Читать книгу Ein mörderisches Sabbatjahr - Albrecht Gralle - Страница 5

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Da mein erstes Sabbatjahr so zufriedenstellend verlaufen war, habe ich es Jahr um Jahr verlängert und mich in den angenehmen Dauerzustand des betriebsamen Nichtstuns versetzt. Ich muss gestehen, dass der Lottogewinn vor einigen Jahren natürlich dazu beigetragen hat, dass Adelheid, die Kinder und ich ein geruhsames Leben führen können. Also lege ich mich oft im Vorgarten in den Liegestuhl und zwar so, dass mich vorübergehende Passanten sehen können. Manchmal bleibt auch tatsächlich jemand zu einem Plausch stehen und überzeugt sich von meinem Nichtstun.

Aber das ist natürlich alles Fassade, denn in Wirklichkeit arbeite ich doch. Zwar nicht für die Kirche, aber für uns und für mich. Ich bin nun einmal so gestrickt, dass ich es nicht aushalte, absolut nichts zu tun.

Ich lese zum Beispiel die Zeitung durch und streiche alle Schreibfehler an, schicke meine Liste an die Redaktion und freue mich, auf diese Weise den Redakteuren helfen zu können, wenn auch nur im Nachhinein. Oder ich gehe unerkannt – mit Sonnenbrille – durch die Straßen und notiere mir alle Falschparker.

Natürlich helfe ich auch im Haushalt mit, bügele die Wäsche, stelle kleine Schachteln mit Zucker vor die Ameisenstraße im Wohnzimmer, verfolge gespannt, wie die Ameisen hinein krabbeln, schließe die Schachtel und bringe die fleißigen Tierchen nach draußen, damit sie dort ihre Arbeit weiter verrichten können. Oder ich überwache den Kochvorgang, den Adelheid begonnen hat. Ich gehe regelmäßig ins Fitnessstudio, um in Form zu bleiben und spalte das Holz für unseren Kamin. Natürlich kümmere ich mich auch um die Hausaufgaben von Friedrich und Frieda, die beide, in der langen Zeit der wiederkehrenden Sabbatjahre, sehr davon profitieren, ihren genialen Vater dabei ganz für sich zu haben.

Weil ich das Privileg habe, in meinem Beruf durch das Sabbatjahr nichts leisten zu müssen und auf der faulen Haut liegen kann (im übertragenen Sinn), ist mir neulich eine tiefe Wahrheit aufgegangen: Es ist unbefriedigend, auf die Dauer nichts tun zu können. Das macht nicht glücklich. Und deshalb behaupte ich, dass zum Beispiel der Himmel kein Ort ist, wo man den ganzen Tag herumhängt, irgendwelche Lieder in irgendeinem höheren Chor singt und das war’s dann. Ich sage Ihnen: Spätestens nach ein paar Monaten Himmel hätten Sie die Nase gestrichen voll. Also gibt es meiner Meinung nach im Himmel viel zu tun, natürlich Erfrischendes, Spannendes. Sonst wäre der Himmel ja nicht der Himmel, sondern die Hölle.

Aber ich schweife ab. In diesem Buch will ich Ihnen erzählen, dass ich durch Gottes Hilfe mitten in meinem kirchlichen Nichtstun eine der scheußlichsten Morde Deutschlands aufgeklärt habe. Aus Versehen zwar, wie ich leider gestehen muss – aber immerhin.

Ich hätte nicht gedacht, dass es so etwas Widerliches überhaupt gibt. Es war nicht gerade appetitlich, was ich da erlebt habe, und ich sage Ihnen gleich: Wenn Sie zu den Typen gehören, für die Schönheit und Ästhetik etwas bedeuten, dann lesen Sie jetzt nicht weiter, außer Sie stehen kurz vor einem Selbstmord und wollen abgelenkt werden und sich darüber amüsieren, wie ein absoluter Dilettant wie ich durch die Verkettung unglaublicher Umstände und durch das Eingreifen der göttlichen Vorsehung einen Fall gelöst hat, bei dem selbst das BKA nicht weiterwusste.

