kopf und sah seinen Freund an. Sein Gesichtsausdruck war so eigenartig, dass Jimmy regelrecht erschrak.

»Was ist los, Luke? Du machst ja ein Gesicht, als hättest du gerade ein Gespenst gesehen!«

Ein, zwei Minuten lang gab Luke keine Antwort. Er legte die Zeitung aus der Hand, schlenderte ans Fenster und kehrte dann wieder zurück. Jimmy beobachtete ihn mit zunehmender Verblüffung.

Luke ließ sich in einen Sessel fallen und beugte sich vor.

»Jimmy, alter Knabe, erinnerst du dich, dass ich eine alte Dame erwähnte, mit der ich im Zug nach London gesessen hatte – gleich am Tag meiner Ankunft?«

»Die, von der du meintest, sie hätte dich an deine Tante Mildred erinnert? Und dann überfahren wurde?«

»Die meine ich. Hör zu, Jimmy. Das alte Mädchen tischte mir eine lange Geschichte auf, sie sei auf dem Weg zu Scotland Yard, um einen ganzen Schwung Morde anzuzeigen. In ihrem Dorf ginge ein Meuchelmörder um – darauf lief das Ganze hinaus –, und er schien ganz schön schnell zuzuschlagen.«

»Du hattest mir nicht erzählt, dass sie plemplem war«, sagte Jimmy.

»Ich hatte sie auch nicht dafür gehalten.«

»Ach, komm schon, alter Knabe, Mord en gros …«

Ungeduldig entgegnete Luke:

»Ich habe sie nicht für übergeschnappt gehalten. Ich dachte, dass sie einfach ihrer Phantasie die Zügel schießen ließ, wie das alte Damen mitunter zu tun pflegen.«

»Na gut, schön, so könnte es gewesen sein. Ich meine allerdings, dass sie wahrscheinlich auch ein bisschen weich in der Birne war.«

»Vergiss jetzt mal kurz, was du meinst, Jimmy. Momentan bin ich derjenige, der dir was erzählt, einverstanden?«

»Oh, sicher – sicher, red nur weiter.«

»Sie ging ziemlich ins Detail, erwähnte die Namen von ein, zwei Opfern, und dann erklärte sie, was sie wirklich erschüttert habe, sei die Tatsache, dass sie wusste, wer das nächste Opfer sein würde.«

»Ja?«, sagte Jimmy in anspornendem Ton.

»Manchmal bleibt einem ein Name aus ganz blödsinnigen Gründen im Gedächtnis. Dieser bestimmte Name ist bei mir deswegen hängengeblieben, weil ich ihn mit einem albernen Liedchen in Verbindung gebracht hatte, das man mir als Kind oft vorsang: Tandara-di, tandara-dam, die Hummel, sie nahm sich den Brummer zum Mann.«

»Regelrecht tiefsinnig, keine Frage, aber worauf willst du hinaus?«

»Hinaus, mein hochgeschätzter Hohlkopf, will ich darauf, dass der Name des Mannes Humbleby war – Dr. Humbleby. Meine alte Dame erklärte, Dr. Humbleby würde der Nächste sein, und sie war darüber tief bekümmert, weil er ›so ein guter Mensch‹ sei. Der Name blieb mir wegen oben erwähnten Liedchens im Gedächtnis.«

»Und?«, sagte Jimmy.

»Und jetzt schau dir das mal an.«

Luke reichte ihm die Zeitung, wobei er den Finger auf eine bestimmte Stelle in den Todesanzeigen hielt.

HUMBLEBY. – Am 13. Juni verstarb unerwartet auf seinem Wohnsitz Sandgate, Wychwood-under-Ashe, Dr. med. JOHN EDWARD HUMBLEBY, geliebter Gatte der JESSIE ROSE HUMBLEBY. Bestattung am Freitag. Von Blumenspenden bitten wir abzusehen.

»Siehst du, Jimmy? Derselbe Name, derselbe Ort, und er ist Arzt. Was sagst du dazu?«

Jimmy antwortete nicht sofort. Seine Stimme war ernst, als er endlich, nicht sonderlich überzeugt, sagte:

»Ich würde meinen, das ist einfach ein verdammt komischer Zufall.«

»Wirklich, Jimmy? Wirklich? Ist das alles, was dir dazu einfällt?«

Luke begann wieder, auf und ab zu marschieren.

