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4 Luke macht sich an die Arbeit

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Luke hatte sich seine Strategie ziemlich sorgfältig zurechtgelegt, und als er am nächsten Morgen zum Frühstück herunterkam, machte er sich innerlich bereit, sie ohne weitere Umstände in die Tat umzusetzen.

Die gärtnernde Tante war nicht in Sicht, aber Lord Whitfield aß gerade Hammelnierchen und trank dazu Kaffee, und Bridget Conway, die schon fertig gegessen hatte, stand am Fenster und schaute nach draußen.

Nachdem man sich einen guten Morgen gewünscht und Luke mit einem üppig gefüllten Teller Eier und Speck Platz genommen hatte, tat er den ersten Schritt.

»Ich muss mich an die Arbeit machen«, sagte er. »Die Schwierigkeit ist, die Leute zum Reden zu bringen. Sie wissen schon, was ich meine, nicht Leute wie Sie und – äh – Bridget.« Er dachte gerade noch rechtzeitig daran, nicht »Miss Conway« zu sagen. »Sie würden mir zwar alles erzählen, was sie wissen – das Problem ist, dass sie die Dinge nicht wissen, über die ich etwas erfahren möchte, nämlich die hiesigen abergläubischen Bräuche und Vorstellungen. Man sollte es nicht für möglich halten, wie viel Aberglaube in abgelegenen Gegenden noch fortbesteht! Da ist zum Beispiel ein Dorf in Devonshire. Der Pfarrer musste ein paar Granit-Menhire, die in der Nähe der Kirche standen, entfernen lassen, weil die Leute darauf beharrten, sie, jedes Mal wenn es einen Todesfall gab, rituell zu umwandeln. Verblüffend, wie hartnäckig sich heidnische Bräuche halten.«

»Schätze, Sie haben recht«, sagte Lord Whitfield. »Bildung, das ist es, was die Leute brauchen. Hab ich Ihnen eigentlich schon erzählt, dass ich eine ausgezeichnete Bibliothek hier vor Ort gestiftet habe? War früher das alte Herrenhaus – stand für einen Apfel und ein Ei zum Verkauf –, und jetzt ist es eine der besten Bibliotheken …«

Luke trat der Neigung des Gespräches, sich in Richtung von Lord Whitfields Heldentaten zu wenden, entschlossen entgegen.

»Prächtig«, sagte er jovial. »Eine gute Tat. Sie haben offensichtlich erkannt, welche grundsätzliche Rückständigkeit und Ignoranz hier noch herrschen. Von meiner Warte aus betrachtet, ist es natürlich ideal – genau das, was ich suche: überlieferte Bräuche, Ammenmärchen, Hinweise auf alte Rituale wie zum Beispiel …«

Es folgte die fast wörtliche Wiedergabe einer ganzen Seite aus einem einschlägigen Werk, mit dem sich Luke auf seine Rolle vorbereitet hatte.

»Todesfälle sind der erfolgversprechendste Anknüpfungspunkt«, schloss er. »Bestattungsriten und -bräuche gehören stets zu den langlebigsten Überlieferungen. Außerdem reden Dorfbewohner, aus welchem Grund auch immer, für ihr Leben gern über Todesfälle.«

»Sie lieben Beerdigungen«, pflichtete Bridget ihm vom Fenster aus bei.

»Deswegen dachte ich, ich setze genau dort an«, fuhr Luke fort. »Wenn ich mir eine Liste der in letzter Zeit verstorbenen Gemeindemitglieder beschaffen kann, deren Verwandte ausfindig mache und mit ihnen ins Gespräch komme, bin ich sicher, dass ich schon bald auf Kurioses stoßen werde. An wen sollte ich mich wegen der Daten am besten wenden – den Pfarrer?«

»Mr Wake wäre wahrscheinlich sehr interessiert«, sagte Bridget. »Er ist ein ausgesprochen liebenswerter alter Mann und dazu selbst ein halber Altertumsforscher. Ich stelle mir vor, dass er Ihnen eine Menge Material liefern könnte.«

Luke wurde leicht mulmig zumute, und er hoffte, dass der Geistliche kein so bewanderter Hobbyforscher war, dass er ihn gleich als Schwindler entlarven würde.