Es begann, wie so viele furchtbare Ereignisse es tun, mit einem wunderschönen Erlebnis. Denken Sie an den ersten Mord, den Kain durchgezogen hat. Da schien zum Beispiel die Sonne, sonst hätte Kain draußen gar keinen Altar aufbauen und das Opferfeuer anzünden können. Oder denken Sie an Davids hinterhältigen Mord an Uriah. Auch der begann mit einem wunderschönen und spannenden Erlebnis: Eine nackte Frau badete auf einem Hausdach ohne abzurutschen.

Ich war wie gesagt mitten im zigsten Sabbatjahr, lag in meinem Liegestuhl im Vorgarten, damit meine Gemeindeglieder sehen konnten, dass ich auch wirklich nichts tat, und sah einem Marienkäfer zu, der an einem Löwenzahnblatt empor kletterte. Es war eine richtig friedliche, positive Stimmung. Ich dachte an nichts Bestimmtes, am allerwenigsten an ein Verbrechen.

Da hörte ich plötzlich von rechts lautes Reifenquietschen, kurz danach das heftige Zuschlagen zweier Autotüren und dann rasche Schritte von zwei Menschen, die sich entfernten. Ich sagte Menschen und nicht Männer, weil es ja auch Frauen hätten sein können. Frauen können heutzutage manchmal einen lauten Schritt durch ihre Absätze haben, während Männer eher durchs Leben schleichen. Früher war das oft umgekehrt. Finden Sie das nicht auch seltsam? Entweder die beiden unsichtbaren Menschen waren Männer mit harten Sohlen oder Frauen. Ich blickte kurz nach rechts und sah neben der Hecke das dunkelblaue Heck eines Wagens.

Ich wollte mich schon wieder der Zeitung zuwenden, weil das Zuschlagen von Autotüren nun nichts Ungewöhnliches ist, da erfolgte eine kurze und gedämpfte Detonation, danach eilige Schritte, wieder das Zuschlagen zweier Autotüren, und das dunkelblaue Heck entfernte sich nach rechts aus meinem Gesichtsfeld. Der Wagen wendete und fuhr an meinem Vorgarten auf der anderen Straßenseite vorbei. Ich meinte, es sei ein dunkelblauer Audi gewesen. Es könnte aber auch ein Chrysler gewesen sein oder ein Ford. Ich kenn mich da ehrlich gesagt nicht so aus. Das alles ging so schnell vorüber, dass ich wie gelähmt sitzen blieb und nicht sofort aus meinem Liegestuhl herauskam. Unglücklicherweise klappte er bei dem Versuch aufzustehen schließlich auch noch zusammen, sodass wertvolle Minuten verstrichen. Doch ich befreite mich und stürzte unerschrocken und mit schmerzenden Fingern zum Nachbargrundstück.

Nun ist es so, dass unser Haus nicht neben der Kirche steht, sondern eher am Stadtrand, wo viele Einfamilienhäuser gebaut wurden. Morgens sind die meisten Anwohner bei der Arbeit, so wie ich, nur auf eine andere, aktivere Weise. So war ich im Grunde der Erste, der an den Tatort kam. Aus einem der schönen Einfamilienhäuser waberte Qualm aus einem Fenster im Erdgeschoss.

„Feuerwehr!“, schoss es mir durch den Kopf. Glücklicherweise trage ich immer mein Handy bei mir, um bei meiner Sabbatarbeit nicht unnötigerweise ins Haus gehen zu müssen, wenn ich jemanden anrufen will.

Noch im Gehen tippte ich 112 ein und sagte dem netten Herrn, dass es brannte. Durch meine Arbeit als Parksünderaufschreiber hatte ich bereits bei solchen Vorfällen eine geschäftige Routine entwickelt. Schwarzer Qualm wälzte sich aus dem Fenster, und ich meinte auch gelbrote Flammen zu erkennen.

