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Оглавление»Und? Wie weit bist du eingerichtet?« Der fragend belustigte Blick von Merit traf Niklas. Sie saßen auf der Veranda. Kaja schlief noch und Emma, die ältere, kniete auf der Wiese mit einer Wanne voller Wasser und wusch Puppenkleider.
»Na ja«, meinte Niklas, »eine Menge Kartons stehen natürlich noch rum. Und es fehlt an Möbeln. Ich habe fast alle in Victoria auf dem Trödelmarkt verscherbelt. Es lohnte sich nicht, die mit rüberzunehmen. So wertvoll waren sie nicht.«
»Hast du ein Bett?«
»Ich schlafe immer noch auf meiner Iso-Matratze. Weißt du«, er kratzte sich am Kopf, »ich will mir nicht auf die Schnelle irgendwas zusammenkaufen. Außerdem finde ich es herrlich, auf dem Boden zu schlafen.«
»Wenn du was brauchst, Stühle, zum Beispiel, oder einen Tisch? Das kannst du von uns haben. Ich glaube, wir haben im Keller noch ein paar alte Sachen stehen. Die Beine von unserem alten Esstisch musst du nur wieder anschrauben.«
»Ja, das wär nicht schlecht.«
»Und die Schule? Wie läuft es da?«
»Scheint ein nettes Kollegium zu sein. Letzte Woche war hart. Alle Klassen kennengelernt. Zum Glück ist nächste Woche Himmelfahrt.«
»Ist doch gut, dass wir nahe beieinander sind, oder?«
»Jaaa. Ich glaube schon, aber – keine Ahnung, wie wir uns auf Dauer vertragen. Seit unserer Kindheit haben wir nicht mehr in der gleichen Stadt gewohnt und unsere Interessen lagen meistens auseinander. Ich liebe Maikäfer und du hasst sie.«
»Naja, es gibt aber auch Gemeinsamkeiten, zum Beispiel …«
»Mamaaa!«, schrie Emma.
»Was ist denn?«
»Da ist ein dicker, brauner Fleck.«
»Meine Güte, deshalb brauchst du doch nicht gleich so loszubrüllen!««
Emma hüpfte hoch und kam mit dem tropfenden Puppenkleid angerannt.
»Hm«, machte Merit, »lass mal sehen!« Sie legte den Stoff übereinander und rubbelte ihn kräftig zwischen den Händen hin und her.
»Schau mal, wird schon besser.«
Die Terrassentür öffnete sich und Kaja stand mit einem Plüschhasen in der Hand im Türrahmen. Wortlos ging sie auf Merit zu und legte ihren Kopf in den Schoß ihrer Mutter.
»Wenn sie nachmittags aufwacht, ist ihre Seele noch ganz roh«, flüsterte Merit Niklas zu.
»Jetzt musst du nur noch ein bisschen rubbeln«, sagte Merit halblaut zu Emma, »alles ausspülen und kräftig auswringen. So!« Sie nahm das nasse Kleid und drehte es in den Händen, bis Wasser heraustropfte.
»Ja, das mach ich!« Emma nahm das Kleid entgegen und lief zu ihrem Arbeitsplatz zurück.
Kaja stand immer noch regungslos neben ihrer Mutter und hatte ihren Kopf in Merits Kleid versteckt.
»Irgendwie süß«, flüsterte Niklas und kraulte Kaja im Nacken.
Ein unwilliges Knurren folgte.
