Читать книгу Die Büchse der Pandora - Agatha Christie - Страница 7
Der geheimnisvolle Unbekannte I
ОглавлениеSo ein verflixt langweiliger Tag«, sagte Tommy mit herzhaftem Gähnen.
»Kurz vor Teezeit«, bemerkte Tuppence und gähnte ebenfalls.
Die Geschäfte liefen mäßig in der Internationalen Detektivagentur. Der mit Spannung erwartete Brief des Schinkenhändlers war nicht eingetroffen, und echte Fälle waren nicht in Sicht.
Albert, der Bürojunge, kam mit einem versiegelten Paket herein und stellte es auf dem Tisch ab.
»Das Geheimnis des versiegelten Paketes«, flüsterte Tommy. »Enthielt es die weltberühmten Perlen der russischen Großherzogin? Oder war es vielmehr eine Höllenmaschine, dazu bestimmt, Blunts Brillante Detektive in die Luft zu jagen?«
»Tatsächlich«, sagte Tuppence, während sie das Paket aufriss, »ist es mein Hochzeitsgeschenk an Francis Haviland. Hübsch, nicht wahr?«
Tommy entnahm ihrer ausgestreckten Hand ein schlankes silbernes Zigarettenetui, las die Gravur in ihrer eigenen Handschrift: Für Francis von Tuppence, klappte es auf und wieder zu und nickte beifällig.
»Du verstehst etwas vom Geldausgeben, Tuppence«, stellte er fest. »Ich nehme gern genauso eines, nur in Gold, zu meinem Geburtstag kommenden Monat. Man stelle sich vor, so etwas an Francis Haviland zu verschwenden, der von jeher und für immer einer der größten Esel ist, die je auf Gottes Erde wandelten!«
»Du vergisst, dass ich ihn im Krieg gefahren habe, als er noch General war. Ah! Die guten alten Zeiten!«
»Das waren sie«, bestätigte Tommy. »Wunderschöne Frauen traten an mein Bett, um mir die Hand zu halten – damals im Lazarett. Trotzdem schicke ich ihnen nicht allen Hochzeitsgeschenke. Ich glaube nicht, dass die Braut sich sehr über deine Gabe freuen wird, Tuppence.«
»Schön schmal und schlank, genau richtig für die Jackentasche, findest du nicht?«, sagte Tuppence, ohne auf seine Bemerkungen einzugehen.
Tommy schob es in die eigene Jackentasche.
»Genau richtig«, sagte er anerkennend. »Hallo, da kommt Albert mit der Nachmittagspost. Höchstwahrscheinlich wird uns die Duchess von Perthshire engagieren, damit wir ihren kostbaren Pekinesen wiederfinden.«
Gemeinsam gingen sie die Post durch. Plötzlich stieß Tommy einen langen Pfiff aus und hielt einen der Briefe in die Höhe.
»Ein blauer Umschlag mit russischer Briefmarke. Weißt du noch, was der Chef gesagt hat? Genau nach solchen Briefen sollen wir Ausschau halten.«
»Wie aufregend«, sagte Tuppence. »Endlich passiert etwas. Mach ihn auf und sieh nach, ob auch der Inhalt nach Plan ist. Ein Schinkenhändler, war es nicht so? Warte kurz. Wir brauchen noch Milch zum Tee. Heute Morgen wurde keine gebracht. Ich schicke Albert, welche zu holen.«
Als Albert auf seinen Botengang geschickt war und sie aus dem Vorzimmer zurückkehrte, stand Tommy mit dem blauen Briefbogen in der Hand da.
»Genau, wie wir vermutet haben, Tuppence«, verkündete er. »Fast Wort für Wort, was der Chef gesagt hat.«
Tuppence nahm ihm den Brief aus der Hand und fing an zu lesen.
