Читать книгу Kuss der Todesfrucht - Agnes M. Holdborg - Страница 8
Dämonen der Nacht
ОглавлениеAlles war penibel vorbereitet. Jedes Wort, jede Geste hatte Adol sich genauestens zurechtgelegt.
Es würde nicht einfach werden, Crinda davon zu überzeugen, sich mit ihm zu verbünden. Adol hoffte, ihn mittels seiner Liaison mit einer Menschenfrau für den Plan gewinnen zu können. Seine Liebe zu Manuela sollte als Vorwand für sein angebliches Zerwürfnis mit Densos dienen, schließlich hatte er sich deswegen tatsächlich häufig mit seinem Vater gestritten. Nun wollte er vorgeben, er hätte sich endgültig mit Densos überworfen und würde aus diesem Grunde dessen Sturz vom Thron planen. Für dieses Vorhaben bräuchte er unbedingt einen Verbündeten. Wer wäre da besser geeignet als Densos‘ Erzfeind Crinda? Das sollte als Begründung dafür genügen, dass Adol ungefragt in Crindas Reich eindrang, und das sollte ihm zudem die Gelegenheit geben, Sira aufzuspüren und zu befreien.
Noch ein letztes Mal ging er alles gedanklich durch, bevor er die Feuerberge betrat. Einen Ort, den Adol abgrundtief verabscheute, bedeutete er doch Hitze, Gestank und, trotz der vielen Feuer, vor allem Dunkelheit. Ein wahrlich unwirtlicher Ort für einen Schöngeist wie ihn. Doch nun, da er hier war, stellte er sein Naserümpfen ein, setzte stattdessen eine freundlich interessierte Miene auf, als einer der Wachmänner ihm den Weg versperrte. »Wo willst du denn hin? Hast du dich verlaufen, Süßer?«
Der Kerl stand keckernd einige Meter von Adol entfernt. Trotzdem konnte er den fauligen, abstoßenden Geruch wahrnehmen, den der Feuerdämon beim Sprechen ausdünstete.
Obgleich es ihm schwerfiel, ließ er sich nichts von seinem Ekel anmerken. »Ich habe etwas mit Crinda zu bereden!«, erwiderte er mit autoritärer Stimme. »Er würde es euch übel nehmen, wenn er mitbekäme, dass ihm ein lukratives Angebot durch die Lappen geht.«
Versteckte Drohungen waren die beste Finte gegen solch schlichte Dämonen wie diese Wachleute. Damit konnten sie einfach nicht umgehen. Das Auf- und Abwägen von Für und Wider machte sie schier verrückt. Adol konnte die sich überschlagenden Gedanken in den Augen der Dämonenmänner regelrecht wirbeln sehen. So wunderte es ihn nicht, dass ihm ohne weitere Nachfrage Einlass gewährt wurde. Natürlich untersuchten sie ihn auf Waffen, und zwar erfolglos, bevor sie ihn in Crindas innerstes Reich geleiteten. Einer wahrlichen Höllenmaschinerie, wie Adol fand.
Er war schon einmal hier gewesen. Doch das war lange her. Damals hatte er als Knabe seinen Vater Densos zu Crinda begleitet, tief hinein in die Feuerberge. Das Verhältnis der beiden Regenten war seinerzeit schon äußerst angespannt gewesen, ein Zusammentreffen deswegen eher selten vorgekommen. Dennoch trafen sie sich hin und wieder, um dadurch die Grenzen sauber zu halten und einen einigermaßen pfleglichen Umgang miteinander zu üben. Irgendetwas musste diese bereits angeschlagene Beziehung noch einmal erheblich beeinträchtigt haben, gelinde ausgedrückt! Adol hatte nie erfahren, was der Grund für die heftige Verfeindung gewesen war.
Jetzt jedenfalls lief er durch ein heißes, stickiges Labyrinth von Gängen und passte im wahrsten Sinne des Wortes höllisch auf, dass er sich nicht die Gliedmaße an den glühenden Felsen verbrutzelte. Das gelang ihm leider nicht vollständig, denn manche der fiesen Finstergestalten, die ihm entgegenkamen, nutzten die sich bietende Gelegenheit, ihn zur Seite zu schubsen. Ganz offenkundig freuten sie sich diebisch über das zischende Geräusch, das seine Haut machte, wenn er irgendwo anstieß.
