Читать книгу Die Frechheit nehm ich mir! - Albrecht Mäzen - Страница 7

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2. Perspektivgewinn

Gerade aufgestanden, im Gestrüpp an der Böschung hinter seiner Unterführung wegen eines drängenden Bedürfnisses verschwunden, setzte Zeta sich wieder auf seinen Stammplatz, einen Thron aus akkurat übereinandergelegten, flach gefalteten Pappkartons. Bequem gegen die Wand der Unterführung gepolstert, wollte er nur weiterdösen. Da vernahm Zeta das schamlose Rasseln einer ungeölten Fahrradkette. Vom Wegdösen abgehalten, beobachtete er mit halb geschlossenen Lidern die herannahende Szene.

„TV-Jünger haben sich respektlosen Schabernack mit Justitia ausgeheckt!“, hob Zeta mit murmelnder, kaum wahrnehmbarer Stimme an.

„Erst treffsicher in die Augen gepisst und dann gehörig in die Waagschale gekackt.“

Zeta räusperte sich geräuschvoll, murmelte Unverständliches.

„Genauso mit Hundehaltern, die Hundesteuern bezahlen“, fuhr er vernehmbar fort. „Wer lässt sie defäkieren, wo immer es sei? Eintüten, Entsorgen keinerlei?“

Zeta sah den unschuldigen Pudel an, den die Radfahrerin an kurzer, ums Handgelenk gewickelter Leine neben ihrem Rad herlaufen ließ. Die Radlerin musterte Zeta und scherte zum entgegen der Wand entlanglaufenden Geländer aus. Der Pudel zog gehorsam nach – das Gängelband duldete keinen Widerspruch, die Kräfteverhältnisse waren klar – und trippelte halsbrecherisch nah entlang der Radspeichen weiter.

Wohladressiert fuhr Zeta fort: „Aus erzieherischen Gründen müssen ab jetzt alle ohne Ausnahme Hundesteuer zahlen!“, wobei er das „ohne Ausnahme“ laut und deutlich betonte.

„Egal ob mit Hund oder ohne, denn die Aussonderungen nützen potenziell allen.“

Das Rad näherte sich der Mitte und der Lenker lief Gefahr, sich in dem Geländer zu verheddern.

„Gnädige Dame, mir gebührt Ihr Geld, denn performatives Gedöns kann ich zuhauf! Und was? Ohren haben Sie, passen’s auf! Sie können mich womöglich hören. Ein Paar Augen dazu, hamse auch, sodass Sie mich sicherlich sehen können.“

Mit Blick auf Zeta und gemächlichem Tritt in die Pedale zog die Radlerin zum Sprecher gleichauf.

„Leute“, röhrte Zeta, „fresst Scheiße!“, auf dass es in der Unterführung nur so schepperte, „Millionen Fliegen können nicht irren!“

Die rüstige Dame, wackelig auf dem Rad, erschrak und kippte seitlich um. Ihr Lenker dockte, gebremst mit sanftem metallischen Klingen, an eine Strebe des Geländers an.

„Sie rüpelhafter Widerling!“, rief die Dame dem Schreihals resolut im Ton zu. Sie verharrte akrobatisch im Gleichgewicht, ihr hündischer Begleiter tat es ihr gleich.

Über das Gebaren der Dame nicht erstaunt, erwiderte Zeta energisch, jedoch mystisch: „Nur noch zwölf Jahre bis 1984!“

Unbeeindruckt stieß die Dame sich vom Geländer ab und radelte sich rasselnd in dem ihr eigenen Tempo samt Begleiter den Weg entlang aus der Brückenunterführung.

*

Aus unruhigen Träumen aufgewacht, verschwand Zeta flink hinter einem Strauch. Angespannt sprang er aus dem Gebüsch.

„Hat da nicht was in meinem Döschen geraschelt?“

Ratzfatz zurück auf dem Pappthron blinzelte er in seine Blechdose.

„Wie schön! Von wem die 20-Euro-Note in meiner Betteldos’ wohl stammt?“

Kaum hatte er es gesagt, poppten aus dem Nichts drei verwegen grün Uniformierte auf. Sie schauten auf die Blechdose. Das mittlere der grünen Männchen rümpfte die Nase und leuchtete in die Dose, auf dass es nur so schimmerte.

„Potz Blitz!“, entfuhr es dem Männchen. „Wer hätte das gedacht!“, womit er dem Sitzenden das Döschen entzog.

„Halt“, schrie Zeta, „das ist meine hart erarbeitete Betteldose!“

Wie auf Kommando näherten sich die zwei anderen Männchen und richteten sich bedrohlich auf. Zeta schaute abwartend auf.

Wohlwollend nickte das mittlere Männchen und legte los.

„Achtung, Achtung“, erhob es seine Stimme, „im privaten Bereich ist für jede Wohnung von deren Inhaber ein Rundfunkbeitrag zu entrichten. Inhaber ist jede Person, die die Wohnung vermutlich selbst bewohnen kann. Eine Wohnung ist jede Raumeinheit, die zum Wohnen oder Schlafen geeignet ist oder sein könnte.“

„Ach“, dachte Zeta, „was erzählst du mir da!“, und hoffte: „Unsinn verändert Welten nicht!“

Das Männchen fischte die Banknote aus der Dose.

„Einfa-a-a-ch! Alle-e-e!“, besang es Zeta strahlend, flankiert von den grünen Männchen, die geflissentlich salutierten.

Mit nahezu geschlossenen Augen sah Zeta, wie das mittlere Männchen die Dose mit gespreizten Fingern vor ihm auf den Asphaltweg stellte.

„Hier“, säuselte es, „da hast du deine Betteldose!“

Wieder weggedöst, vernahm Zeta ein Quietschen in der Ferne. Lauter und lauter wurde es, und als es am lautesten krächzte, verstummte es.

„Endlich Ruhe!“, murmelte Zeta, woraufhin ihn ein dumpfer Klunk-Laut abrupt aus dem Dämmerschlaf riss.

Vor sich erblickte er eine junge Frau, die über die Blechdose gebeugt gerade ihre Hand zurückzog.

Zeta schaute zu ihr auf und sprach im Plauderton: „Vorhin hat mir jemand einen 20-Euro-Schein in meinen Bettelbecher gegeben, als ich um die Ecke pinkeln war. Können Sie sich das vorstellen?“

Alarmiert richtete sich die junge Frau auf und zog sich zum Geländer zurück, hinter dem ein Panorama mächtige Brückenpfeiler aus Stahlbeton bot, durchzogen von wenig aktiven Gleisen. Ohne Zeta aus den Augen zu verlieren, erreichte sie das Geländer, neben dem sorgsam geparkt ihr Kinderwagen stand.

Die junge Frau entriegelte mit einer Fußbewegung die Wegfahrsperre und wandte sich prüfenden Blicks dem Inhalt zu.

„Wissen Sie“, rief ihr Zeta zu, „was das Schlimmste ist? Quartalsweise schneien die grünen Männchen vorbei und ich muss Euro über Euro rüberrubeln! Bei Verweigerung würden mich Mainzelmännchen lehren, wie sie das Geld von mir bekämen!“

Die Frau schob den Kinderwagen fort.

„Können Sie sich das vorstellen, junge Frau?“, rief ihr Zeta nach.

Um Längen war die Frau hinfort. Das Einzige, das dem verstummten Zeta zu Ohren kam, war das quengelige Quietschen eines der vorderen Plastikräder des Kinderwagens.

Allmählich verlor es sich in der Ferne.

Die Frechheit nehm ich mir!

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