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KAPITEL VIER - Flucht

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Ein Experiment

Wir fahren mit dem Hovercar zur Forschungseinrichtung der Universität. Sie befindet sich am Stadtrand, im Süden. Wir müssen durch den Berufsverkehr von Tylaris.

Sandrine fährt. Sobald wir im Car sitzen, zieht Sandrine ihr Barett ab und stopft es ins Seitenfach. Ihr brünetter Pferdeschwanz baumelt vom Hinterkopf herab. Einige kürzere Strähnen fallen ihr in die Stirn. Sie sieht gut aus.

Ich kann nichts sagen, da der Laserstift mit dem Rollstuhl im Kofferraum des Wagens untergebracht ist.

Gut, dass ich über einen klappbaren modernen Rollstuhl verfüge, der überall hineinpasst.

Isak, Sandrines Begleiter, hat sich mir kurz vorgestellt. Er steigt irgendwo unterwegs aus. "Viel Glück", wünscht er uns. Dann knallt er die Tür zu und verschwindet in der Menschenmenge, die die Gehwege von Tylaris bevölkert. Menschen die Einkaufen, ihre Arbeit beendet haben. Der Pulsschlag der Hauptstadt Norgenons.

Seit ich gelähmt bin, habe ich mich immer davon ferngehalten, so gut ich kann.

Die Fahrt ist nervenaufreibend — für Sandrine. Es geht mitunter schleppend voran. Sie biegt ab, nimmt Nebenstraßen, hupt fortwährend, bis Passanten fluchend zur Seite springen.

Je länger ich hinter ihr im Hovercar sitze, desto ruhiger werde ich. Ich sehe ihr zu. Sie ist eine geschickte Fahrerin. Sie nutzt die Schimpftiraden, um sich in einen wacheren Zustand zu versetzen. Nicht so wie Onkel Hakon, der immer wirklich wütend wird, besonders bei Nichtigkeiten. Wenn ich bei ihm im Hovercar mitfahren musste, hatte ich jedes Mal Angst. Er hätte uns oder Fußgänger mehr als einmal beinahe schwer verletzt, wenn nicht getötet.

Bei Sandrine ist es anders. Trotz ihrer scheinbaren Aufregung fährt sie kontrolliert und sicher. Und das, obwohl sie das Gaspedal immer wieder bis zum Anschlag drückt, wenn sie nicht gerade versucht, das Bremspedal durch das Bodenblech zu treten.

"Ich bin Sandrine. Das hast du sicher bereits erraten. Ich bringe dich in Sicherheit — zum Widerstand."

Wenigstens eines funktioniert noch: Mein Verstand. Ich liege also richtig.

Sofort nach der Ankunft am Forschungskomplex werde ich von Sandrine auf ein fahrbares Bett verfrachtet. Mein Rollstuhl bleibt im Hovercar zurück.

Sander Marrado erscheint. Ich bin überrascht. Das hat mein ach so überragender Verstand nicht kommen sehen. Ich dachte, das Ministerium hätte ihn in Arrest genommen.

Fein kombiniert, Skeyra.

"Skeyra, ich habe etwas für dich, das dir gefallen wird."

Er schließt einen tragbaren Computer an ein Elektrodenstirnband an. Ich lasse zu, dass er es um meinen Kopf legt. Mir bleibt eh keine Wahl.

"So, jetzt sag mal was, Kleine."

Ich sehe ihn fragend an.

"Versuch, zu sprechen", fordert er mich auf und hebt seine Hände an, die mir sagen: Nur zu!

Ich tue ihm den Gefallen. Meine Stimme erklingt aus dem Computer. Simultan. Mit einer Menge Ausdruck darin.

"Ich bin beeindruckt, Sander Marrado." Ich bleibe dennoch distanziert. Schließlich hat er mich ganz schön ausgenutzt an seinem Haus am Fjord.

"Ach was, nur eine Fingerübung." Er zwinkert mir zu.

"Sandrine, was immer du hier treibst", sage ich, meine neue Stimme nutzend. "Ich bin froh, dich wiederzusehen."

"Keine Ursache. Ich bin deiner Mutter etwas schuldig."

Aha. Schuldgefühle. Das treibt sie um.

Marrado hebt amüsiert die Brauen. "Stimmt. Du bist doch die Leibwächterin..."

Sie hebt die Hand. "Ja. Ich habe damals versagt. Das wird nicht wieder geschehen."

Zwei Jahre hat sie bei meiner Mutter gearbeitet. Sie gehörte schon fast zu Familie. Ich war 17, als sie zu uns kam. Sie war damals selbst erst 19.