»Man muss sie ganz in Ruhe lassen«, murmelte Merit, »am besten gar nicht beachten, bis sie ganz wach ist.«
Eine Weile schwiegen sie alle. Schließlich wandte sich Merit wieder halblaut an ihren Bruder: »Ich hab eigentlich nie richtig verstanden, warum du und Angela euch auseinander gelebt habt. Nervstufe zehn ist ziemlich hoch. Am Anfang habt ihr euch doch gut verstanden!«
»Lange Geschichte«, entgegnete Niklas, »wir haben mit der Zeit beide gemerkt, dass unsere Lebensstile so völlig anders waren, dass wir uns nur noch angemeckert haben.«
»Keine Kompromisse möglich?«
»Wir lebten ja schon mit großen Kompromissen. Ich: Frühaufsteher. Sie: Nachteule. An den Wochenenden bin ich oft leise aufgestanden, trotzdem ist sie immer wach geworden und konnte nicht mehr einschlafen. Folge: getrennte Schlafzimmer. Dann das Essen – ein ständiger Kleinkrieg. Ökovegetarier gegen Fleischfresser. Sie ekelte sich tagelang vor mir, wenn ich mal ein Steak gegessen habe. Als nächstes die Einrichtung. Sie: kreativ, selbstgemacht, wild zusammengestellt, die Zimmer viel zu voll, ich: eher puristisch, mehr für etwas Solides, Bleibendes. Alte Jugendstilschränke mit Charakter, wenig Einrichtung. Ich genieße es jetzt geradezu, in Ruhe nach schönen, alten Stücken zu suchen. Sie: Urlaub im Hotel mit allem Drum und Dran, ich: am liebsten Camping. Aber das Schwierigste war eben, dass sie noch keine Kinder wollte.«
»Noch nicht? Ich denke, Angela ist Anfang dreißig.«
»Ich glaube, das war nur ein Vorwand, um mich zu vertrösten. Mann und Frau ohne Kinder? Für mich unvorstellbar!«
Kajas Kopf im Schoß ihrer Mutter bewegte sich. »Warum will denn Angela keine Kinder?«, murmelte Kaja gedämpft durch den Stoff hindurch.
»Schau mal an, was sie alles mitkriegt«, lachte Niklas.
»Ich weiß auch nicht, Kaja«, sagte er. »Ich finde Kinder jedenfalls süß, besonders meine kleine Nichte Kaja.«
Erneut kraulte er ihr den Nacken. Diesmal ließ sie es sich gefallen, kletterte dabei ganz auf den Schoß ihrer Mutter und riskierte dabei ein Auge auf ihren Onkel.
»Ich habe den Zustand unserer Ehe nicht wahrhaben wollen«, fuhr Niklas fort. »Ich war bis zum Erbrechen loyal, habe alles bei ihr entschuldigt und dachte immer: Anderen geht’s noch schlechter. Stell dich nicht so an, Niklas, hab ich mir immer gesagt.«
Merit schwieg.
»Bis ich kapiert habe, dass bei Angela der Ofen aus war. Sie wollte nicht mehr, auch keine Therapie. Hatte schon seit einem halben Jahr einen anderen Mann an der Hand. Na ja, die Scheidung war dann fast nur noch eine logische Folge. Ich kann von Glück sagen, dass sie mehr verdient als ich und wir tatsächlich noch keine gemeinsamen Kinder haben.«
»Angela hat mit uns nie gespielt«, sagte Kaja.
»Na ja, sie lebte ja auch in Kanada«, meinte Merit.
»Aber als sie das letzte Mal da war, da hat sie uns nur immer so komisch angeglotzt.«
»Tja, da siehst du mal, was Kinder alles registrieren«, sagte Niklas und stand auf. »Ich werf mal die Kaffeemaschine an.«
»Für mich Tee, wenn’s dir nichts ausmacht. Weißt du, wo die Sachen stehen?«
»Find ich schon.«
Niklas ließ Merit mit Kaja allein und ging in die Küche. Beim dritten Versuch fand er Kaffee, Tee und alle Zutaten in einem der Oberschränke.
Während er die Maschine füllte und den Kaffee in den Filter tat, dachte er, dass er genau das schön fand: Familie, Kinder, sich unterhalten, zusammen Kaffee trinken, Kinder trösten, einen interessanten Job haben … gemeinsame Ausflüge in die Wälder.
»Aber ich lass mich jetzt nicht verrückt machen und werde nicht aktiv im Internet nach Frauen suchen«, murmelte er und setzte Teewasser auf.
»Die Frau mit den Ringelstrümpfen war jedenfalls interessiert, wie hieß sie noch mal? Nadja? Nadine?«
»Die Frau mit den Ringelstrümpfen?« Merit war in die Küche gekommen, ohne dass Niklas es gehört hatte.
»Ja, die Erzieherin im Kindergarten.«
»Das muss Nora Kerner sein. Zieht sich manchmal ein bisschen albern an, aber sonst ganz nett.« Merit ergriff das Tablett und sie setzten sich wieder auf die Terrasse.
Emma hatte inzwischen die Puppenkleider ausgewrungen und sie mehr oder weniger geschickt auf die Trockenspinne ihrer Mutter gehängt. Die Sonne schien, und es ging eine leichte Brise. Kajas rohe Seele hatte sich mit einer zarten Haut überzogen und strahlte wieder Zufriedenheit aus.