Laut sagte er:

»Gut. Sie wissen nicht zufällig, wer alles während des letzten Jahres gestorben ist?«

Bridget murmelte:

»Lassen Sie mich nachdenken … Carter natürlich. Er war der Wirt des Seven Stars, dieser üblen kleinen Pinte unten am Fluss.«

»Ein Säufer und Grobian«, sagte Lord Whitfield. »Einer dieser rüpelhaften sozialistischen Lästermäuler und wahrlich kein Verlust.«

»Dann Mrs Rose, die Wäscherin«, fuhr Bridget fort. »Und der kleine Tommy Pierce – er war ein richtiger kleiner Flegel. Ach ja, und dann natürlich dieses Mädchen, Amy Sowieso.«

Beim letzten Namen veränderte sich ihre Stimme leicht.

»Amy?«, wiederholte Luke.

»Amy Gibbs. Sie war hier Hausmädchen, und dann ist sie zu Miss Waynflete gewechselt. Wegen ihres Todes hat es eine gerichtliche Untersuchung gegeben.«

»Wieso das?«

»Die dumme Gans hat im Dunkeln zwei Flaschen verwechselt«, sagte Lord Whitfield.

»Sie hat Hutfarbe getrunken in der Annahme, es sei Hustensaft«, erklärte Bridget.

Luke hob die Augenbrauen.

»Ziemlich tragische Geschichte.«

Bridget sagte:

»Es wurde nicht ausgeschlossen, dass sie es absichtlich getan hatte. Ein Streit mit einem jungen Mann …«

Sie sprach langsam, fast widerwillig.

Es entstand eine Pause. Luke spürte instinktiv, dass es etwas Unausgesprochenes gab, das die Atmosphäre belastete.

Er dachte:

Amy Gibbs? Ja, das war einer der Namen, die die alte Miss Pinkerton erwähnte.

Sie hatte auch einen kleinen Jungen erwähnt – Tommy Sowieso –, von dem sie offensichtlich sehr wenig gehalten hatte. (Darin stimmte Bridget, wie es aussah, mit ihr überein!) Und ja, auch der Name Carter – er war sich fast sicher – war in dem Zusammenhang gefallen.

Während er aufstand, sagte er im Plauderton:

»Ich komme mir leicht leichenfledderisch vor, solche Gespräche zu führen – als triebe ich mich mit Vorliebe auf Friedhöfen herum! Hochzeitsriten sind auch sehr interessant – aber ohne konkreten Anlass eher schwer zum Gegenstand eines Gespräches zu machen.«

»Das kann ich mir allerdings vorstellen«, sagte Bridget, und ihre Lippen zuckten.

»Verwünschung und böser Blick sind ein weiteres interessantes Thema«, fuhr Luke mit vorgetäuschter Begeisterung fort. »Häufig anzutreffen in solchen abgeschiedenen ländlichen Gegenden. Ihnen sind nicht zufällig entsprechende Gerüchte bekannt?«

Lord Whitfield schüttelte langsam den Kopf. Bridget Conway bemerkte:

»Von solchen Dingen würde man kaum in unserer Anwesenheit reden –«

Luke entgegnete so prompt, dass er ihr fast ins Wort fiel:

»Keine Frage, um fündig zu werden, muss ich mich schon in andere gesellschaftliche Schichten hinabbegeben. Zunächst einmal werde ich zum Pfarrhaus gehen und sehen, was ich dort in Erfahrung bringen kann. Anschließend vielleicht eine Stippvisite im – Seven Stars, sagten Sie? Und was ist mit dem kleinen Jungen von fragwürdigem Betragen? Hat er irgendwelche trauernden Angehörigen hinterlassen?«

»Mrs Pierce betreibt einen Tabak- und Schreibwarenladen auf der High Street.«

»Das«, sagte Luke, »trifft sich ganz hervorragend. Dann mache ich mich auf den Weg.«

Mit einer geschmeidigen, anmutigen Bewegung rückte Bridget vom Fenster ab.

»Ich glaube«, sagte sie, »ich komme mit, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Selbstverständlich nicht!«

Er sagte es so überzeugend wie möglich, doch er fragte sich, ob sie möglicherweise bemerkt hatte, dass er, ganz kurz nur, erschrocken war.

Einen altertumskundlich interessierten älteren Geistlichen zu täuschen wäre ihm ohne eine aufmerksame, intelligente Beobachterin an seiner Seite sicherlich leichter gefallen.

Was soll’s, dachte er bei sich. Dann werde ich mir eben Mühe geben müssen, meine Rolle möglichst glaubhaft zu spielen!

»Könnten Sie noch einen Augenblick warten, Luke, während ich andere Schuhe anziehe?«, fragte Bridget.

