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Die rosa Perle I

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Was zum Teufel machst du da?«, fragte Tuppence, die beim Eintritt in das innere Heiligtum der Internationalen Detektivagentur (Slogan: Blunts Brillante Detektive) ihren Herrn und Meister in einem Meer von Büchern und auf dem Fußboden liegend vorfand.

Tommy rappelte sich mühsam auf.

»Ich wollte diese Bücher aufs oberste Regal stellen«, klagte er, »aber der verdammte Stuhl ist zusammengebrochen.«

»Was sind das denn für Bücher?«, fragte Tuppence und nahm einen Band zur Hand. »Der Hund von Baskerville. Das würde ich gern mal wieder lesen.«

»Verstehst du, was ich vorhabe?« Tommy staubte sorgfältig seinen Anzug ab. »Verachtet mir die Meister nicht! Weißt du, Tuppence, wir sind mehr oder weniger Amateure in diesem Geschäft. Freilich, Amateure in gewissem Sinn werden wir immer sein – aber es kann nicht schaden, wenn wir uns das Handwerk aneignen. Das sind Detektivromane, die von den größten Meistern dieser Kunst geschrieben wurden. Ich habe die Absicht, verschiedene Stile auszuprobieren und die Resultate zu vergleichen.«

»Hm, hm«, sagte Tuppence. »Ich frage mich oft, wie sich diese Detektive im wirklichen Leben geschlagen hätten.« Sie nahm einen anderen Band auf. »Du wirst es nicht leicht haben, einen Thorndyke zu imitieren. Du hast keine medizinischen Kenntnisse und noch weniger juristische. Und die Naturwissenschaften sind, soviel ich weiß, auch nicht deine stärkste Seite.«

»Da magst du recht haben«, gab Tommy zu. »Aber jedenfalls habe ich einen sehr guten Fotoapparat gekauft. Ich werde Fußspuren aufnehmen und Negative vergrößern und so weiter. Nun, mon amie, streng deine kleinen grauen Zellen an – was ruft dieser Anblick in dir wach?«

Er wies auf das unterste Regalfach, in dem ein futuristisch anmutender Morgenrock, ein türkischer Pantoffel und eine Geige lagen.

»Unverkennbar, mein lieber Watson«, sagte Tuppence.

»Richtig«, meinte Tommy, »Sherlock Holmes.«

Er nahm die Geige und zog den Bogen über die Saiten, sodass Tuppence sich verzweifelt die Ohren zuhielt.

In diesem Augenblick erklang die Glocke auf dem Schreibtisch und zeigte an, dass ein Klient im Vorzimmer war, wo er von Albert, dem Bürojungen, in ein Gespräch verwickelt wurde.

Tommy legte die Geige hastig in den Schrank zurück und bugsierte die Bücher hinter den Schreibtisch.

»Nicht dass wir es eilig hätten«, bemerkte er. »Albert wird die Geschichte von meinem dringenden Telefonat mit Scotland Yard auftischen. Geh in dein Büro und klappere auf der Schreibmaschine! Das gibt dem ganzen Betrieb die richtige Geschäftsatmosphäre. Nein, warte; ich habe eine bessere Idee: Ich werde dir etwas diktieren. Komm, schauen wir uns das Opfer erst einmal an, bevor wir Albert hereinrufen.«

Sie spähten durch das geschickt getarnte Guckloch, durch das man das Vorzimmer überblicken konnte.

Die Klientin war eine junge Frau ungefähr in Tuppence’ Alter, groß und dunkelhaarig, mit eher angestrengten Zügen und abfälligem Blick.

»Kleider stillos und auffällig«, bemerkte Tuppence. »Lass sie hereinkommen, Tommy.«

Einen Augenblick später reichte der berühmte Mr Blunt der jungen Frau die Hand zum Gruß, während Tuppence mit sittsam gesenkten Augen, Bleistift und Notizblock in der Hand, bescheiden dasaß.

»Meine Privatsekretärin, Miss Robinson«, stellte Tommy sie mit einer Handbewegung vor. »Sie können ganz offen vor ihr sprechen.« Dann lehnte er sich einen Augenblick lang zurück, schloss halb die Augen und bemerkte in müdem Ton: »Der Omnibus war um diese Tageszeit wohl sehr überfüllt?«

»Ich bin im Taxi gekommen«, sagte die Frau.