Er war in sauberem gestelztem Englisch verfasst und stammte angeblich von einem Gregor Feodorsky, der verzweifelt auf Nachricht von seiner Frau hoffte. Die Internationale Detektivagentur möge keine Kosten scheuen und ihr Äußerstes geben, um sie aufzuspüren. Aufgrund einer Krise auf dem Schweinefleischmarkt sei Feodorsky selbst derzeit außerstande, Russland zu verlassen.
»Ich frage mich, was das wirklich bedeutet«, sagte Tuppence nachdenklich, während sie das Blatt auf dem Tisch glatt strich.
»Eine verschlüsselte Nachricht, würde ich sagen«, antwortete Tommy. »Aber das ist nicht unsere Angelegenheit. Unsere Angelegenheit ist es, den Brief so schnell wie möglich dem Chef zu überbringen. Wir wollen nur kurz überprüfen, ob es der richtige ist, indem wir die Briefmarke anfeuchten, und schauen, ob da drunter die Zahl 16 steht.«
»Einverstanden«, sagte Tuppence. »Aber ich glaube doch …«
Sie stockte mitten im Satz, und von ihrer unerwarteten Pause überrascht, schaute Tommy auf und sah die kräftige Gestalt eines Mannes im Türrahmen stehen.
Der Eindringling war eine eindrucksvolle Erscheinung mit stämmigem Körperbau, sehr rundem Kopf und kräftigem Kiefer. Er mochte um die fünfundvierzig Jahre alt sein.
»Ich muss mich entschuldigen«, sagte der Fremde und trat mit dem Hut in der Hand ein. »Ich fand Ihr Vorzimmer leer und diese Tür offen vor, da habe ich es gewagt einzutreten. Dies ist doch Blunts Internationale Detektivagentur, nicht wahr?«
»Aber gewiss.«
»Dann sind Sie vielleicht Mr Blunt? Mr Theodore Blunt?«
»Ich bin Mr Blunt. Sie wollten mich zurate ziehen? Dies ist meine Sekretärin Miss Robinson.«
Tuppence neigte anmutig den Kopf, wobei sie den Fremden unter den gesenkten Augenwimpern nicht aus den Augen ließ. Sie fragte sich, wie lange er schon im Türrahmen gestanden, was er gehört und gesehen hatte. Auch entging es ihrer Aufmerksamkeit nicht, dass sein Blick, selbst während er mit Tommy sprach, immer wieder zu dem blauen Blatt Papier in ihrer Hand zurückkehrte.
Tommys Stimme, scharf und mit warnendem Unterton, holte sie zu den Anforderungen des Augenblicks zurück.
»Mitschreiben bitte, Miss Robinson. Nun, Sir, wollen Sie so freundlich sein, mir die Angelegenheit zu schildern, in der Sie um meinen Rat ersuchen?«
Tuppence griff nach Papier und Bleistift.
Der kräftige Mann sprach mit eher schroffer Stimme.
»Mein Name ist Bower. Dr Charles Bower. Ich lebe in Hampstead, wo ich eine Praxis betreibe. Ich bin zu Ihnen gekommen, Mr Blunt, weil sich in letzter Zeit einige äußerst seltsame Vorkommnisse zugetragen haben.«
»Ja, Dr Bower?«
»Im Laufe der vergangenen Woche wurde ich zweimal telefonisch zu einem Notfall gerufen und musste beide Male feststellen, dass diese Notrufe fingiert waren. Beim ersten Mal glaubte ich noch, jemand hätte sich einen Scherz mit mir erlaubt, doch als ich beim zweiten Mal in die Praxis zurückkehrte, fiel mir auf, dass einige meiner privaten Unterlagen bewegt und in Unordnung gebracht worden waren, und glaube jetzt, dass das Gleiche schon beim ersten Mal geschehen ist. Ich stellte eine gründliche Untersuchung an und kam zu dem Schluss, dass mein ganzer Schreibtisch sorgfältig durchsucht und die Papiere eilig wieder zurückgelegt worden waren.«
Dr Bower legte eine Pause ein und sah Tommy an.
