Читать книгу Kuss der Todesfrucht - Agnes M. Holdborg - Страница 9
Déjà-vu
ОглавлениеAdol starrte auf das Amulett in seinen Händen. Natürlich! Wie konnte er nur so auf der Leitung stehen? Scheinbar hatte ihn die Sorge um Manuela eines jeden klaren Gedankens beraubt.
Mit dem Kuss der Todesfrucht, dem Schlüssel zu Traum und Zeit, besaß er einen Weg, um Manuela aus ihrem wahrgewordenen Albtraum zu sich zurückzuholen. Dabei musste er äußerst vorsichtig zu Werke gehen, denn sie war nicht nur in ihren fürchterlichen Träumen gefangen. Nein, das hier, das war weitaus mehr, weil sie sich zusätzlich in einer anderen Zeitsphäre befand, sonst läge sie ja hier schlafend in ihrem Bett.
»Denk nicht so viel darüber nach«, riet ihm Sira. »Tu es einfach! Jetzt! Ich werde nämlich das Gefühl nicht los, dass du recht hast, und uns jemand dicht auf den Fersen ist. Nun mach schon!«
Zunächst noch unschlüssig besah sich Adol ein weiteres Mal die rote Perle, bevor er endlich reagierte: Er warf Ring und Brief beiseite und ließ einen gleißenden Strahl aus seinen Augen zu dem in seiner offenen Hand liegenden Amulett blitzen, woraufhin dieses sofort zu pulsieren begann, sich von der Kette löste, aufschwebte und sich dabei zu drehen begann. Während es sich zu einer mannshohen Kugel ausdehnte, rotierte es bereits in immenser Geschwindigkeit, warf unterdessen leuchtend rote Schatten an die Wände. Der Raum verlor seine Konturen. Die Luft schien anzuschwellen, nahm jegliches Geräusch in sich auf.
Immer wieder, wenn Adol sich der Hilfe des Amuletts bediente, war er erstaunt darüber, wie widersprüchlich diese abrupte, vollkommene Stille gegenüber dem turbulenten Geschehen wirkte, geradezu bizarr.
Dann auf einmal tat sich ein dunkler Spalt mit zackigen, abgerissenen Feuerrändern in der Kugel auf und spuckte Manuelas reglose Gestalt direkt in Adols Arme.
Noch einen Augenblick herrschte angespannte Ruhe. Als er schon erleichtert annahm, alles wäre vorüber, zerriss ein bestialisches Brüllen jäh die Luft. Eine riesige Tigerpranke schoss aus dem Riss hervor, so, als wollte sie Manuela packen und an sich reißen. Doch die Kugel saugte das Monstrum wieder in sich hinein, verschluckte es und verschloss sich daraufhin.
Mit einem Male war alles vorüber. Das Pulsieren erlosch von jetzt auf gleich, und die Kugel fiel als Perle zu Boden. Sie rollte in einem Bogen, vollendete den perfekten Kreis und blieb nach einigen Sekunden der Unruhe unschuldig liegen.
Adol beachtete das nicht. Er hielt Manuela fest in seinen Armen, prüfte ihren schwachen Atem und verzweifelte beim Anblick ihrer Wunden. »Sie lebt, den Göttern sei Dank!«, rief er dennoch erleichtert aus. »Tamarell, nimm das Amulett und den Ring! Sira, du suchst ihr ein paar Sachen zusammen, schnell! Dann lasst uns von hier verschwinden!«
~~~
Fast war es wie ein Déjà-vu: Der Raum, so vertraut, mit den aus Fels gehauenen Wänden und den brennenden Fackeln in goldglänzenden Mohnblütenhalterungen. Das sonderbar wohlige Licht. Das große Bett, hell wie Mondschein. Sein betörender Duft. Wie kann ein Mann nach Erde und gleichzeitig so sauber und frisch nach einer Sommerwiese riechen?
Fast glaubte sie, genau diese Situation schon einmal erlebt, genau diesen Ort schon einmal gesehen, genau diesen warmen, harten Männerkörper schon einmal gespürt zu haben. – Aber das konnte ja nicht sein, oder? Trotzdem schien Manuela nicht zu träumen.