Manchmal musste ich meinem Vater in die Rippen stoßen, wenn er ihr nachsah. Ich wollte alles andere, aber nicht, dass mein Vater sich für ein Mädchen interessierte, das zwei Jahre älter als ich war.

Ich habe mich nie richtig mit ihr verstanden — wahrscheinlich war meine Eifersucht der Grund. Heute scheint es mir völlig übertrieben: Was soll eine 19-jährige mit einem doppelt so alten Holospiel-Verkäufer?

Nun hebt Marrado abwehrend die Hände. "Schon gut, schöne Frau. Es gibt viele Möglichkeiten, darüber hinwegzukommen. Außerdem war es nicht deine Schuld, sondern die des Bürgerschutzes, dass..."

Marrado lässt den Rest unausgesprochen: Dass wir einen Unfall erlitten, bei dem meine Eltern starben und ich als Krüppel im Rollstuhl endete.

"Ihr Ruf eilt ihnen voraus, Professor", weist sie ihn kühl zurecht. "Ich habe kein Interesse, als weitere Trophäe in ihrem Bett zu landen."

Als sie an Sander vorbeiläuft, um eine Doppeltür zu öffnen, schenkt er ihrem Hinterteil einen anerkennenden Blick.

"Wirklich zu schade", murmelt er zu sich selbst. "Was für ein Arsch!"

Damit spricht er genau das aus, was ich gerade von ihm halte.

Ich werde von Sandrine in einen steril wirkenden Raum gezogen. Sander Marrado schiebt.

Alles leuchtet in grün und weiß. Geräte piepen in verschiedenen Abständen: Puls, Hirnströme, vieles andere, dessen Bedeutung ich nicht erfasse.

Daran angeschlossen liegt der Körper einer jungen Frau. Etwa in meinem Alter. Es erinnert mich an ein altes Märchen, in dem eine Herrschertochter von Dornen umrankt darauf wartet, dass ein Prinz sie wachküsst.

Statt der Dornen hat sie Nadeln im Fleisch stecken. Sonden, Kanülen mit Nährlösung, Elektroden auf der Haut.

Braune bis rote Korkenzieherlocken bedecken das weiße Laken um den Kopf herum. Etwas kürzer als meine strähnigen Wellen, die bis unter die Schulterblätter reichen.

Die offen stehenden Augen blinzeln, als wäre sie wach. Die Pupillen sind eisgrau, als wäre sie ein Geist.

Sie ist etwa so groß wie ich, vielleicht etwas größer.

Sie liegt ohne Decke da, ihr Körper ist in eine graue Synthetikhose und eine ebenso graue Fliegerjacke gekleidet. Sie trägt schwarze Stiefel. Unzweifelhaft eine Pilotin.

Man hat sie also bereits für den Einsatz und für eine Flucht vorbereitet.

Ihre Statur ist kräftig, die Schultern breiter als meine. Obwohl sie etwas größer zu sein scheint, wirkt sie kompakter, bulliger — auf eine Art, die angenehm ist. Sie konnte sich bestimmt durchsetzen. Vielleicht hätte ich sie gemocht, hätte ich sie kennengelernt.

Ich wäre auf ihren intakten Körper neidisch gewesen: trainiert, robust.

Dünne Stäbe ragen aus beiden Schläfen. Ein Kontrast zu ihrer Erscheinung. Wie in den Uralt-Holos, in denen ein Monster mit Strom zum Leben erweckt und gejagt wird.

Ich schlucke hart. Genau das könnte mir bevorstehen, wenn die Prozedur glückt — wenn ich ihr überhaupt zustimme.

"Wo ist ihr Geist?" Mein Ton ist fordernd, als wäre ich die Reichsverwalterin persönlich.

Sander sieht mich an. Er weicht meinem Blick nicht aus.

"Sie ist tot. Hirntot. Sie war Hirntot, als ich die DNS entnommen habe."

"Was wird das?" Panik flammt in meiner Stimme auf. Mit einem Mal habe ich Angst, für Experimente missbraucht zu werden. Vielleicht ist der Widerstand genau das, was die Regierung uns erzählt: Ein Monster, das sich nicht um Werte und Moral schert; das uns nur benutzt, um die Regierung zu vernichten.

Sandrine legt eine Hand auf meine Stirn. "Wir wollen dir helfen. Hab keine Angst. Nimor und Sander arbeiten mit uns zusammen. Ihre Forschung ist soweit. Du bekommst diesen gesunden Körper. Dann fliehen wir, ehe die Schützer oder die Leute vom Ministerium uns aufspüren."

Ich sehe ihr in die Augen. "Dann stirbt sie. Oder ist sie bereits tot? Kennst du ihren Namen?"

