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ОглавлениеEr stand auf der Dachrinne, während ein Morgenregen seine Haare streifte, ohne sie nass zu machen. Natürlich – das war ja auch nicht möglich. Außerdem hatte er sie erst vor kurzem in einem glitzernden Wasserfall im Paradies gewaschen. Und er begriff jetzt, dass ihm der Aufenthalt auf der Erde tatsächlich geschenkt worden war. Einfach so, wie eine Art Auslandserfahrung. Das Wort hatte ein Freund von ihm benutzt und passte hervorragend. Aber warum war er hier, auf einem Planeten, dessen grobe Struktur sogar er erkennen konnte? Er wusste es nicht. Auch Engel wissen nicht alles. Zum Glück. Nur Gott ist vollkommen.
Langsam streckte er die Hand aus und sah, wie die Regentropfen in seiner Hand verschwanden und unterhalb wieder sichtbar wurden, weil seine Hand so fest war, dass irdisches Wasser in ihm zu einem Schatten wurde. Das kannte er, das war auf allen Planeten so.
Er lächelte, weil er sich an wirkliches Wasser im Himmel erinnerte. Das hier war wie eine unfertige Skizze, ein grober Versuch.
Somaré stürzte sich von der Dachrinne und bremste kurz vor der Straße ab, sonst wäre er durch die Erde hindurchgefallen. Seine geistige Masse war viel zu dicht für diese grobkörnige Materie, in der die menschlichen Seelen sich bewegten wie in einem Nebel. Welche Gediegenheit und was für eine massive Härte eine Seele doch besaß! Unzerstörbar. Härter und schwerer als irdisches Gold. Gewogen in der geistigen Welt der Ursachen.
Er folgte einer Frau, deren Inneres ihn eben gestreift hatte und deren Seele jetzt aus ihrem Körper leuchtete und ihn mit silbrig blauer Aura übermalte, mit einem Hauch unverkennbarer Weiblichkeit, prickelnd für ihn, als ob warmes Silber durch seine Adern floss.
Sie blieb vor einer Tür stehen und holte den Schlüssel heraus. Für Somaré war es seltsam, dass man nach einem Schlüssel suchen musste. Bei ihm öffneten sich entweder die Türen von selbst, wenn es richtig war, dass sie sich öffnen sollten oder sie blieben verschlossen, und kein Schlüssel könnte daran etwas ändern.
Hier waren viele Dinge rein mechanisch machbar, unabhängig von der inneren Einstellung. Auch das Wetter richtete sich nie nach der Stimmung. Seltsam. Er hatte vieles vergessen, seit er kein sterblicher Mensch mehr war. Man kann sich an eine vollkommenere Welt gewöhnen!
Hier regnete es, wenn sich die Feuchtigkeit in der Luft zusammengeballt hatte, völlig unabhängig davon, ob jemand traurig war oder nicht. Auf der Erde konnte man Regenwetter doch tatsächlich mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersagen – eine merkwürdige Verknüpfung von eigentlich beziehungslosen Dingen.
Ein Mensch konnte für eine lange Zeit völlig sinnlose Sachen machen, die mit seinem eigentlichen Leben nichts zu tun hatten, ohne es zu merken. Unerträglich!
Jetzt hatte die Blausilberne den Schlüssel gefunden und schloss auf. Die Wohnung schien ohne Menschen zu sein. War es ihre eigene Wohnung? Nein. Sie klopfte an eine Zimmertür und öffnete sie.
Somaré folgte ihr und sah einen alten Mann in einem Sessel sitzen.
»Na, wie geht’s dir, Papa?«
»Wie soll’s mir schon gehen?« Seine Stimme klang müde, und seine Ausstrahlung war dumpf und dunkelbraun mit schwarzen Streifen, die leise vibrierten.
Müsste ein alter Mann nicht weise sein?, überlegte Somaré. Männer wie er sollten wie Felsen in einer Brandung im Leben stehen, um denen die Hand zu reichen, die in den Wellen hin und her schwankten und es verlernt hatten, auf dem Wasser zu gehen. Aber dieser Alte hier ließ sich wehrlos vom Fluss des Selbstmitleids wegtragen, weil das Wasser süß und warm schien. Zunächst. Aber jeder Engel wusste doch, dass dieses Wasser irgendwann kalt wurde und auf der Seele klebte, sodass das Licht nicht mehr durchdrang.
