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KAPITEL DREI - Der Widerstand
ОглавлениеVerhaftung
Mit einem donnernden Krachen wird die Tür aus den Angeln gerissen. Vermummte Gestalten eilen im Laufschritt ins Haus. Sie tragen Maschinenpistolen.
Ihnen folgen Männer und Frauen in weißen Kitteln.
Sander wird verhaftet. Er lächelt nur.
Die Leopardin wird beschlagnahmt. Ich spüre ihre Angst. Über unseren Kontakt beruhige ich das Kätzchen.
Mit einem Mal kratzt die Raubkatze einen der Männer vom Ministerium. Er lässt sie fallen.
Die Leopardin entkommt.
Ich empfinde Angst und Erleichterung. Das Kätzchen ebenso. Es empfindet Verwirrung über den geistigen Kontakt mit mir — ich kann es spüren.
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Das Verhör
Ein Detektor in schwarzem Filzmantel, Soldatenmütze und schwarzen blank polierten Stiefeln steht mit dem Rücken zu mir, den Blick auf den Fjord gerichtet: Die Beine leicht gespreizt, die Hände auf dem Rücken verschränkt.
Ich berichte widerwillig über das Holoprogramm. Es wird gerade untersucht - samt Serverkristall und Interfaces.
Die Aufzeichnungen des Holoprogramms ergeben, dass Marrado mich mit den balzenden Walen verbunden hat.
Techniker spielen eine Aufzeichnung ab. Man sieht in der Holosequenz meinen Gesichtsausdruck.
Hirnareale leuchten auf. Ebenso andere Teile meines Körpers, die ich sicher nicht an einem Monitor aufleuchten sehen will — schon garnicht betrachtet von Agenten des Ministeriums.
Ich will am liebsten vor Scham im Boden versinken. Marrado hat es aufgezeichnet und mir nichts davon gesagt. Mit ihm habe ich eindeutig noch ein Hühnchen zu rupfen.
Kalt beschreibt der Detektor mir, dass Marrado pervers sei und sich an mir vergreifen wollte.
Sander hat mich geküsst: Zuerst virtuell, dann wirklich. Das war nicht so schlimm, im Gegenteil. Aber ich halte meine Klappe. Sprich: Ich schreibe nichts mit dem Stift, den sie mir in den Mund gedrückt haben, wie einen Stecker in die Steckdose; als wäre ich eine Maschine.
Dann dreht sich der Detektor um und nimmt das Barett ab. Er trägt eine Augenklappe, wie ein alter Pirat. Seine Haut ist dunkelbraun, fast schwarz. Seine polierte Glatze schimmert in der gedämpften Beleuchtung. "Wenn er über dich hergefallen wäre, das hätte dich vermutlich gefreut, wie?"
Ich zucke unter seinen Worten zusammen. Doch was weiß der Kerl? Nichts. Weder über mich, noch über das, was Sander mir gezeigt hat.
Tränen. Wut, Scham. Alles kommt gleichzeitig in mir hoch.
Ich bin ein Opfer. Ich werde zum Experimentieren benutzt. Wie soll ich mich dagegen nur wehren?
Dennoch werde ich Marrado nicht noch weiter belasten, auch wenn ich ihn allmählich zu hassen beginne.
"Wussten sie, dass Marrado ihnen mit künstlichen Pheromonen den Kopf verdreht hat? Das ist illegal", ruft der Detektor über seine Schulter, während er weggeht.
"Aber nur, wenn sie es zur Anzeige bringen", höre ich seine Stimme. Er ist bereits draußen.
Die Beamten finden das Gehege im Hof. Eine Raubkatze, der DNS aus dem Kot nach zu urteilen, sagt ein Techniker mit einer Sonde. Hoffentlich muss er den Metallstab selbst wieder säubern.
Der Gepard ist weg.
Die Sache mit der Leopardin verschweige ich. Zumindest den Teil mit der Kapsel. Die kleine Katze haben sie ja gefunden. Zum Glück ist sie entkommen.
Man droht mir an, dass ein Finder mich morgen besucht.
Mir fährt es nicht eiskalt den Rücken herunter. Das geht bei mir nicht. Dafür kribbelt meine Kopfhaut.
Ein Wahrheitsfinder: Diese Beamten dürfen alle Mittel einsetzen, um Dinge für die Regierung herauszufinden. Einige der Befragten sterben während der sogenannten Behandlung. Es heißt, Finder schrecken auch vor Folter nicht zurück.
Es bleibt dabei. Ich weiß nichts über Katzen.