»Oh!«, sagte Tommy enttäuscht. Sein Blick ruhte vorwurfsvoll auf einer blauen Omnibusfahrkarte, die aus ihrem Handschuh hervorlugte. Die Frau folgte seinem Blick; sie lächelte und zog das Billett heraus.

»Sie meinen die Fahrkarte? Ich habe sie auf dem Gehsteig aufgelesen. Unser Nachbarsjunge sammelt sie.«

Tuppence hüstelte, und Tommy warf ihr einen vernichtenden Blick zu.

»Nun, zur Sache«, sagte er energisch. »Sie benötigen unsere Dienste, Miss …?«

»Kingston Bruce ist mein Name«, sagte die Frau. »Wir leben in Wimbledon. Gestern Abend hat eine Dame, die derzeit bei uns zu Gast ist, eine wertvolle rosa Perle verloren. Mr St. Vincent, der gestern bei uns zur Abendgesellschaft war, erwähnte Ihre Agentur. Nun hat mich meine Mutter heute Morgen beauftragt, mich zu erkundigen, ob Sie die Sache übernehmen möchten.«

Die junge Frau sprach mürrisch, fast feindselig. Ihre Mutter und sie waren in dieser Angelegenheit offensichtlich nicht einer Meinung gewesen. Sie war gegen ihren Willen gekommen.

»Verstehe«, sagte Tommy ein wenig verdutzt. »Und Sie haben die Polizei nicht hinzugezogen?«

»Nein. Es wäre doch wirklich albern, die Polizei zu rufen und dann festzustellen, dass die dumme Perle unter den Kamin gerollt ist.«

»Oh, dann kann es also sein, dass sie einfach nur verloren gegangen ist?«

Miss Kingston Bruce zuckte die Schultern. »Die Leute machen so viel Aufhebens um nichts und wieder nichts«, murmelte sie.

Tommy räusperte sich. »Natürlich«, sagte er zögernd, »bin ich zurzeit sehr beschäftigt …«

»Ich verstehe vollkommen …« Die Frau erhob sich. Tuppence bemerkte einen Schimmer von Genugtuung in ihren Augen.

»… nichtsdestoweniger«, fuhr Tommy fort, »will ich mir die Zeit nehmen und einen Abstecher nach Wimbledon machen. Können Sie mir die Adresse nennen?«

»The Laurels, Edgeworth Road.«

»Notieren Sie bitte, Miss Robinson!«

Miss Kingston Bruce zögerte einen Augenblick und sagte dann unwirsch: »Wir erwarten Sie also. Auf Wiedersehen.«

»Komische Frau«, bemerkte Tommy. »Ich bin nicht recht klug aus ihr geworden.«

»Ich frage mich, ob sie die Perle nicht selbst gestohlen hat. Komm, Tommy, wir wollen die Bücher wegräumen und hinfahren. Übrigens – welche Rolle willst du spielen? Immer noch Sherlock Holmes?«

»Ich glaube, dafür brauche ich mehr Übung. Die Geschichte mit der Omnibusfahrkarte war ein Reinfall, stimmt’s?«

»Das war es«, meinte Tuppence. »An deiner Stelle würde ich mit dieser Frau vorsichtig sein. Sie hat einen messerscharfen Verstand. Außerdem hat sie Kummer, die Arme.«

»Du weißt wahrscheinlich schon alles über sie«, sagte Tommy sarkastisch. »Alles an der Form ihrer Nase abgelesen!«

»Ich will dir sagen, was wir meiner Ansicht nach in The Laurels vorfinden werden«, entgegnete Tuppence ungerührt. »Ein Haus voller Snobs, ängstlich bemüht, in den besten Kreisen zu verkehren; der Vater – wenn es überhaupt einen Vater gibt – ist sicher Offizier gewesen. Die Tochter fügt sich dieser Lebensart und verachtet sich deswegen selbst.«

Tommy warf einen letzten Blick auf die Bücher, die nun in Reih und Glied auf dem Regalbrett standen, und sagte nachdenklich: »Ich glaube, heute bin ich Thorndyke.«