»Was könnte es denn sonst sein?«, fragte Jimmy.

Luke drehte sich abrupt um.

»Angenommen, jedes einzelne Wort, das dieses liebe alte Schaf mir vorgeblökt hat, war wahr? Angenommen, diese hanebüchene Geschichte war schlicht und einfach die reine, lautere Wahrheit?«

»Ach, jetzt komm schon, alter Knabe! Das wäre schon ein ziemlicher Klops! Solche Dinge passieren nicht.«

»Und was war mit dem Fall Abercrombie? Soll der Bursche nicht eine ganz schöne Menge Leute um die Ecke gebracht haben?«

»Mehr, als offiziell bekannt wurde«, sagte Jimmy. »Der Cousin eines Freundes von mir war der damals zuständige Coroner. Durch ihn habe ich einiges erfahren. Drangekriegt hat man Abercrombie dafür, dass er den örtlichen Tierarzt mit Arsen gefüttert hatte, dann hat man seine Frau exhumiert, und sie war randvoll von dem Zeug, und es ist ziemlich sicher, dass sein Schwager auf dieselbe Weise das Zeitliche segnete – und das waren keineswegs alle, bei weitem nicht. Besagter Freund meinte, die inoffizielle Ansicht laute, dass Abercrombie seinerzeit wenigstens fünfzehn Menschen um die Ecke brachte. Fünfzehn!«

»Ganz genau. Solche Dinge passieren also doch.«

»Ja, aber sie passieren nicht häufig.«

»Woher willst du das wissen? Sie könnten ohne weiteres erheblich häufiger passieren, als du annimmst.«

»Da spricht der Polizei-Sahib! Kannst du nicht endlich vergessen, dass du Polizist bist – wenigstens jetzt, wo du gar keiner mehr bist?«

»Einmal Polizist, immer Polizist, schätze ich«, sagte Luke. »Jetzt stell dir mal vor, Jimmy, bevor Abercrombie so leichtsinnig wurde, die Polizei geradezu mit der Nase auf seine Morde zu stoßen, hätte irgendeine reizende, geschwätzige alte Jungfer einfach so erraten, was er da trieb, und wäre losgetrabt und hätte der zuständigen Behörde die ganze Sache gemeldet. Glaubst du, man hätte ihr zugehört?«

Jimmy grinste.

»Nicht im Traum!«

»Ganz genau. Sie hätten gesagt, dass sie nicht ganz dicht sei im Oberstübchen. Genau wie du gesagt hast! Oder sie hätten gesagt: ›Zu viel Phantasie; zu wenig Beschäftigung.‹ Wie ich gesagt habe! Und beide, Jimmy, hätten wir falschgelegen!«

Lorrimer dachte kurz nach und sagte dann:

»Wie ist die Sachlage genau – so, wie sie sich dir darstellt?«

Bedächtig antwortete Luke:

»Die Sache sieht so aus: Ich habe eine Geschichte gehört – eine unwahrscheinliche, aber nicht unmögliche Geschichte. Ein gesichertes Ereignis – der Tod Dr. Humblebys – untermauert diese Geschichte. Und es gibt noch eine zweite bedeutsame Tatsache: Miss Pinkerton wollte ihre unwahrscheinliche Geschichte Scotland Yard unterbreiten. Doch sie kam nicht mehr dazu. Sie wurde von einem Auto überfahren, das anschließend verschwunden ist.«

Jimmy wandte ein:

»Dass sie es nicht zu Scotland Yard geschafft hat, weißt du gar nicht, Sie könnte ebenso gut nach ihrem Gespräch mit der Polizei überfahren worden sein.«

»Könnte sie, ja – aber das glaube ich nicht.«

»Das ist reine Mutmaßung. Letzten Endes läuft es doch nur darauf hinaus: Du glaubst an diese – an dieses Melodram!«

Luke schüttelte entschieden den Kopf.