Endlich stand Adol vor Crindas Gemächern. Ein bulliger Dämon musterte ihn mit seinen gelben Augen aufs Genaueste.
Das mulmige Gefühl, welches Adol ob des durchdringenden Blickes dieses Kerls beschlich, verhieß nichts Gutes. Gutes. Grimmig schüttelte er diesen unguten Eindruck wieder ab, denn er wollte unbedingt an seinem Vorhaben festhalten. Als sich das Tor wie ein gähnender Schlund auftat und ihm grelle Flammen entgegenschlugen, wusste er jedoch, dass all die sorgfältige Planung umsonst gewesen war.
Das Letzte, was Adol zu Gesicht bekam, war Crindas grinsende Fratze und Siras entsetzte Miene. Dann durchflutete ihn ein brennender Schmerz, tauchte ihn in feurige Dunkelheit.
~~~
»Du hast also wirklich geglaubt, du könntest mir entkommen, Manu-Schatz?«
Nicht in der Lage, ihm zu antworten – nicht in der Lage, zu glauben, dass er vor ihr stand, starrte Manuela ihn fassungslos an. Gerade noch hatte sie gespürt, wie die Krallen seiner Tigerpranke messerscharf in ihr Fleisch schlugen. Obwohl der sengende Schmerz auf ihrem Rücken sie fast verrückt gemacht hatte, hatte sie gehofft, einfach nur in ihrem üblichen Albtraum gefangen zu sein und sich auf den rettenden Baum flüchten zu können. Wenngleich auch diese Situation stets zu ihren Ungunsten ausgegangen war, hatte Adol sie ja letzten Endes immer daraus befreit.
Als sie jetzt allerdings in die babyblauen Augen des ihr gegenüberstehenden Mannes blickte, wurde ihr bitter bewusst, dass dies mitnichten ihr Traum war und sie nicht daraus gerettet werden würde. Adol schien, nein, er war tatsächlich Welten entfernt. Dafür stand nun dieser Mistkerl in voller Größe vor ihr, und zwar nicht als Tiger wie in so vielen Traumnächten, sondern als echter lebendiger Mann – ihr Ehemann – Frederick!
»Was ist, Manu-Schatz?«
Gott, wie sie seine Betonung auf das Wort ›Schatz‹ hasste. Wie ihr dabei die nackte Angst mit eiskalten Schaudern den Rücken hinabrieselte und somit noch mehr lähmte.
»Du bist noch immer so erbärmlich wie früher, Manu. Wenn du dich nur sehen könntest – mit dem aufgesperrten Maul und diesen Glubschaugen.«
Weiterhin unfähig zu sprechen, nahmen altgewohnte Verhaltensmuster von Manuela Besitz. Seine Worte drangen zwar zu ihr durch, tröpfelten an ihr Ohr, fanden dort aber kaum Einlass, denn sie hatte bereits ihren inneren Schutzschild hochgefahren. Genau wie damals! Genau wie immer! Hatte sie sich seiner körperlichen Gewalt zwar nie entziehen können, so wollte sie doch in all den Jahren seiner Tyrannei wenigstens nichts von dem hören, was er ihr an den Kopf warf. Daran konnte er sie nicht hindern – daran nicht!
Vielleicht war sie einfach zu früh in diese Ehe mit Frederick geschlittert. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wie und warum alles so gekommen war. Letztlich war es auch egal. Dieses Nichtzuhören jedenfalls wurde im Laufe der Zeit zu dem Einzigen, das ihr ganz allein gehörte, so verrückt es auch im Nachhinein für sie klang. Das war ihr kleiner Triumph über ihn!
Sein schöner Mund, der sie im ersten Jahr der Beziehung so begehrlich, fordernd, ja, feurig geküsst hatte, verzog sich nun auf die ihr entsetzlich bekannte Weise zu einem zynischen Grinsen. Manuela wunderte sich, wie schnell sie wieder auf ihn reagierte. So wusste sie schon im Vorhinein, dass er sie entgegen seines ruhigen Grinsens anbrüllen würde. Sie wurde nicht enttäuscht.
»Manuela, du hörst mir gefälligst zu, wenn ich mit dir rede!«
Die Wucht des Schlages mit seinem Handrücken, die durch den breiten Platin-Ehering am Finger seiner rechten Hand noch verstärkt wurde, flutete ihr Sein. Erst in diesem Augenblick wurde ihr richtig klar, dass er tatsächlich vor ihr stand. Frederick, ihr totgeglaubter Ehemann – Frederick, ihr Peiniger!
