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ОглавлениеSomaré stand in der Ecke einer Werkshalle und beobachtete die Maschinen, die Fließbänder und Arbeiter. Und er sah ihre Engel, die ständig bemüht waren, Gelassenheit zu verbreiten.
Eine eigenartige, gepresste Zeit pulsierte in diesem Raum, und er spürte, dass in dieser Welt Dinge in bestimmten Zeiten ablaufen mussten und dass sich die Zeit nicht nach den Menschen richtete wie in seiner Welt, sondern umgekehrt. Menschen dienten der Zeit und wenn die Zeit nicht erfüllt wurde, gab es Aufregung und Hetze.
Ähnliches hatte er auch auf anderen Planeten gesehen, aber nicht in dieser massiven Ausprägung. Er verließ die Halle wieder und schwebte über eine Straßenkreuzung zu einem kleinen Park. Der Kontrast war groß. Die Zeit, die hier über den Bäumen, Sträuchern und Menschen lag, floss viel langsamer.
Manchmal schien sie sogar über dem kleinen, künstlichen See zu verweilen und verbreitete sich wie Wasser nach allen Seiten, so als habe man einen Stein hineingeworfen.
du wirfst die zeit wie samen in die luft
und sie wächst auf
zu früchten oder uhren
gezahnte zeit
»Somaré!«
Die Stimme Moraels, seines Vorgesetzten, drang an sein inneres Ohr. Dann floss ein helles Licht zu einer menschlichen Gestalt zusammen und Somaré blickte in Augen, aus denen Feuer sprühte. Somaré wandte den Kopf zur Seite.
»Wie gefällt es dir auf diesem Planeten, Somaré?«
»Könntest du deine Augen etwas dimmen? Dein Blick ist kaum zu ertragen!«
»So besser?«
»Ja und um auf deine Frage zu kommen: Es ist nicht schlecht, erinnert mich etwas an meinen Planeten, aber … nun, es ist … merkwürdig flach.«
»Du meinst vielleicht oberflächlich?«
»Ja.«
»Das war hier nicht immer so.«
»Ich treffe überall Braunlinge, dumpfe und niedergedrückte Seelen. Banalitäten, Blech statt Gold. Aber es gibt Ausnahmen.«
»Du meinst Lea?«
»Ja. Sie ist blausilbern, hat etwas Leuchtendes, aber sie hat Mühe mit ihrem Vater und seinem Selbstmitleid.«
»Somaré, ich bin gekommen, um dir einen Auftrag zu geben«, sagte Morael ernst, »du bist hier, um zwei Menschen zusammenzubringen.«
»Ich habe es geahnt, Morael, dass ich zu einem bestimmten Zweck hier bin. Lisaja hatte recht.«
»Was Gott tut oder befiehlt, ist nie sinnlos.«
»Natürlich.«
»Du sollst eine Frau, die Nora heißt, zu einem Mann führen, damit sie ihr Leben mit ihm verbindet!«
Somaré sah Morael fragend an. »Warum hast du mich nicht gleich mit diesem Auftrag hierher geschickt? Ich wusste am Anfang gar nicht, was ich hier sollte.«
»Somaré, du weißt, dass ich euch Botenengel nicht wie dumme Kinder behandeln will oder wie Soldaten, die nur auf Befehl handeln. Du solltest einen ersten Eindruck davon gewinnen, wie es hier aussieht und ob du dir vorstellen kannst, hier zu arbeiten. Und? Kannst du dir das vorstellen?«
»Ja, doch. Aber das wusstest du doch schon vorher, oder? Also warum fragst du?«
»Ich möchte es von dir hören, damit du es selbst hörst.«
»Aha. Und die beiden wohnen in derselben Stadt?«
»Ja. Vergiss nicht: Alles soll bei ihnen freiwillig sein. Keinerlei Zwang, auch kein geistiger.«
»Aber das ist doch klar. Liebe gibt es nicht mit Zwang.«
»Ich wollte es nur noch einmal erwähnen.«
»Also, das alte Spiel der Liebe? Warum so viel Aufwand?«
»Diese Liebe ist groß, doch sie muss verborgen geschehen. Du bist hier noch nicht so bekannt. Das ist gut. Es gibt Feinde, wie du weißt. Ein Kind aus dieser neuen Verbindung wird den Frieden in ein Land bringen, das schon lange in Unfrieden lebt.«
»Langfristige Pläne, die Gott da vorhat.«
»Wie immer, Somaré!«
»Und wo finde ich die beiden?«
»Er hat eine braungrüne Ausstrahlung mit goldenen Linien. Ich werde dir sein Gesicht und seinen geistigen Geruch schicken. Und sie ist von orangefarbenen Tönen durchsetzt mit hellgrünen Streifen.«
Vor Somarés Augen schwebte Niklas’ Gesicht, umgeben von einem olivgrünen, goldenen Funkeln und ein Geruch umströmte ihn wie nach Lavendel, Wildlkräutern und Mandeln. Gleich danach folgte Noras Gesicht. Ihre Duftmischung erinnerte Somaré an den frischen Geruch einer Frucht mit herben Noten.