Verwirrt richtete sie sich auf und verzog dabei schmerzerfüllt das Gesicht. Au, verdammt, was ist das denn? Als sie den heftigen Schmerzen nachspürte, erkannte sie entsetzt, dass sie überall Verletzungen davongetragen hatte. Überall!
Aber wovon? Hatte er ihr das angetan? Diese Bestie! Na, warte!
Sie konnte gar nicht anders! Wie von Sinnen schlug sie auf den neben ihr liegenden Kerl ein. Trotz der Schmerzen ließ sie ihrer Wut freien Lauf und die Fäuste fliegen. Alles entlud sich in ihr. Alles, was sich je in ihr angestaut hatte:
Die Jahre der Pein und Demütigung, der Gewalt und Angst, des Hasses und der Verachtung. Sie wollte nicht mehr. Nie mehr wollte sie sich von dem Kerl erniedrigen, misshandeln und missbrauchen lassen! Nie mehr! Oh ja, bevor Frederick das noch einmal mit ihr täte, würde einer von ihnen sterben! Endgültig! Frederick soll… Frederick? Aber ...
Zwei große Hände hielten sie fest, zogen sie an eine muskulöse Brust. »Schscht, Liebling, so beruhige dich doch. Ich bin nicht Frederick.« Nun schob er sie ein wenig von sich fort, um ihr in die Augen zu sehen. »Ich bin es, Adol.«
Sie konnte und wollte sich nicht beruhigen, aber seine Nähe, sein Duft, seine Worte hatten etwas Besänftigendes. Dennoch blickte sie sich hektisch um, versuchte zu ergründen, was mit ihr geschehen sein könnte. Alles drehte sich in ihrem Kopf, bis seine Stimme erneut zu ihr durchdrang und seine Hand an ihrem Kinn sie zwang, ihn anzusehen:
»Manuela Kern, komm endlich zu dir!«, befahl er ihr.
Doch es waren nicht seine Worte, die sie erreichten, sondern seine Augen mit den goldenen Sprenkeln in der türkisblauen Iris.
»Oh Gott, Adol, bin ich wieder bei dir? Das ist gar kein Déjà-vu, nicht wahr? Und es ist kein Traum«, flüsterte sie. »Das ist echt. Ich bin wieder bei dir, in deiner Höhle. Mein Gott, Adol, ich ...« Leise Schluchzer unterbrachen sie.
Zärtlich zog Adol sie zurück in seine Arme. »Den Gott kannst du wohl nie da rauslassen, nicht wahr, Manuela? Daran habe ich mich zu gewöhnen, was? Und ja, du bist wieder bei mir.« Er räusperte sich. »Aber dies ist nicht meine Höhle.«
Sofort schnellte Manuela wieder hoch, was sie augenblicklich bereute, weil neuer Schmerz sie überrollte und aufstöhnen ließ. »Was soll das heißen, dies ist nicht deine Höhle? Hier sieht doch alles danach aus. Vorher, da war ich woanders, da ...«
Wie aus heiterem Himmel schlug die Erkenntnis blitzartig bei ihr ein, und ihr wurde bewusst, wo sie vorher gewesen war – und mit wem! Einer Flutwelle gleich tosten die Emotionen über sie hinweg, gleichzeitig in sie hinein. Ihr wurde schlecht, und sie glaubte, sich übergeben zu müssen. Offensichtlich bemerkte Adol das, denn aus dem Nichts heraus erschien eine silberne Schale, über die sie sich nun beugte und zu würgen begann. Doch es blieb bei einem trockenen Würgen.
»Kein Wunder, dass da nichts kommt, Liebling. Da kann ja nichts mehr sein«, stellte Adol in mitleidigem Ton fest.
»Ich hab schon mal gekotzt? Wann?«, keuchte sie, während sie sich zu ihm zurücklegte.