Verflucht!, war das Erste, was sie dachte, weil sie sich nicht auf seinen Schlag hatte vorbereiten können. Ihre Gedanken überschlugen sich, ergaben weder Zusammenhang noch Sinn: Wie ist das möglich? Ist das ein Traum? Wo ist Adol? Hilfe!
Schmerz flammte auf. Sein Schlag in ihr Gesicht ließ sie Blut schmecken. Bevor sie in ihrem Inneren nach Klarheit suchen konnte, zerrte er sie bereits an den Haaren hinter sich her. Eine ihr nur allzu vertraute Methode, eine seiner schlimmsten! Selbst als sie strauchelte, hinfiel, unterdessen mechanisch mit den Beinen strampelte, schleifte er sie erbarmungslos ins Schlafzimmer – in das blütenweiße eheliche Schlafzimmer.
Aber das Haus gehörte der Bank, sollte versteigert werden! Hatte sich nicht sogar schon ein junges dynamisches Paar dafür interessiert oder es gar gekauft? Diese Geistesblitze wollten ihr sagen, dass sie nur träumen konnte. Trotzdem befand sie sich unverkennbar in einer Art Realität.
Sie wusste haargenau, was er vorhatte, auch dass er dies nun tun würde. Allerdings war sie nach wie vor angstgelähmt, unfähig, sich zu wehren. Obwohl er ihr büschelweise Haare ausriss, sie aufs Bett warf, ihr brutal die Kleider vom Leib zerrte, blieb sie vollkommen regungslos. Sie bettelte nicht. Weinte keine einzige Träne. Sagte kein Wort.
~~~
Sie trägt das Amulett nicht, auch nicht den Ring! Bestimmt liegt beides auf ihrem Nachtisch. Verdammt noch mal, Manuela, du, und deine Ordnungszwänge und festgefahrenen Lebensabläufe! Konntest du sie immer noch nicht ablegen? Das Amulett sollte dich doch schützen, auch oder sogar ganz besonders bei Nacht!
Tief seufzend blickte Adol in Siras trübe Augen, die ihn seit geraumer Zeit einfach nur anstierten, während die Feuerdämonin an der ihm gegenüberliegenden Wand stand. »Ich hatte Manuela den Kuss der Todesfrucht zu ihrem Schutz geschenkt, aber sie trägt ihn nicht. Kannst du ihr nicht helfen «
Sofort schreckte die extrem kleine, zierliche Person aus ihrer Lethargie. Schwarze Augen schickten rote Blitze. »Was soll das heißen, sie trägt ihn nicht? Und wie, in der Götter Namen, soll ich ihr deines Erachtens helfen, wenn Crinda mich, genau wie dich, mit seiner Höllenmagie an die Wand genagelt hat? Ich jedenfalls kann mich keinen Millimeter bewegen. Du etwa?«
Resigniert senkte Adol den Blick. Der Gedanke an das, was er von Manuela wahrgenommen hatte, ließ ihn schier verzweifeln. »Nein, kann ich nicht. Und das Amulett trägt sie nicht, weil ...«, er suchte nach den passenden Worten, »... weil sie als Gewohnheitsmensch ihren Schmuck vor dem Schlafengehen immer ablegt. Mist! Ich hätte das in meinem Brief erwähnen sollen. Oder aber, ich hätte das alles persönlich machen müssen. Damals hielt ich es für eine gute Idee. Jetzt sitzen wir hier allerdings beide fest.«
»Siehst du?«, schimpfte Sira weiter und schüttelte derweil ihr glänzendschwarzes kinnlanges Haar. »Wir sitzen hier beide fest. Wieso also denkst du, sollte ich ihr helfen können, he?«
Aufs Neue erstaunte Adol die Art und Weise, wie dieses ausgesprochen hübsche Persönchen sich mit einem Male gebärden konnte. Nicht nur ihre mandelförmigen großen Augen glühten nun feuerrot, auch aus ihrem niedlichen Himmelfahrtsnäschen stoben Funken. Selbst seine Mutter wirkte nie so imposant in ihrer Wut. Na ja, vielleicht war er in dieser Hinsicht etwas voreingenommen. Insgesamt gab Sira ihm jedenfalls überdeutlich zu erkennen, was und wer sie war. Bereits seit geraumer Zeit hegte Adol jedoch den Verdacht, dass sogar noch weitaus mehr in ihr steckte. Das hatte er ja bereits bestätigt gesehen, indem Sira seinerzeit Manuela die Möglichkeit zur Flucht verschafft hatte.