»Nun, Mr Blunt?«
»Nun, Dr Bower«, entgegnete der junge Mann lächelnd.
»Was halten Sie davon?«
»Nun, als Erstes würde ich gern die Fakten kennen. Was verwahren Sie in Ihrem Schreibtisch?«
»Meine privaten Unterlagen.«
»Ganz recht. Was für private Unterlagen sind das? Welchen Wert haben sie für den gemeinen Dieb – oder für irgendeine bestimmte Person?«
»Für den gemeinen Dieb dürften sie, soweit ich sehen kann, nicht den geringsten Wert besitzen, aber meine Aufzeichnungen über gewisse unbekannte Alkaloide könnten für jemanden, der über einige Fachkenntnis auf diesem Gebiet verfügt, von Interesse sein. Ich forsche seit Jahren in diesem Bereich. Es handelt sich bei diesen Alkaloiden um tödliche und virulente Gifte, die darüber hinaus kaum nachweisbar sind. Sie lösen keine bekannten Reaktionen aus.«
»Ihr Geheimnis wäre also bares Geld wert, richtig?«
»Für skrupellose Menschen, ja.«
»Und Sie verdächtigen … wen?«
Der Doktor hob die massigen Schultern.
»Soweit ich das beurteilen kann, wurde nicht gewaltsam eingebrochen. Das scheint auf ein Mitglied meines Haushalts hinzudeuten, doch kann ich nicht glauben …« Er hielt unvermittelt inne und fuhr dann mit überaus ernster Stimme fort.
»Mr Blunt, ich muss mich ganz in Ihre Hände geben. Ich wage es nicht, in dieser Angelegenheit die Polizei einzuschalten. Bei meinen drei Dienstboten bin ich mir zu fast einhundert Prozent sicher. Sie dienen mir schon lange und treu. Dennoch, man weiß es nie. Dann leben noch meine beiden Neffen bei mir, Bertram und Henry. Henry ist ein guter Junge – ein sehr guter Junge –, er hat mir nie irgendeinen Kummer bereitet; ein großartiger, fleißiger junger Mann. Bertram, es schmerzt mich zu sagen, ist von ganz anderem Charakter: wild, verschwenderisch und hartnäckig untätig.«
»Verstehe«, sagte Tommy nachdenklich. »Sie verdächtigen Ihren Neffen Bertram, in die Angelegenheit verwickelt zu sein. Nun, ich bin nicht Ihrer Meinung. Ich verdächtige den guten Jungen – Henry.«
»Aber warum?«
»Überlieferung. Präzedenz.« Tommy wedelte mit der Hand durch die Luft. »Meiner Erfahrung nach sind die verdächtigen Subjekte immer unschuldig – und umgekehrt, mein werter Herr. Ja, ich verdächtige Henry, ganz entschieden.«
»Entschuldigen Sie, Mr Blunt«, unterbrach ihn Tuppence in respektvollem Ton. »Habe ich Dr Bower richtig verstanden, dass diese Aufzeichnungen über, äh, unbekannte Alkaloide zusammen mit den anderen Dokumenten im Schreibtisch verwahrt werden?«
»Sie befinden sich im Schreibtisch, junge Dame, jedoch in einem Geheimfach, das nur mir selbst bekannt ist. Somit haben sie sich der Suche bislang widersetzt.«
»Und was genau erwarten Sie von mir, Dr Bower?«, fragte Tommy. »Gehen Sie davon aus, dass Ihr Schreibtisch noch einmal durchsucht werden wird?«