»Frag nicht, wann, sondern lieber, wie oft. Du hast mir schreckliche Sorgen gemacht, Manuela. Eine Zeit lang befürchtete ich, all unsere Götterkünste würden nicht reichen, um dich zu heilen.«
Manuela seufzte schwer. »Dann habe ich von Frederick also nicht nur geträumt?« Adols Nicken machte sie nachdenklich. »Wie ist das Ganze nur möglich? Ich dachte, er sei tot. Was ist überhaupt passiert?« Erneut blickte sie sich nervös um. »Warum hat es so lange gedauert? Ich glaubte schon, ich würde dich niemals wiedersehen. Und wieso, zum Teufel, ist das nicht deine Höhle?«
Nun seufzte auch Adol. »Eins nach dem anderen.«
Wo bin ich denn nun, wenn nicht in seiner Höhle?
Adol grinste. »Okay, also nicht eins nach dem anderen.«
Behutsam hob er sie auf sich, damit sie sich während seiner Erklärungen anschauen konnten und er ihr nicht wehtat, bei den vielen Blessuren, die ihren geschundenen Körper übersäten. »Wir sind im Palast meiner Eltern. Weil ich aber befürchtete, es könnte dich ängstigen, schon wieder woanders, in einem fremden Raum zu erwachen, habe ich ... Hhm, sagen wir mal so: Du siehst unsere Höhle.«
»Aber warum sind wir nicht wirklich dort oder bei mir zu Hause?«
»Sagte ich nicht, eins nach dem anderen?« Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern sprach sofort weiter: »Siras Befreiung ist leider nicht so gelaufen, wie wir es geplant hatten. Wir ...«
»Ach du lieber Gott, ja, Sira. Das hatte ich vergessen. Geht es ihr gut? Ich wollte nicht, dass ...« Sie hielt inne. »Entschuldige bitte – den Gott und die Unterbrechung. Eins nach dem anderen, richtig?«
»Richtig. Also, anstatt, wie es geplant war, einen Pakt mit Crinda gegen meinen Vater zu schließen, hat dieser verdammte Dämon mich sofort gefangengesetzt.« Manuela hielt erschrocken den Atem an, doch Adol fuhr unbeirrt fort. »Es ist bestimmt kein Zuckerschlecken, in Crindas Feuerbergen an einer Wand stehend festgehalten zu werden, Liebling, aber wie du ja siehst, bin ich – im Gegensatz zu dir – wohlbehalten und unverletzt.«
Manuelas prüfender Blick glitt über seinen herrlichen, makellosen Körper. »Ja, scheint so.«
»Sira war im gleichen Raum wie ich, auch sie fixiert. Als Crinda dann aber reinkam und sie mit seinen ekelhaften Worten bis aufs Blut gereizt ha...«
»... hat sie sich von der Wand gelöst und dich mit hinausgenommen«, setzte Manuela fort, erschrak dann selbst über ihre laut ausgesprochene Vermutung.
»Schon gut, sie hat mir erzählt, wie es dir damals gelungen ist, vor mir zu fliehen – und dass du sie reingelegt hast. Darüber reden wir später, Liebling. Jetzt erkläre ich dir erst einmal alles Weitere.«
Nachdem Adol ihr in kurzen Sätzen geschildert hatte, wie er sie mithilfe des Amuletts aus den Fängen der Vision befreit hatte, sah Manuela betroffen an sich herab und blickte auf die Perle, die nun an der Kette um ihren Hals baumelte. Auch der Ring steckte wieder an ihrem Finger.
»Hätte ich den Kuss der Todesfrucht getragen, dann wäre das alles nicht passiert, nicht wahr?«
»Das Amulett hätte dich davor bewahrt, ja.«
»Es tut mir so leid. Den Schmuck vor dem Schlafengehen abzulegen ist eine dumme alte Angewohnheit von mir. Ich war so traurig ohne dich. Da hab ich nicht ...« Über ihre Wangen kullerten Tränen, die sie unwirsch mit dem Handrücken fortwischte. »Wenn ich nicht so blöd gewesen wäre ...«
»Hey, hey, nicht«, fiel Adol ihr ins Wort. »Hätte ich dir das Amulett persönlich umgelegt, dir außerdem richtig erklärt, zu was es fähig ist, dann wäre das alles nicht geschehen, und du hättest diese furchtbaren Dinge nicht erdulden müssen.«
Wieder wiegte er sie sanft, denn nun war der Damm gebrochen. Manuela konnte ihr Schluchzen nicht mehr zurückhalten.