»Du hast ihr schon einmal geholfen«, antwortete er. »Schließlich hast du doch zusätzlich zu deiner Feuerdämonenkraft auch noch ...«
»Psst!«, zischte sie. »Hältst du wohl die Klappe!« Im verschwörerischen Ton hauchte sie hinterher: »Mein, äh, Vater weiß nichts davon, und so soll es auch bleiben.«
»Na, meinetwegen, da hast du wahrscheinlich recht. Aber tu doch bitte was. Wenn Crinda mir momentan auch fast alle Sinne blockiert, so weiß ich dennoch, dass Manuela in größter Gefahr schwebt und ohne das Amulett absolut schutzlos ist. Ich kenne ihre Träume, Sira. Daher weiß ich, dass jemand zu ihr kommen wird, und ich bin nicht da, um sie vor seinen Übergriffen zu schützen.«
»Warum glaubst du das denn? Meines Wissens hat Manuela doch schon lange nicht mehr von Frederick geträumt.«
Die Frage verblüffe ihn. Bevor er jedoch etwas erwidern konnte, sprühten ihm Siras Augenfunken erneut entgegen. »Ja, Adol, ich kenne seinen Namen, denn ich weiß mehr von Manuela, als du glaubst. Ich weiß, was er ihr angetan hat. Sie hat es mir erzählt.«
»Ach ja«, gab er spitz zurück, »ihr seid ja so was wie beste Freundinnen, nicht wahr? Schleicht euch zusammen aufs Klo und so. Hast du ihr deswegen geholfen, von mir wegzukommen, weil ich deiner Meinung nach auch so ein Ungeheuer wie Frederick bin?«
»Pah, an deiner krankhaften Eifersucht solltest du wirklich arbeiten! – Aber nein, ich halte dich keineswegs für ein Ungeheuer. Ganz im Gegenteil. Ich weiß, wie sehr du sie liebst. Das musst du mir glauben.« Da tauchte er mit einem Male auf, dieser warme Schimmer, der ihren Augen so eine mitfühlende Güte verlieh. »Manuela hat niemals schlecht von dir gesprochen, Adol, nur war sie damals total unglücklich. Das konnte ich sehen. Sie fühlte sich nicht richtig wohl an deiner Seite, und das, obgleich ihr euch liebt. Darum ...«
»Darum hast du ihr geholfen?«
»Hab ich doch gar nicht, verflixt noch eins! Manuela war erheblich raffinierter, als ich dachte. Sie machte einen auf interessiert und hat mir viele unverfängliche Fragen gestellt, glaubte ich jedenfalls. Dabei hat sie mit ihrer Beobachtungsgabe offensichtlich eins und eins zusammengezählt. Tja, und dann ist ihr wohl aufgefallen, dass ich ab und zu ...« Sira senkte die Lautstärke. »Na, du weißt schon. – Deine Manuela hat mich schamlos ausgenutzt, Adol. Ich bin immer noch ziemlich sauer auf sie. Nur weil ich diesen kleinen Augenblick nicht aufgepasst habe, als sie ... Tja, jedenfalls war das die Gelegenheit für Crinda, mich zu ihm zurückzuholen.«
»Ach, und aus diesem Grunde willst du ihr jetzt nicht helfen?«
»Wo denkst du hin? Du solltest mich allmählich besser kennen. Selbstverständlich möchte ich was tun. Aber zurzeit geht es einfach nicht, verstehst du?«, flüsterte sie ihm kaum hörbar zu. »Du musst dich gedulden, bis ich – ähm – bis ich halt wieder kann.« Auf einmal erhob sie die Stimme. Sie brüllte geradezu durch den kleinen kellerartigen Raum: »Dein katastrophaler Befreiungsplan hat mir nichts als weitere Scherereien eingebracht, Adol! Wenn du nicht Tamarells Bruder wärst, dann ...«
»Was würdest du dann tun, Tochter?« Crindas bissige Stimme durchschnitt die stickige Luft des Raumes wie ein heißes Messer die Butter, und im gleichen Moment stand er zwischen den beiden.