Luke – der so unbefangen ausgesprochene Vorname verschaffte ihm ein seltsam wohliges Gefühl. Aber wie hätte sie ihn schließlich sonst anreden können? Da sie eingewilligt hatte, ihn, Jimmys Bitte entsprechend, als entfernten Cousin zu behandeln, konnte sie ihn schlecht »Mr Fitzwilliam« nennen! Plötzlich kam ihm der unbehagliche Gedanke: Was mag sie von der ganzen Sache halten? Was in Gottes Namen mag sie nur denken?

Komisch, dass ihn das bis dahin überhaupt nicht interessiert hatte! Jimmys Cousine war lediglich eine bequeme Abstraktion gewesen – etwas wie eine Gliederpuppe. Er hatte sich keinerlei konkretes Bild von ihr gemacht, sondern sich lediglich auf Jimmys Zusicherung verlassen, Bridget sei »ein patentes Mädchen«.

Er hatte sie sich – wenn er überhaupt einen Gedanken an sie verschwendet hatte – als eine kleine blonde Tippse vorgestellt, immerhin geschickt genug, um einem reichen Mann den Kopf zu verdrehen.

Stattdessen hatte er es jetzt mit Willenskraft zu tun, einem wachen Verstand, einem kühlen, klaren Kopf – und er hatte keine Ahnung, was diese junge Frau von ihm hielt. Er dachte: Sie ist kein Mensch, der leicht zu täuschen wäre.

»Ich bin so weit.«

Sie war so leise zurückgekommen, dass er sie gar nicht gehört hatte. Sie trug keinen Hut und kein Haarnetz. Als sie aus dem Haus traten, fuhr ihr der Wind, um die Ecke der zinnenbewehrten Scheußlichkeit fegend, in die schwarze Mähne und ließ sie um ihr Gesicht jäh aufflattern.

Sie sagte lächelnd:

»Ich muss Ihnen schließlich den Weg zeigen …«

»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, entgegnete er förmlich.

Und fragte sich, ob er sich diesen Anflug eines ironischen Lächelns nur eingebildet hatte.

Mit einem Blick auf die nachgemachte Trutzburg hinter ihnen sagte er gereizt:

»Was für eine Monstrosität! Konnte ihn denn niemand davon abhalten?«

Bridget erwiderte:

»Eines Engländers Haus ist seine Burg – in Gordons Fall sogar wortwörtlich! Er liebt es heiß und innig.«

Wohl wissend, dass es ungehörig war, aber unfähig, seine Zunge zu zügeln, sagte er:

»Das ist doch Ihr altes Zuhause, nicht wahr? Lieben Sie es auch ›heiß und innig‹, es in diesem Zustand zu sehen?«

Sie bedachte ihn mit einem ruhigen, leicht belustigten Blick.

»Es tut mir leid, das melodramatische Bild zu zerstören, das Sie da entwerfen«, sagte sie, »aber tatsächlich war ich zweieinhalb, als ich von hier weggezogen bin. Das Motiv vom ›alten Zuhause‹ trifft also kaum zu. Ich kann mich nicht einmal erinnern, wie es damals aussah.«

»Sie haben recht«, sagte Luke. »Verzeihen Sie mir den Ausrutscher ins kinohaft Abgeschmackte!«

Sie lachte.

»Die Wahrheit«, sagte sie, »ist selten romantisch.«

Und plötzlich schwang in ihrer Stimme ein bitterer Hohn, der ihn erschreckte. Prompt wurde er krebsrot unter seiner Sonnenbräune, dann allerdings begriff er, dass die Bitterkeit nicht gegen ihn gerichtet gewesen war. Ihr Hohn und ihre Bitterkeit galten ihr selbst. Luke war so klug, nichts weiter zu sagen. Aber Bridget Conway wurde ihm immer rätselhafter …

Fünf Minuten Weges brachten sie zur Kirche und dem daran angrenzenden Pfarrhaus. Sie trafen den Pfarrer in seinem Studierzimmer an.

Alfred Wake war ein kleiner, gebeugter alter Mann mit sehr milden blauen Augen und einer zugleich zerstreuten und verbindlichen Art. Der Besuch schien ihn zu erfreuen, aber auch ein wenig zu verwundern.

»Mr Fitzwilliam ist zurzeit unser Gast auf Ashe Manor«, sagte Bridget, »und er bräuchte Auskünfte wegen eines Buches, das er schreibt.«

Mr Wake richtete seine milde fragenden Augen auf den jüngeren Mann, der sich sofort in Erklärungen stürzte.