»Adol, es war ...« Sie sah zu ihm auf. »Noch einmal könnte ich das nicht ertragen.« Mit bedeutungsvollem Blick hauchte sie: »Noch einmal überlebe ich das nicht.«
»Es wird kein ›noch einmal‹ geben, Liebling, niemals, hörst du? Wer immer hinter der ganzen Sache steckt, wird noch bereuen, überhaupt zu existieren!«
Die Art, wie er seine letzten Worte regelrecht ausspie und sein Körper dabei vor Wut bebte, machte Manuela erst richtig klar, dass die Umgebung um sie herum tatsächlich nur eine Suggestion sein konnte. Sonst hätten sich die Fackeln längst in Flammenwerfer verwandelt, wie immer, wenn Adol wütend wurde. Diese hier jedoch flackerten weiterhin fröhlich vor sich hin.
Trotzdem wusste sie nun um die Sorgen, die er sich gemacht hatte, und um sein Leiden, welches er gemeinsam mit ihr durchlebt hatte. Er hatte offenbar manches von dem gefühlt, was sie gefühlt hatte. Dieser Gedanke zerriss ihr schier das Herz. Sie wollte nicht, dass er um ihre grausamen Erlebnisse wusste, doch konnte sie es nicht ungeschehen machen.
So schwer es ihr auch fiel, das gerade erst erlebte Entsetzen auszublenden, sie wollte es versuchen. Es wäre besser für ihn und für sie. Sie war wieder bei ihm. Das hatte sie für eine endlos anmutende Zeit nicht mehr zu hoffen gewagt. Sie hatte sich und ihr Leben samt ihrer großen Liebe verloren geglaubt. Aber Adol hatte nicht aufgegeben, sondern sie wieder einmal gerettet.
»Du meinst, jemand hat uns absichtlich getrennt und mir das dann angetan?«
»Nein, ich glaube nicht, dass derjenige, der dir das angetan hat, uns getrennt hat. Ich glaube aber, dass er von der Aktion um Siras Befreiung wusste. Er wusste, dass ich mich für einige Zeit von dir trennen und dich deshalb in deine Welt bringen würde. Er hat gleich von zwei Seiten zugeschlagen. Erstens hat er unseren Plan an Crinda verraten, und zweitens hat er sich in deinen Traum begeben. Höchstwahrscheinlich wusste er nicht, dass ich dir das Amulett zum Schutz dagelassen hatte. Dementsprechend konnte er auch nicht ahnen, dass du es nicht angelegt hattest. Es war also eher eine unglückliche Fügung, zu seinen Gunsten. So konnte er seine perfiden Machenschaften ohne Probleme durchführen.«
»Frederick war leibhaftig da, Adol. Es war alles wie früher. Er ...« Manuela stockte, weil ihr die Erinnerung nun doch den Atem raubte und sie kurz vor einer Panikattacke stand.
Behutsam zog Adol sie dichter an sich. »Frederick ist und bleibt tot, Liebling. Allerdings war das, was dir widerfahren ist, mehr als ein bloßer Albtraum. Deine Albträume konnten dich quälen, ja. Sie konnten dich fast zu Tode ängstigen und dir den Schlaf rauben. Jedoch konnten sie dir körperlich nichts anhaben, auch wenn natürlich allein diese Angst schon schlimm genug war. Das, was du jetzt erleben musstest, war etwas anderes, eine Art Vision, die dir bewusst eingeflößt worden ist.«
Er streifte zärtlich mit den Lippen über ihre. Eine Geste der Vertrautheit und Liebe, die sie beruhigen sollte, wie sie feststellte, und es auch tat.