Meine Stimme steigert sich zu einem Kreischen: "Sag mir ihren Namen!"

Sandrine geht um mich herum. Ich will das Mitleid in ihrem Gesicht nicht sehen. Lieber sterbe ich, als dass jemand anderes für mich sterben muss. Die Namenlose Frau hatte doch keine Wahl!

Sander Marrado hebt die Hände, als er meinen zornigen Blick wahrnimmt.

"Sie hatte einen Unfall. Sie hatte nichts mit Bionetic zu tun. Das war vor zwei Jahren. Damals waren wir noch lange nicht soweit. Mittlerweile ist sie tot. Sie wurde abgeschaltet, als die Regierung der Meinung war, dass sie nicht mehr zurückkommt."

Sander tritt zu mir. "Dieser Körper besitzt kein Bewusstsein."

"Dies ist ein von Sander gezüchteter Klon", ergänzt Sandrine. "Niemand musste dafür sterben."

"Dann soll ich eine Kopie werden?" Ich schreie immer noch.

"Das wirst du nicht", antwortet Sandrine mit beruhigender Stimme. Der krasse Gegensatz zu mir. Wie kann sie so kühl bleiben, wo es doch um mich geht? Ich dachte, sie hält zu mir.

"Du wirst niemandes Kopie sein. Du bleibst immer Skeyra. Für mich. Für uns alle."

"Bist du sicher?" Meine Stimme beruhigt sich allmählich. Mein Herz rast immer noch.

"Was ist mit den beiden Dingern an den Seiten?", will ich wissen.

"Das sind Elektroden." Sanders Stimme klingt sanft. "Wir verwenden einen Minibohrer, um durch den Schädel zu gelangen. Für den bionetischen Informationsstrom müssen beide Gehirne mit einer direkten elektrischen Verbindung gekoppelt werden. Bisher gibt es keine andere Lösung."

Sandrine nimmt meine tauben Hände in ihre. Ich kann sie nicht spüren. Mein ganz normaler Zustand.

"Ich vertraue Sander", erklärt sie mir. "Er würde niemals jemanden eines Experiments wegen töten."

"Doch", erwidere ich tonlos. "Mich."

Sander zuckt zusammen. Er will protestieren.

Sandrine erbleicht. "Wir wollen, dich retten, Skeyra. Wir werden nicht versagen."

Sie streicht mit einer Hand eine braune Haarsträhne aus meinem Gesicht.

"Ich wünschte, dass du deinen Körper behalten könntest."

Schuldbewusst senkt sie den Blick. "Wenn wir doch nur dein Rückenmark wiederherstellen könnten."

"Es ist irreparabel geschädigt", konstatiere ich. Ich kenne die Befunde auswendig, die von den Ärzten gestellt wurden. Immer dasselbe: Keine Aussicht auf Heilung.

"Ja", sagt Sandrine rau. "Ich weiß."

Sie schaut mir wieder in die Augen. Es hat eine ganze Weile gedauert, ehe sie den Mut dazu gefunden hat.

"Du wirst in diesem Körper aufwachen. Du wirst wieder fühlen und dich bewegen können. Doch dafür musst du bereit sein, deinen Körper hinter dir lassen."

"Werde ich dann noch ich selbst sein?" Meine Stimme zittert voller Angst.

"Das wirst du." Sie küsst meine Stirn.

"Was ist, wenn etwas schiefgeht?", frage ich immer noch beunruhigt.

"Das wird es nicht." Nimor Thorsmid betritt das sterile Zimmer, in dem ich liege, und stellt sich neben Sandrine. Er legt ihr eine Hand auf die Schulter.

"Ich bin dir sehr dankbar. Euch allen vom Widerstand."

Sie drückt seine Hand. "Du bist mehr als willkommen."

Sandrine seufzt und wendet sich wieder mir zu. "Es wird funktionieren. Hab Vertrauen."

Beide klingen zuversichtlicher, als ich es bin.

Kurz darauf folgt Isak, der männliche Widerständler, der in der Stadt ausgestiegen ist. Er hat Thorsmid hierher gebracht. Damit dürften wir vollständig sein, wenn nicht noch weitere Personen mit von der Partie sind, die ich nicht kenne.

"Hat sie sich schon entschieden?", fragt er.

"Heij, ich bin anwesend", protestiere ich.

Sander Marrado wendet sich mir zu. "Verzeih. Wir haben wenig Zeit. Das Ministerium wird sich nicht lange täuschen lassen."

"Angenommen ich spiele mit." Ich bin von meiner eigenen Reaktion überrascht. "Was ist mit dem Jungen, Magnus?"