»Dabei scheint der Fall mit Gerichtsmedizin nicht viel zu tun zu haben.«

»Vielleicht nicht. Aber ich habe solche Lust, meine neue Kamera einzusetzen! Sie hat angeblich die großartigste Linse, die man sich denken kann.«

»Ich kenne diese Apparate! Bis man endlich die Blende eingestellt und die Belichtung berechnet hat, dabei die Libelle nicht aus den Augen lassend, ist im Gehirn Blutleere entstanden, und man sehnt sich nach der simplen alten Box zurück.«

»Nur Menschen ohne Ehrgeiz geben sich mit der simplen alten Box zufrieden.«

»Ich wette, ich mache bessere Fotos damit als du!«

Tommy überhörte die Herausforderung.

»Ich sollte einen Pfeifenputzer haben wie Thorndyke. Weißt du, wo man so etwas kaufen kann?«

»Wie wäre es mit dem Patentkorkenzieher, den du von Tante Araminta zu Weihnachten bekommen hast?«, schlug Tuppence vor.

»Gute Idee. Auf den ersten Blick hielt ich ihn für eine Art Höllenmaschine. Ein komisches Geschenk von einer strengen Abstinenzlerin.«

»Ich«, sagte Tuppence, »werde heute Polton darstellen.«

Tommy lächelte spöttisch.

»Ausgerechnet Polton! Du wirst kaum in seine Fußstapfen treten können.«

»Und wie ich das kann. Ich kann mir die Hände reiben, wenn ich zufrieden bin. Das genügt für den Anfang. Und ich erwarte, dass du von allen verdächtigen Fußspuren Gipsabdrücke anfertigst – oder nicht?«

Darauf wusste Tommy nichts mehr zu erwidern. Er steckte den Korkenzieher ein, sie holten den Wagen aus der Garage und machten sich auf den Weg nach Wimbledon.

The Laurels war ein großes Haus mit reichlich Giebeln und Türmchen; es hatte erst vor kurzem einen frischen Anstrich bekommen und war von ordentlichen Blumenbeeten mit leuchtend roten Geranien umgeben.

Ein stattlicher Mann mit sauber gestutztem weißem Schnurrbart und übertrieben martialischem Auftreten öffnete die Tür, bevor Tommy Zeit hatte zum Klingeln.

»Ich habe Sie schon erwartet!«, verkündete er mit Nachdruck. »Mr Blunt, nicht wahr? Ich bin Colonel Kingston Bruce. Darf ich Sie in mein Arbeitszimmer bitten?«

Er führte sie in einen kleinen Raum im rückwärtigen Teil des Hauses.

»Der junge St. Vincent hat mir von Ihrer Agentur vorgeschwärmt. Ihre Anzeige war mir selbst auch schon aufgefallen. Dieser garantierte Vierundzwanzigstundendienst, den Sie anbieten – ganz hervorragend! Das ist genau das, was ich brauche.«

Im Stillen die Leichtfertigkeit seiner Frau verfluchend, die dieses geniale Detail erfunden hatte, sagte Tommy gelassen: »Gewiss, Colonel.«

»Die Sache ist wirklich peinlich, äußerst peinlich.«

»Würden Sie so freundlich sein, mir erst einmal genau zu berichten, was eigentlich geschehen ist?« Tommys Ton war ein bisschen ungeduldig.

»Natürlich, sofort. Eine alte, sehr liebe Freundin ist zurzeit bei uns zu Gast – Lady Laura Barton, die Tochter des verstorbenen Earl of Carrowway. Der jetzige Earl, ihr Bruder, hat neulich im Oberhaus eine packende Rede gehalten. Wie gesagt – sie ist eine alte, liebe Freundin von uns. Die Hamilton-Betts – amerikanische Freunde, die erst kürzlich herübergekommen sind – wollten um jeden Preis ihre Bekanntschaft machen. ›Nichts einfacher als das‹, sagte ich, ›sie ist gerade bei uns zu Gast. Kommen Sie doch auch übers Wochenende.‹ Sie wissen ja, was für diese Amerikaner ein Adelstitel bedeutet!«

