Читать книгу Die Büchse der Pandora - Agatha Christie - Страница 6
II
ОглавлениеTuppence hatte gar kein gutes Gefühl, als sie Tommy mit dem Auto wegfahren sah. Er schien seiner Sache so sicher zu sein, aber sie begriff nicht, warum. Da gab es ein oder zwei Dinge, die sie nicht recht verstand.
Sie stand noch am Fenster und schaute auf die Straße hinunter, als ein Mann aus dem schützenden Torbogen des gegenüberliegenden Hauses trat, die Straße überquerte und an der Haustür klingelte.
Wie der Blitz rannte Tuppence aus dem Zimmer und die Treppe hinunter. Im gleichen Augenblick tauchte Gladys Hill, das Hausmädchen, aus den hinteren Räumen auf, aber Tuppence wies sie gebieterisch zurück. Dann ging sie zur Eingangstür und öffnete.
Ein schlanker junger Mann in einem schlecht sitzenden Anzug und mit brennenden dunklen Augen stand auf der Schwelle. Er zögerte einen Augenblick und fragte dann:
»Ist Miss Kingston Bruce zu Hause?«
»Kommen Sie bitte herein«, sagte Tuppence.
Sie trat beiseite, um ihn reinzulassen.
»Mr Rennie, wenn ich nicht irre?« Ihre Stimme war sanft.
Er warf ihr einen schnellen Blick zu.
»Hm … ja.«
»Hier herein, bitte.«
Sie öffnete die Tür des Arbeitszimmers. Der Raum war leer; Tuppence ließ den Gast vorangehen und schloss die Tür hinter sich. Mit finsterem Blick drehte Mr Rennie sich zu ihr um.
»Ich möchte Miss Kingston Bruce sprechen.«
»Ich weiß nicht, ob das möglich ist«, sagte Tuppence gelassen.
»Wer sind Sie denn, zum Teufel?«, fragte Mr Rennie grob.
»Internationale Detektivagentur«, bemerkte Tuppence kurz – und sie sah, wie er zusammenzuckte.
»Nehmen Sie Platz, Mr Rennie«, fuhr Tuppence fort. »Allem voran müssen Sie wissen, dass wir über den Besuch, den Miss Kingston Bruce Ihnen heute Morgen abgestattet hat, genau im Bilde sind.«
Es war ein Schuss ins Blaue, aber er saß.
»Uns geht es einzig und allein um die Perle, Mr Rennie. Niemand im Haus wünscht, dass die Sache an die Öffentlichkeit dringt. Können wir das nicht unter der Hand regeln?«
Der junge Mann sah sie prüfend an.
»Fragt sich nur, was Sie eigentlich wissen«, sagte er nachdenklich. »Lassen Sie mich einen Augenblick überlegen.«
Er barg sein Gesicht in den Händen und stellte dann eine gänzlich unerwartete Frage: »Sagen Sie mal, ist es wirklich wahr, dass der junge St. Vincent verlobt ist?«
»Selbstverständlich. Ich kenne das Mädchen.«
Mr Rennie wurde plötzlich ganz vertraulich. »Es war die Hölle hier. Sie haben ihn früh, mittags und abends eingeladen – und mit aller Gewalt versucht, ihm Beatrice anzuhängen. Nur weil er eines Tages einen Adelstitel erbt. Wenn’s nach mir ginge …«
»Wir wollen nicht politisieren«, unterbrach Tuppence ihn eilig. »Möchten Sie mir nicht sagen, warum Sie glauben, dass Miss Kingston Bruce die Perle genommen hat, Mr Rennie?«
»Aber wieso denn …«
»Doch, Sie glauben es«, sagte Tuppence ruhig. »Sie warteten, bis der Detektiv mit dem Wagen davonfuhr, glaubten, die Luft sei rein, klingelten dann an der Tür und fragten nach Miss Kingston Bruce. Die Sache ist sonnenklar. Wenn Sie die Perle selbst genommen hätten, wären Sie nicht halb so aufgeregt.«
»Sie war so eigenartig heute Morgen«, sagte der junge Mann. »Sie kam und erzählte mir von dem Diebstahl. Sie sei auf dem Weg, einen Privatdetektiv zu engagieren. Sie wollte mir etwas sagen, brachte es dann aber doch nicht heraus.«
»Ich will nur die Perle, sonst nichts. Sie sollten mit ihr sprechen.« In diesem Augenblick öffnete Colonel Kingston Bruce die Tür. »Das Essen ist serviert, Miss Robinson. Sie werden doch mit uns essen, hoffe ich. Der …« Er unterbrach sich und sah den neuen Gast feindselig an.