»Das tue ich, Mr Blunt. Ich habe allen Grund zu der Annahme. Heute Nachmittag erhielt ich ein Telegramm von einem Patienten, den ich vor einigen Wochen nach Bournemouth geschickt hatte. In dem Telegramm heißt es, er befinde sich in kritischem Zustand und bitte mich, sofort zu ihm zu kommen. Aufgrund der soeben geschilderten Ereignisse misstrauisch geworden, habe ich selbst ein Telegramm an den in Rede stehenden Patienten aufgegeben und in Erfahrung gebracht, dass er bei guter Gesundheit ist und mich nicht zu sich gerufen hat. Da kam mir der Gedanke, wenn ich nun vorgebe, auf die List hereinzufallen und mich auf den Weg nach Bournemouth zu machen, ergäben sich gute Chancen, die Übeltäter beim Werk zu ertappen. Sie – oder er – werden zweifelsohne abwarten, bis das ganze Haus schlafen gegangen ist, bevor sie zur Tat schreiten. Ich schlage vor, dass wir uns heute Abend um elf Uhr vor meinem Haus treffen und gemeinsam in der Angelegenheit ermitteln.«
»In der Hoffnung, die Bösewichte auf frischer Tat zu ertappen.« Gedankenverloren trommelte Tommy mit dem Brieföffner auf der Tischplatte herum. »Ihr Plan scheint mir ein exzellenter, Dr Bower. Ich sehe da keine Schwierigkeiten. Und Ihre Anschrift lautet …«
»The Larches, Hangman’s Lane – ein recht abgeschiedener Winkel, muss ich gestehen. Dafür genießen wir großartige Blicke über die Heide.«
»Zweifelsohne«, sagte Tommy.
Der Besucher erhob sich.
»Dann erwarte ich Sie heute Abend, Mr Blunt. Vor The Larches um … sagen wir fünf Minuten vor elf, um ganz sicher zu gehen?«
»Gewiss. Fünf Minuten vor elf. Auf Wiedersehen, Dr Bower.«
Tommy erhob sich, betätigte die Glocke auf seinem Schreibtisch, und Albert erschien, um den Klienten hinauszuführen. Der Doktor hinkte deutlich, dennoch war seine beeindruckende Körperkraft nicht zu verkennen.
»Dem möchte man nicht im Dunkeln begegnen«, murmelte Tommy vor sich hin. »Nun, Tuppence, altes Mädchen, was hältst du davon?«
»Das kann ich dir mit einem Wort sagen«, erwiderte Tuppence. »Klumpfuß!«
»Was?«
»Ich sagte Klumpfuß! Mein Studium der Klassiker war nicht umsonst. Tommy, das ist eine Falle. Unbekannte Alkaloide, dass ich nicht lache – eine schwächere Geschichte habe ich noch nie gehört.«
»Selbst ich fand sie nicht sehr überzeugend«, bestätigte ihr Ehegatte.
»Hast du gesehen, wie er den Brief angestarrt hat? Tommy, er gehört zu der Bande. Sie sind dahintergekommen, dass du nicht der wahre Mr Blunt bist, und jetzt wollen sie Blut sehen.«
»In dem Fall«, sagte Tommy, öffnete den Bücherschrank und betrachtete die Bücherreihen mit liebevollem Blick, »ist unsere Rolle nicht schwer zu wählen. Wir sind die Brüder Okewood! Und ich bin Desmond«, fügte er nachdrücklich hinzu.
Tuppence zuckte mit den Schultern.
»Meinetwegen. Ganz wie du willst. Ich bin gern Francis. Francis war der bei weitem Intelligentere von den beiden. Desmond gerät ständig in Schwierigkeiten, und Francis taucht in allerletzter Minute auf, als Gärtner oder so, um ihn zu retten.«
»Ah!«, sagte Tommy. »Aber ich werde ein großartiger Desmond sein! Sobald ich bei The Larches ankomme …«
Tuppence fiel ihm umstandslos ins Wort.