»Nein, so ist es nicht. Ich sage lediglich, dass ein Anfangsverdacht besteht.«

»Mit anderen Worten, du wirst zu Scotland Yard gehen.«

»Nein, so weit sind wir noch nicht – nicht annähernd so weit. Wie du selbst sagst, könnte der Tod dieses Humbleby purer Zufall gewesen sein.«

»Was hast du dann vor, wenn ich fragen darf?«

»Ich habe vor, in dieses Dorf zu fahren und mir die Sache aus der Nähe anzusehen.«

»Das ist also deine Idee?«

»Bist du etwa nicht auch der Meinung, dass das die einzig vernünftige Vorgehensweise ist?«

Jimmy starrte ihn an. Dann sagte er:

»Ist es dir wirklich ernst damit, Luke?«

»Vollkommen.«

»Und was, wenn sich die ganze Sache als Windei entpuppt?«

»Das wäre das Beste, was passieren könnte, nicht?«

»Zugegeben, ja …« Jimmy runzelte die Stirn. »Aber du glaubst es nicht, stimmt’s?«

»Ich versuche, für alle Möglichkeiten offen zu bleiben, mein Freund.«

Jimmy schwieg eine Zeitlang. Schließlich sagte er:

»Hast du einen Plan? Ich meine, du wirst schon irgendeinen Grund dafür brauchen, dort plötzlich aufzutauchen.«

»Ja, das werde ich wohl.«

»Das ›wohl‹ kannst du dir schenken. Hast du auch nur eine Ahnung, wie es in einem englischen Provinznest zugeht? Jeder Fremde fällt da auf wie ein bunter Hund!«

»Ich werde eine falsche Identität brauchen«, sagte Luke mit einem plötzlichen Grinsen. »Was schlägst du vor? Künstler? Kaum – ich kann nicht zeichnen, noch viel weniger malen.«

»Du könntest ja als moderner Künstler auftreten«, schlug Jimmy vor. »Dann fiele das gar nicht auf.«

Aber Luke ließ sich nicht ablenken.

»Schriftsteller vielleicht? Quartieren sich Schriftsteller in Dorfgasthöfen ein, um zu schreiben? Zumindest spräche wohl nichts ausdrücklich dagegen. Oder vielleicht Angler? Aber dann müsste ich erst eruieren, ob es einen passenden Fluss in der Nähe gibt. Oder ein Rekonvaleszenter, dem Landluft verschrieben wurde? Aber danach sehe ich nicht aus, außerdem geht heutzutage doch jeder eher in ein Sanatorium. Ich könnte ja auf der Suche nach einem Häuschen im Grünen sein. Aber das ist auch nicht besonders gut … Ach, zum Teufel, Jimmy, es muss doch irgendeinen plausiblen Grund dafür geben, warum ein kerngesunder Fremder ein englisches Dorf heimsuchen könnte!«

Jimmy sagte:

»Moment mal – gib mir noch mal die Zeitung.«

Er warf einen kurzen Blick hinein und verkündete dann in triumphierendem Ton:

»Hatte ich doch richtig in Erinnerung! Luke, alter Knabe – kurz und gut, ich habe die Lösung. Das wird kinderpuppenleicht!«

Luke drehte sich nach ihm um.

»Was?«

Jimmy fuhr mit bescheidenem Stolz fort:

»Das war mir doch gleich so bekannt vorgekommen! Wychwood-under-Ashe. Natürlich! Genau der Ort!«

»Hast du, rein zufällig, einen Freund, der den dortigen Coroner kennt?«

»Diesmal nicht. Aber viel besser, mein Junge. Wie du weißt, hat mich Mutter Natur mit einer Fülle von Tanten, Onkeln und zugehörigen Verwandten gesegnet – sintemal mein alter Herr einer dreizehnköpfigen Familie entstammte. Jetzt hör dir das an: Ich habe eine Cousine in Wychwood-under-Ashe!«

»Jimmy, du bist schlicht unbezahlbar.«

»Gar nicht übel, was?«, sagte Jimmy bescheiden.