Hat sie wohl gespürt, dass er kommt? Außerdem fragte sich Adol nun schon zum wiederholten Male, wieso die Feuerdämonenmänner im Gegensatz zu ihren Frauen derart hässlich waren. Mit der schuppigen, modrig grünschimmernden Haut, den schrägen gelben, wimpernlosen Augen und den überaus zahlreichen und zudem unregelmäßigen, spitzen Zähnen. Er fand, dass all diese Merkmale sie abstoßend aussehen ließen, wohingegen die Frauen ihm durchaus reizvoll erschienen. Siras Haut schimmerte zwar auch grünlich, wirkte aber gleichzeitig wie aus Samt und Seide, und ihr Mund war eher lieblich zu nennen. Kein Wunder, dass die Dämonenfrauen ihren Männern regelmäßig davonliefen, schoss es Adol durch den Kopf. So war schließlich auch Sira bei Tamarell gelandet. Adol konnte ganz und gar verstehen, dass sein Bruder sich in sie verliebt hatte.
Crinda allerdings stellte in Adols Augen ein ganz besonders ekelhaftes Exemplar dar, besaß der als Clanführer noch dazu einen fiesen langen schlangenartigen Schwanz, der aus dem rückwärtigen Schlitz seines kaftanähnlichen schwarzen Gewandes herausragte und bedrohlich hin- und herschwang. Adol war bekannt, dass Crinda dieses Ding sowohl als Peitsche als auch als Lasso nutzte. Über mehr wollte er lieber nicht nachdenken.
»Was wohl, Vater, he?«, gab Sira in gleicher Tonart zurück und zuckte danach mit ihrem Kinn Richtung Adol. »Der Typ da geht mir schon seit langem auf die Nerven, genau wie Tamarell. Ich hab die Schnauze gestrichen voll von denen, ihrem Traumgesülze, Zeitengehopse und Botengetue. Du hättest mich gar nicht mit Gewalt zurückholen brauchen, ich wäre nämlich ...«
»Wärst du nicht!«, blaffte Crinda dazwischen. »Halte mich doch nicht für blöde! Dein Tamarell hat alles versucht, um dich zu befreien, und du hast alles versucht, um wieder zu ihm zu gelangen. Glaubst du, ich spüre eure gegenseitige Liebe nicht? Bäääh!«
Bei dem Wort ›Liebe‹ verzog er angewidert das Gesicht und verhalf seiner Äußerung durch ein kräftiges Würgegeräusch par exellence zu mehr Bedeutung. »Ob Ortos dich jetzt noch will, ist fraglich. Ich könnte mir vorstellen, dass er es mit einer benutzten Schlampe, wie die Menschen sie auf ihren Straßen herumziehen lassen, nicht mehr tun will.«
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Frederick war groß, grob und grausam – und er genoss es sichtlich in vollen Zügen. Anstatt sich jedoch zu wehren, ließ Manuela weiterhin alles willenlos über sich ergehen, ließ ihn agieren, sie erniedrigen, ihn sich in sie hineinpumpen, ja, sogar dabei würgen. – Es war ihr egal! Ohne Adol war ihr sowieso alles egal. Es musste ihm etwas zugestoßen sein, sonst hätte er sie längst aus diesem Schreckensszenario befreit. Dann läge sie längst in seinen starken tröstenden Armen. Aber, er war nicht gekommen.
Plötzlich wurde Manuela aus ihrer Betäubung herausgeschleudert. Nicht durch den Schmerz, den Frederick ihr zufügte. Nicht durch seine derben, widerlichen Worte, die er ihr zuflüsterte, als sich seine Hand erneut wie ein Schraubstock um ihren Hals legte. Und auch nicht durch seinen heißen Atem, der sie streifte.
Nein, ein jäh aufkeimender Geistesblitz schürte ihre Panik: Sie hatte das Amulett nicht angelegt, trug den Ring nicht! Was, wenn Adol die ganze Zeit versuchte, sie zu erreichen, es aber aus irgendeinem Grunde nicht schaffte und sie noch dazu den Kuss der Todesfrucht nicht trug?