Seine Tochter würde viel Mühe haben, ihn von dem klebrigen Zeug zu befreien.
Somaré stellte sich auf ihre Gedanken ein und spürte, dass sie von diesen Dingen wenig wusste, vielleicht ahnte sie nur vage etwas und machte intuitiv das Richtige, weil sie den alten Mann liebte. Das war die Weisheit, die in der Liebe wuchs. Die Tochter trug in sich noch Bilder, auf denen er jung und fröhlich war.
Inzwischen saß sie ihm gegenüber und erzählte von ihrer Welt, verschränkte die Worte so, dass sie lustig klangen und der Alte lachen musste. Der süße, klebrige Fluss in ihm geriet ins Stocken und begann zu vertrocknen.
»Vater, ich habe dir Arbeit mitgebracht«, sagte die Frau unvermittelt und holte aus ihrer Tasche Briefe und Umschläge heraus, die er mit kleinen, bunten Vierecken bekleben sollte. Briefmarken nannte sie das.
»Du kennst dich doch damit am besten aus«, fuhr sie fort, stand auf und holte eine Schachtel mit diesen bunten Bildern und eine kleine Waage aus dem Nachbarzimmer. Somaré kannte Waagen, geistige Waagen, mit denen man seine inneren Werte wog. Und man kam schnell zu substantiellen Ergebnissen: Mene tekel upharsin, zum Beispiel, oder mene tekel pharsinas oder torutá. Die Skala der Werte war groß.
gekörntes gold in deinem fluss
schimmernd sand gesiebtes licht
wiegt taten liebesschwer.
Die Blausilberne zog ein schmales Heft aus der Tasche, in dem man die Briefmarkensorte nachschlagen konnte und legte alles auf einen kleinen Tisch neben ihn.
»Aber vorher sollten wir noch eine Runde drehen!«
»Nein, Lea«, sagte der Alte mit seiner zittrigen Jammerstimme. »Ich will nicht. Meine Gelenke tun mir weh. Es ist so mühselig, wenn man in die Jahre kommt. Mir geht es nicht gut.«
Während er das sagte, schwoll der süße Fluss in ihm wieder an, strömte über ihn hinweg und ein stechender Geruch erfüllte das Zimmer. Er war kurz davor, seine Hand hineinzutauchen und von dem Wasser zu trinken. Aber er kam nicht dazu, denn seine Tochter kitzelte ihn an der Seite und rief übermütig: »Ach, das sagst du jedes Mal und hinterher bist du doch froh.«
Geschickt streifte sie ihm die Schuhe über und hievte ihn aus dem Sessel.
»Hak dich bei mir ein!«
Jetzt hatte der Alte keine Zeit mehr seine Hand in den Fluss zu tauchen. Er ließ sich von der Fröhlichkeit seiner Tochter ablenken und drehte dem Fluss in seinem Innern langsam den Rücken zu.
Somaré folgte ihnen.
Die blausilberne Frau leuchtete nun stärker und die blaue Farbe formte sich zu blumenartigen Mustern, die auch ihren Vater zu umranken begannen.
»Komm, wir wollen mal sehen, wie das Wetter draußen ist«, sagte sie und öffnete eine Tür, die zu einer kleine Ausbuchtung in der Außenwand führte. Von hier aus konnte man weit über die Straßen blicken. Vorsichtig trat sie mit ihrem Vater über die Schwelle.
Der Alte richtete sich auf, als er den leichten Wind auf dem Gesicht spürte und die Sonnenstrahlen, die nach dem Regen in der gereinigten Luft besonders hell waren. Aber auch die Sonne beschien hier nur den Körper, stellte Somaré fest, und drang nicht zum Herzen vor. Eine Sonne für die Außenhaut.
Somaré stand hinter ihnen und hielt seine Hand in die Sonne, und wie zuvor schon bei den Regentropfen, wurde das Sonnenlicht auf seiner Hand blass, wurde förmlich verschluckt, nur um dahinter wieder aufzuleuchten.
Neben dem Alten wuchs langsam ein geistiger Baum empor mit brauner, dünner Rinde, und in der Krone bildeten sich herrlich grüne Blätter. Bilder aus der Kindheit des Vaters flogen vorbei wie Vögel.
Somaré sah einen Jungen, der mit einem anderen Jungen um die Wette lief, bis zu dem Baum und wie sie hinaufkletterten und sich an den Kirschen satt aßen – herrlich!
