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3 Was Lehrkräfte wissen und können sollen: Vorgaben der KMK

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Seit einigen Jahren formuliert die Kultusministerkonferenz (KMK) Anforderungen im Hinblick auf die Lehrerbildung, die von Zeit zu Zeit aktualisiert werden. Im Folgenden werden vor allem die Ausführungen zu Deutsch, Mathematik und den Bildungswissenschaften aufgegriffen.

Zentral ist der Begriff der Kompetenz. Kompetenzen werden verstanden als »Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Einstellungen, über die eine Lehrkraft zur Bewältigung ihrer Aufgaben im Hinblick auf das jeweilige Lehramt verfügen muss.« (KMK, 2019a, S. 3 und KMK, 2019b, S. 4)

Die Anforderungen beziehen sich auf die drei Phasen der Lehrerbildung: das Studium, in dem grundlegende fachwissenschaftliche und -didaktische Kompetenzen erworben werden, den Vorbereitungsdienst, in dem vornehmlich unterrichtspraktische Kompetenzen im Zentrum stehen, und die dritte Phase der Fort- und Weiterbildung. Zum Verhältnis der ersten beiden Phasen heißt es präzisierend: »Beide Phasen enthalten sowohl Theorie- als auch Praxisanteile mit unterschiedlicher Gewichtung. Ausgehend von dem Schwerpunkt Theorie erschließt die erste Phase die pädagogische Praxis, während in der zweiten Phase diese Praxis und deren theoriegeleitete Reflexion im Zentrum stehen.« (KMK, 2019b, S. 4)

Was die Fachwissenschaften und -didaktiken angeht, so beschränkt sich die KMK auf die kurze Beschreibung von Kompetenzprofilen und Studieninhalten für die erste Phase, das Studium.

Im Fach Deutsch z. B. werden Kompetenzen in der Sprachwissenschaft, Literaturwissenschaft und Fachdidaktik unterschieden und mit Studieninhalten verknüpft, wobei zwischen einem Studium für die Lehrämter der Sekundarstufe I und für das Lehramt am Gymnasium bzw. in der Sekundarstufe II differenziert wird. Das fachspezifische Kompetenzprofil umfasst zwölf Kompetenzen. Zwei Beispiele: Studienabsolventinnen und -absolventen »beherrschen grundlegendes, strukturiertes und ausbaufähiges Wissen in den genannten Fachdisziplinen [Sprach- und Literaturwissenschaft] und sind mit zentralen Fragestellungen des Faches sowie entsprechenden fachspezifischen Methoden und Arbeitstechniken vertraut.« – Sie »kennen die fachlichen Potentiale und Grenzen bei der Entwicklung differenzierter Lernangebote in heterogenen Gruppen.« (KMK, 2019a, S. 26) Die Studieninhalte sind nur in Form von Stichwörtern genannt. In der Sprachwissenschaft sollen z. B. Grundlagen der Phonetik und Phonologie, Morphologie, Syntax, Semantik, Pragmatik und Texttheorie gelehrt werden, Gymnasiale sollen sich vertieft mit Sprachgeschichte und mit sprachphilosophischen Debatten zum Verhältnis von Sprache, Denken und Wirklichkeit auseinandersetzen. Während Studierende der Lehrämter für die Sekundarstufe I sich in der Literaturwissenschaft u. a. mit Werken und Autorinnen und Autoren vornehmlich des 20. Jahrhunderts und der Gegenwart zu beschäftigen haben, sollen Sekundarstufe-II-Studierende auch Gelegenheit haben, mit Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit umzugehen. Auch die Inhalte des fachdidaktischen Studiums sind nur sehr knapp skizziert. Am ausführlichsten ist der Hinweis auf »ziel-, schüler- und fachgerechte Planung, Durchführung und Reflexion kompetenzorientierten Deutschunterrichts unter Berücksichtigung individueller Förderbedarfe in heterogenen Lerngruppen, insbesondere bei der Auswahl sprachlicher und literarischer Unterrichtsgegenstände und der Entwicklung von Aufgabenkonzepten, die differenzierte Lernprozesse auf unterschiedlichen Aneignungsniveaus ermöglichen.« (KMK, 2019a, S. 28)

In der Mathematik, bei der das Profil aus sieben Kompetenzen besteht, können, so die Zielvorstellung, die Absolventinnen und Absolventen z. B. mathematische Sachverhalte mündlich und schriftlich adäquat darstellen. Sie können »mathematische Gebiete durch Angabe treibender Fragestellungen strukturieren, durch Querverbindungen vernetzen und Bezüge zur Schulmathematik und ihrer Entwicklung herstellen« (ebd., S. 38). Sie können auch »empirische Befunde mathematikbezogener Lehr-Lern-Forschung nutzen, um individuelle, heterogene Vorstellungen, Denkwege und Fehlermuster von und bei Schülerinnen und Schülern zu analysieren, ihren Lernstand und ihr Potential einzuschätzen, sie für das Lernen von Mathematik zu motivieren und bei ihren individuellen Lernwegen zu begleiten sowie individuelle Lernfortschritte zu fördern und zu bewerten.« (ebd., S. 38) Wiederum in Form von Stichwörtern sind zentrale Studieninhalte genannt: Arithmetik und Algebra, Geometrie, Lineare Algebra, Analysis, Stochastik, Angewandte Mathematik und mathematische Technologie. Im Bereich der Analysis z. B. sollen Absolventinnen und Absolventen von Studiengängen für die Lehrämter der Sekundarstufe I sich mit Funktionen und ihren grundlegenden Eigenschaften, mit Elementen der Differential- und Integralrechnung beschäftigt und Einblick in Differentialgleichungen gewonnen haben. Wer ein Lehramt am Gymnasium bzw. in der Sekundarstufe II anstrebt, soll zusätzlich mit Differential- und Integralrechnung mehrerer Variablen und Funktionentheorie konfrontiert worden sein (ebd., S. 39). Den mathematikdidaktischen Inhalten sind nur wenige Zeilen gewidmet. Genannt sind hier u. a. »Themenfelder und Standards des Mathematikunterrichts« und »Planung und Analyse differenzierenden Mathematikunterrichts« (ebd., S. 40).