Gegen Abend kam Ben, wurde von seinen Töchtern begeistert empfangen und aß draußen auf der Terrasse das aufgewärmte Mittagessen aus der Mikrowelle.
»Na, Schwager«, sagte Ben, kauend »wie geht’s dir in Good Old Germany?«
»Ich kann nicht klagen. Werde von deiner Frau gut versorgt, amüsiere mich über deine reizenden Töchter und wundere mich, was die in ihrem zarten Alter alles so mitbekommen.«
»Ja, man darf sie nicht unterschätzen«, nickte Ben und nahm sich noch einen Löffel grüne Bohnen. »Neulich sagte Kaja zu mir: Papa, du wirst immer fetter!« Alle lachten.
»Und deine Frau hängt am PC und spielt Verkupplerin«, warf Niklas ein, »aber im Augenblick steckt mir die Scheidung noch in den Knochen. Irgendwie bin ich noch nicht bereit.«
»Na ja«, ließ sich Merit vernehmen, »aber man kann sich doch schon mal umsehen.«
»Typisch Merit. Wie heißt doch noch mal dein Lieblingsfilm?«, fragte Ben.
»Lieblingsfilm? Ich weiß nicht, was du meinst…«
»Dieser Film, in dem eine Frau dauernd andere Leute miteinander verkuppeln will.«
»Du meinst Emma von Jane Austen.«
»Genau.«
»Das ist doch nicht mein Lieblingsfilm, aber er ist ganz nett.«
Ben lachte: »Und wie heißt unsere älteste Tochter?«
»Sehr witzig!«
»Jedenfalls«, meinte Ben, »das meiste, was die Film-Emma an Ehen stiften will, misslingt ihr, falls ich das noch richtig in Erinnerung habe.«
»So umfassend wie Emma würde ich das doch nicht planen, nur mal so Tipps geben. Außerdem kann man den Film nicht reduzieren auf: Emma verkuppelt Leute und es klappt nicht. Da laufen eine Menge raffinierter Nebenhandlungen und schließlich …«
»… schließlich gibt es da ja auch einen gewissen Mr. Churchill oder noch besser: Mr. Knightey«, sagte Niklas.
»Du kennst den Film?«
»Immerhin hab ich in einem englisch sprachigen Land gewohnt und Jane Austen schreibt einfach gut, interessant, leicht ironisch, psychologisch gut beobachtet. Aber Persuasion, ihr letztes Buch, ist natürlich der Hammer.«
Merit seufzte: »Ich dachte Jane Austen ist nur was für Frauen.«
»Quatsch. Du liest doch auch Romane von Männern, oder?«
»Klar.«
Ben räusperte sich: »Um mal von eurem literarischen Ausflug abzulenken … Übernachtest du bei uns, Niklas? Dann könnte ich dir nämlich die neusten Stücke meiner Sammlung zeigen.«
Fragend sah Niklas seinen Schwager an.
»Miniaturen«, sagte Merit. »Er sammelt mittelalterliche Miniaturen.«
»Wow! Das wusste ich gar nicht, Ben. Ich würde sie mir total gerne ansehen, aber heute leider nicht mehr. Ich muss mich auf den Weg machen. Unterrichtsvorbereitung.«
»Oh, das geht nicht.« Merit schüttelte den Kopf
»Wieso?«
»Weil du deinen Nichten noch eine Gutenachtgeschichte vorlesen oder erzählen musst. Darauf bestehen sie. Sie putzen sich gerade die Zähne.«
»Na gut.«
Zehn Minuten später saß Niklas am Bett seiner Nichten, die ihn erwartungsvoll anschauten.
»Ich erzähle euch das Märchen von König Goldlos.«
»Das kennen wir nicht«, sagte Kaja.
»Umso besser. Also, es war einmal ein König, dessen Schatzkammer immer leerer wurde. Wo vorher goldene Taler lagen, spannten Spinnen ihre Netze aus. Schließlich musste er alle Diener entlassen und sein Geschirr selber spülen. Seine Krone hatte er verkauft und sich eine Pappkrone gebastelt.«
»Hatte er denn nichts gespart?«, fragte Emma.