Aus Somarés Welt rieselte ein frischer Regen auf den alten Mann herab und wischte die letzten klebrigen Reste des süßen Flusses von seiner Seele.
Somaré sah, wie der Alte das Balkongeländer losließ und sich sein Brustkorb dehnte und streckte. Er richtete sich merklich auf, wuchs fast, wurde größer und seine Tochter neben ihm lächelte.
Ein Geräusch drang an Somarés Ohr: Ein Schrei, der unten von der Straße kam. Er suchte die Quelle und entdeckte ein junges Mädchen und einen jungen Mann, die wild mit den Armen gestikulierten und laut aufeinander einredeten. Im Bruchteil einer Sekunde stand Somaré neben ihnen und wunderte sich, dass kleine, spitze Pfeile durch die Luft flogen und ihre Seelen verletzten.
Ihre Engel hatten alle Hände voll zu tun, die Pfeile, die die Seelen treffen sollten, abzuwehren. Einige blieben aber doch stecken.
Behutsam zogen die Engel sie heraus, aber kleine, seelische Wunden blieben zurück, unsichtbares Blut sickerte durch ihre Kleider.
Somaré begrüßte die Engel der Streitenden.
»Ich bin zu Besuch und soll mich hier umschauen«, sagte er.
»Ja«, sagte einer der Engel, »das sieht man, dass du ein Praktikant bist.«
»Also bin ich ein Engel im Praktikum!«, überlegte Somaré laut und fragte dann: »Was macht ihr mit den Verletzungen der beiden?«
»Wir schicken ihnen Bilder von ihrer früheren Liebe«, erwiderte der andere Engel und stieß dabei einen Geist zur Seite, der aussah wie ein Mensch mit Krokodilskopf. Laut aufheulend verschwand dieser in einem Luftloch.
»Wir schicken ihnen die Sehnsucht nach Vergebung und lenken sie einfach ab. Ihr Streit ist nicht richtig tiefgehend. Zwischen ihnen gibt es ein starkes, goldenes Band, auch wenn es an manchen Stellen etwas dünn geworden ist.«
Somaré bemerkte nun ein goldenes Gebilde, das zwischen den Körpern der Streitenden aufleuchtete und sie miteinander verband.
»Haben das alle Paare?«, fragte Somaré neugierig.
»Nein, nicht alle, nur wenige. Die, die es nicht haben, trennen sich wieder. Manchmal schon nach Tagen, manchmal erst nach einigen Jahren. Sie ziehen auseinander. Und wenn sie zusammenbleiben, führt jeder sein eigenes Leben. Manche in gutem Einvernehmen und gegenseitiger Hilfe. Eine Art praktische Liebe, die auch sehr wertvoll sein kann.«
»Und woher kommt dieses Band?«
»Es bildet sich, wenn ihr Inneres eine gewisse Übereinstimmung hat und wenn die Hohe Liebe zugelassen wird. Das alles ist Amors Aufgabe. Er trifft sie mit seinen Pfeilen und pflanzt die Hohe Liebe in ihre Herzen.«
»Kann das Band reißen?«
»Nein, es ist unzerstörbar, aber es kann sich auflösen, wenn es frisch geknüpft ist und die beiden diese Hohe Liebe nicht akzeptieren und sich gegen diese starke Beziehung wehren. Doch die Anziehung ist so stark, dass es fast unmöglich ist, nicht zueinander zu finden.«
Der Engel entfernte einen weiteren Giftpfeil.
»Schrecklich, diese Verletzungen!«, rief Somaré und schüttelte sich, weil ein kalter Wind seinen Körper streifte. »Und … kann man diese Giftwunden heilen?«
»Doch, das geht. Durch Gespräche, gegenseitige Vergebung oder einer Therapie.«
Somaré war nachdenklich geworden. Er bedankte sich für die Erweiterung seines Herzens und dachte sich nach oben zurück, zu Vater und Tochter. Sie standen nicht mehr auf dem Balkon. Die Wohnung war leer.
Somaré erinnerte sich an den leichten frischen Geruch der blauen Silberfrau und folgte ihrer Spur. In dieser Hinsicht glichen sich Engel und Hunde. Er bog von der großen Straße ab in einen Seitenweg hinein, der durch ein Feld zu einem nahegelegenen Wald führte.