Luke war nervös – und zwar gleich doppelt. Erstens, weil dieser Mann zweifellos ein weit umfangreicheres und fundierteres Wissen über Folklore und abergläubische Riten und Gebräuche besaß, als ein Laie sich durch die Lektüre einer zufälligen Auswahl von Büchern auf die Schnelle aneignen konnte. Und zweitens war er nervös, weil Bridget Conway dabeistand und zuhörte.

Zu Lukes großer Erleichterung stellte sich heraus, dass Mr Wakes besonderes Interesse römischen Ruinen galt. Er gestand bescheiden, dass er nur sehr wenig über mittelalterliche Folklore und Hexerei wusste. Er erwähnte gewisse Ereignisse in der Geschichte von Wychwood, bot Luke an, ihn zu der Hügelkuppe zu führen, auf der angeblich die Hexensabbate abgehalten worden waren, erklärte sich aber zu seinem Bedauern für außerstande, dem wenigen eigene Beobachtungen oder Erkenntnisse hinzuzufügen.

Innerlich aufatmend, bekundete Luke nach außen hin eine gewisse Enttäuschung, um sogleich zum Thema abergläubische Bräuche rund um das Sterbebett überzuleiten.

Mr Wake schüttelte sanft den Kopf.

»Ich fürchte, ich wäre der Letzte, der von solchen Dingen erfahren würde. Meine Pfarrkinder achten mit Sicherheit streng darauf, dass mir nichts Ungehöriges zu Ohren kommt.«

»Da haben Sie natürlich recht.«

»Dennoch zweifle ich nicht daran, dass der Aberglaube hier noch immer grassiert. Ländliche Gemeinden sind sehr rückständig.«

Luke sprang ins kalte Wasser.

»Ich hatte Miss Conway um eine Liste aller Personen gebeten, die, soweit sie sich erinnern kann, in letzter Zeit gestorben sind. Ich dachte, ich könnte auf diesem Wege vielleicht etwas herausfinden. Ich vermute, Sie könnten mir eine vollständige Liste zur Verfügung stellen, sodass ich die wahrscheinlichsten Kandidaten heraussuchen könnte.«

»Ja … ja … das ließe sich einrichten. Giles, unser Küster, ein braver Bursche, wenn auch leider taub, kann Ihnen da behilflich sein. Lassen Sie mich nachdenken. Es hat eine ganze Reihe von Todesfällen gegeben – eine ganze Reihe – ein trügerischer Frühling und davor ein harter Winter – und dann ziemlich viele Unfälle – eine richtige Unglücksserie, könnte man sagen.«

»Manchmal«, sagte Luke, »wird eine Unglücksserie auf die Anwesenheit einer bestimmten Person zurückgeführt.«

»Ja, ja. Die alte Jona-Geschichte. Aber ich glaube nicht, dass in letzter Zeit Fremde im Ort waren – keine, die in irgendeiner Weise aufgefallen wären, meine ich, und mit Sicherheit ist mir kein solches Gerücht zu Ohren gekommen –, aber das hat, wie schon gesagt, wahrscheinlich nichts zu bedeuten. Jetzt lassen Sie mich einmal nachdenken – in jüngster Zeit haben uns Dr. Humbleby und die arme Lavinia Pinkerton verlassen –, ein guter Mann, Dr. Humbleby …«

»Mr Fitzwilliam«, warf Bridget ein, »ist mit Freunden von ihm bekannt.«

»Ach, wirklich? Sehr traurig. Er wird eine große Lücke hinterlassen. Ein Mann mit vielen Freunden.«

»Aber bestimmt auch mit einigen Feinden«, sagte Luke. »Das schließe ich nur aus gewissen Bemerkungen meiner Freunde«, fügte er hastig hinzu.

Mr Wake seufzte.

»Ein Mann, der mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hielt – und ein Mann, der nicht immer, sagen wir mal, besonders taktvoll war …« Er schüttelte den Kopf. »Das kann schon manche in Harnisch bringen. Aber bei den bedürftigeren Klassen war er äußerst beliebt.«

Luke sagte im Plauderton:

»Also wenn Sie mich fragen, ist eine der unersprießlichsten Beobachtungen, die man im Leben machen kann, die Tatsache, dass jeder Todesfall irgendjemandem nützt – ich meine das nicht nur im finanziellen Sinne.«

Der Pfarrer nickte nachdenklich.