Sander beugt sich ein wenig vor, damit ich ihm ins Gesicht sehen kann. "Du meinst den Jungen der für den Transfer vorgesehen ist."

Ich nicke leicht. Mehr geht nicht. Es war ohnehin keine Frage.

"Er ist zu Hause. Ohne uns wird ihm hoffentlich so schnell nichts passieren. Vielleicht können wir ihn später befreien."

"Ihr müsst ihm helfen. Er hat sich um mich gekümmert."

Sandrine verschränkt die Arme vor der Brust. "Wir haben jetzt andere Sorgen."

#

Phase zwei

Der Raum hat ein Fenster. Isak steht davor, ein Fernglas vor den Augen.

"Teufel nochmal, die sind schnell."

Sander erschrickt. "Wer?"

Isak nimmt das Fernglas herunter und sieht finster in die Runde. "Agenten. Das Ministerium."

"Also." Thorsmid sieht eindringlich zu mir herunter. Ich liege im Bett während sich die Dinge zuspitzen. Ich hasse diesen Zustand immer mehr.

"Alter Körper oder neuer Körper?", bringt er die Lage mit wenigen Worten auf den Punkt.

Als hätte ich zwischen Orangenlimo und Cola zu entscheiden. Kaffee mit Milch oder Zucker?

So einfach ist es nicht. Es geht um mich. Meine Identität. Auch wenn mein Körper gelähmt ist. Seit meiner Geburt, seit ich denken kann, lebe ich darin. Mein Körper bin ich; dachte ich jedenfalls. Ich habe die Meisterschaften gewonnen, indem ich trainiert habe; diesen Körper.

Wie kann man den Geist vom Körper trennen? Wer werde ich sein, wenn ich den Körper wechsle, wie eine Jacke? Wenn ich ihn wie ein altes, nutzlos gewordenes Spielzeug wegwerfe und sorglos einen neuen in Besitz nehme?

Ich drehe den Kopf und sehe den Körper, der von Schläuchen und Sonden am Leben gehalten wird.

Wähle ich den neuen Körper, bedeutet es, vielleicht beim Transfer zu sterben.

Ein Handmikrofon mit Lautsprecher ertönt draußen.

"Aufmachen! Der gesamte Komplex ist umstellt. Stellen sie sich, und Ihnen wird nichts geschehen."

Stille.

Wenn ich den alten Körper behalte, werde ich es sehr wahrscheinlich nicht von hier weg schaffen. Reicht die Zeit für die Gewöhnung an den Körper der dort neben mir liegt?

Der Handlautsprecher ertönt erneut: "Sollten sie nicht kooperieren, müssen wir von einem terroristischen Akt ausgehen. Wir schießen scharf. Sie haben zwei Minuten."

Ich durchbreche die Stille. "Neuer Körper."

Sandrine löst sich als Erstes aus der Starre. Sie läuft mit schnellen Schritten zu einem kleinen Kühlschrank. Sie nimmt etwas heraus, hantiert, so dass Nimor Thorsmid die Stirn runzelt, und tritt an mein Bett.

Ein Elektromotor richtet meinen Oberkörper auf.

Er nimmt das Reagenzglas entgegen und hält es mir vors Gesicht. Mit dem Nagel des Zeigefingers schnipst er zweimal dagegen. Sein kritischer Blick weicht, als die Flüssigkeit kurz durchsichtig wird, ehe sie wieder ihre hellblaue Färbung annimmt.

"Trink. Es schmeckt wie Wasser", fordert er mich auf.

Er setzt mir das Röhrchen an den Mund. Ich öffne die Lippen, wie damals in der Tango-Simulation, als er mich geküsst hat.

Ich sehe es in seinen Augen. Beschämt senkt er die Lider.

Auch diesmal liefere ich mich ihm aus. Ich vertraue ihm in einer Situation, in der ich zutiefst verletzbar bin.

"Was ist das?", erkundige ich mich, als ich das Zeug geschluckt habe. Die Frage könnte ich mir schenken. Ich hätte vorher fragen müssen. Dennoch — die Neugier treibt mich an.

"Nanobots. Sie docken an deine Neuronen an, den Nervenzellen im Hirn. Sie suchen die Leitungen zu allem Möglichen; Muskeln zum Beispiel. Sie übermitteln den Nanobots in deinem neuen Zuhause", er deutet auf den Körper in der Pilotenmontur, "die Informationen, wie dein Gehirn mit dem Rest verdrahtet ist. Die Bots in dem anderen Körper bauen die Struktur des bionetisch gezüchteten Gehirns durch Impulse neu auf, damit dein Bewusstsein es benutzen kann, als wäre es dein alter Körper."