»Offensichtlich haben Sie nicht die Absicht, mich zu Tisch zu laden«, sagte Mr Rennie. »Gut. Ich gehe.«
»Kommen Sie später wieder!«, flüsterte Tuppence ihm zu, als er an ihr vorbeiging.
Tuppence folgte Colonel Kingston Bruce, der immer noch etwas über die »verdammte Unverfrorenheit gewisser Leute« in seinen Bart murmelte, in das riesige Speisezimmer, wo die Familie bereits versammelt war. Nur eine der Anwesenden war Tuppence unbekannt.
»Lady Laura, diese junge Dame ist Miss Robinson, die uns freundlicherweise beisteht.«
Lady Laura neigte den Kopf und musterte Tuppence dann durch ihren Kneifer. Sie war groß und schlank, ihr Lächeln traurig, ihre Stimme sanft, aber ihre Augen blickten hart und prüfend. Tuppence begegnete ihrem Blick frei und offen. Schließlich senkte Lady Laura die Augen.
Nach dem Essen nahm Lady Laura das Gespräch mit scheinbar liebenswürdiger Neugier auf. Wie standen die Ermittlungen? Klärte sich der Fall? Tuppence berichtete mit dem nötigen Nachdruck von dem Verdacht, der auf dem Hausmädchen lastete, aber ihre Gedanken weilten nicht wirklich bei Lady Laura. Lady Laura mochte Teelöffel und andere Dinge in ihren Kleidern verstecken – aber für Tuppence stand außer Zweifel, dass nicht sie die rosa Perle gestohlen hatte.
Nach dem Essen machte Tuppence sich sofort wieder an die Durchsuchung des Hauses. Die Stunden vergingen. Tommy war immer noch nicht zurückgekehrt, aber auch Mr Rennie ließ sich nicht wieder blicken, was Tuppence noch viel mehr beunruhigte. Dann stieß sie beim Verlassen eines Schlafzimmers im ersten Stock unvermittelt auf Beatrice Kingston Bruce, die soeben die Treppe herunterkam. Sie trug Mantel und Hut.
»Ich fürchte, Sie können das Haus jetzt nicht verlassen«, sagte Tuppence.
Die Frau blickte hochmütig auf sie herab.
»Ob ich ausgehe oder nicht, ist nicht Ihre Sache«, entgegnete sie kühl.
»Es ist aber meine Sache, die Polizei davon zu unterrichten«, meinte Tuppence.
Die junge Frau wurde aschfahl.
»Nein, bitte nicht, ich bleibe ja, bitte tun Sie das nicht!« Sie klammerte sich flehend an Tuppence’ Arm.
»Liebe Miss Kingston Bruce«, sagte Tuppence lächelnd, »die Angelegenheit war mir von Anfang an vollkommen klar. Ich …«
Aber sie wurde unterbrochen. Unter dem Eindruck ihrer Begegnung mit Miss Kingston Bruce hatte Tuppence die Türglocke überhört. Zu ihrem Erstaunen sah sie plötzlich Tommy mit langen Sätzen die Treppe heraufeilen, und unten in der Halle stand ein großer stämmiger Mann, der seinen Hut in den Händen drehte.
»Detective Inspector Marriot von Scotland Yard«, stellte er sich lächelnd vor.