Was soll ich bloß machen?, überlegte ich. Durch das Fenster in das Haus einzudringen, wäre wahrscheinlich lebensgefährlich gewesen. Und ich wollte mein schönes Sabbatleben nicht sinnlos vergeuden. Aber wenn nun jemand drin war und erstickte? Was dann?

Andererseits, so überlegte ich weiter, habe ich einen großen Teil meines Lebens schon gelebt, habe zwei Kinder gezeugt, Menschen, wenn auch oft unfreiwillig, geholfen und eine Frau teilweise glücklich gemacht. Die Welt könnte auch ohne mich auskommen. Durch meinen Tod würde die Arbeit in der Kirche nicht direkt unterbrochen werden, weil ich ja nicht arbeitete. Vielleicht würde ich meinen Kindern und Adelheid fehlen. Aber sie würden darüber hinwegkommen.

Wenn ich durch einen beherzten Einsatz allerdings zum Pflegefall würde, wäre ich für meine Angehörigen nur eine zusätzliche Belastung. Also sagte ich mir: Entweder du stirbst bei diesem Einsatz gleich richtig oder du musst vorsichtig zu Werke gehen. Ich überlegte, ob es noch eine dritte Möglichkeit gab, aber mir fiel keine ein, höchstens die, wegzurennen. Als ich mit meinen Überlegungen so weit gekommen war, hörte ich das Feuerwehrauto und dankte meinem Schöpfer, dass er mich aus dieser gedanklichen Zwickmühle entlassen hatte. Männer mit mehr Mut und besserer Schutzkleidung würden in das Haus eindringen und gezielter helfen können. Ich hätte wahrscheinlich ihre Arbeit nur behindert. Sie konnten im Grunde froh sein, dass ich nichts getan hatte.

Ohne mich weiter zu beachten, stürmten zwei Männer mit Äxten und Masken auf das Haus zu, wurden aber davon abgehalten, ihr Ziel zu erreichen, weil eine zweite Detonation erfolgte. Diese war noch stärker als die erste und zwar so stark, dass Dinge mit gewaltiger Energie durch die Luft flogen, die besser nicht durch die Luft hätten fliegen sollen. Ich sah staunend zu und dachte bei mir, dass das mein Ende gewesen wäre, wenn ich mich entschlossen hätte, durch das Fenster zu steigen. Aber ich wäre dann immerhin kein Pflegefall geworden.

Nun, ich will diese Szene nicht unnötig ausdehnen. Nur so viel: Im Haus lag tatsächlich jemand, der durch die Sprengung getötet worden war. Es hatte ihn förmlich zerrissen. Ich wusste das, weil ich später in meinem Vorgarten Teile davon entdeckte: Eine blutige Hand, ein Ohr und ein teilweise noch mit Haut überzogenes Stück Knorpel. All das gehörte vermutlich einmal Hendrik Hilberg, meinem Nachbarn. Merkwürdiges Gefühl, kann ich Ihnen sagen, wenn man das Ohr seines Nachbarn im Garten entdeckt. Zuerst musste ich mich übergeben, danach putze ich mir die Zähne, weil man ja ziemlich aus dem Mund stinkt, wenn man spucken muss. Ich fasste mir ein Herz, zog die Gartenhandschuhe über und legte die Teile von Hendrik in einen Schuhkarton. Als ich ihn gerade schließen wollte, sah ich zufällig ein Auge, das in einer Astgabel hing und mich starr anblickte. Schnell griff ich danach und obwohl es sich einigermaßen fest anfühlte, glitschte es mir doch aus der Hand und fiel auf den Rasen. Ich hielt kurz die Luft an, um nicht weiter nachdenken zu müssen, packte dann noch einmal herzhaft zu und legte es zu den anderen zwei Leichenteilen in den Karton. Ich wusste ja inzwischen, dass man solche Funde nicht einfach in der Biotonne entsorgen durfte, wie seinerzeit den menschlichen Schädel aus meinem Garten. Übrigens habe ich festgestellt, dass man nur sehr schwer denken kann, wenn man die Luft anhält. Deshalb hielt ich die Luft an, um nicht weiter denken zu müssen. Keine Ahnung, wie das zusammenhängt. Probieren Sie es mal aus: Halten Sie die Luft an und versuchen Sie, eine simple Mathematikaufgabe zu lösen, zum Beispiel zwölf mal dreizehn. Sie werden nicht weit kommen.