»Dabei wurdest du in eine ganz bestimmte Sphäre gezogen. In dieser Ebene wird eine Vision zur Wirklichkeit. Das ist ein Gebiet, in das ich mich höchst selten begebe, weil ich es verabscheue. Aber ich könnte es, wenn ich wollte, denn so etwas kann nur jemand wie ich: ein Traum- und Zeitengott. Damit ist die Zahl der Verdächtigen erheblich eingeschränkt.«
Sein Blick brannte sich in ihr Herz. So viel Liebe erkannte sie darin, aber auch so viel Hass. »Eigentlich kommt nur einer für diese Schandtat infrage. Und ich hatte gedacht, er wäre mein Freund.«
~~~
Ortos lief unruhig hin und her. Ab und zu stieß er einen unflätigen Fluch aus oder ließ die Wände erzittern, wenn sein Grollen den hell erleuchteten Raum erfüllte. Es war allerdings nicht Wut, die ihn trieb, sondern merkwürdigerweise eher Enttäuschung. Alles, was er in der letzten Zeit versucht hatte, war ihm misslungen, stellte er resigniert fest.
Mitten in seiner Bewegung blieb er stehen. Gleich zwei faszinierende Frauen waren ihm durch die Lappen gegangen – und das gleich zwei Mal nacheinander! Die eine, die ihm versprochen war, und die andere, deren zerbrechliche menschliche Schönheit ihn schon seit langer Zeit betörte und bei der ihm Adol zuvorgekommen war. Nur zu gerne hätte er sich ihrer habhaft gemacht. Adol jedoch hatte sie sich vor ihm geholt!
Wieder einmal war er einem Wettstreit mit ihm unterlegen. Im Grunde genommen nicht sonderlich schlimm, zumal Adol von Ortos‘ widerstreitenden Gefühlen für ihn überhaupt nichts ahnte, sich stattdessen seiner Freundschaft sicher glaubte. Aber gleich zwei? Wie konnte das geschehen? Eigentlich war Ortos seinem sogenannten Freund haushoch überlegen. Trotzdem passierten ihm immerzu solche Missgeschicke. Wenn er es sich so richtig überlegte, waren ihm die beiden Frauen nicht nur zweimal, sondern gleich dreimal, nein, Manuela sogar viermal nacheinander entwischt.
Sira hatte sich, bevor Crinda sein Versprechen einlösen konnte, zu diesem Verlierertypen Tamarell geflüchtet, und Manuela war ihm nicht nur einmal von Adol direkt vor der Nase weggeschnappt worden. Dann die Pleite im Raum der Träume in Densos‘ Palast und jetzt ... Nun gut! So etwas kam vor!
Tief sog er den Atem ein bei dem Gedanken, wie kurz er seinerzeit davor gestanden hatte, nach seinen ersten Niederlagen, sowohl Sira als auch Manuela doch noch in seine Gewalt zu bringen. Dabei hatte er alles so gut geplant, hatte sich unerkannt in Densos‘ Palast eingeschlichen, schließlich kannte er sich dort bestens aus. Dieses Mal sollten ihm die zwei Objekte seiner Begierde nicht entkommen. Er hatte nur zuzugreifen brauchen. Beide Frauen kannten ihn nicht, hatten sowieso nicht bemerkt, wie er sich ihnen, als Diener getarnt, genähert und sie beobachte hatte. Dann aber waren die Frauen in Streit geraten. Nein, das traf es nicht. Die Menschenfrau hatte sich sichtlich darum bemüht, die Feuerdämonin mit allerlei dummen Gewäsch zur Raserei zu bringen:
... »Tu doch nicht so, als wüsstest du nicht, was ich meine, Sira!« Manuela schnaubte aufgebracht. »Ich sehe doch in deinen Augen, dass du das kannst. Du bist viel mehr, als du vorgibst. Du kannst durch die Welten und Zeiten reisen, genau wie Adol. Willst du mir nicht helfen, oder darfst du das etwa nicht, weil Adol es dir verboten hat?«
»Was redest du da eigentlich?«, verlangte Sira zu wissen. Sie wirkte nervös und angespannt. »Ständig sagst du solch unsinniges Zeug zu mir und willst, dass ich dir helfe, von ihm fortzukommen. Aber zum einen habe ich gar nicht die Fähigkeiten dazu, das habe ich dir nun schon tausendmal erklärt. Und zum anderen frage ich dich zum letzten Mal, warum du eigentlich wegwillst.«
Erneut ließ Manuela ein lautes Schnauben verlauten, verfiel dann aber in einen flehenden Ton. »Ich halte es hier in dieser Götterwelt nicht mehr aus, Sira. Verstehst du das denn nicht? Ich hatte schon genug unter Frederick zu leiden und will endlich frei sein. Wenn du mir nicht hilfst, dann weiß ich nicht, was passieren wird.«
»Was willst du mir damit sagen? Schlägt Adol dich etwa auch?« Siras Stimme hatte einen schrillen Klang angenommen. Offensichtlich regte sie die Vermutung, ihre Freundin könnte misshandelt werden, furchtbar auf.