Mit einem Aufschrei befreite sich Beatrice Kingston Bruce aus Tuppence’ Händen und stürzte die Treppe hinunter, gerade als die Haustür erneut aufschwang, um Mr Rennie einzulassen.
»Jetzt hast du mir alles verdorben!«, klagte Tuppence.
»Wie bitte?«, rief Tommy und rannte in Lady Lauras Zimmer. Er verschwand in ihrem Bad, nahm das große Stück Badeseife aus der Seifenschale und trat damit aus dem Zimmer, als der Inspector gerade die Treppe heraufstieg.
»Sie hat keine Schwierigkeiten gemacht«, verkündete dieser ruhig. »Sie ist keine Anfängerin und weiß, wann das Spiel verloren ist. Aber wo ist die Perle?«
»Ich nehme fast an, dass Sie sie hier in der Seife finden werden«, erklärte Tommy und streckte die Hand vor.
Die Augen des Inspectors blitzten voller Anerkennung.
»Ein alter Trick – und ein guter noch dazu. Man zerschneidet ein Stück Seife, höhlt sie aus, um Platz für das Juwel zu schaffen, klappt die Hälften wieder zusammen und verreibt dann die Schnittstelle mit warmem Wasser. Wirklich ausgezeichnete Arbeit, Sir.«
Tommy nahm das Kompliment dankend entgegen und stieg mit Tuppence die Treppe hinunter. Colonel Kingston Bruce stürzte ihm entgegen und schüttelte ihm begeistert die Hand.
»Lieber Freund, ich kann Ihnen nicht genug danken. Lady Laura möchte Ihnen ebenfalls ihren Dank aussprechen!«
»Es war uns ein Vergnügen, Sie zufriedenzustellen«, sagte Tommy. »Aber leider kann ich nicht bleiben. Ich habe eine dringende Verabredung. Ein Kabinettsmitglied.«
Er eilte hinaus und sprang in den Wagen. Tuppence ließ sich auf den Nebensitz fallen.
»Aber Tommy«, rief sie, »wieso haben sie Lady Laura denn nicht verhaftet?«
»Oh«, sagte Tommy, »habe ich es dir noch nicht erzählt? Sie haben nicht Lady Laura verhaftet, sondern Elise, ihre Zofe.«
Tuppence saß da wie vom Donner gerührt.
»Ja, siehst du«, fuhr Tommy fort, »ich habe selbst oft versucht, mit seifigen Händen eine Tür zu öffnen. Es ist unmöglich – die Finger rutschen ab. Da habe ich mich gefragt, wieso Elise so viel Seife an den Händen hatte. Sie hat ein Handtuch zu Hilfe genommen – erinnerst du dich noch? Deswegen waren keine Seifenspuren mehr auf dem Türknopf. Dann wurde mir klar, dass es für eine Berufsdiebin keine schlechte Idee ist, als Zofe einer der Kleptomanie verdächtigen Dame zu arbeiten, die noch dazu ständig in reichen Häusern zu Gast ist. Deshalb habe ich ein Foto von ihr geschossen und ihr die belichtete Platte in die Hand gedrückt und mich anschließend zum lieben alten Scotland Yard begeben. Die Platte wurde umgehend entwickelt, die Fingerabdrücke identifiziert: Elise war eine alte, lang verschollene Bekannte. Keine schlechte Einrichtung, dieses Scotland Yard.«
Tuppence hatte ihre Stimme wiedergefunden.
»Und zu denken, dass diese zwei jungen Dummköpfe sich ohne jeden Grund gegenseitig verdächtigten, wie es sonst nur in Büchern vorkommt! Aber warum hast du mir nicht verraten, was du vorhattest?«
»Erstens, weil ich vermutete, dass Elise hinter der Tür lauschte, und zweitens …«
»Nun?«
»Meine gelehrte Freundin vergisst, dass Thorndyke immer erst im letzten Augenblick den Mund aufmacht. Abgesehen davon hast du mich neulich eins zu null geschlagen, du mit deiner Freundin Janet Smith. Jetzt sind wir wieder quitt.«