»Du wirst nicht nach Hampstead fahren heute Nacht.«
»Warum nicht?«
»Sehenden Auges in die Falle tappen?«
»Richtig, meine Liebe, ich tappe sehenden Auges in die Falle. Das ist ein großer Vorteil. Unser Freund Dr Bower wird eine kleine Überraschung erleben.«
»Das gefällt mir nicht«, sagte Tuppence. »Du weißt, was passiert, wenn Desmond die Anweisungen des Chefs missachtet und auf eigene Faust handelt. Unsere Anweisungen sind unmissverständlich. Die Briefe unverzüglich weiterleiten und sofort von allen Vorkommnissen berichten.«
»Das hast du falsch verstanden«, sagte Tommy. »Wir sollten unverzüglich berichten, wenn jemand hereinkommt und die Zahl 16 erwähnt. Das ist nicht passiert.«
»Das ist Haarspalterei«, sagte Tuppence.
»Wie dem auch sei. Ich habe Lust, ein Solo zu spielen. Meine liebe Tuppence, mach dir keine Sorgen um mich. Ich werde bis zu den Zähnen bewaffnet sein. Der Knackpunkt der ganzen Geschichte ist, dass ich gewarnt bin und sie das nicht wissen. Der Chef wird mir für die gute nächtliche Arbeit auf die Schulter klopfen.«
»Trotzdem«, sagte Tuppence. »Mir gefällt das nicht. Dieser Mann ist stark wie ein Gorilla.«
»Ah!«, sagte Tommy, »Aber denk an meine silberne Automatik.«
Die Tür zum Vorzimmer ging auf, und Albert erschien. Er schloss die Tür hinter sich und kam mit einem Umschlag in der Hand auf sie zu.
»Da ist ein Gentleman, der Sie sehen möchte«, sagte Albert. »Als ich ihm den üblichen Vers von dem Telefonat mit Scotland Yard erzählen wollte, behauptete er, genau Bescheid zu wissen. Er sagt, er sei selbst von Scotland Yard! Dann hat er etwas auf eine Karte geschrieben und sie in den Umschlag gesteckt.«
Tommy nahm den Umschlag und öffnete ihn. Beim Lesen lief ihm ein Lächeln über das Gesicht.
»Albert, der Gentleman hat sich auf deine Kosten amüsiert, indem er die Wahrheit sagte«, erklärte er. »Führ ihn herein.«
Er warf Tuppence die Karte zu. Sie trug den Namen Detective Inspector Dymchurch, quer darüber in Bleistift: »Ein Freund von Marriot«.
Wenige Sekunden später betrat der Detective von Scotland Yard das Büro. Inspector Dymchurch war von ganz ähnlicher Erscheinung wie Inspector Marriot: klein, stämmig und mit wachen Augen.
»Einen wunderschönen guten Tag«, sagte der Detective fröhlich. »Marriot ist nach South Wales unterwegs, aber vor seiner Abreise bat er mich, ein Auge auf Sie beide und auf dieses Büro zu haben. Oh! Ganz unbesorgt, Sir«, fuhr er fort, als Tommy Anstalten machte, ihn zu unterbrechen, »wir wissen genau Bescheid. Es ist nicht unsere Abteilung, und wir mischen uns da nicht ein. Aber vor gar nicht langer Zeit ist jemand dahintergekommen, dass nicht alles so ist, wie es scheint. Sie hatten hier heute Nachmittag einen Gentleman zu Besuch. Ich weiß nicht, wie er sich nannte, und ich kenne auch seinen richtigen Namen nicht, aber ein wenig weiß ich doch über ihn. Genug, um mehr erfahren zu wollen. Gehe ich recht in der Annahme, dass er sich für heute Abend an einem bestimmten Ort mit Ihnen verabredet hat?«
»Ganz richtig.«
»Dachte ich mir. 16 Westerham Road, Finsbury Park? Ist das die Adresse?«
»Da liegen Sie daneben«, sagte Tommy mit einem Lächeln. »Gehörig daneben. The Larches, Hampstead.«
Dymchurch wirkte ehrlich überrascht. Damit hatte er offensichtlich nicht gerechnet.
»Das verstehe ich nicht«, murmelte er. »Muss ein neuer Plan sein. The Larches, Hampstead, sagten Sie?«
»Ja. Ich soll mich dort heute Abend um elf Uhr mit ihm treffen.«
»Das werden Sie nicht tun, Sir.«
»Hörst du!«, brach es aus Tuppence heraus.