»Erzähl mir von ihr.«

»Sie heißt Bridget Conway. Die letzten zwei Jahre hat sie als Sekretärin für Lord Whitfield gearbeitet.«

»Den Besitzer dieser Schmuddel-Wochenblättchen?«

»Genau den. Der passend dazu ein ziemlich widerliches Männlein ist! Aufgeblasen! Er ist aus Wychwood-under-Ashe gebürtig, und als der typische Antisnob, der ständig mit seiner bescheidenen Herkunft hausieren geht und sich damit brüstet, es ganz allein nach oben geschafft zu haben, ist er in sein Heimatdorf zurückgekehrt, hat das einzige Herrenhaus in der Gegend gekauft – das, beiläufig gesagt, früher Bridgets Familie gehörte –, und ist jetzt dabei, das Ganze zu einem ›Modellgut‹ zu machen.«

»Und deine Cousine ist also seine Sekretärin.«

»War sie«, sagte Jimmy finster. »Jetzt ist sie eine Stufe aufgerückt: Sie ist mit ihm verlobt!«

»Oh«, sagte Luke ziemlich ernüchtert.

»Er ist natürlich ein kapitaler Fang«, sagte Jimmy. »Schwimmt in Geld. Bridget hatte mit irgendeinem Burschen eine Niete gezogen – hat ihr die Romantik ein für alle Mal ausgetrieben. Ich könnte mir vorstellen, dass das ein richtiges Happy End gibt: Sie wird ihn ziemlich an der Kandare halten, und er wird ihr aus der Hand fressen.«

»Und wie komme ich da ins Spiel?«

Jimmy antwortete, ohne zu zögern:

»Du quartierst dich dort ein – am besten als weiterer Cousin. Bridget hat so viele davon, dass es auf einen mehr oder weniger nicht ankommen wird. Ich spreche das haarklein mit ihr ab. Sie und ich hatten schon immer ein gutes Verhältnis. Und was den konkreten Grund deines Besuchs anbelangt – Hexerei, mein Junge!«

»Hexerei?«

»Folklore, Aberglaube – all so Zeug. Wychwood-under-Ashe hat diesbezüglich einen ziemlichen Ruf. Einer der letzten Orte, an denen ein Hexensabbat abgehalten wurde – noch im letzten Jahrhundert hat man dort Hexen verbrannt –, alle möglichen Sagen und Überlieferungen. Du arbeitest an einem Buch, verstehst du? Eine vergleichende Studie über die Sitten und Gebräuche der Mayang-Stämme einer- und alte englische Volksbräuche andererseits – Parallelen, Unterschiede und so weiter. Du weißt schon. Du spazierst mit einem Notizbuch durch die Gegend und befragst die ältesten Eingeborenen über Ortsbräuche und Traditionen. Die sind an derlei schon gewöhnt da unten, und wenn du in Ashe Manor wohnst, ist das die beste Empfehlung für dich.«

»Und was ist mit Lord Whitfield?«

»Der wird schon keine Schwierigkeiten machen. Er ist völlig ungebildet und hoffnungslos leichtgläubig – nimmt sogar das, was in seinen eigenen Käseblättern steht, für bare Münze. Aber Bridget wird ihn sowieso präparieren. Bridget ist ein patentes Mädchen. Für sie stehe ich ein.«

Luke tat einen tiefen Seufzer.

»Jimmy, alter Gauner, wie es aussieht, wird das ein Kinderspiel. Du bist unbezahlbar. Wenn du das wirklich mit deiner Cousine einfädeln kannst …«

»Das ist absolut kein Problem. Überlass das nur mir.«

»Ich bin dir ewig dankbar.«

Jimmy entgegnete:

»Ich hätte nur eine Bitte: Wenn du tatsächlich einen meuchlerischen Mörder zur Strecke bringst, lass mich beim Fangschuss dabei sein!«

Dann, unvermittelt:

»Was gibt’s?«

Luke antwortete nachdenklich:

»Mir fiel nur gerade etwas ein, was meine alte Dame im Zug gesagt hat. Ich hatte eingewendet, dass es doch wohl ein ziemliches Kunststück sein dürfte, mehrere Morde zu begehen und ungestraft davonzukommen, und sie antwortete, dass ich mich täuschte – dass es sehr einfach sei zu töten …« Er schwieg kurz und sagte dann langsam: »Ob das wirklich wahr ist, Jimmy? Ich frage mich, ob es wirklich …«

»Was?«

»Ob es wirklich leicht ist zu töten …«

Das Sterben in Wychwood

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