Jedenfalls blickte ich nach dem überraschenden Augenfund prüfend den Baum an, fand aber kein zweites Auge von Hilberg. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, dass mein Garten auch einen kleinen schwarzen Meteoriten beherbergte, dessen Anwesenheit mir später eine ungeahnte Überraschung bescheren sollte.

Am nächsten Tag stand in der Zeitung, dass der Tote vor der zweiten Detonation bereits tot gewesen war. Ich hätte ihm also durch mein beherztes Eingreifen gar nicht helfen können. Das fand ich beruhigend. Manchmal ist es eben doch gut, sich vor einer Handlung Zeit zu lassen. Durch mein Zögern hatte ich schließlich mein Leben gerettet.

Nachdem die Feuerwehr alles gelöscht hatte und ich wieder im Haus war, dachte ich, dass der Fall nun abgeschlossen sei. Schließlich war es nicht meine Aufgabe, die Verbrecher zu suchen, die dort eine Sprengung vorgenommen hatten. Aber da hatte ich mich getäuscht. Das Schicksal (oder war es Gott?) schien mich bei der Aufklärung dieses feigen Mordes dabeihaben zu wollen, denn schon am nächsten Tag rief mich Herr Polizei Hauptkommissar Wurmsen an.

„Guten Tag, Herr Pfarrer“, hörte ich seine freundliche Männerstimme durch den Apparat, „ich bin Hauptkommissar Wurmsen und habe zu dem Unglück noch ein paar Fragen an Sie.“

„Woher weiß ich“, fragte ich, „dass Sie wirklich Hauptkommissar Wurmsen sind? Sie könnten auch einer der Häusersprenger sein.“

Wurmsen schwieg verblüfft. Ich hörte im Hintergrund Stimmen, schließlich meldete sich eine andere Männerstimme: „Herr W., wir kennen uns von den Besuchen, die Sie regelmäßig bei uns abstatten, um die Falschparker aufzuschreiben. Ich bin Stefan Garkolle. Erinnern Sie sich?“

Ich erinnerte mich und auch an die Stimme von Garkolle. Sie klang immer etwas heiser. Unverkennbar.

„Also“, sagte er, „ich kann bezeugen, dass der Herr neben mir wirklich Hauptkommissar Wurmsen ist, der mit Ihnen sprechen möchte.“

„Gut, wenn Sie das sagen.“

Jetzt meldete sich wieder Wurmsen. Seine Stimme klang nicht mehr ganz so freundlich.

„Ja also, Herr W., wie gesagt, ich hätte zu dieser Sache noch ein paar Fragen.“

„Dann schießen Sie mal los.“

„Wo genau waren Sie zum Zeitpunkt der ersten Detonation?“

Da musste ich nicht lange überlegen.

„Ich lag auf einer Liege in meinem Garten und arbeitete“, sagte ich wahrheitsgemäß.

„Moment.“ In Wurmsens Stimme klang ein misstrauischer Nebenton auf. „Das kann nicht sein. Entweder Sie lagen dort und ruhten sich aus oder Sie arbeiteten.“

Ich seufzte und mir wurde wieder einmal klar, dass nichtkirchliche Menschen es manchmal schwer haben, das kirchliche Leben zu begreifen. Worte, wie Sabbatjahr, Eschatologie oder aaronitischer Segen sind ihnen gänzlich unbekannt.

„Nein, nein“, erklärte ich, „es war genau so, wie ich es gesagt habe. Ich befinde mich in einer so genannten Sabbatzeit, das heißt, dass meine Arbeit darin besteht, nichts tun zu müssen.“

Es herrschte eine kurze Zeit Stille, dann räusperte sich Wurmsen und fuhr fort: „Na ja, wie auch immer. Was ich eigentlich wissen wollte: Erstens, hat Sie jemand gesehen wie Sie … ähm … im Liegen gearbeitet haben, während die Detonation erfolgte?“

Er machte eine Pause. Ich wartete.