»Ich glaube nicht, dass Könige etwas sparen. Nun, jedenfalls wurde es immer schlimmer. Wenn er durch die Stadt kam, natürlich ohne Kutsche, sagten die Leute: Seht! Da kommt König Goldlos.
Zu allem Unglück war auch seine Frau gestorben. Und so sagte er eines Tages: Ich ziehe in die Welt hinaus. Hier hält mich nichts mehr. Gesagt, getan! Er nahm die letzten Äpfel mit, ein Stück hartes Brot dazu und wanderte immer der Nase nach, bis es Abend wurde und er am Wald einen Baum fand, unter dem er schlafen konnte. Er weinte ein bisschen, murmelte: Ich armer König Goldlos, und schlief ein.«
»Phhh«, machte Kaja, »der schläft auf dem Boden im Wald. Ohne Bett!«
»Das geht«, sagte Niklas, »und macht sogar Spaß. Aber ihr solltet das nur tun, wenn jemand Erwachsenes dabei ist. Jedenfalls, König Goldlos wurde mitten in der Nacht von feinen Stimmen geweckt. Ganz in der Nähe lebten nämlich die Waldzwerge. Vorsichtig schlich sich König Goldlos näher und sah, wie die Zwerge ein lustiges Leben führten. Sie aßen und tranken im Mondlicht und waren guter Dinge. Sie lebten in kleinen Mooshütten. Zwei unterhielten sich gerade…«
»Wir haben auch mal ein Mooshäuschen gebaut«, murmelte Emma und gähnte leicht, »vielleicht wohnen da jetzt Zwerge drin.«
»Oder Käfer«, meinte Kaja.
»Und … ähm … die Zwerge unterhielten sich sogar«, fuhr Niklas fort. »›Ich sage dir‹, sagte einer, ›in drei Tagen muss das Mädchen in der großen Birke am Waldrand erlöst werden, sonst ist sie für immer gefangen.‹
›Ja‹, erwiderte der andere, ›und das können nur Menschen tun. Das arme Mädchen! Immer nur bei Sonnenaufgang oder Untergang wird sie kurze Zeit sichtbar.‹
König Goldlos war inzwischen hellwach, schlich zu seinem Schlafplatz zurück und suchte dann am Waldrand nach einer großen Birke. Er fand sie und wartete auf den Sonnenaufgang.
Und tatsächlich, als die Sonne aufging, wurde ein Mädchen in der Birke sichtbar. Sie sah so schön aus, dass Goldlos sich gleich in sie verliebte.«
»Puuuhhh«, stöhnte Kaja, »eine Liebesgeschichte!«
»›Wer bist du denn?‹, fragte das Mädchen den armen König als sie ihn erblickte.
›Ich bin König Theodor, aber alle nennen mich König Goldlos, weil ich mein Gold losgeworden bin. Ich habe gehört, dass du erlöst werden musst?‹
›Ja, König Theodor. Du musst ins Paradies und vom Baum des Lebens einen Zweig holen und mich damit berühren und dabei meinen Namen sagen, den ich aber leider vergessen habe. Doch pass auf, vor dem Paradies steht der Engel mit dem Feuerschwert. Er lässt dich nicht durch. Nur, wenn du zwei Zweige kreuzt und sie ihm vor sein Gesicht hältst, kann er dich nicht sehen. Beeil dich, du hast nur drei Tage Zeit.‹
›Aber wo ist denn das Paradies?‹
›Überall und nirgends‹, rief das Mädchen, und war schon wieder unsichtbar.
Der König machte sich sofort auf die Suche nach dem Paradies, aber er fand es nirgends. Schließlich saß er am zweiten Tag auf einem Stein und war ratlos. Da bemerkte er im Wald ein Blinken und wie er darauf zuging, kam er an ein großes Tor in einer Mauer und ein Engel mit einem Schwert stand davor. Wie das Mädchen in der Birke ihm geraten hatte brach Goldlos zwei Zweige ab, hielt sie dem Engel vor das Gesicht und betrat das Paradies.
Es war wunderbar, obwohl es Nacht war. Er spürte, wie die Liebe ihn erfasste und zum ersten Mal merkte er, dass er das Mädchen in der Birke nicht nur ein bisschen liebte sondern ganz viel. Er fand den Baum des Lebens, brach sich schnell einen Zweig ab, gelangte wieder durch das Tor am Engel vorbei und machte sich auf den Rückweg. Einen ganzen Tag lang war er unterwegs, schließlich, am dritten Tag, die Sonne färbte sich schon rot, fand er die Birke. Er berührte den Baum, doch nichts geschah.«
»Er muss noch den Namen sagen«, warf Kaja eifrig dazwischen.
