Читать книгу Marthas Liebschaften | Erotischer Roman - Aimée Rossignol - Страница 6
ОглавлениеMontag
In der Nacht zum Montag schlafe ich unruhig und träume schlecht. Ich erwache gerädert und mit schmerzendem Rücken, so, als hätte ich in einem Steinbruch geschuftet.
Dabei mag ich Montage und eigentlich alle Vormittage in der Académie. Diese frühen Stunden des Tages sind Pariser Hausfrauen, die den Traum vom Ballett nicht aufgeben wollen, vor allem aber den Ballettschülern, vorbehalten, die sich für eine Aufnahmeprüfung einer der großen Tanzkompanien vorbereiten und entweder bei Agnès, Catherine oder Stephane Privatstunden nehmen. Alle drei haben selbst in großen Häusern und Kompanien getanzt und reichlich Erfahrungen sammeln können.
Stephane sehe ich besonders gern zu, da vergesse ich sogar manchmal zu spielen, weil ich ihn mit offenem Mund beobachte, wie er mit sanften Berührungen hier und da eine Haltung korrigiert und mit ebenso sanfter Stimme Mut zuspricht, wo es nötig ist, und mit plötzlicher Strenge antreibt, wo mehr Leistung zu erwarten ist.
Colette, unser weißer Schwan, nimmt bei allen drei Lehrern Einzelstunden, jeden Vormittag. Schließlich will sie in diesem Sommer für die Ballettkompanie in Monaco vortanzen. Vom Ballett verstehe ich nicht viel, außer dem, was ich in den letzten Jahren hier in der Académie aufgeschnappt habe. Realistisch betrachtet, kann ich kaum einschätzen, ob sie eine gute Chance hat.
»Colette, wir sind das doch schon durchgegangen. Was machst du mit deinen Schultern beim Plié? Hmm? Also nochmal, eins, zwei, drei.«
Colette schleicht mit hängenden Schultern quer durch den Raum und beginnt von vorn. Ich weiß nicht genau, wie oft ich die Zuckerfee von Tschaikowsky heute spiele, aber auf jeden Fall spiele ich sie noch eine Dreiviertelstunde lang, während Colette angestrengt springt und hüpft, sich dreht und wendet.
»Non, non, non!« Stephane ist heute unzufrieden. »Morgen weiter.« Er klatscht in die Hände und winkt Colette hinaus. Dann setzt er sich seufzend neben mich auf den Klavierhocker.
»Martha, ich beneide dich.«
»Mich?«, frage ich überrascht zurück und mustere Stephanes Profil. Er hat ein androgynes Gesicht, fast weiche Züge, eine sehr gerade Nase. Vielleicht ist er Mitte Vierzig, ich weiß es nicht genau, aber ich habe das Gefühl, er sieht viel älter aus, als er ist. Tanzen ist Hochleistungssport und der erhält nicht immer die Schönheit.
Stephane lacht. »Ja, dich. Du und dein Klavier. Du kannst spielen, bis deine Finger irgendwann alt und gichtig sind, also dein ganzes Leben lang. Tanzen, das kann man nur einen kleinen Teil seines Lebens. Also, ohne sich lächerlich zu machen. Den restlichen Teil des Lebens bleiben einem nur die Träume und schlechte Schüler.«
Ich nicke nur dazu.
»Ach, Colette ... Hast du schon einmal einen schöneren Menschen gesehen?«, fragt Stephane und sein Ton macht deutlich, dass er keine Antwort, sondern nur einen Moment lang verträumt in die Ferne sehen will, bevor er fortfährt: »Aber, weißt du, am Ende des Tages wird ihr ihre Schönheit keinen Platz in einer Kompanie erobern. Sie ist einfach zu alt und zu unbeweglich.« Er zwinkert. »Aber bis sie bereit ist, das zu hören, werden wir ihr weiter das Geld aus der Tasche ziehen oder vielmehr ihrer schwachsinnigen Mutter, die jeden Monat brav überweist.«
Ich schlucke. Für manche Träume muss man viel bezahlen, bevor sie zerplatzen.