„Herr Pfarrer sind Sie noch dran?“

„Ja“, sagte ich, „ich warte, dass Sie zweitens sagen, Sie sagten nur erstens.“

Ich spürte eine gewisse Ungeduld in Wurmsens Stimme durch den Hörer zu mir wehen, aber man unterbricht einen Mitmenschen doch nicht, wenn er weit ausholt und mit erstens beginnt.

„Ich komme schon noch zu zweitens“, sagte der Hauptkommissar, „aber beantworten Sie doch zunächst einmal erstens.“

„Was war Ihre Frage noch gleich?“

Jemand schnaubte in den Hörer, ich musste annehmen, dass es Wurmsen persönlich war.

„Hat Sie jemand gesehen, wie Sie arbeitend im Liegestuhl lagen?“

„Ach so“, sagte ich, „Sie meinen, ob ich ein Alibi habe für die Zeit des Verbrechens? Sagen Sie das doch gleich.“

Ich hörte ein Seufzen am anderen Ende und vermutete, dass es ein Seufzer der Erleichterung war, weil ich Wurmsen Frage gleich auf den Punkt gebracht hatte.

„Herr Pfarrer“, sagte Wurmsen jedoch scharf, „es geht hier gar nicht um ein Verbrechen, auch nicht um eine gezielte Sprengung. Wir ermitteln bei der Aufklärung eines Unfalls. Also vergessen Sie Worte, wie: Mord, Anschlag, Mörder, Verbrechen und so weiter.“

„Gut“, fuhr ich fort, „zu erstens kann ich nur sagen: Nein. Genau zur Zeit der Detonation hat mich niemand bei meiner Arbeit gesehen, soweit ich weiß. Es könnten mich natürlich Leute heimlich beobachtet haben, aber davon weiß ich nichts, weil sie es ja heimlich …“

„Herr Pfarrer W.“, unterbrach mich Hauptkommissar Wurmsen etwas rüde, „ich stelle fest, dass Sie sich in der Nähe des Unglücksortes aufhielten, aber nicht beweisen können, dass Sie nicht an der Detonation beteiligt waren.“

Ich musste kurz über den Satz mit der doppelten Verneinung nachdenken, bis ich ihn begriff.

„Hören Sie Herr Wurmsen! Sie sollten froh sein, dass es Leute wie mich gibt. Immerhin habe ich rechtzeitig die Feuerwehr angerufen. Das wäre doch völlig absurd gewesen, wenn ich selbst die Detonation durchgeführt hätte. Und jetzt habe ich Sie erwischt! Wenn Sie denken, ich hätte etwas mit der Detonation zu tun, dann wäre es ja doch ein Verbrechen und ein Mord! Und kein Unfall, wie Sie sagten! Na, was sagen Sie dazu? Jetzt haben Sie sich selbst widersprochen!“

„Verstehen Sie mich nicht falsch, aber ich muss Sie das fragen, das ist reine Routine. Es könnte ja sein, dass doch ein Mord oder ein Anschlag dahintersteckt, dann müsste die Mordkommission weiter ermitteln. Jedenfalls komme ich nun zu zweitens.“

„Na, das ist ja erfreulich.“

„Ja. Also zweitens: Haben Sie sonst irgendetwas Auffälliges bemerkt?“

„Herr Wurmsen“, sagte ich, weil ich ja nicht gerade auf den Kopf gefallen war, „diese zweite Frage impliziert, dass Sie annehmen, dass ich nicht der Täter gewesen sein konnte, denn sonst müsste ich diese Frage nicht beantworten, sondern mein Alibi verbessern.“

„Herr Pfarrer, vergessen wir jetzt mal erstens. Beantworten Sie einfach zweitens.“