»So wie auch für andere Leute manchmal, nicht wahr, Colonel Kingston Bruce?«

»Ach, nur allzu wahr, mein Lieber. Nichts ist mir so verhasst wie ein Snob. Also, wie gesagt, die Betts sind übers Wochenende auf Besuch gekommen. Gestern Abend, beim Bridge, ging plötzlich der Verschluss der Halskette von Mrs Hamilton-Betts entzwei, also nahm sie den Schmuck ab und legte ihn auf einen Beistelltisch in der Absicht, ihn später mit hinauf ins Zimmer zu nehmen. Das allerdings vergaß sie. Sie müssen wissen, Mr Blunt, dass der Anhänger aus zwei Diamantflügelchen bestand, an denen eine große rosa Perle hing. Heute früh fand man die Kette dort, wo Mrs Betts sie hatte liegen lassen, aber die Perle – eine Perle von kolossalem Wert – war weg. Abgerissen.«

»Wer hat die Kette gefunden?«

»Das Stubenmädchen – Gladys Hill.«

»Ist sie verdächtig?«

»Sie ist seit einigen Jahren bei uns und hat niemals Anlass zu Beschwerden gegeben. Aber man weiß ja nie …«

»Gewiss. Erzählen Sie mir bitte von Ihrem Personal und auch, wen Sie gestern zu Tisch hatten.«

»Da ist zuerst einmal die Köchin, sie ist zwar erst seit zwei Monaten bei uns, aber sie hat nie im Salon zu tun; dasselbe gilt für das Küchenmädchen. Dann das Hausmädchen, Alice Cummings. Auch sie ist schon seit ein paar Jahren bei uns. Und Lady Lauras Zofe, natürlich. Sie ist Französin.«

Der Ton, in dem er diese Auskunft gab, war vielsagend, trotzdem schien Tommy von der Nationalität der Zofe nicht sehr beeindruckt. Er sagte: »Gewiss doch. Und die Abendgesellschaft?«

»Mr und Mrs Betts, wir drei, meine Frau, meine Tochter und ich, und Lady Laura. Der junge St. Vincent aß mit uns zu Abend, und nach dem Essen kam Mr Rennie auf einen Sprung.«

»Wer ist Mr Rennie?«

»Ein überaus unangenehmer Bursche, überzeugter Sozialist. Sieht gut aus, natürlich, und kann vordergründig sehr überzeugend sein. Aber ich gestehe Ihnen offen – ich traue dem Mann nicht über den Weg. Ein gefährlicher Bursche.«

Tommy meinte trocken: »Es ist also Mr Rennie, den Sie verdächtigen?«

»Richtig, Mr Blunt. Bei den Ansichten kann man keine Prinzipien haben. Nichts einfacher für ihn, als die Perle unauffällig an sich zu nehmen, während wir in unser Spiel vertieft waren. Es war zeitweise sehr spannend: mein gedoppeltes Sans Atout zum Beispiel … und auch der peinliche Wortwechsel, als meine Frau ungeschickterweise nicht Farbe bekannt hatte.«

»Ja, ja, gewiss. Eine Sache interessiert mich noch: Wie steht eigentlich Mrs Betts zu dieser Angelegenheit?«

»Sie wollte, dass ich die Polizei rufe«, sagte Colonel Kingston Bruce widerstrebend. »Natürlich erst, nachdem wir alles abgesucht hatten; die Perle konnte ja schließlich von selbst herausgefallen sein.«

»Aber Sie haben ihr davon abgeraten?«

»Ich war der Idee sehr abgeneigt, die Sache an die große Glocke zu hängen; meine Frau und meine Tochter waren mit mir einer Meinung. Dann fiel meiner Frau wieder ein, was der junge St. Vincent gestern beim Abendessen von Ihrer Agentur und dem Vierundzwanzigstunden-Spezialdienst erzählt hatte.«

»So, so«, brummte Tommy verlegen.

»Jedenfalls kann man uns keinen Vorwurf machen. Wenn wir die Polizei erst morgen rufen, können wir uns damit entschuldigen, dass wir die ganze Zeit nach dem Kleinod gesucht hätten, weil wir glaubten, es sei verloren gegangen. Übrigens – wir haben heute Morgen niemandem gestattet, das Haus zu verlassen.«

»Außer Ihrer Tochter«, warf Tuppence ein, die sich zum ersten Mal zu Wort meldete.