In den Standards für die Bildungswissenschaften werden Anforderungen in den Bereichen Unterrichten, Erziehen, Beurteilen und Beraten, Fort- und Weiterbildung und Beteiligung an der Schulentwicklung unterschieden. Lehrkräfte haben eine »Kernaufgabe«, nämlich »die gezielte und nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gestaltete Planung, Organisation und Reflexion von Lehr- und Lernprozessen sowie ihre individuelle Bewertung und systemische Evaluation. Die berufliche Qualität von Lehrkräften entscheidet sich an der Qualität ihres Unterrichts.« (KMK, 2019b, S. 3) Hier legt die KMK elf Kompetenzen fest und ordnet ihnen jeweils Standards für die primär theoretischen und primär praktischen Ausbildungsabschnitte zu. Für die Kernaufgabe Unterrichten z. B. werden drei Kompetenzen formuliert, nämlich

• Unterricht fachgerecht zu planen und durchzuführen und dabei heterogene Lernvoraussetzungen zu bedenken,

• Lernsituationen mit dem Ziel zu gestalten, Schülerinnen und Schüler zu motivieren und zu befähigen, Zusammenhänge herzustellen und Gelerntes zu nutzen,

• schließlich ihre Fähigkeit zu selbstbestimmtem Lernen und Arbeiten zu fördern.

Diesen drei Kompetenzen sind 28 Standards zugeordnet, allen elf Kompetenzen insgesamt 105. Im Kompetenzbereich Unterrichten für die primär theoretischen Ausbildungsabschnitte, also das Studium, handelt es sich z. B. um die folgenden Standards: »Die Absolventinnen und Absolventen …

• kennen die einschlägigen Erziehungs- und Bildungstheorien, verstehen bildungs- und erziehungstheoretische Ziele sowie die daraus abzuleitenden Standards und reflektieren diese kritisch.

• kennen allgemeine und fachbezogene Didaktiken und wissen, was bei der Planung von Unterrichtseinheiten auch in leistungsheterogenen Gruppen beachtet werden muss.

• kennen unterschiedliche Unterrichtsmethoden, Aufgabenformate bzw. Aufgabenformen und wissen, wie man sie anforderungs- und situationsgerecht einsetzt.

• kennen Lerntheorien und Formen des Lernens einschließlich Theorien des Lehrens und Lernens mit digitalen Medien.

• kennen Grundlagen und Ergebnisse der Schul- und Unterrichtsforschung und können diese anwendungsbezogen reflektieren.« (ebd., S. 7f.)

Es fällt auf, dass die Ausführungen zu den Bildungswissenschaften viel detaillierter sind als die zu den Fächern und Fachdidaktiken. Nur im Hinblick auf die ersteren ist von Standards die Rede und deren Liste ist lang. Die Texte lassen sich als Resultate einer Gratwanderung verstehen. Einerseits waren Vorgaben zu formulieren, andererseits sollte nicht der Eindruck entstehen, hochschulische und andere Akteure würden zu stark gegängelt. Bei den Bildungswissenschaften war man offensichtlich eher bereit, den Vorwurf der Gängelung in Kauf zu nehmen. Die KMK-Dokumente sollten jedenfalls nicht als bildungspolitische Verlautbarungen verstanden werden, die für die Arbeit in den Hochschulen und in der zweiten Phase der Lehrerausbildung weitgehend folgenlos sind. Denn die »Standards für die Bildungswissenschaften bilden zusammen mit den Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken eine Grundlage für die Akkreditierung und Evaluierung von lehramtsbezogenen Studiengängen.« (KMK, 2019b, S. 3) Sie sollen also Eingang in die hochschulischen Curricula finden und können insofern als Teil eines intendierten Curriculums verstanden werden. Für die Akkreditierung dürfte es günstig sein, wenn in Modulbeschreibungen oder in Beschreibungen einzelner Lehrveranstaltungen die von der KMK formulierten Kompetenzerwartungen zu finden sind. Vom institutionell vorgegebenen und sich in Studien- und Prüfungsordnungen manifestierenden, intendierten Curriculum ist aber das implementierte Curriculum zu unterscheiden. Darüber, ob tatsächlich das gelehrt wurde, was das intendierte Curriculum verspricht, können vor allem die Studierenden bzw. die Absolventinnen und Absolventen Auskunft geben und es ist durchaus zu erwarten, dass es in ihrer Warte zu mehr oder weniger großen Diskrepanzen zwischen intendiertem und realisiertem Curriculum gekommen ist. Hatten sie überhaupt die Gelegenheit, sich die curricular »versprochenen« fachspezifischen und bildungswissenschaftlichen Kompetenzen anzueignen ( Kap. 8)? Schließlich kann gefragt werden, inwiefern sie die Lerngelegenheiten genutzt haben und inwieweit es zu Lernerfolgen gekommen, das Curriculum also gewissermaßen realisiert worden ist ( Kap. 6 und 7).

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