Er sieht mich an, als wäre ich seine Tochter. Oder seine Geliebte. "Die Bots bereiten weitere Verbindungen vor. Du kannst auf ihre Erinnerungen und Fähigkeiten zurückgreifen, ebenso wie auf deinen eigenen. Es ist ein so komplizierter Prozess, dass er erst durch die künstliche Schwarmintelligenz der Bots möglich wird. Ein Mensch könnte diese Umstrukturierung nicht vornehmen."

Er streicht mir das Haar aus der Stirn. "Danke, dass ich dich nicht zwingen musste. Du bedeutest mir viel."

Ich bin verwirrt. Ich vertraue ihm. Was hat er da gesagt? Hatte er vor, mir notfalls gewaltsam die Nanobots zu verabreichen? Will er mich etwa für sich? Das kann er vergessen.

"Es hat noch nie funktioniert", presse ich heraus.

"Doch, bei Mäusen", gibt er zu bedenken.

"In diesem Körper wirst du eine süße Maus sein."

"Ich werde dir als erstes eine Backpfeife verpassen, sollte dein Plan funktionieren." Ich lache. Er schafft es tatsächlich, dass ich lache. Es ist absurd.

Nebenbei bemerke ich, dass Sandrine sich versteift hat. Sie entspannt sich. Sie öffnet die Hände. Rote Striemen in ihrer Handfläche zeigen, wo sich ihre Fingernägel hineingegraben haben.

Nun ist es entschieden: Entweder ist für mich hier Endstation — für mein Leben. Oder ein neues Leben beginnt; ein neues Abenteuer.

Sandrine sieht Thorsmid, Marrado und mich an, als wäre sie eine Katze, die sich überlegt, wie sie ihre Beute am besten packt — und in welcher Reihenfolge. Ihr Blick ist unerbittlich, als er auf Nimor Thorsmid ruht.

Dann verschwindet ihr Gesichtsausdruck wieder hinter einer neutralen Fassade aus Professionalität.

#

Transfer

Nimor Thorsmid kommt mit einem Bohrer. Ein sehr feiner. Will er damit etwa... Nein. Nein!

Ich habe Angst.

Er sagt es muss sein. Er tupft etwas auf meine Schläfen. Betäubungssekret.

Eklig. Das Geräusch des Bohrers an der Seite meines Schädels pflanzt sich bis in den Kopf hinein fort. Dann ist er schon fertig. Andere Seite.

Ich werde verkabelt, wie eine Maschine. Ich frage mich, ob ich richtig entschieden habe.

Draußen ertönt Feuer aus automatischen Waffen.

Geduckt rennt Thorsmid los. "Sander, du bist dran. Ich verschaffe euch mehr Zeit. Ich kann die Tore blockieren. Das wird sie aufhalten."

Dann ist er weg.

"Uns bleibt keine Zeit mehr." Sander Marrado sieht mich an.

Ich nicke. "Also los."

Sander legt den Kopf schief. "Ich muss vorher ein paar Tests machen. Du musst alle wichtigen emotionalen Zustände durchleben. Lass dich auf meine Worte ein. Wir haben keinen zweiten Versuch."

Abermals nicke ich. "Los."

"Tapferes Mädchen. Denk an das letzte Mal, an dem du Freude empfunden hast."

"Ich habe den Vier-Städte-Wettbewerb im Bodenturnen gewonnen. Ich war fünfzehn."

"Sieh die Leute um dich herum. Ihren Beifall."

"Meine Eltern sind da. Sie sind so stolz." Eine Träne lässt meinen Blick verschwimmen.

Piep. Die Maschine sagt uns, dass die Nanobots zufrieden sind mit mir.

"Du machst das sehr gut. Worüber hast du dich geärgert?"

"Du hast mich bloßgestellt! Vor den Schützern! Sie haben sich lustig gemacht, ich wäre eine Hure, mit der du experimentierst!"

Ich schreie ihn wütend an. "Wie konntest du das nur tun!?"

Piep. "Ok. Weiter. Scham. Erinnere dich. Wann hast du dich geschämt?"

Glaubt er, damit kommt er davon? Keine Zeit. Wir müssen das verschieben.

"Als die Schützer sich das Holo mit den Aufzeichnungen angesehen haben.", antworte ich stattdessen brav. Meine Stimme ist brüchig.

"Wale die sich paaren. Ich war wie seziert. Sie sahen, wie etwas zwischen meinen Beinen aufleuchtete. Ich konnte mich nicht wehren. Nichts tun. Sie haben Witze darüber gerissen. Es war demütigend."

Piep.

Sandrine schlüpft durch den Eingang, die Waffe im Anschlag.

"Ist Isak schon hier?"