Die Sonne schien immer noch, obwohl viele Menschen, die an ihm vorbei oder durch ihn hindurchgingen, ernste und bekümmerte Gesichter trugen. In Somarés Welt wäre so etwas nicht möglich gewesen. Die geistige Sonne hätte auch ihre Seelen erwärmt.
Der Vater hatte sich bei der Tochter eingehakt und schien bei jedem Schritt kräftiger zu werden. Dafür wurde das Silberblau der Tochter stumpfer, und Somaré, der das Innere der Tochter wahrnahm, entdeckte darin Sorgen.
Sobald er allein zu Hause ist, wird er wieder zusammensinken. Aber ich kann doch nicht ständig um ihn sein. Wo ist seine Kraft geblieben?
Das blausilberne Leuchten, das ihren Körper durchpulste, hatte sich jetzt dunkelblau verfärbt und ein matter Glanz lag darauf.
Plötzlich, wie aus dem Nichts, stand ein Mann vor der Blausilbernen. Sein Gesicht war leichenblass und seine Zähne schienen verfault zu sein. Er hielt ihr einen Spiegel vor die Augen und stach mit einer dünnen Nadel in ihren Kopf.
Sie zuckte zusammen, und Somaré hörte ihre gepressten Gedanken: Schon wieder diese Kopfschmerzen! Wahrscheinlich zu wenig getrunken. Ich müsste mich mehr um mich kümmern. Meine Güte, ich bin doch nicht sein Kindermädchen. Was mach ich eigentlich hier? Zuhause wartet ein Berg mit Bügelwäsche und ein halbes Dutzend E-Mails. Er hat schließlich sein Leben gelebt! Und ich hetzte wie eine Blöde hierher!
Das stumpfe Blau verfärbte sich in ein schmutziges Blaugrau, während ihr Vater für sie fast nur noch eine lästige Verpflichtung war. Ein merkwürdiger Stimmungswechsel, dachte Somaré, der die Seele der jungen Frau als so rein wahrgenommen hatte. Doch jetzt wurde sie traktiert von dem Übel, das vor ihr stand und piekste. Somaré sah überdeutlich, wie Lea jetzt die graue Haut ihres Vaters wahrnahm, seine wässrigen Augen, wie sie die schwarzen Ränder seiner Fingernägel und die Haare bemerkte, die aus seinen Ohren wuchsen und wie sie sich schaudernd von ihm abwandte.
Mein Gott, was ist das für ein Leben, das ich hier führe! Was soll das alles?
Plötzlich jedoch sah Somaré eine Hand, aus der warmes Licht herausfloss. Der Mann mit dem Leichengesicht zuckte zurück und schrie: »Mach das Licht weg!«
Eine nackte Schulter wurde sichtbar und eine herrliche Gestalt stand neben der Frau und legte schützend einen Arm um sie. Die andere Hand packte den Spiegel und warf ihn ins Nichts. Der Mann mit den verfaulten Zähnen schrie auf und verschwand.
»Hallo!«, sagte Somaré. »Bist du ihr Schutzengel?«
»Wer sonst?«, lächelte der Geist einer wunderschönen Frau und blickte ihn interessiert an.
»Und du? Wo hast du deinen Schützling gelassen?«, fragte sie.
»Ich bin hier … zu Gast. Ich beobachte.«
»Ah, ein Praktikant!« Ihr Lächeln wurde weicher. »Bist du ursprünglich von diesem Planeten?«
»Nein, ich stamme von einem Planeten, der doppelt so groß ist wie die Erde. Er liegt in der Nähe von Alpha Zentauri, wie die Menschen ihn bezeichnen. Wir nennen ihn Su-Alana.«
»Ein Gast also. Ohne Auftrag?«
»Bisher ja.«
»Ungewöhnlich. Ich denke, dass dein Auftrag bald folgen wird.«
»Warten wir’s ab. Wie heißt du?«
»Lisaja.«
»Und du begleitest die Frau hier seit ihrer Geburt?«
»Nein. Seit sie Frau geworden ist. Wir wechseln je nach Reifegrad.«
»Ja, das kenne ich. Und hat sie einen Mann zu Hause oder einen Freund?«
Lisaja schüttelte traurig den Kopf.
»Nein, nicht mehr. Sie trägt starke Narben in ihrer Seele, zu viele Verletzungen und sie hat … sehr hohe Ansprüche. Die Männer in diesem Zeitalter und in diesem Land sind klein und blass geworden.«
»Klein?«
»Ich meine nicht ihre Körpergröße. Zu wenig erhabene Gedanken und es gibt wenig Glanz in ihren Gesichtern. Banalität nennen sie es hier.«
Inzwischen waren Lea und ihr Vater auf dem Rückweg. Das silbrige Leuchten bei Lea hatte sich wieder erneuert.