»Wird es schwierig sein?«
»Ja, teilweise. Sie haben sich schon einmal kurz gesehen. Aber um eine tiefere Beziehung herzustellen, muss ihr geistiges Herz geöffnet werden.«
»Wie soll das gehen?«
»Amor wird es dir erklären, er hat die geeigneten Instrumente.«
»Wer genau ist Amor eigentlich? Ein Engel? Ein guter Geist?«
»Nun, irgendetwas dazwischen. Er hat Jahrhunderte lang den Heiden gedient, die andere Götter angebetet haben und ist sehr geschickt in Täuschungsmanövern.«
»Was ist das?«
Somaré hörte ein verhaltenes Lachen.
»Man merkt, dass du nicht von der Erde stammst. Täuschung bedeutet, dass du auf eine Weise handeln musst, aber in Wirklichkeit etwas anders denkst, was, wie du weißt, in einer geistigen Welt schwierig ist. Auf der Erde ist es fast zur Regel geworden.«
»Ich bin mehr für Offenheit.«
»Ich weiß, deswegen bist du hier.«
»Das versteh ich nicht. Warum brauchen wir dann Amor?«
»Hinterfrage nicht alles! Du wirst es später begreifen. Auf jeden Fall nimm Kontakt zu Amor auf, denn Mephisto wird alles daran setzen, diese Verbindung zu verhindern.«
»Mephisto? Dieser boshafte Geist?«
»Nicht nur boshaft, auch äußerst intelligent. Unterschätze ihn niemals!«
»Ich dachte, er hätte sich zur Ruhe gesetzt?«
»Oh nein, im Gegenteil. Er ist aktiver denn je und hat schon andere Planeten belästigt. Ich musste ihn regelrecht verjagen lassen, aber die Erde war seine Heimat. Er hat ein gewisses Anrecht, hier zu sein.«
»Also, alles in allem eine herausfordernde Aufgabe.«
»Gut, dass du es so siehst. Mephisto wird alles versuchen, deine Bemühungen zu untergraben. Versuche, deinen Plan vor ihm und seinen Dienern geheim zu halten. Auch wenn das für dich schwierig sein wird, weil du die Bosheit auf der Erde noch nicht genug kennst.«
»Also äußerste Geheimhaltung?«
»Ja! Lege um deine Gedanken einen Nebel so gut es geht. Und wenn du Hilfe brauchst – deine Kollegen sind ja überall. Auch Niklas’ Engel Saphirus und Noras Engel werden dich unterstützen. Und deine Frau ja sowieso.«
»Ja, ich werde die Hilfe meiner Frau brauchen.«
»Davon gehe ich aus. Und du weißt: Keine großen Wunder, keine Wolken, die plötzlich zu Buchstaben werden, damit am Himmel der Satz zu lesen ist: Nora liebt Niklas. Alles soll natürlich ablaufen, du kannst nur Gedankenimpulse setzen, Vorschläge machen, ein paar Zufälle arrangieren …«
»… die keine Zufälle sind.«
»Natürlich nicht. Und wenn die Zeit gekommen ist, musst du ihr Inneres öffnen mit Amors Hilfe, damit eine starke Beziehung entsteht und die Agape frei wird. Erinnere dich an das goldene Band, das du zwischen dem streitenden Paar gesehen hast.«
»Ich erinnere mich«, erwiderte Somaré in Gedanken und seufzte.
»Morael?«
»Ja?«
»Es gibt hier sehr wenig Freude. Das ist irgendwie ernüchternd. Rundherum ein freudloser Planet. Ich musste zwischendurch ein paar Delphine aufsuchen, um mich an ihrem Spiel zu erwärmen.«
»Die Freude in den nördlichen Ländern ist verborgen aber dennoch da, im Süden wirst du sie schneller finden. Sei vorsichtig und urteile nicht zu schnell. Dieser Planet ist ein besonderer Planet.«
»Ach ja? Und worin besteht seine Besonderheit? An der ausgefeilten Bosheit?«
»Das wirst du noch früh genug herausfinden. Und nun mach dich auf den Weg und lerne Niklas kennen. Er lebt in einem Zwischenstadium und versucht, in diesem Land wieder Wurzeln zu schlagen.«
»Leas Engel meinte, dass sich durch mich eine spannende Geschichte entfaltet.«
»Nun, da hat sie nicht ganz Unrecht. Du bist schon mitten drin.«
Schweigen senkte sich über Somaré, und er wusste, dass die Audienz beendet war. Er dachte an Sanimatéa, seine Frau, und als sie vor ihm stand, reichte er ihr seine Hand und zog sie an sich.
»Wir haben etwas sehr Schwieriges aber auch Schönes zu tun, Sanimatéa.«