Marrado verneint.

"Thorsmid?"

"Nein, nur wir drei."

Sandrine flucht.

Marrado lacht. "Er verpasst noch die Premiere. Wir werden das Mädchen heil in diesen Körper bringen. Es muss einfach klappen."

Piep. Die Maschine wartet.

"Gut. Weiter. Aufregung. Was bringt dich auf die Palme?"

Gut? Dir werde ich zeigen, was gut ist.

"Deine dämliche Arroganz. Die Scheiß-Einstellung meines Onkels, der mich nur loswerden will. Tante Liv, wie sie wegsieht und tut, als wäre er ein guter Mensch. Sie schmeißt ihr Leben weg und ruiniert meines."

Piep. "Das tat weh. Autsch. Die Strafe folgt auf den Fuß." Er lächelt. "Sexuelle Stimulation. Du musst erregt werden. Erzähl mir etwas über Sex."

Sandrine an der Tür atmet scharf ein. Könnte ihr Blick töten, wäre Marrado sofort zusammengebrochen.

"Muss das wirklich sein?", will ich wissen.

Eine Salve Gewehrfeuer.

Ich reiße mich zusammen.

"Thorsmid. Er hat mich geküsst. Am Ende eines Tangos."

Marrado unterbricht mich. "Das ist es nicht. Das war kein Sex."

"Witzig!", schreie ich ihn an. "Ich hatte noch nie Sex!"

Sandrine hält sich die Ohren zu. Seit wann ist sie so zart besaitet?

Seit wann stört es mich nicht, meine intimsten Details herauszuposaunen? - Richtig, seit mein Leben in Gefahr ist, ich an einem Experiment teilnehme, dass mein Bewusstsein höchstwahrscheinlich auslöschen wird und mein Verstand vermutlich seit Tagen mehr oder weniger dauerhaft dem digitalen Äquivalent leichter Drogen ausgesetzt ist; was ich nicht beweisen kann. Dazu kommen körpereigene Substanzen, die den Stress der Todesgefahr abmildern sollen, nehme ich an. Alles in allem ein schriller, persönlichkeitsverändernder Cocktail.

Sander gibt mir eine Ohrfeige. "Komm zu dir. Sex. Da muss es doch was geben. Erzähl mir was. Los, Mädchen."

Sandrine steht auf. "Es reicht, Freundchen."

Sander Marrado schreit sie an. "Es reicht nicht. Wenn sie es nicht schafft, stirbt sie. Dann war alles umsonst. Sie muss es schaffen."

Ups. Also gut. Jetzt werden es alle erfahren. Das habe ich nicht mal meiner besten Freundin erzählt — als ich noch eine hatte. Jetzt geht es um Leben und Tod. Mein Leben.

"Schon gut", rufe ich ihm zu. "Da ist noch eine Erinnerung. Die könnte ausreichen. Ich bin mit meinem Freund zusammen. Samuel. Ich bin 16. Ich dachte, wir machen zusammen Hausaufgaben. Auf einmal küsst er mich, als wir auf meinem Bett sitzen. Dann sind seine Hände auf meiner Haut. Schieben das Shirt hoch. Und seine andere Hand... Sollte da eigentlich nicht hin, wo sie jetzt hinwandert. Er hat sich den richtigen Zeitpunkt ausgesucht. Den ganzen Tag musste ich an ihn denken. Mein Atem geht schneller, ich werde wild. Ich will immer mehr von ihm, als er mir..."

"Reicht das immer noch nicht?", schreit Sandrine.

Piep. Marrado läuft rot an, wie eine dieser genetisch hochgezüchteten Chamäleonforellen. Er, der Schwerenöter?

Zerknirscht gibt er zu: "Tut mir leid. Dass du noch nie wirklich... Und dass du das jetzt... Ich meine..."

Gewehrfeuersalven. Näher.

"Weiter", Sanders nüchterner Tonfall ist zurück. "Liebe. Mutter, Partner, wen auch immer. Echte herzliche Liebe. Kein Sex."

"Ich liebe meine Mom. Sie ist so stolz. Immer für mich da."

Ich höre ein Schluchzen.

"Mom", rufe ich?

Ich erhalte keine Antwort. Habe ich mir das nur eingebildet?

"Sie war alles für mich", fahre ich fort. "Noch mehr, als Dad. Sie wusste, wenn ich Trost brauchte..."

Piep. "Das reicht. Gut so. Verlust. Wann hast du einen geliebten Menschen verloren?"

Jetzt bin ich in Fahrt. Mir ist alles egal. Alles will aus mir heraus. Vielleicht sollten die Seelenklempner mal so eine Therapie erfinden. Unter Beschuss, als Versuchskaninchen für ein abgefahrenes Bewusstseinsexperiment.