Ich habe Angst. Schreckliche Angst vor dem Finder.
Seltsam: Das mit den Walen hat Sander Marrado aufgezeichnet. Ebenso den virtuellen Kuss. Den echten nicht. Das mit der Verbindung zu den Katzen ebenfalls nicht.
Ob er den Schützern etwas hinwerfen wollte, wie man einem Hund eine Wurst zuwirft, damit man einen frisch geschossenen Elch an ihm vorbeitragen kann?
Er hat also künstliche Pheromone, Sexuallockstoffe, benutzt — falls der Detektor die Wahrheit gesagt hat.
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Rückkehr nach Tylaris
Schließlich bringen mich zwei Schützer mit dem Hoverjet zurück nach Tylaris. Zu meiner Tante.
Der unheimliche Detektor fliegt vorn im Cockpit mit. Die Tür ist geschlossen, also bin ich mit den beiden Schützern allein — einem Mann und einer Frau.
Die Frau, brünett, das glatte Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, sieht mich immer wieder seltsam an. Viel zu lange liegt ihr Blick auf mir. Er beinhaltet etwas das ich nicht einordnen kann. Ich bin zu aufgewühlt, um darüber nachzusinnen.
Während des Fluges versucht die Schützerin, mich zu beruhigen. Es tut ihr leid, was die anderen Beamten gesagt haben.
Der Schützer nickt. "Lass dich nicht unterkriegen, Mädchen. Tyril Gorsson ist der schärfste Hund unter den Detektoren. Die Reichsverwalterin hat ihn persönlich angefordert. Selbst er konnte dir nichts anhaben."
Ich finde das Verhalten der beiden seltsam. Sie sollten zynische, gehässige Kommentare von sich geben. Vielleicht gibt es selbst in den Reihen des Bürger Schutzes einige, die anders sind.
Als wir angekommen sind, nachdem uns ein Mannschafts-Hovercar zum Haus meiner Tante gefahren hat, werde ich ins Wohnzimmer geschoben. Der Antrieb meines Rollstuhls ist deaktiviert.
Im Flur berichtet der Detektor Liv von den perversen Lust-Spielen, die Sander an mir durchgeführt haben soll.
Ich höre seine Stimme dumpf durch die Tür. Das macht er bestimmt absichtlich. So wie Tyril Gorsson es schildert, klingt es schlimm. Er verzerrt die Wirklichkeit mit seinen Worten, bis sie klingen, wie das Gegenteil.
Meine Tante stürzt ins Wohnzimmer, während die Tür ins Schloss fällt. Ich sehe Feuchtigkeit auf Livs Wangen. Schluchzend umarmt sie mich.
Ich sage ihr, dass es nicht so war, wie der Detektor es geschildert hat.
Liv glaubt mir nicht. Ich sehe es an der Art, wie sie mich ansieht.
"Du bist wie deine Mutter. Stark und unnahbar."
Schließlich senkt sie den Blick. Sie schiebt mich in mein Zimmer. "Dann wollen wir es gut sein lassen. Sag deinem Onkel lieber nichts davon. Er könnte es falsch auffassen."
Ich weiß sehr genau, wie er es auffassen würde. Jedes Mal hoffe ich, dass Tante Liv erkennt, dass er ein frauenverachtender zynischer Arsch ist.
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Der Finder
Marrados Kollege Thorsmid ruft an. Er erkundigt sich, wie es mir geht. Er hat gehört, dass etwas vorgefallen sein soll.
Ich berichte ihm per Sprachcomputer, was geschehen ist. Dass ein Finder mich heute aufsuchen wird.
Er wirkt nachdenklich am Holokom. Seine Stimme klingt heiser, als er sich verabschiedet.
"Pass auf dich auf, Mädchen. Gib die Hoffnung nicht auf."
Der Bildschirm des Holokoms zeigt das allgegenwärtige Zeichen des Ministeriums: ein großes F neben einem S in einem Kreis.
Ich sehe hinaus in den Garten. Ein Hoverjet ist direkt auf der Straße davor gelandet.
Der Finder rückt an. Er erscheint, begleitet von zwei Detektoren, die ihre schwarzen Barette tief ins Gesicht gezogen haben: Ein Mann und eine Frau.
Der Finder schreitet unaufhaltsam auf das Haus zu, den obligatorischen dunklen breitkrempigen Hut im Abluftstrahl des startenden Jets festhaltend. Der Unheimliche, Tyril Gorsson, ist nicht dabei.