»Nun zu dir, Martha, was macht die Liebe? Oh, là, là!« Stephane schnalzt mit der Zunge und stößt mir seinen knochigen Ellenbogen in die Seite, während sich meine Wangen erhitzen. »Also immer noch Monsieur Frechat alle drei Monate, n’est pas? Ein Jammer. Die schöne Martha und nur ein Mann. Bedauerlicherweise lehnst du es ja ab, leidenschaftliche Stunden mit einem körperbeherrschten ehemaligen Tänzer zu verleben, aber ich bleibe dran. Ein Nein ist ja auch oft ein Nein, das die Zeit mit einem Ja überschreibt.«
Glücklicherweise öffnet sich die Tür zum Saal, bevor ich mich dazu äußern muss, und Madame de Blanvaliers stampft hinein.
Stephane senkt den Kopf, rollt mit den Augen und flüstert: »Übergewichtige Pariser Hausfrau will noch einmal den Zauber ihrer Jugend spüren.« Dann richtet er sich auf und tänzelt leichtfüßig auf sie zu. »Ah, ma chère, da sind Sie ja. Den ganzen Vormittag über habe ich mich nach Ihnen verzehrt. Beginnen wir. Ich möchte noch einmal Ihr wunderbares Solo aus Giselle sehen, tun Sie mir die Liebe, ja?«
Und genau wie ich eben, errötet auch Madame de Blanvaliers, als Stephane zwei Küsse neben ihren runden Wangen in die Luft haucht.
»Martha, Musik aus Giselle, s’il te plaît.«
***
Über Mittag bummele ich durch ein paar Geschäfte und finde tatsächlich ein Kleid, das mir gefällt und das ich bezahlen kann. Sehr zart und leicht umfliegt mich ein perlmuttfarbener Chiffonstoff, der meine blauen Augen leuchten lässt und meinen braunen Locken schmeichelt. Glücklich bummele ich mit der Tüte in der Hand zur Schule zurück, vor der mich ein junger Mann anspricht.
»Madame Pelletier, warten Sie!«
Seine Stimme kommt mir vage bekannt vor, aber er selbst nicht. Er wischt sich einmal verlegen über den Ärmel seiner Jacke und schiebt dann seine runde braune Brille auf der Nase in Richtung Stirn.
»Madame Pelletier, wir haben telefoniert, wegen des Klavierunterrichts.«
Ich runzele die Stirn, dann fällt es mir wieder ein. Audric irgendetwas. Freundlich lächele ich ihm zu. »Ich sagte Ihnen ja, ich nehme keine Erwachsenen.«
»Ach, bitte, Madame Pelletier, Sie wurden mir ganz warm empfohlen. Vielleicht können Sie eine Ausnahme machen?«
Ich mustere sein klares Gesicht, die etwas zu breite Stirn und seine Augen, die sich zwischen blau und grau nur schwer entscheiden können. Sein Gesicht ist nicht schön, aber ganz sicher interessant. Es liegt etwas Unschuldiges darin. Eine fast hündische Zuversicht.
»So, wer hat mich denn empfohlen?«, frage ich neugierig nach.
»Madame Catherine von der Ballettakademie. Sie hat mir erzählt, dass Sie Unterricht geben. Ich verspreche Ihnen, ich werde ein guter Schüler sein. Ich werde ...«
Ich schüttele den Kopf. Das versprechen alle. »Nein, es tut mir leid. Ich habe keine Kapazitäten. Salut.«
Ich gehe weiter und er ruft mir nach: »Ich bleibe hartnäckig, bis Sie mich nehmen, Madame Pelletier!«
Ein leichtes Lächeln entlockt mir dieser Satz doch, als ich leichtfüßig die Stufen zum Saal hinaufspringe. Hartnäckig wie Luc, denke ich und murmele mir selbst zu: »Dann warte mal schön, Bengel, mit hartnäckigen Männern kenne ich mich aus.«
***
Ich spiele an diesem Tag bis halb sieben, kaufe auf dem Weg nach Hause ein halbes Baguette, das ich im Gehen verschlinge, und unterrichte dann noch zwei Schüler.