"Ich fahre mit dem Hovercar. Meine Fahrlizenz ist wenige Stunden alt. Wir wollen ins Holokino. Ein anderes Hovercar überholt uns auf der Kreuzung. Ein anderes rammt uns von links. Es ist vom Bürgerschutz. Blaue und rote Lichter blinken. Es trifft dort auf, wo meine Eltern sitzen. Ich reiße das Steuer herum. Zu spät.

Ich werde aus dem Car gezogen. Meine Eltern sind tot. Mein Vater blutet am Hals. Meine Mutter hinter mir hat eine gebrochene Wirbelsäule."

Ich schniefe. "Ich vermisse sie so."

Sandrine zieht die Nase hoch. "Es tut mir leid, Kleines."

Sie kommt und hält meine Hand. "Es tut mir ja so leid."

Ich bin verwirrt. Sie mag mich, das habe ich heute erfahren dürfen. Mehr, als gut für sie sein könnte.

"Danke, Sandrine", flüstere ich. "Es tut gut, dass jemand mit mir fühlt. Das habe ich lange nicht mehr..." mir fehlen die Worte.

Ihre Lippen beben. Sie wird wieder ernst und nickt mir knapp zu.

"Konzentrier dich. Du machst deine Sache gut."

Piep. "Gut. Nein — ich meine. Wir haben es. Nächster Punkt: Trauer."

Ich bin gut. Es ist, als würde ich von einer anderen Person erzählen.

"Die Beerdigung. Sie schütten Erde auf das Grab. Immer mehr. Bis ihre Särge nicht mehr zu sehen sind. Ich weine. Mom. Dad. Ich brauche euch so sehr."

Jetzt weine ich wirklich.

Sandrine drückt meine Hand. Sie beißt sich auf die Lippe.

Piep. "Es tut mir wirklich, wirklich..."

Laute Salven. Einschläge in Wände, metallische Geräusche, als die Geschosse abprallen oder was auch immer.

Sanders Stimme wird schrill. "Verletzung. Wann wurdest du körperlich oder seelisch verletzt?"

"Ich drehe mich um. Im Hovercar. Mutter hinter mir. Mein Vater blutend. Etwas knackt. Ich sacke schlaff in mich zusammen. Ich bin gelähmt. Für immer."

Piep. Ein Schniefen. Noch eins. Sandrine und Sander. Meine Güte, nehmt euch doch einmal zusammen.

Sandrine nimmt mich in den Arm.

"Bei den Sieben. So ein F..." Sander Marrado unterbricht sich, sichtlich mitgenommen. "Gewinn. Was war dein größter Gewinn?"

Ich antworte ohne zu überlegen, während Sandrine zur Tür läuft. "Ich kann wieder einen Körper bekommen. Alles daran ist schlimm. Aber nicht für mich. Wenn es klappt, bin ich wieder heil. Ich will es."

Piep. "Gut so. Stolz. Wann warst du stolz?"

"Als ich meine Medaille bekam, als Siegerin des Wettbewerbs."

"Das reicht nicht. Gab es da noch mehr?"

Isak stürmt rein, der Widerständler. Er verschanzt sich neben Sandrine an der Tür.

Sander rutscht auf den Boden und spricht jetzt zu mir herauf. Ich sehe ihn nicht mehr.

"Ich gab eine Ehrung in der Schule. Ich führte meine Kür noch einmal vor, damit alle es nicht nur am Holoschirm sehen konnten. Ich erhielt stürmischen Beifall aus allen Klassen. Mein Herz klopfte vor Freude."

Piep. "Das ist gut. Apathie. Hmm. Wann wolltest du nichts mehr von der Welt wissen?"

"Als ich allein war. Gelähmt, meine Eltern tot. Meine Tante verreist. Mein Onkel lehnte es ab, mich allein aufzunehmen. Man schickte mich ins Waisenheim. Ich saß nur noch da, weiß nicht, wie viele Tage und..."

Piep. "OK. Entspannung. Wann warst du das letzte Mal relaxt?"

"Hmm. Ich weiß nicht."

"Konzentrier dich."

Gewehrfeuer. Ziemlich nah. Ich zucke zusammen, als Isak das Feuer erwidert.

"Ich... Ich weiß nicht. Doch. Als ich hierher gebracht wurde. Ich wusste, dass mir auf der Fahrt nichts passieren kann. Ein Pol zwischen zwei heftigen Erlebnissen. Und irgendwie fühle ich mich besser, wenn Sandrine bei mir ist."

Piep. "Danke. Ekel."