Mein Atem geht stoßweise. Die Gesichtsmaske des Finders, die bis unter die Augen reicht, soll verhindern, dass der Widerstand Jagd auf ihn machen kann. Niemand kennt die Identität der Inquisitoren des Reiches.
In einer Hand trägt der Wahrheitsfinder einen dicken schwarzen Metallkoffer.
Schon einmal hat mir einer von ihnen eine Spritze verabreicht, um mehr von mir zu erfahren, als ich sagen wollte. Es war eine beunruhigende Erfahrung.
Ich ahne, dass es nichts gegen das war, was mir heute bevorsteht.
Ich gerate in Panik. Versuche, mich zu beruhigen. Erfolglos. Auch Liv kann mich nicht trösten.
Die Hausglocke läutet. Wie ein Automat läuft meine Tante zur Tür. Sie wischt sich ihre schwitzenden Hände an der Hose ab. Ihr Gesicht ist totenbleich.
Liv öffnet.
Der Finder und die beiden Detektoren betreten ungerührt das Wohnzimmer, als gehöre es ihnen. Die Detektoren beziehen Position hinter mir: Breitbeinig, auf dem Rücken verschränkte Arme, ungerührte, geradeaus blickende Gesichter.
Meine Kopfhaut kribbelt.
Der Finder packt eine Maschine aus. Er hat Elektroden in beiden Händen.
Als ich zurückzucke, stellt der Finder den Elektromotor meines Rollstuhls ab. Die beiden Detektoren halten meinen Kopf fest. Alles erfolgt stumm. Nur ich wimmere ängstlich. Tränen laufen meine Wangen herab.
Der Finder befestigt Drähte an meiner Stirn.
"Nur ein Lügendetektor", flüstert mir einer der Detektoren fast unhörbar zu, als der Finder sich wieder seinem Koffer zuwendet.
Ich zucke kurz zusammen.
Dann nimmt der Finder die Gesichtsmaske ab. Sein Gesicht ist voller Narben. Seinen Hut behält er auf.
Der Mann fragt, wie ich heiße.
"Skeyra Feralov", schreibe ich.
"Wie alt bist du?"
Mein Laserstift gibt die Antwort, die wieder über den Sprachcomputer kommt: "23."
"Wer war deine Mutter?"
Eine Träne rinnt verräterisch meine Wange herab. "Olivia Feralov", erwidere ich stolz. Leider kann der Computer keine Gefühle ausdrücken.
Der Finder lächelt kalt.
"Konspirierst du mit dem Widerstand?"
"Wie meinen sie das?"
Der Finder grinst mich düster an. "Nur Antworten. Keine Fragen."
Seine Lippen kräuseln sich. Er genießt das Spiel. Die Überlegenheit. Meine Hilflosigkeit.
Onkel Hakon sitzt ungerührt am Esstisch, ein wenig abseits.
Tante Liv steht noch immer im Türrahmen, unschlüssig, ob sie bleiben, sich setzen oder das Weite suchen soll. Sie bewegt sich nicht.
"Machst du gemeinsame Sache mit dem Widerstand?", fragt er.
Ich bin bald tot. Egal, was er mit mir macht.
"Ja", antworte ich. "Ich bin einer seiner Köpfe."
Er lehnt sich vor.
"Du hältst dich wohl für ungemein witzig, junge Ladri."
Er fasst grob mein Kinn mit Daumen und Zeigefinger, dass es weh tut.
Der Laserstift fällt aus meinem Mund.
"Wisse, dass ich dich immer durchschaue."
Er lässt los.
Liv kommt herein, setzt sich neben Hakon. Er nimmt ihre Hand. Wirkt er besorgt?
"Erzähle mir, was es mit dem Kätzchen auf sich hat. Eine Leopardin, stimmts?"
Ich presse die Lippen aufeinander.
Der Finder lächelt unter seinem dunklen breitkrempigen Hut hervor.
"Gut. Endlich habe ich einen Grund."
Liv beschwert sich. "Sie haben ihr den Stift nicht zurückgegeben. Geben sie ihr eine Chance, ihnen zu antworten."
Er dreht sich langsam zu Liv um.
"Soll ich zunächst mit dir weitermachen, Frau?"
Meine Tante verstummt.
Grinsend wendet er sich mir wieder zu. Sein Gesicht wirkt, wie ein Totenschädel.
Klackend schnappen die Verschlüsse seines schwarzen Koffers auf.
Ein kleines klares Fläschchen. Er stellt es auf die Kommode, die sich direkt neben ihm befindet.