Der kleine Benjamin wird wie immer von seinem Vater gebracht, der still und nahezu bewegungslos die ganze Stunde in meinem Ohrensessel vor dem Fenster sitzt und angestrengt lauscht. Kein Vergnügen ist das, so viel kann ich sagen.
»Hörst du das nicht, Ben? Das muss ein fis sein.«
Ben schüttelt den Kopf und ich seufze. »Nochmal von vorn. Denk an das Vorzeichen. Was ist das für eine Tonart?«
Schweigend sieht Ben auf das Notenpapier vor ihm. Er tut mir leid. Vielleicht täte ihm ein Sportkurs gut. Ich beuge mich vor und blättere geräuschvoll eine Seite um, dabei flüstere ich leise »g-Dur« in sein kleines Ohr.
Laut wiederholt er, was ich ihm gesagt habe und ein verschwörerisches Lächeln huscht über sein Gesicht.
»Bien. Und jetzt weiter, Ben.«
Nach der Stunde fasse ich mir ein Herz: »Ben, warte doch draußen auf deinen Vater. Wir haben noch etwas zu besprechen. Monsieur Greulle?«
Monsieur Greulle nickt seinem Sohn zu, der leise die Tür hinter sich ins Schloss zieht. Ein seltsamer Mensch ist Bens Vater, denke ich. Ein später Vater. Mittlerweile bestimmt Anfang Fünfzig. Hager und hochaufgeschossen wirkt sein Körper immer wie eine alte Birke, die im Wind verdächtig schwankt.
»Ich bin froh, dass Sie das Gespräch mit mir suchen, Madame Pelletier.«
Mit weitaufgerissenen Augen fixiert mich sein Blick, als wollte er mich damit hier und jetzt auf diese Stelle des Bodens nageln. Seine Antwort irritiert und erfreut mich gleichermaßen. Zum einen interpretiere ich sie als Einsicht in Bens mangelnde Musikalität, zum anderen finde ich es jedoch seltsam, dass er seinen Sohn nicht einfach von meinem Unterricht abmeldet.
»Madame Pelletier, Sie haben sicherlich gemerkt, dass Ben nicht gerade begabt ist.«
»Ja, das ist mir aufgefallen«, sage ich langsam, »genau darüber wollte ich ja mit Ihnen sprechen.« Ich atme tief ein und will gerade fortfahren, als Monsieur Greulle seinen Arm nach mir ausstreckt und mit kalten Fingerspitzen meine Hand berührt, sein Körper lehnt sich leicht nach vorn, sodass sein Gesicht über meinem schwebt.
»Madame Pelletier, sicher haben Sie bemerkt, dass ich jede von Bens Stunden hier verbringe und das weniger, weil ich hören will, was mein Sohn für Fortschritte macht.«
Fortschritte? Wir treten seit einem halben Jahr nur auf der Stelle und konnten im Notenbuch mit den fröhlichen Kinderliedern kaum zehn Seiten umblättern.
»Ach«, sage ich zerstreut. »Monsieur Greulle, es gibt eine einfache ...«
Eine einfache Lösung, will ich sagen, aber dazu komme ich nicht mehr, weil er sich noch weiter vorlehnt und ich seinen muffigen Atem auf meiner Stirn fühle. Hastig trete ich einen Schritt zurück.
»Madame Pelletier, ich komme doch nur Ihretwegen.«
»Ach was!«, entfährt mir verblüfft.