„Wie war noch mal die …“

„Haben Sie etwas Auffälliges gesehen?“

„Natürlich habe ich das.“

„Aha.“

„Ja, also, vor der Sprengung hielt ein schwarzer Audi, es kann aber auch ein Chrylser gewesen sein oder ein Ford …“

„Was denn nun? Legen Sie sich doch bitte fest.“

„Gut. Es war ein Ford – denke ich. Er parkte kurz vor der Detonation neben meinem Garten. Ich konnte das Heck sehen. Zwei Autotüren schlugen zu, dann eilige Schritte, wieder das Zuschlagen, dann wendete das Auto und fuhr an meinem Garten vorbei. Danach kam der Knall.“

„Aha! Ich fasse zusammen: Ein schwarzer Ford hielt neben Ihrem Garten …“

„Nein, entschuldigen Sie, es war ein dunkelblauer Ford.“ Ich blieb jetzt bei dem Ford, obwohl es auch ein Audi hätte sein können, aber ich wollte Wurmsen nicht noch mehr verwirren.

Wieder das Seufzen. „Also nochmal: Das Heck eines dunkelblauen Fords hielt neben Ihrem Garten, Leute stiegen aus, kurze Zeit später kamen sie zurück und die Detonation …“

„Halt!“, rief ich erregt. Mir war gerade etwas aufgefallen. „Es war anders.“

„Wie anders?“

„Zuerst folgte die Detonation, danach kamen die Leute zurück, stiegen ins Auto, wendeten und fuhren weg.“

„Aha, also erst die Detonation und dann das Wegfahren. Konnten Sie vielleicht das Kennzeichen erkennen?“

„Nein, aus meiner liegenden Arbeitsposition heraus leider nicht.“ Ich schwieg.

Auch Wurmsen schwieg.

„Fällt Ihnen sonst noch etwas ein, Herr Pfarrer?“

„Nein.“

„Gut. Meine dritte Frage: In welchem Verhältnis standen Sie zu dem Toten Hendrik Hilberg?“

„Sie meinen, ob ich ihn gehasst und deshalb ermordet habe, weil er vielleicht zu laut gewesen war oder ständig meinen Mülleimer umgekippt hat?“

„Nein, das habe ich nicht gemeint. Und um kein Missverständnis aufkommen zu lassen, wiederhole ich es nochmals deutlich: Noch ist überhaupt nicht geklärt, ob es sich überhaupt um einen Mord handelt. Bisher ermitteln wir in einem Unfall.“

„Tja“, erwiderte ich nachdenklich, „ich stand in einem freundlichen Verhältnis zu Hendrik. Lockere Gespräche über den Zaun, wenn wir uns sahen. Netter Typ. Und viertens?“

„Es gibt vorläufig kein viertens.“

„Aha. Na dann – ach und haben Sie die … die Leichenteile, die ich in meinem Garten gefunden habe, auch registriert?

„Ja, ich habe sie vorliegen.“

„Was? Sie liegen immer noch auf der Wache offen in meinem Karton herum?“

„Nein. Ich wollte damit sagen, dass diese Teile bei mir präsent sind.“

„Gut, dass Sie es sagen, denn jetzt fällt mir ein, dass ich doch noch etwas Merkwürdiges gefunden habe.“

„So? Was denn? Und wo?“

„Am Zaun. Ich dachte zuerst, es sei ein heller Kalkstein, später merkte ich dann, dass es wohl der Teil einer Gehirnmasse sein musste.“

„Lassen Sie das liegen, ich schicke jemanden vorbei und dann lasse ich Ihren Garten gründlich durchkämmen.“

„Herr Wurmsen?“

„Ja?“

„Ich habe das „Teil“ schon … nun ja, weggenommen, weil ja niemand gern neben einem Stück Hirn arbeitet. Es liegt in einem zweiten Karton in der Garage. Es war, wie soll ich sagen, puddingartig und …“

Diesmal seufzte Wurmsen nicht, sondern stöhnte. „Heben Sie es auf, bis meine Leute kommen. Auf Wiederhören.“ Er legte auf. Etwas zu abrupt wie ich fand.

Ein mörderisches Sabbatjahr

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