Читать книгу Die 8te Pforte - Akron Frey - Страница 15
Kapitel 3
ОглавлениеNiemands Traum
Ich sah auf die sich kräuselnden Wolkenschleier und während der Mond hinter den Wolken verschwand und wieder hervorkam, sah ich am Himmel oben im sanften Licht Ursi, die Glasmalerin, meine verstorbene Geliebte. Es war wie eine Einladung zur chymischen Hochzeit, wie sie mit ausgebreiteten Armen so erhaben dastand, und gleichzeitig hatte ich eine Stimme im Ohr: „Liebe wird erst dann endgültig und tritt auf den Plan, wenn das, was getrennt wurde, wieder vereinigt worden ist.“
„Kann das nicht auch eine Täuschung aufgrund menschlicher Einbildung sein?“, wollte ich vom Erhabenen wissen. Denn ich war mir nicht sicher, ob sich wahre Liebe in der dualen Welt unserer Materie überhaupt halten lässt.
„Gewiss! Es ist die nie versiegende Sehnsucht nach Liebe, die der Mensch noch einmal in seiner Erinnerung durchlebt und die jeder meistens in der frühen Phase der Verliebtheit oder in seiner ersten großen Liebe erfährt.“
Er lud mich ein, mich an alle meine Gefühle in meinem Leben zu erinnern und erklärte mir dann, dass sie der schwache Abglanz jenes Gottesfunkens wären, den die Menschen in Verbindung mit ihrer All-Seele auf der Ebene des kosmischen Bewusstseins erlebten.
Gleichzeitig breitete er überschwänglich die Arme aus und verkündete: „Allerdings ist in der Realität jede Art von überhitztem Liebesfeuer schnell wieder erstickt, denn in der Regel ist Liebe immer nur die Nähe zu sich selbst: die Hingezogenheit zu seinem eigenen Bild oder zum Spiegelbild der eigenen Anziehung, die uns im anderen erfreut. Zum anderen ist die Sehnsucht nach sich selbst die höchste Kraft, die unser Leben beglückt, und ohne sie gäbe es keine ständig neuen Illusionen, die uns die Sehnsucht nach Gott in der Seel-Sucht nach sich selbst immer und immer wieder vergessen lässt. Deshalb lautet des Teufels Spruch:
Dem Menschen wurde ein kostbares Geschenk gewährt:
Jeder darf erfahren, was Einssein bedeutet!
Immer und immer wieder …“
Doch bevor ich mir klar darüber wurde, was da eigentlich geschah, begannen sich die Bilder vor meinen Augen wieder aufzulösen. Nur eine Handvoll verglimmender Lichtpunkte blieb zurück, als ich mein Gesicht wie in einer kurzen Einblendung auf einer Parallelebene an der Zimmerdecke aufleuchten sah. Ich schüttelte den Kopf und drehte mich um.
„Mein Gott – dann habe ich dich die ganze Zeit verdrängt?“, sagte ich zu Niemand, der plötzlich so real neben meinem Bett stand, als ob es kein Traum wäre, in dem ich mich befand.
„Du hast mich nicht verdrängt“, erwiderte er mit einem entwaffnenden Lächeln, „sonst stünde ich ja nicht hier. Aus deiner Vergangenheit heraus betrachtet bin ich eine Projektion deiner zukünftigen Erinnerung, die du vorausgeschickt hast, damit du dich in deiner Zukunft an jemanden erinnern kannst, der dich an seine Vergangenheit erinnert, die er mit dir teilt.“ Zugleich fühlte ich Niemands Berührung im Schulterbereich: „Tritt ein! Wir sind am Tor des Erwachens, das zu den Nebeln der Träume führt …“
„Von was für Nebeln redest du?“ Für einen Augenblick glaubte ich sogar, den Kopf einer wunderschönen Frau im Widerschein des Mondlichts an der Zimmerdecke zu erkennen.
„Es sind die Schleier der Träume, in dem der Träumer im Traum sein Geträumtes sieht, denn dort gibt es nichts mehr, was ausserhalb seiner Träume liegt“, antwortete er ruhig. „Es handelt sich um eine fliessende, faszinierende Welt, die keinerlei Orientierung kennt und in der sich die Gefühle der Reisenden oft in Stimmungsschwankungen ausdrücken.“
Unwillkürlich schloss ich die Augen, bereit mit meinem eigenen Deckenbild zu verschmelzen, und als ich sie wieder aufmachte, sah ich in zwei Augen wie zwei kristallene Spiegel: „Gib dir keine Mühe! Es gibt nichts mehr, an dem du dich festhalten kannst.“ Der ganze Raum begann sich zu drehen.
„Aber wie können wir dann in die Träume hineingelangen?“ Als mich die Blicke stärker fixierten, verstärkte sich meine Übelkeit.
