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Allegorie (Der Grüne Engel)

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Für einen Augenblick bin ich wieder der, der am Schreibtisch sitzt und in den Kohlekristall starrt, – nur für einen kurzen, schnellen Augenblick, dann bin ich abermals in meinen Urahn John Dee verwandelt und irre durch die ältesten verkommendsten Viertel des mittelalterlichen Prag und weiß nicht, wohin mein Fuß mich tragen wird. Ich habe das dumpfe Bedürfnis, unterzutauchen in den Bodenschlamm des namenlosen, gewissenlosen, verantwortungslosen Pöbels, der seine stumpfsinnigen Tage mit der Befriedigung qualmiger Triebe ausfüllt und zufrieden ist, wenn Wanst und Geilheit satt sind.

Was ist das Ende alles Strebens? – Müdigkeit ... Ekel ... Verzweiflung. – Ich merke, ich bin ins Ghetto hinabgeraten. Zu den Ausgestoßenen unter den Ausgestoßenen. Erstickender Gestank eines unbarmherzig auf ein paar Gassen zusammengestellten Volkes, das zeugt, gebiert, wächst und Tote in seinem Friedhof über faulende Tote schichtet, – Lebendige über Lebendige in seinen finsteren Wohntürmen stapelt wie Heringe. – Und sie beten und harren und rutschen sich die Knie blutig und warten ... warten ... hundert Jahr um hundert Jahr ... auf den Engel. Auf die Erfüllung ihrer Verheißung ...

John Dee, was ist dein Beten und Warten, was ist dein Glauben und Hoffen auf die Versprechungen des Grünen Engels, verglichen mit dem Warten, Glauben, Beten, Harren und Hoffen dieser elenden Hebräer?! – Und Gott, der Gott Isaaks und Jakobs, der Gott des Elias und des Daniel: ist er ein geringerer, ein treuloserer Gott als sein Diener vom westlichen Fenster?! –

Mich überfällt ein heißes Verlangen, den hohen Rabbi Löw aufzusuchen und ihn zu befragen um die furchtbaren Geheimnisse des Wartens auf Gott ...

Ich weiß, irgendwie weiß ich: ich stehe leibhaftig im niedrigen Zimmer des Kabbalisten Rabbi Löw. Wir haben vom Opfer des Abraham gesprochen, – vom unabwendbaren Opfer, das Gott verlangt von denen, die er sich blutsverwandt machen will ... Dunkle, geheimnisvolle Worte habe ich da vernommen von einem Opfermesser, das nur einer sehen kann, dessen Augen aufgetan worden sind für die dem sterblichen Menschen unsichtbaren Dinge der andern Welt: – Dinge, die wirkhafter und wirklicher sind als die Dinge der Erde und dem blinden Suchenden nur angedeutet werden können durch die Symbole von Buchstaben und Ziffern. Durch Mark und Knochen gingen mir diese rätselhaften Worte aus dem zahnlosen Munde des alten wahnsinnigen Mannes! ... Wahnsinnig? – Wahnsinnig, wie sein Freund dort drüben, hoch auf der Burg, der kaiserliche Rudolf von Habsburg! – Monarch und Ghettojude: Brüder im Geheimnis ... Götter im lächerlichen Firlefanz der Erscheinung beide ... wo ist der Unterschied?

Auf meine Bitte hat der Kabbalist meine Seele in die seine gezogen. Ich bat ihn, er solle meine Seele entrücken; er hat es verweigert, hat gesagt, sie bräche zusammen, wenn er es täte. Sie müsse sich an die seinige klammern, die jenseitig geworden ist vom Leib der irdischen Welt. – Oh, wie habe ich bei diesen Worten denken müssen an den Silbernen Schuh des Bartlett Green! Dann hat der Rabbi Löw mir das Knöchlein an meinem Schlüsselbein berührt, so wie damals der Straßenräuber im Gefängnis des Tower. – Und dann sehe ich – sehe mit den tränenlosen, ruhevollen, unerschütterlichen Augen des alten Rabbis: mein Weib Jane kniet vor Kelley in der Stube, drüben im Haus am Ring. Sie ringt mit ihm um mein Glück, wie sie meint: um Gold und um den Engel. – Kelley will sich das Buch und die Kugeln aus meiner Truhe mit der Brechstange holen, weil die Schlüssel, ihm unzugänglich, in meinem Verwahr sind. Er will bei Nacht und Nebel mit seinem Raub aus Prag fort, will uns sitzen lassen in Not und Elend. Jane schützt mit ihrem Leib die Truhe. Sie verhandelt mit dem Schurken. Sie fleht, sie weiß nicht, was sie tut.

Ich ... lächle!

Kelley macht Einwendungen jeder Art. Rohe Drohung wechselt mit listigem Überlegen und kaltes Pläneschmieden mit geheucheltem Erbarmen. Er stellt Bedingungen. Jane sagt zu allem ja. Immer gierigere Blicke streifen mein Weib. Wie Jane vor ihm kniet, reißt das Tuch über ihrer Brust. Kelley wehrt ihrer ordnenden Hand. Er schaut hinab zu ihr. Feuer beschlägt ihm den Kopf.

Ich ... lächle.

Kelley hebt Jane empor. Die Griffe seiner Hände sind lüstern, schamlos. Jane macht ihm schwache Vorhaltungen: die Angst um mich nimmt ihr jeden Mut.

Ich ... lächle.

Kelley lässt sich überreden. Er macht alles Künftige von den Befehlen des Grünen Engels abhängig. Er lässt Jane schwören, dass sie – gleich ihm – Gehorsam, Gehorsam leisten wolle bis zum Tod und über den Tod hinaus dem Gebot des Engels, wie immer es auch lauten möge. Nur so, droht er, sei noch Rettung. – Jane schwört. Angst färbt ihr Gesicht totenblass.

Ich ... lächle; aber ein feiner spitziger Schmerz wie von einem haarscharfen Schächtmesser durchschneidet mir, ich fühle es, die Lebensader. Es ist fast wie Todeskitzel ...

Dann sehe ich wieder vor mir, als schwebe es frei in der Luft, das uralte, von Furchen durchpflügte, seltsam winzige Kindergesicht des hohen Rabbi Löw. Er sagt:

„Isaak, das Messer Gottes ist dir an die Kehle gesetzt. Aber im Dornbusch zappelt das stellvertretende Lamm. Wenn du einst ein Opfer annimmst, sei gnädig wie ‘Er’; sei barmherzig wie der Gott meiner Väter.“

Dunkelheit gleitet an mir vorüber wie ein Heer von blinden Nächten, und ich fühle die Erinnerung an das, was ich gesehen mit den Augen der Seele des Rabbis, verblassen und verschwinden. Es rührt mich an, als sei’s ein böser Traum gewesen.

Gustav Meyrink: Der Engel vom westlichen Fenster

(Die erste Schau im magischen Spiegel)


Baphomet

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