Dann zieht er eine Spritze heraus. Eine extrem lange Kanüle prangt am vorderen Ende.
Ich reiße entsetzt die Augen auf. Eine Rückenmarkspritze. Was, wenn er sie mir in den Hals stößt? Dort spüre ich noch etwas.
"Keine Angst", lächelt der Finder. "Du wirst mir die Wahrheit schon sagen."
Liv wimmert. Sie steht auf und geht aus dem Raum. Sie sieht mich nicht an. Sie hat Angst.
Onkel Hakon fährt mit einem Mal auf. Es sei nicht richtig, einen Menschen so zu behandeln. Auch kein Tier.
Ich wundere mich über seinen Ausbruch. Er hat mich noch nie Beschützt. Im Gegenteil. Für gewöhnlich bin ich froh, wenn ich nicht dieselbe Luft atmen muss, wie er.
Auch wenn er mich mit einem Tier vergleicht: Er setzt sich für mich ein — vor einem Wahrheitsfinder.
Der Finder gebietet ihm mit erhobener Hand zu schweigen. Hakon gehorcht.
"Die Kleine driftet sowieso ab. Sie wird mit dem Leben nicht fertig. Gebt ihr einfach ein Interface und zu essen."
Das ist der Hakon, den ich kenne, denke ich sarkastisch.
Liv kommt wieder herein. Sie hat immerhin zugehört, auch wenn sie es nicht mit ansehen wollte, wie ich gefoltert werde.
Sie sieht Hakon empört an. "Sag so etwas nie wieder, oder du verbringst dein Leben alleine."
So seltsam diese Situation ist, so dankbar bin ich für die Worte meiner Tante. Kriegt sie vielleicht doch noch die Kurve?
Als der Finder die Spritze aufzieht, hat er meine volle Aufmerksamkeit.
Er drückt den Kolben ein Stück weit in die Spritze, bis vorne eine neongelbe Flüssigkeit herausspritzt. Er trifft meine Tante.
Sie sagt nichts. Abscheu verzieht ihre Mundwinkel.
Er nähert sich mir. Fasst meinen Arm. Er macht sich nicht die Mühe, meinen Ärmel hochzukrempeln.
"Ach ja", sagt er, wie in Gedanken. "Du bist ja querschnittgelähmt. Ich fürchte", erklärt er mit einem hämischen Grinsen, "ich muss dir die Spritze in den Hals geben. Es wird ein wenig brennen."
Er streicht mit der Spitze der Kanüle über meine Brust und wandert hoch zum Hals.
Ich atme schwer. Lehne meinen Kopf ängstlich zurück. Wimmere, ohne dass ich es will.
Liv springt auf und rennt weg. Sie hält es nicht aus.
Selbst Hakon dreht das Gesicht weg.
"Ja. Jetzt spürst du, wie es ist, sich mir zu widersetzen. Es bringt immer viel Leid und Schmerz, die Wahrheit verheimlichen zu wollen", flüstert er mir ins Ohr.
Meine Lippen beben. Ich weine vor Angst. Ich weiß, dass gleich unsägliche Schmerzen folgen werden.
Der Finder weidet sich an meiner Qual.
"Du bist allein", raunt er. "Niemand kann die helfen. Ich muss dich nur am Leben lassen. Weitere Anweisungen bezüglich deines Übergabezustandes habe ich nicht erhalten."
Er lächelt kalt.
Dann rammt er die Kanüle in meinen Hals.
Ich versteife mich. Schließe die Augen. Es tut weh, als die Nadel durch meine verkrampften Halsmuskeln stößt.
Dann schlägt etwas dumpf auf den Boden.
Es ist nicht mein Körper. Es ist der Finder. Einer der Detektoren hat ihn niedergeschlagen.
Eine weibliche Stimme erklingt neben meinem Ohr, als die Nadel aus meinem Hals gezogen wird. Sie bebt vor unterdrücktem Zorn.
"Ich bringe diesen Arsch um!"
Ich höre den anderen Detektor, wie er sich mir nähert. Er scheint ebenso wenig ein wirklicher Detektor zu sein, wie die Frau.
"Es tut mir leid", erklärt er mit sanfter Stimme. "Wir mussten warten, bis die Verbindung zu den Kameras unterbrochen war. Nun sehen die Leute im Ministerium nur das, was sie sehen sollen: Eine Gruppe von Schauspielern in einem identisch eingerichteten Raum."