Niemand schaute mich so übertrieben wichtig an, als ob er mir den Sinn des Lebens erklären wollte, und sagte nur: „Indem du die Denkebene loslässt! Veräppelst du mich? Was bedeutet das?“ Ich war sehr verunsichert, denn ich wusste nicht, ob er mich verulkte oder nicht. Unkontrollierte Gedanken begannen in meinem Hirn zu kreisen und mündeten in einem heftigen Schwindel.
„Das bedeutet“, antwortete er nach langer Zeit, nachdem ich mich an die quälenden Erinnerungen schon allmählich gewöhnt hatte, „dass du dich in dieser Welt nicht mehr als vernünftiges, denkorientiertes Wesen begreifen kannst. Lass dein Denken los!“
Ich starrte auf die schwarzen Schatten, die der Mond an die Wand warf, und meinte darin für einen Augenblick unzählige schemenhafte Gesichter und Gestalten zu erkennen. Das Gesehene liess mich nicht mehr los, aber es hatte auch keinen Sinn mehr, mich dagegen zu sträuben. Ich wollte nicht mehr länger verdrängen.
„Solange du dich an deinen Gedanken festklammerst, dreht sich nicht die Welt, sondern dein Kopf und dir wird in der Realität ziemlich schwindlig, denn du blockierst die Spirale des Lebens“, setzte mein Begleiter seine Ausführungen fort, „sobald du sie aber losgelassen hast, versinkst du in multidimensionalen Weiten und Perspektiven, in denen sich dir ganz verschiedene übereinandergeschichtete Wirklichkeiten und Zeitebenen öffnen können. Das ist auch der Punkt, wo du jede deiner Seins-Ebenen als Maya, als materielle Verdichtung reiner Denkvorstellung erkennst. In der Begegnung mit der Seele begegnest du den okkulten Schleiern der Träume, in deren Formen alles fliessend erscheint.“
„Dann zeige mir die magischen Nebel dieser Träume“, forderte ich ihn auf.
„Die kann ich dir nicht im Aussen zeigen, denn sie existieren nur in deinem Kopf, erwiderte er und kräuselte die Lippen, „ich kann dich aber anleiten, wie du in deine Träume hineingelangen kannst.“
„Wenn sie aber nur in mir sind, wie kannst du dann wissen, wie detailliert ich in meine Träume hineingelangen kann?“, hakte ich nach. Ich wollte es genau wissen.
„Wir sind vom gleichen Fleisch und Bein“, entgegnete Niemand.
„Trotzdem habe ich das Gefühl“, sagte ich, von meinen eigenen Worten überrascht, „dass an deiner Geschichte irgendetwas nicht stimmt. Irgendwie fehlt mir der Zusammenhang. Worum geht es? Was verschweigst du mir? Irgendwie ergeben deine detaillierten Aussagen keinen Sinn.“ Ich wollte nicht mehr länger verdrängen. Ich war jetzt bereit, die andere Welt in meinem Inneren zu empfangen. Dann schloss ich die Augen.
„Du hast Recht! Lüge und Wahrheit unterscheiden sich oft nur aus der Sicht, aus der wir sie betrachten“, pflichtete er mir bei. „Es ist eine alte Geschichte, und sie ist wie ein böser Fluch.“
„Jaja, die entscheidenden Dinge sind oft verblüffend einfach“, erwiderte ich schon halb in Trance. Es war der seltsame Hauch, der vom Boden aufstieg, als ich zur Pforte an der Schwelle der Erinnerung lief und die alte Welt hinter mir zurücklies, jetzt erinnere ich mich wieder …“ Und mit einem Mal war mir klar, dass ich an seinen Gedanken teilhatte, denn ich kannte die Geschichte, wir hatten sie schon oft zusammen geträumt …“
„Es ist nicht leicht“, entgegnete er, „die richtigen Worte für etwas zu finden, was man nur in aussergewöhnlichen Phasen fühlen kann. Aber jetzt stehst du exakt an der Schwelle und bist eben im Begriff, in meine Geschichte einzutreten, die dadurch zu deiner eigenen wird. Versuch aber nicht zu ergründen, was ich dir künde. Sei offen und lass dein Herz atmen. Dann wirst du verstehen.“
„Ist das der Übergang?“ Einerseits fühlte ich seine Hand immer noch auf meiner Schulter, gleichzeitig hatte ich aber ein völlig anderes Bild und mir war, als ob ich in einem fremden Traum einen eigenen, wichtigen Lebensabschnitt betrat. Irgendwie existierte die Szene gar nicht wirklich, sondern umkreiste in einer unbeschreiblichen Gebäre das numinose Nichts, von dem meine begriffliche Welt nur ein Teil und meine Suche nach mir selbst wiederum ein noch kleinerer Ausschnitt ist. Mein einziger Halt war die innere Ahnung, dass ich in meinen eigenen Empfindungen, was auch immer passiert, ich selbst bin, und dass ich seinen Worten glauben konnte, auch wenn sie für meinen Verstand nicht leicht zu verstehen waren, denn irgendwie flossen sie aus mir.