Die ersten faszinierenden Funken stoben aus Siras Augen und Nase. Die Überlegung, wie es sich wohl anfühlen mochte, sie in dem Augenblick zu nehmen, wenn diese enorme Wut in ihr gedieh, erregte Ortos überaus und beflügelte seine Fantasie. Genüsslich verfolgte er diesen Gedanken, während er mit einem hämischen Grinsen beobachtete, wie Manuela die Wahrheit verschwieg, ohne dass Sira dies bemerkte. Manuela bestätigte zwar nicht, dass Adol ihr Gewalt antäte, stritt es allerdings ebenso wenig ab. Das war natürlich kompletter Humbug. Ortos kannte Adol und dessen Zimperlichkeit, was Frauen betraf. Niemals würde der ihnen etwas Übles antun oder sie sich gegen deren Willen zu Eigen machen.
Ortos fand Manuelas Verhalten wenig überzeugend, doch reichte es anscheinend aus, den Zorn in Sira soweit zu schüren, bis die sich Manuela griff und die beiden Frauen daraufhin in einem Feuerregen verschwanden. Uff! Weg waren sie! Das hatte nun auch Ortos völlig überrumpelt!
Es kostete ihn all seine Selbstbeherrschung, ruhig zu bleiben und kein Aufsehen zu erregen. Aber so niederschmetternd es auch war, seine Beute bereits verloren zu haben, noch bevor er ihrer hätte habhaft werden können, so hatte er auch etwas erfahren: ein Geheimnis um Sira, welches Crinda kaum gefallen dürfte.
Noch während Ortos den Palast verließ, überlegte er, wie er diese Information für sich nutzen könnte. Jedenfalls würde er nicht Hals über Kopf zu diesem Widerling Crinda rennen, um dem die Neuigkeit brühwarm unter die Nase zu reiben. Nein, so etwas sollte wohl durchdacht sein. ...
Er hatte das Geheimnis auch weiterhin bewahrt. Bislang war es ja auch so ganz gut gelaufen, bis er nun hatte erfahren müssen, dass Sira sich gemeinsam mit Adol aus Crindas Feuerbergen verflüchtigt hatte. Verflucht! Damit hatte er nicht gerechnet. Er war der festen Überzeugung gewesen, dass Crindas Fesseln genügen würden, um sowohl Sira als auch Adol festzuhalten. Aber dem war nicht so. Sira hatte sogar dafür gesorgt, dass Adol Manuela mittels Kuss der Todesfrucht befreien konnte.
Nun stand er also schon wieder mit leeren Händen da. Das Ganze fühlte sich fremd für ihn an, wie ein Déjà-vu. Ein Gefühl, das normalerweise den Menschen vorbehalten war, ihn deshalb maßlos ärgerte – jedoch weitaus mehr enttäuschte. Obwohl ihm eine solche Schmach widerfahren war, wollte keine rechte Wut in ihm aufsteigen.
Unwirsch strich er sich eine seiner wirren dunkelblonden Haarsträhnen aus dem Gesicht. Nichtsdestotrotz schrie sein Herz nach Rache, allein schon aus verletztem Stolz!