»Außer meiner Tochter, natürlich. Sie erklärte sich sofort bereit, Ihnen den Fall zu unterbreiten.«

Tommy stand auf.

»Wir wollen unser Möglichstes tun, um Sie zufriedenzustellen, Colonel. Jetzt würde ich mir gern den Salon ansehen und den Tisch, auf dem die Halskette abgelegt wurde. Dann möchte ich auch Mrs Betts noch ein paar Fragen stellen. Zuletzt werde ich die Dienstboten verhören – oder nein, das wird Miss Robinson übernehmen.«

Er verzagte beim bloßen Gedanken an derartige Befragungen.

Colonel Kingston Bruce stieß die Tür auf und führte sie durch die Halle. In diesem Augenblick vernahmen sie durch die Tür des Zimmers, dem sie sich näherten, deutlich eine Bemerkung. Es war die Stimme der jungen Frau, die am Vormittag in die Agentur gekommen war. »Du weißt genau, Mutter, dass sie einen Teelöffel in ihrem Muff nach Hause gebracht hat.«

Gleich darauf wurden sie Mrs Kingston Bruce vorgestellt, einer Dame mit weinerlicher Stimme und phlegmatischer Gemütsart. Ihre Tochter quittierte den Gruß der Neuankömmlinge nur mit einer leichten Neigung des Kopfes. Sie war mürrischer denn je.

Mrs Kingston Bruce hob zu einem langen Vortrag an. »… ich weiß, wem ich diesen Diebstahl zutrauen würde«, schloss sie ihre Rede. »Diesem fürchterlichen sozialistischen Kerl: Er liebt die Russen und die Deutschen und hasst die Engländer – was kann man da anderes erwarten?!«

»Er hat sie nicht angerührt!«, sagte Miss Kingston heftig. »Ich habe ihn beobachtet, die ganze Zeit. Ich hätte es unbedingt sehen müssen.«

Ihr Blick war herausfordernd, ihr Kinn hoch erhoben.

Um die Gemüter zu beruhigen, bat Tommy um eine Unterredung mit Mrs Betts. Als Mr und Mrs Kingston Bruce in Begleitung ihrer Tochter den Raum verlassen hatten, um Mrs Betts zu suchen, pfiff Tommy nachdenklich vor sich hin: »Ich möchte bloß wissen, wer einen Teelöffel im Muff versteckt hatte …«

»Das habe ich mich auch eben gefragt«, erwiderte Tuppence. Mrs Betts stürmte, gefolgt von ihrem Mann, ins Zimmer. Sie war eine stattliche Frau mit energischer Stimme. Er machte einen verschüchterten Eindruck, und man sah ihm an, dass er Ärger mit der Verdauung hatte.

»Wie ich höre, Mr Blunt, sind Sie ein Privatdetektiv, der einen Auftrag im Handumdrehen erledigt?«

»Handumdrehen ist ein zutreffender Ausdruck, Mrs Betts. Dürfte ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«

Alles Weitere lief rasch und glatt: Man zeigte Tommy das beschädigte Schmuckstück, den Tisch, auf dem es gelegen hatte, und auch Mr Betts erwachte schließlich aus seiner Schweigsamkeit, um den Dollarwert der gestohlenen Perle bekannt zu geben.

Unterdessen hatte Tommy das beklemmende Gefühl, nicht einen Schritt weiterzukommen.

»Ich glaube, das genügt«, bemerkte er schließlich. »Miss Robinson, bringen Sie doch bitte den Fotoapparat aus der Halle!«

Miss Robinson gehorchte.

»Eine kleine Erfindung von mir«, erklärte Tommy. »Dem Aussehen nach ist es ein ganz gewöhnlicher Fotoapparat, aber …« Er ließ den Satz unvollendet und empfand eine gewisse Genugtuung, als die Betts sich beeindruckt zeigten.

Er fotografierte die Halskette, den Tisch, auf dem sie gelegen hatte, und machte ein paar Aufnahmen von den Wohnräumen. Dann wurde Miss Robinson beauftragt, das Personal auszufragen; und angesichts der gespannten Erwartung, die auf den Gesichtern von Colonel Kingston Bruce und Mrs Betts zu lesen war, fühlte Tommy sich verpflichtet, ein paar passende Worte zu sagen.