»Welchen Namen?«, fragte Niklas und tat so, als wüsste er von nichts.
»Den Namen der schönen Birkenfrau«, riefen beide Mädchen.
Niklas lachte und fuhr fort: »Richtig, der König musste den Namen sagen, doch wie lautete er? Er versuchte alle Namen, die ihm einfielen: Silberstern, Tausendschön, Sybille, Gretel, Rehauge, Blinddarm …«
»Blinddarm?«, rief Kaja empört aus. »Das ist doch kein Name!« Emma kicherte.
Niklas erzählte ungerührt weiter: »Mirabell, Emma, Kaja …«
»Das gildet nicht, das hast du gerade dazu erfunden«, sagte Emma.
»Ja klar, ich habe doch auch das ganze Märchen erfunden, da kann ich auch die Namen nehmen, die mir einfallen. Wo war ich? Ach ja: Jedenfalls, der richtige Name war nicht darunter und bald würde es Abend sein, und alles wäre umsonst gewesen.«
»Vielleicht Kassandra«, schlug Kaja vor oder … oder …. Konstanze.«
»Nein«, sagte Niklas, »auch die Namen passten nicht. Schließlich wurde Goldlos so verzweifelt, dass er auf die Knie sank und rief: ›Wenn ich doch nur den Namen wüsste, aber Herzweh und Leid ist alles, was ich gefunden habe.‹
Da hörte er ein Klingen und das Mädchen stand plötzlich neben ihm.
›Du hast meinen Namen gesagt‹, rief sie freudig. ›Ich heiße Herzweh, weil ich den Leuten Herzweh gebracht habe, darum hat mich eine Fee in diesen Baum verbannt.‹
Da umarmten sich König Theodor und Herzweh, heirateten und zogen auf sein Schloss, bekamen viele Kinder, und weil Herzweh sehr viel Gold hatte, konnten sie wunderbar leben. Und wenn sie nicht gestorben sind …«
»… dann leben sie noch heute!«, rief Emma.
»Genau! Und jetzt gute Nacht.«
»Noch ein Gebet!«, bat Kaja.
»Ein Gebet? Ich kann nicht beten.«
»Jeder kann beten«, sagte Emma.
»Also gut, auch das noch.« Niklas seufzte, schloss die Augen und sagte: »Lieber Gott, lass Kaja und Emma gut schlafen. Danke und Amen.«
»Das war aber kurz.«
»Macht’s gut, ihr Süßen.« Er drückte seinen Nichten einen Gutenachtkuss auf die Stirn, löschte das Deckenlicht und verließ das Zimmer.
»Die Tür muss aber einen Spalt offen bleiben!«, hörte er Kaja noch rufen.
Als Niklas ins Wohnzimmer kam, saß seine Schwester am Tisch und sortierte irgendwelche Blätter.
»Man lernt nie aus«, sagte Niklas.
»Was hast du denn gelernt?«
»Wie man Abendgebete spricht, zum Beispiel.«
»Und? War’s schwer?«
»Nein – kurz«, er lachte. »Was machst du da eigentlich?«
»Ich sortiere alte Briefe und Bilder aus dem Karton unserer Mutter. Die nächsten Wochen müssen wir ran und endlich die Wohnung ausräumen. Der Mietvertrag geht noch bis Ende des Monats. Mir graut davor. Sie war nicht der Typ, Dinge wegzuwerfen. Wenn Vater nicht gelegentlich ausgemistet hätte, wäre sie in ihren Sachen erstickt. Aber seit seinem Tod vor einigen Jahren, hat sich wieder einiges angehäuft.«
Niklas setzte sich. »Ich bin ja auch noch da und Ben. Zu dritt werden wir das schaffen. Wir nehmen alles raus, was einen bleibenden Wert hat und den Rest … Gibt es nicht Unternehmen, die alte Wohnungen entrümpeln?«
»Hab ich auch schon daran gedacht. Aber womöglich hat sie noch irgendwo Geld versteckt.«
»Da kann man dann auch nichts machen.« Niklas stand auf. »Ich muss los. Er bückte sich und umarmte seine Schwester. Grüß Ben!«