»Sie sind die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Ich liebe Ihre dunklen großen Locken im Schein der Stehlampe. Sie fallen auf Ihre Schultern wie flüssiges Holz und Ihre blauen Augen leuchten in Ihrem zartgebräunten Gesicht wie ein stiller See auf einer grünen Wiese.«
Ich weiß nicht genau, wie man ein gebräuntes Gesicht und eine grüne Wiese zusammenbekommt, aber ich glaube, das will ich auch gar nicht so genau wissen.
»Monsieur Greulle, ich ...«
»Sie und auch ich, also ich meine, wir beide. Verstehen Sie? Magnete, die im Weltall trudeln. Unabwendbare Vereinigung.«
Unabwendbar? Na, da habe ich noch ein Wörtchen mitzureden. Wohl kaum!
»Magnete, zwei Pole. Das schwarze All, die Kälte und all die Verlorenheit. Und Magnetismus. Das ist ja auch Wärme.«
Ich hole tief Luft. Irgendwie tut er mir jetzt leid und ich schüttele den Kopf.
»Monsieur Greulle, wie dem auch sei. Magnete im Weltall. Fest steht, was sich nicht vereinigen lässt, das sind Ben und das Klavier. Ihr Sohn hat keinen Spaß an seinem Unterricht und ich ehrlich gesagt auch nicht. Vielleicht sollten Sie ihm noch ein paar andere Freizeitbeschäftigungen näherbringen und ausprobieren lassen? Nicht jeder Mensch muss ja ein Instrument spielen. Für manche reicht es auch, einfach Musik zu hören und zu genießen.«
Zufrieden verschränke ich die Arme vor der Brust und finde mich sehr diplomatisch.
Ein Schatten legt sich auf das Gesicht von Monsieur Greulle. »Aber das würde bedeuten, dass wir uns nicht wiedersehen?«
Ich strecke die Hände aus, fasse vorsichtig an seinen Oberarm und dirigiere ihn in Richtung Tür. »Für die Kinder ist kein Opfer zu schade. Die Magnete müssen weitertreiben ohne Vereinigung, Monsieur Greulle.«
»Aber ich ...«
Rasch öffne ich die Tür und schiebe ihn in den Hausflur zu seinem Sohn.
»Ben, du musst nicht mehr Klavier spielen. Ich habe das mit deinem Vater gesprochen. Es sieht es ebenso. Vielleicht würde dir eine Sportart Spaß machen? Sprich nur mit deinem Vater darüber. Er hat ein offenes Ohr. Alles Gute für Sie, Monsieur Greulle, und für dich auch, Ben.« Ich zwinkere kurz in sein rundes, verblüfftes Gesicht, das dem seines Vaters glücklicherweise sehr unähnlich ist, und lasse die Tür zufallen.
Erwachsene Schüler? Nein, danke. Die Eltern meiner Kleinen reichen mit vollauf.
***
»Martha?« Luc hat angerufen, als ich schon im Bett lag. Warum ich überhaupt das Gespräch angenommen habe, weiß ich auch nicht.
»Hmm ...«, brumme ich. »Ich schlafe schon fast.«
»Ja, das dachte ich mir. Trotzdem. Ich wollte nur ganz kurz ... Weißt du, es tut mir leid. Ich meine, natürlich kannst du einen Liebhaber haben. Du bist eine freie Frau. Ich wollte dir nur sagen, dass das für mich in Ordnung ist. Es ...« Er bricht ab und atmet schwer. »Es bricht mir nur das Herz, Martha.«
»Gute Nacht, Luc.«
»Ach, und ...«
»Was noch?«
»Kannst du vielleicht ein paar Küchenhandtücher kaufen und beim nächsten Mal mitbringen? Ich weiß nicht, wo man so etwas bekommt. Ich finde immer nur Dusch- und Badetücher, aber nicht die, mit denen man Geschirr trocknen kann.«
»Natürlich, Luc«, sage ich seufzend und lege auf.