Tommy lief rot an.
»Wenn Sie glauben, Inspector …«, hob er hitzig an.
Doch der Inspector hob beschwichtigend die Hand.
»Ich sage Ihnen, was ich glaube, Mr Blunt. Wo Sie heute Abend um elf Uhr sein wollen, das ist hier in diesem Büro.«
»Was?«, rief Tuppence überrascht.
»Hier in diesem Büro. Es spielt keine Rolle, woher ich das weiß – manchmal kommt es zu Überschneidungen zwischen den Abteilungen –, aber Sie haben heute einen jener berühmten ›blauen Briefe‹ erhalten. Und auf den hat der gute Wie-auch-immer-er-heißt es abgesehen. Er lockt Sie hinaus nach Hampstead, damit Sie ihm auch ganz bestimmt nicht in die Quere kommen, und in der Nacht, wenn das Gebäude leer und verlassen ist, verschafft er sich hier Einlass, um sich in aller Ruhe umzuschauen.«
»Aber warum sollte er denken, dass der Brief hier ist? Er muss doch wissen, dass ich ihn entweder bei mir trage oder längst weitergeleitet habe.«
»Verzeihung, Sir, aber genau das weiß er nicht. Er mag über den Umstand gestolpert sein, dass Sie nicht der echte Mr Blunt sind, aber vermutlich hält er Sie für einen aufrechten Gentleman, der die Detektei übernommen hat. Unter diesen Umständen wäre der Brief ganz normales Tagesgeschäft und würde als solches abgelegt.«
»Verstehe«, sagte Tuppence.
»Und in diesem Glauben wollen wir ihn auch belassen. Wir werden ihn heute Nacht hier auf frischer Tat ertappen.«
»Das ist also der Plan, ja?«
»Ganz genau. Es ist eine einmalige Gelegenheit. Also, wie spät ist es jetzt? Sechs Uhr. Wann verlassen Sie für gewöhnlich das Büro, Sir?«
»Gegen sechs.«
»Es muss aussehen, als würden Sie wie üblich aus dem Büro gehen. Danach werden wir so bald wie möglich zurückkehren, unauffällig natürlich. Ich glaube nicht, dass sie vor elf Uhr kommen, aber möglich ist es. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen, ich werde mich draußen umschauen, ob das Gebäude observiert wird.«
Dymchurch verließ das Büro, und Tommy fing ein Streitgespräch mit Tuppence an.
Es dauerte eine Weile und war erbittert und hitzig. Am Ende gab sich Tuppence plötzlich geschlagen.
»Also gut«, sagte sie. »Ich gebe nach. Ich gehe nach Hause und werde wie ein braves kleines Mädchen dasitzen, während du Verbrecher jagst und dich mit Detectives anfreundest – aber freu dich nicht zu früh, junger Mann. Das zahle ich dir heim, dass du mir den Spaß verwehrt hast.«
In diesem Augenblick kehrte Dymchurch zurück.
»Die Luft scheint rein«, sagte er. »Aber man kann nie wissen. Am besten, Sie verlassen das Gebäude wie immer. Wenn Sie erst einmal weg sind, werden die das Haus nicht länger beobachten.«
Tommy rief Albert zu sich und gab ihm Anweisungen abzuschließen.
Dann spazierten sie zu viert zu der nahe gelegenen Garage, wo sie üblicherweise den Wagen parkten. Tuppence fuhr, Albert saß neben ihr, Tommy und der Detective auf der Rückbank.
Gar nicht weit gekommen, blieben sie im Verkehr stecken. Tuppence schaute über die Schulter nach hinten und nickte. Tommy öffnete die rechte Seitentür und stieg zusammen mit dem Detective mitten auf der Oxford Street aus dem Wagen. Ein bis zwei Minuten später fuhr Tuppence weiter.