»Die Sache liegt folgendermaßen: Entweder ist die Perle noch im Haus, oder sie ist nicht mehr im Haus«, äußerte er gewichtig.

»Sehr richtig!«, pflichtete der Colonel ihm bei, und seine Stimme verriet mehr Respekt, als Tommys Bemerkung vielleicht verdient hatte.

»Wenn sie nicht mehr im Hause ist, kann sie überall sein – aber wenn sie noch im Hause ist, muss sie hier versteckt sein …«

»Man muss das Haus durchsuchen!«, fiel Colonel Kingston Bruce begeistert ein. »Ganz richtig. Ich gebe Ihnen freie Hand, Mr Blunt. Durchstöbern Sie das Haus vom Dachboden bis zum Keller!«

»Oh – Charles!«, flüsterte Mrs Kingston Bruce mit weinerlicher Stimme, »hältst du das für vernünftig? Das wird den Dienstboten gar nicht gefallen, ganz bestimmt werden sie kündigen!«

»Wir werden ihre Räume zuletzt durchsuchen«, schlichtete Tommy. »Zweifellos hat der Dieb das Schmuckstück an einem Ort versteckt, wo man es am wenigsten vermutet.«

»Ich glaube, so etwas Ähnliches habe ich schon mal gelesen«, stimmte der Colonel zu.

»Richtig. Sie denken da wahrscheinlich an den Strafprozess Bailey, der einen Präzedenzfall schuf.«

»Hm … äh … ja …«, der Colonel verstummte und bekam einen roten Kopf.

»Nun, der unwahrscheinlichste Ort im Haus ist wohl das Zimmer von Mrs Betts«, fuhr Tommy fort.

»Mein Zimmer! Das wäre ja zu drollig!«, rief Mrs Betts voller Bewunderung.

Ohne weitere Umstände führte sie Tommy in ihr Zimmer, wo er abermals einige Aufnahmen mit seiner Spezialkamera machte.

Tuppence gesellte sich zu ihnen.

»Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, Mrs Betts, wenn meine Assistentin Ihre Garderobe durchsucht?«

»Aber nein, gewiss nicht! Brauchen Sie mich hier noch?«

Tommy versicherte, es gebe keinen Grund, sie noch länger aufzuhalten, und Mrs Betts verließ das Zimmer.

»Wir können natürlich dieses Theater fortsetzen«, meinte Tommy. »Aber meiner Ansicht nach haben wir nicht die leiseste Aussicht, das Ding zu finden. Der Teufel soll dich holen, Tuppence, mit deinem Vierundzwanzigstunden-Märchen!«

»Jetzt lass mich mal was sagen«, meinte Tuppence energisch. »Die Dienstboten sind in Ordnung, davon bin ich überzeugt. Aber von der französischen Zofe habe ich etwas Interessantes erfahren: Als Lady Laura voriges Jahr hier zu Besuch war, wurde sie von Freunden der Familie Kingston Bruce zum Tee eingeladen. Als sie abends nach Hause kam, fiel ein Teelöffel aus ihrem Muff. Man nahm natürlich an, der Löffel sei zufällig in den Muff hineingefallen. Ich brachte das Gespräch auf ähnliche Diebstähle, und dabei erfuhr ich noch einige interessante Einzelheiten. Lady Laura ist ständig bei irgendwelchen Freunden zu Gast. Sie besitzt keinen Penny, nehme ich an, und nimmt bequemes Quartier bei Leuten, denen ein Adelstitel noch etwas bedeutet. Vielleicht ist das bloß ein Zufall – vielleicht steckt aber auch mehr dahinter: Jedenfalls gab es fünf Diebstähle, während sie bei verschiedenen Leuten zu Gast war; manche waren belanglos, aber bei einigen handelte es sich um wertvollen Schmuck.«

»Sieh mal an!« Tommy stieß einen lang gezogenen Pfiff aus. »Weißt du, wo die alte Eule ihr Zimmer hat?«

»Gegenüber.«

»Da wäre es wohl am besten, wir schlüpften schnell mal hinüber und stöberten ein bisschen.«

Die Tür des gegenüberliegenden Zimmers stand weit offen. Das Zimmer war sehr geräumig und mit weiß gestrichenen Möbeln und rosa Vorhängen ausgestattet. Eine Tür führte weiter ins Badezimmer. Im Rahmen dieser Tür erschien ein schlankes, dunkelhaariges und sehr adrett gekleidetes Mädchen.