Meine Tränen fließen weiter. Ich schluchze. Die Arme der Frau, deren Duft etwas Tröstendes an sich hat, schließen sich voller Mitgefühl um meinen Kopf. Ich erkenne ihre Stimme, die beruhigend auf mich einredet. Es ist die Schützerin vom Vorabend. Die Frau, die mich so seltsam angesehen hat und mir Mut zusprach.
Sie küsst mein Haar und meine Stirn, wie es meine Mutter auch immer tat. Ich wünschte, sie wäre es. Sie ist es nicht. Sie ist wenige Jahre älter, als ich. Vielleicht 25 oder 26.
Als ich nach einer endlosen Weile zu ihr aufschaue, wischt sie sich mit ihrem dunklen Handschuh über das Gesicht.
Dann ist der mitfühlende Ausdruck weg, als sie aufblickt; in das Gesicht des Mannes in der Kleidung eines Detektors.
"Es wird Zeit. Wir müssen gehen."
Seine Stimme klingt amüsiert. "Ich hatte schon befürchtet, du wolltest bleiben."
Die als Detektorin verkleidete Frau hebt den Stift auf, wischt ihn gewissenhaft mit einem sauberen Tuch ab und klickt ihn in die Halterung an meinem Rollstuhl. Das gibt mir die Möglichkeit, wieder selbstbestimmt zu handeln.
Ich werfe ihr einen dankbaren Blick zu. Vorerst lasse ich den Stift da, wo er ist.
Jetzt erkenne ich, dass sie dieselbe ist, die mich gestern während des Rückflugs bewacht hat. Das Gesicht des Mannes habe ich mir zwar nicht eingeprägt, aber er ist mit Sicherheit ebenfalls derselbe.
Onkel Hakon und meine zurückgekehrte Tante Liv sitzen da, wie vom Donner gerührt.
"Wir sind vom Widerstand" grinst die Frau, die mich getröstet hat. Sie kommt mir bekannt vor. Ich schaue noch einmal hin. Es ist Sandrine. Natürlich! Wie konnte ich das übersehen? Ich hätte sie gestern im Jet erkennen müssen. Damals trug sie ihre Haare zu einem Bob frisiert, kinnlang. Jetzt wallt ihre braune Mähne bis über die Schultern. Die Leibwächterin meiner Mutter scheint ihren Job sehr ernst zu nehmen, wenn sie mich immer noch beschützt.
"Ich wusste, mit dem Balg deiner bescheuerten Schwester gibt es nur Scherereien", schreit Hakon."
"Halt gefälligst einmal deinen Mund", keift Liv. Wow. Sie steht zu mir. "Sie ist alles, was mir von Olivia geblieben ist."
"Jetzt werden wir Skeyra wegbringen.", erklärt ihnen der Mann. Gehören die beiden vielleicht zum Widerstand? Was sonst. Es ist die einzig sinnvolle Erklärung, die mir in den Sinn kommt. Wieso hilft mir der Widerstand? Geht es um Publicity? Der Name Feralov... Das ist es. Ich lasse mich publikumswirksam für den Widerstand verwenden. Meine Befreiung ist ein symbolischer Akt.
"Wenn alles gut geht, melden wir uns.", erklärt der Mann. "Wenn nicht... " er schüttelt den Kopf.
Der Widerständler wendet sich an mich. "Entschuldige, aber das ist die Wahrheit. Es wird hier bald von Ministeriumsleuten Wimmeln. Sie werden uns jagen."
Ich schnappe den Stift aus der Halterung vor meinem Gesicht und lasse ihn auf der Tastatur auf meinem Schoß tanzen.
"Schon gut", gebe ich mit meiner Computerstimme zurück.
Liv nimmt mein Gesicht in ihre Hände. "Pass auf dich auf, Liebes."
Ich lache. Der Stift fällt zu Boden. Sandrine hebt ihn auf.
"Wie denn?" schreibe ich. Die Computerstimme plärrt: "Ohne funktionierenden Körper."
Sandrine geht dazwischen: "Wir geben auf sie Acht." Sie ergreift Livs Hand. Sie streichelt kurz mit ihren Daumen über Tante Livs Handrücken. "Wir müssen los."
Sandrine stößt wie versehentlich gegen den Stuhl meines Onkels. Er kippt um. Hakon liegt am Boden. Sein Hinterkopf prallt mit einem dumpfen Geräusch auf den flauschigen Teppich.
"Ups. Wie ungeschickt von mir", entfährt es der angeblichen Detektorin.
Ich lache. Jetzt ist es egal, was er von mir hält.