»Hat sie dich vorhin gerufen, als dieser Geist sie quälte?«
»Ja, sie hat Gott angerufen, ohne es zu wissen. Sprache funktioniert vielfältig, zumindest ein paar Restbestände an religiösen Worten sind in ihr beibehalten.« Lisaja lächelte ihn an: »So, ich gehe nun. Friede sei mit dir! Ich weiß, dass wir uns wiedersehen und freue mich darauf.«
»Ich habe eine Frau«, erwiderte Somaré hastig.
»Oh ja, das ist nicht zu übersehen. Und ich habe einen Mann. Wir sind seit fünfhundert Jahren zusammen. Trotzdem sehe ich dich gerne wieder. Irgendetwas bahnt sich an. Es umgibt dich die Aura einer spannenden Geschichte.«
»Sag mir noch eins. Wird dieser alte Mann im Selbstmitleid ertrinken?«
»Ich hoffe nicht. Sein Engel arbeitet bereits an einem Rettungsplan. Aber er kann wenig machen, wenn man ihn nicht ruft und Gott lediglich für eine menschliche Projektion hält.«
»Ja, es ist schwer, wenn man die Wirklichkeit leugnet. Tun das viele hier?«
»Ja, viele. Aber in den südlichen Ländern ist der Verfall noch nicht so groß. Du wirst es sehen, wenn du länger hier bist. Sei gegrüßt! Mein Mann ruft mich. Er sehnt sich nach meiner Umarmung.«
Sie verschwand vor seinen Augen und Somaré meinte ein Flirren in der Luft zu sehen und ein Lachen zu hören.
Es bahnt sich eine Geschichte an, dachte er.
Somaré holte Tochter und Vater ein und blies Lea sanft ins Gesicht. Sie blickte überrascht auf und lächelte.
Sie erinnert mich ein wenig an meine Frau, dachte Somaré und segnete sie.
In der Ferne glänzten Hausdächer, und aus einem Garten stieg Rauch auf.
»Was bedeutet das?«, fragte sich Somaré. »Es gibt hier doch Elektrizität, zwar im Anfangsstadium, aber immerhin. Man muss kein Feuer machen, um zu kochen oder sich zu erwärmen.«
Er dachte sich dorthin, wo der Rauch aufstieg und betrat einen Garten, in dem sich Leute aufhielten, Gläser in der Hand. Über einer Glut lag ein Gitter, auf dem Fleisch gebraten wurde.
Ein Fest wie vor tausend Menschenjahren!
Das Feuer hat also seine Anziehungskraft nicht verloren. Vielleicht tanzen sie nachher um die Flammen herum? Nein, der Feuerkreis ist zu klein.
Somaré konzentrierte sich auf die Gedanken der Feiernden, die aber in lauter Banalitäten versanken, statt in Freude auszubrechen. Blech statt Gold. Und er erinnerte sich an andere Feste:
gesänge tiefer noch als meeresgründe
worte aus goldenen mündern gehaucht
klangteppiche mit denen kinder spielen.
Die Gewöhnlichkeit der Feier hier jedoch ermüdete ihn. Kein einziger inspirierender Gedanke. Ich werde in einen Tempel gehen. Dort gibt es uralte Worte, die sich nicht abnutzen und einen erfrischen.
Er wünschte sich in einen heiligen Raum, deren Turm über den Bäumen zu sehen war, trat durch die schwere Eichentür, als ob sie aus Nebel bestünde. Der Raum war fast leer. Eine Frau hielt sich dort auf und putzte den Steinboden, während ihre Gedanken sich im Kreis drehten:
»Neutralseife. Einen neuen Lappen. Und Frank wollte doch nach dem Kessel sehen. Die Kartoffeln reichen noch. Heute Abend meine Lieblingsserie und die Neutralseife …«
Somaré stöhnte innerlich auf angesichts dieser erneuten Banalitäten. Ob es hier irgendwo die fröhlichen Fische gibt, die ich auf Su-Alana kennengelernt habe?
Somaré schickte einige Suchbilder aus dem Raum heraus und wartete. Dann lächelte er.
Sie heißen hier also Delphine! Nichts wie hin!