»Ich verstehe, was Sie meinen, ja. In Todesanzeigen heißt es immer wieder, der Verstorbene werde von allen betrauert, aber ich fürchte, das dürfte in Wirklichkeit nur sehr selten zutreffen. In Dr. Humblebys Fall lässt sich nicht bestreiten, dass Dr. Thomas vom Ableben seines Sozius sehr profitieren wird.«

»Wieso das?«

»Ich bin davon überzeugt, dass Thomas ein sehr fähiger Bursche ist – Humbleby hat das jedenfalls immer wieder betont –, aber er kam hier nicht sonderlich gut zurecht. Er stand, glaube ich, immer im Schatten Humblebys, der ein Mann mit einer starken Ausstrahlung war. Neben ihm wirkte Thomas recht farblos. Er beeindruckte seine Patienten einfach nicht. Das hat ihm, glaube ich, zu schaffen gemacht und verschlimmerte die Sache nur noch – er bekam vor Nervosität kaum einen Satz heraus. Tatsächlich habe ich schon jetzt eine erstaunliche Veränderung an ihm festgestellt. Mehr Aplomb – mehr Persönlichkeit. Ich meine, bei ihm eine neue Selbstsicherheit zu spüren. Er und Humbleby waren, glaube ich, nicht immer einer Meinung. Thomas war für alle neuen Behandlungsmethoden aufgeschlossen, während Humbleby es vorzog, beim Altbewährten zu bleiben. Es kam mehr als einmal zu einem richtigen Krach zwischen den beiden – sowohl wegen dieser Frage als auch … aus persönlicheren Gründen. Aber ich sollte nicht tratschen …«

Leise, aber vernehmlich sagte Bridget:

»Ich glaube allerdings, dass Mr Fitzwilliam sich genau das von Ihnen wünscht!«

Luke warf ihr einen kurzen, betretenen Blick zu.

Mr Wake schüttelte zweifelnd den Kopf und fuhr dann mit einem kleinen entschuldigenden Lächeln fort:

»Ich fürchte, man gewöhnt sich an, sich allzu sehr für die Privatangelegenheiten seiner Nachbarn zu interessieren. Rose Humbleby ist ein sehr hübsches Mädchen. Es wundert einen nicht, dass Geoffrey Thomas sein Herz verloren hat. Und natürlich war auch Humblebys Standpunkt absolut nachvollziehbar – das Mädchen ist jung und hier so behütet aufgewachsen, dass es kaum Gelegenheit hatte, andere Männer kennenzulernen.«

»Er war also dagegen?«, fragte Luke.

»Sogar sehr entschieden. Meinte, die beiden wären zu jung. Und natürlich hören junge Leute so etwas überhaupt nicht gern! Zwischen den zwei Männern herrschte eine äußerst kühle Atmosphäre. Aber ich zweifle nicht daran, dass der unerwartete Tod seines Sozius Dr. Thomas schwer getroffen hat.«

»Blutvergiftung, sagte Lord Whitfield.«

»Ja – nur ein kleiner Kratzer, der sich infiziert hat. Ärzte sind durch die Ausübung ihres Berufes immer wieder ernsten Risiken ausgesetzt, Mr Fitzwilliam.«

»In der Tat«, sagte Luke.

Mr Wake zuckte plötzlich zusammen.

»Aber ich bin von unserem eigentlichen Gesprächsthema weit abgeschweift«, sagte er. »Verzeihen Sie dem klatschsüchtigen alten Mann! Wir sprachen ja über das Fortdauern heidnischer Bräuche im Zusammenhang mit dem Tod – und über jüngst Verstorbene. Da war zum einen Lavinia Pinkerton – eine unserer liebenswürdigsten Ehrenamtlichen in der Gemeinde. Dann war da dieses arme Mädchen, Amy Gibbs – da könnten Sie auf etwas für Sie Interessantes stoßen, Mr Fitzwilliam. Man munkelte nämlich, es könnte sich dabei um Selbstmord gehandelt haben – und man kennt einige ziemlich unheimliche Riten im Zusammenhang mit einer solchen Todesart. Es gibt da eine Tante – keine besonders respektable Person, wie ich leider sagen muss, und ihrer Nichte auch nicht besonders zugetan, aber äußerst redselig.«

»Unschätzbare Eigenschaft«, sagte Luke.