Obwohl, hätte Frederick ihr das Amulett nicht sofort abgerissen? Niemals hätte er geduldet, dass sie etwas anderes trug, als die lupenreinen kalten Brillanten, die er ihr geschenkt hatte. Sie hatte den Platinschmuck inklusive Ehering verkaufen müssen, um aus der Schuldenfalle zu gelangen, in die er sie hineinmanövriert hatte. Und das, obgleich ihr eigentlich nichts gehört hatte. Doch das war nun einerlei. Sie allein trug Schuld daran, dass Adol sie nicht fand. Sie allein!
Die Schreie, die Manuela daraufhin ausstieß, galten nicht Fredericks Brutalität, sondern der schrecklichen Erkenntnis, Adol niemals wiederzusehen.
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»Du wagst es, mich eine benutzte Schlampe zu nennen? Du widerwärtiger ...« Sira schien dermaßen außer sich zu sein, dass sie nicht weitersprechen konnte. Wenn Adol eben noch gedacht hatte, ihr Erscheinungsbild wäre imposant, so war es jetzt furchteinflößend. Offensichtlich sah ihr Vater das genauso, denn er zuckte merklich zusammen, als seine Tochter von einer Sekunde zur anderen lodernd aufglühte und sich scheinbar mühelos von der Wand löste. Wie zur Salzsäule erstarrt stand Crinda einfach nur da. Sira nutzte die Gelegenheit, fegte ihn mit einem einzigen Blick beiseite und riss daraufhin Adol an sich, um ihn mitzunehmen – in die ihm so vertrauten Zeitgefüge.
Glücklich registrierte Adol die besonderen Wirren der Dimensionen. Unterdessen nahm er deutlich wahr, dass auch Sira sich durch diese Sphären hindurchlenkte, so, als hätte sie nie etwas anderes getan. Hatte er es doch geahnt. Sie war nicht nur eine Feuerdämonin, sondern auch eine Zeiten – und Traumwandlerin. Sogar eine mit besonderen Talenten, sonst hätte sie sich und zudem Adol niemals von Crindas Höllenfesseln befreien können.
Wie war das nur möglich? Eigentlich kannte er die Antwort bereits: Sira konnte nie und nimmer Crindas leibliche Tochter sein! Anscheinend hatte Siras Mutter ihrem hässlichen Ehegatten ein Kuckucksei ins Nest gelegt. Sofort fielen Adol seine eigene Mutter und das Ergebnis ihrer Untreue, nämlich Tamarell, ein. Gab es denn in seinen Gefilden nur Untreue und Betrug?
Der drosselnde Sog, der die Reise beendete, stoppte außerdem seine zeitweilige Entrüstung. – Sie waren da, in Manuelas Wohnzimmer, doch Manuela nicht!
Haare raufend rannte Adol in ihr Schlafzimmer, in der Hoffnung, sie in ihrem Bett vorzufinden, gefangen in ihren Albträumen. Aber das Bett war leer. Wie vermutet, fand er den Kuss der Todesfrucht und auch den Ring auf dem Nachttisch. Sein Brief lag neben Manuelas Kopfkissen. Er griff sich das Kissen, an welchem ihr verlockender Duft haftete, drückte es an sein Herz und schloss für eine Sekunde die Augen. Er wusste, seine Verlobte durchlitt zurzeit Höllenqualen, aus denen er sie nicht einfach so zu befreien vermochte.
Nach diesem winzigen Moment der Resignation und Verzweiflung nahm er auch den Ring und das Amulett an sich. Dann sah er Sira an. »Was kannst du noch?«
»Oh, nichts zu danken, Adol. Ich habe dich und auch mich nur zu gerne aus den Fängen meines Möchtegernvaters befreit und uns zu Manuela gebracht. Du brauchst dich wirklich nicht dafür zu bedanken. Keinesfalls!«
»Sira, bitte, wir müssen unbedingt was tun. Irgendjemand muss uns verraten haben. Crinda kannte unseren Plan. Er wusste, dass und wie ich dich befreien wollte.« Er stockte kurz. »Und irgendjemand hat diese Situation genutzt, um mir Manuela zu rauben.« Erst nachdem er sich hektisch durchs Haar gefahren war, lächelte er dünn. »Danke, du warst wirklich großartig. Wer immer dein alter Herr ist, Crinda ist es jedenfalls nicht, wie mir scheint. Und jetzt sag, kannst du noch mehr?«
»Tztztz!« Sira schüttelte missbilligend den Kopf. »Ich kann allerhand, ja, aber ich brauche dafür Energie, und die ziehe ich aus meiner Rage. Ich wäre schon längst wieder von Crinda geflüchtet, nur war mein innerer Zorn irgendwie nicht groß genug, obwohl ich Tamarell entsetzlich vermisse. Erst als Crinda derart ekelhaft daherredete, von wegen Ortos und Schlampe und so, da wurde ich so richtig sauer.«
»Dann sei, in aller Götter Namen, bitte weiterhin sauer!«, flehte er sie an.