Ein Ausruf der Überraschung lag auf ihren Lippen, aber Tuppence beruhigte sie mit den Worten: »Mr Blunt, das ist Elise, Lady Lauras Zofe.«

Tommy trat über die Schwelle ins Badezimmer und bewunderte im Stillen die luxuriöse und hochmoderne Ausstattung. Er versuchte den Argwohn zu zerstreuen, der auf den Zügen des Mädchens zu lesen war.

»Sie haben viel Arbeit, Mademoiselle Elise, nicht wahr?«

»Ja, Monsieur, ich reinige gerade das Bad.«

»Vielleicht können Sie mir stattdessen beim Fotografieren behilflich sein. Ich habe hier eine Spezialkamera und mache damit Aufnahmen von allen Räumen des Hauses.«

In diesem Augenblick schlug die Verbindungstür zum Schlafzimmer hinter ihm zu. Elise zuckte bei dem Lärm zusammen.

»Was war das?«

»Offenbar der Wind«, meinte Tuppence.

»Wir wollen ins Zimmer zurückgehen«, sagte Tommy.

Elise wollte ihnen die Tür aufmachen, aber der Türknopf quietschte, ohne dass die Tür nachgab.

»Was ist los?«, fragte Tommy scharf.

»Ach, Monsieur, jemand muss auf der anderen Seite abgeschlossen haben!« Die Zofe nahm ein Handtuch zu Hilfe und versuchte es noch einmal. Diesmal ließ sich der Knopf ohne Schwierigkeiten drehen, und die Tür ging auf.

»Voilà, ce qui est curieux! Sie hat wahrscheinlich geklemmt«, meinte Elise.

Im Schlafzimmer war niemand.

Tommy baute seinen Apparat auf. Tuppence und Elise folgten seinen Anordnungen. Aber sein Blick schweifte immer wieder zur Verbindungstür zurück.

»Ich wüsste gar zu gern«, murmelte er vor sich hin, »warum diese Tür geklemmt hat.«

Er untersuchte sie sorgfältig, öffnete und schloss sie mehrere Male. Sie funktionierte einwandfrei.

»Noch eine Aufnahme«, sagte er seufzend. »Könnten Sie bitte den rosa Vorhang zurückschlagen, Mademoiselle Elise? Danke, sehr gut! Halten Sie ihn einen Augenblick so!«

Das vertraute Klicken des Auslösers ertönte. Tommy reichte Elise eine belichtete Platte zum Halten und überließ das Stativ seiner Frau, während er die Kamera sorgfältig verwahrte.

Unter einem Vorwand verabschiedete er Mademoiselle Elise, und sobald sie das Zimmer verlassen hatte, packte er Tuppence am Arm und sagte hastig: »Ich habe eine Idee. Kannst du dich hier beschäftigen? Durchsuch alle Zimmer – das wird eine Zeit lang dauern. Versuch ein Gespräch mit der alten Eule, Lady Laura, zu arrangieren, aber erschreck sie nicht! Sag ihr, dass du das Hausmädchen verdächtigst. Aber auf keinen Fall darf sie das Haus verlassen. Ich nehme den Wagen und komme so schnell wie möglich zurück.«

»Einverstanden. Aber sei dir deiner Sache nur nicht zu sicher! Du hast etwas vergessen!«

»Was denn?«

»Die Tochter. Irgendetwas stimmt nicht mit dem Mädchen. Ich habe herausgefunden, wann sie heute Morgen das Haus verlassen hat. Sie hat zwei Stunden zu unserem Büro gebraucht. Das ist unmöglich. Wo war sie, bevor sie zu uns kam?«

»Da ist etwas dran«, gab Tommy zu. »Nun, verfolg jede Spur, solange du willst, aber lass Lady Laura nicht aus dem Haus! Was war das?«

Sein feines Ohr hatte draußen auf dem Treppenabsatz ein leises Rascheln vernommen. Er trat vor die Tür, aber auf dem Flur war niemand zu sehen.

»Nun, auf Wiedersehen. Ich komme zurück, so schnell ich kann.«

Die Büchse der Pandora

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