»Dann gab es noch Tommy Pierce – war früher im Chor, ein wunderschöner Diskant, geradezu engelhaft, aber abgesehen davon alles andere als ein Engel, fürchte ich. Am Ende mussten wir uns von ihm trennen, er hatte einen äußerst schlechten Einfluss auf die anderen Jungen. Der Ärmste – ich denke, er war nirgendwo besonders beliebt! Vom Postamt, wo wir ihm eine Stelle als Telegrammbote beschafft hatten, wurde er entlassen. Eine Zeitlang hat er in Mr Abbots Kanzlei gearbeitet, aber auch da hat man ihm bald gekündigt – ich meine, er hätte sich an vertraulichen Dokumenten zu schaffen gemacht. Dann war er natürlich eine Zeitlang in Ashe Manor, nicht wahr, Miss Conway, als Gärtnergehilfe, und Lord Whitfield musste ihn wegen grober Unverschämtheit entlassen. Für seine Mutter hat es mir sehr leidgetan – eine anständige, hart arbeitende Person. Miss Waynflete war so gütig, ihn gelegentlich als Fensterputzer zu beschäftigen. Lord Whitfield war anfangs dagegen, dann willigte er ganz unerwartet ein – was man im Nachhinein nur bedauern kann.«

»Inwiefern?«

»Weil der Junge genau dadurch zu Tode kam. Er sollte die obersten Fenster der Bibliothek putzen – das ehemalige Herrenhaus, Sie wissen schon –, und hat irgendeinen gefährlichen Unsinn veranstaltet – auf dem Fenstersims getanzt oder etwas in der Art –, hat das Gleichgewicht verloren oder ihm ist schwindlig geworden und ist abgestürzt. Ganz schlimme Sache! Ist wenige Stunden nach Einlieferung im Krankenhaus gestorben, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.«

»Gab es Zeugen des Unfalls?«, fragte Luke interessiert.

»Nein. Er arbeitete an der Gartenseite, nicht an der Front des Hauses. Man schätzte, dass er etwa eine halbe Stunde dagelegen hatte, bevor man ihn fand.«

»Und wer fand ihn?«

»Miss Pinkerton. Sie erinnern sich – die Dame, die ich erst eben erwähnte, die vor ein paar Tagen bedauerlicherweise bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam. Die Ärmste, sie war schrecklich durcheinander. Eine scheußliche Erfahrung! Sie hatte die Erlaubnis erhalten, sich von irgendeiner Pflanze Stecklinge zu holen, und fand den Jungen dort vor, wo er abgestürzt war.«

»Das muss ein schlimmer Schock für sie gewesen sein«, sagte Luke nachdenklich.

Ein schlimmerer Schock, dachte er bei sich, als Sie ahnen.

»Es ist immer sehr traurig, wenn ein junges Leben dahingerafft wird«, sagte der alte Mann kopfschüttelnd. »Tommys Fehler könnten hauptsächlich auf jugendlichem Leichtsinn beruht haben.«

»Er war ein widerwärtiger Rabauke«, sagte Bridget. »Sie wissen, dass es so ist, Mr Wake. Ständig quälte er Katzen und streunende Hündchen und zwickte andere Jungen.«

»Ich weiß, ich weiß.« Mr Wake schüttelte traurig den Kopf. »Aber wissen Sie, meine liebe Miss Conway, bisweilen ist Grausamkeit nicht so sehr eine angeborene Eigenschaft als vielmehr die Folge einer noch unreifen Vorstellungskraft. Deswegen ist es ohne weiteres denkbar, dass ein Wahnsinniger, da er die Mentalität eines Kindes hat, sich seiner Brutalität überhaupt nicht bewusst ist. Ich bin davon überzeugt, dass die Grausamkeit und gedankenlose Brutalität, die in unserer heutigen Welt herrschen, zu einem großen Teil die Folge einer mangelnden Reife sind. Man muss sich von allem Kindischen frei machen …«

Er schüttelte den Kopf und breitete die Hände aus.

Bridget sagte mit plötzlich heiserer Stimme:

»Ja, Sie haben recht. Ich weiß, was Sie meinen. Ein Mann, der geistig ein Kind geblieben ist, ist das Beängstigendste, was es überhaupt gibt …«

Luke betrachtete sie mit einiger Neugier. Er war davon überzeugt, dass sie an einen ganz bestimmten Mann dachte, und wenngleich Lord Whitfield in mancherlei Hinsicht außerordentlich kindisch war, glaubte Luke nicht, dass er es war, den sie im Sinn hatte. Lord Whitfield war recht lächerlich, aber angsteinflößend war er mit Sicherheit nicht.

Luke Fitzwilliam hätte wirklich zu gern gewusst, an wen Bridget dachte.

Das Sterben in Wychwood

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