»Sei still! Dein Jammern erweckt höchstens Mitleid in mir. Außerdem versuche ich schon seit geraumer Zeit, diese aufwühlenden Gefühle in mir selbst aufzubauen, nur klappt es halt noch nicht so richtig. Ohne entsprechende Wut im Bauch will mir das einfach nicht gelingen.«
Seine Hoffnung sank, denn ihr Blick war jetzt vielmehr weich und sorgenvoll als zornig. Also fauchte er sie an: »Was für eine miese Tour ist das denn? Du hast uns aus Crindas Feuerbergen rausgeholt, und jetzt ist Ende im Gelände?«
Mit voller Wucht schleuderte er das Kopfkissen in Siras Richtung, aber es war nicht sie, die es traf, sondern Tamarell fing es geistesgegenwärtig auf. Er hatte sich genau in die Schusslinie hineinmaterialisiert.
»Habt ihr nichts anderes zu tun, als eine Kissenschlacht zu veranstalten?« Ohne eine Antwort abzuwarten, riss er Sira an sich und küsste sie inbrünstig. Dann sah er kurz zu seinem Halbbruder. »Warte einen Moment.« Wieder an Sira gewandt frage er: »Geht es dir gut, Augensternchen? Ich habe dich so vermisst.«
»Ja, jetzt geht es mir prima, aber ich habe dich mehr vermisst, mein Glücksbote.« Sie drückte ihn fest an sich, ehe sie zu ihm aufschaute. »Woher wusstest du eigentlich, dass wir hier sind?«
»Götterboten haben ihre eigenen Talente. Ich konnte eure Spur von den Feuerbergen aus lesen und verfolgen, das ist alles.« Noch einmal bedachte er Sira mit liebevollem Blick. »Den Göttern sei Dank, dass du wieder bei mir bist.«
Damit veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Mit finsterer Miene sprach er zu Adol. »Du hältst den Kuss der Todesfrucht in Händen, du Idiot! Benutze ihn!«
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Je heftiger sie sich wehrte, desto kräftiger drückte und schlug Frederick zu, im steten Wechsel, scheinbar sorgsam darauf bedacht, dass Manuelas in seinen Augen offenbar jämmerliches Leben, ihre Qual und seine Lust nicht verloren gingen. Er war längst schon fertig, ließ aber trotzdem nicht von ihr ab. Die spitzen Schließen und Zacken seiner Gürtelschnalle, ebenso der Reißverschluss seiner geöffneten Hose, schabten und rissen schmerzvoll über ihren Körper, während er sich weiterhin schwer lastend auf ihr bewegte. Obgleich er aus ihr herausgeglitten war, geilte er sich schon wieder an seiner Brutalität, Manuelas Gegenwehr, ihrem Röcheln und panischen Geschrei auf.
»Ja, schrei, Manu-Schatz, schrei, was du kannst. Das törnt mich ungeheuer an.«
Manuela verstand ihn kaum mehr. Der Schmerz war zwar noch da, setzte ihr unsagbar zu, ansonsten hatte sich ihr Geist weit entfernt. Ihr Denken galt einzig Adol, dem Mann, den sie liebte, den sie heiraten wollte und dem etwas passiert sein musste – vielleicht ihretwegen! Sie spürte nicht, dass sie mit ihrem Kreischen und Strampeln Fredericks perverse Wünsche regelrecht anheizte, dass er sich bereits aufgerichtet hatte, um sie rüde auf den Bauch zu drehen und dann ihre Hüften zu packen. Manuela hatte sie verlassen, diese seltsame Sphäre zwischen Traum, Zeit und Realität, in der ein vermeintlich Toter ihr solch grauenvolle Dinge antun konnte. Selbst die Schmerzen schwanden, und die Luft zum Atmen kehrte allmählich zu ihr zurück.