"Diese schmierigen Schützer, die sich an meinen geheimen Gedanken weideten. Onkel Hakons Blicke, als er ins Bad kam. Meine Tante war unten im Haus. Er hat sich vor die Wanne gestellt und tut, als müsse er mich verschiedene Dinge fragen. Seine Blicke sind überall. Dann beginnen seine Hände, meine Knie zu betatschen. Seine Zunge fährt über seine Lippen, während seine Hand ins Wasser taucht."

Ich schüttele mich. Habe ich das wirklich eben jemandem anvertraut? Das war schlimmer, als mein intimes Erlebnis mit Samuel zu beichten.

Sandrine schlägt mit der Faust gegen die Wand. Eine Blutspur bleibt auf dem Putz zurück.

Piep. "Das reicht für mindestens fünf Leben." Marrados Blick ist mitfühlend. "Weiter", drängt er. "Hass."

"Ich hasse die Regierung. Sie tut nichts, obwohl es das Verschulden ihrer Behörde war, deren Car in uns reinkrachte. Es war ein Fahrzeug der Regierung, das meine Eltern tötete. Dieses verlogene Regime, das Leute verschleppt und tötet. Es wird auch mich töten, mit diesem Scheiß-Experiment."

Piep. Marrado duckt sich, als hätte ich ihn geschlagen.

Gewehrfeuer. Eine Kugel schlägt in die Wand knapp hinter mir ein.

"Letzte Frage: Fürsorge. Wann hast du dich um jemanden gekümmert?"

"Das Mädchen, das mit mir und Magnus in der letzten Auswahl war. Emma. Ich wollte nicht, dass sie stirbt. Sie ist gesund. Sie hatte einfach nur Angst. Ich habe mich für diese Experimente hier gemeldet, ehe die Antwort feststand, wer von uns beiden hierher muss. Ich wäre sowieso genommen worden. Dennoch hat sie mir gedankt. Ich habe einmal etwas richtig gemacht."

Piep. Piep. Piep.

"Geschafft. Die Nanobots haben alles, was sie brauchen. Bleib ganz ruhig, es kann jetzt etwas seltsam werden."

Es klickt. In meinem Kopf. Oder ist es ein Schalter, den Sander umlegt?

Ich sehe die Decke über mir. Schachbrettartig. Sie besteht aus Schaumstoffplatten. Sie bewegen sich untereinander, wie bei einem Schieberätsel. Dann wölbt die Decke sich nach oben und saugt mich ein, wie ein schwarzes Loch.

Schwärze.

Meine Eltern. Sie turnen durch die Schule. Mein Vater setzt sich auf ein Bett, während der Medaillenverleihung. Er wird zu Marrado. Der schiebt seine Hand in meine Hose, während er mich am Ende eines Tangos küsst. Blut tropft aus dem Hals meines Vaters, doch ich melde mich freiwillig, um an seiner Stelle zu verbluten. Meine Mutter steht vom Rücksitz auf. Sie ist nach dem Unfall unverletzt. Dann geht sie fort, ohne auf meine flehenden Rufe zu achten.

Ein Hovercar fährt durch meinen Kopf und lacht mich aus, als es sieht, wie sich ein Wal an mir reibt.

Sandrine tröstet mich, während ich in der Wanne liege und von Onkel Hakon begafft werde. Ein Hovercar kracht in ihn rein. Er fällt in die Wanne. Plötzlich liegt er in einem Grab. Ich schütte Erde über ihn, bis er nicht mehr zu sehen ist.

Jemand von der Regierung im grauen Anzug schnappt sich meine Fahrlizenz, wie um sie mir zu überreichen. Entspannt sitze ich im Hovercar und nehme sie entgegen. Doch er rammt sie mir in den Hals und lacht. Dann schlägt ihn jemand nieder. Sandrine.

Ich steige in einen Hoverjet und fliege. Unmögliche Manöver. Ich bin ein As. Keiner schlägt mich. Dann verschätze ich mich. Nicht, weil ich daneben liege, sondern weil die Turbinen nur noch mit 70% Leistung arbeiten. Ich stürze dem Boden entgegen. Schwärze.

Ich bäume mich auf. Zucke. Ich kämpfe gegen die Dunkelheit an. Will die Augenlider öffnen. Kugeln schlagen um mich herum ein. Ich höre das Pfeifen. Rolle mich zur Seite. Etwas ragt aus meinem Hals. Wird herausgerissen, als ich plötzlich falle. Mein Becken schmerzt an der Seite von einem Aufprall. Mein Arm. Ich habe mir etwas aufgerissen.

Endlich bekomme ich die Augen auf. Eine Kanüle ragt aus meiner aufgerissenen Haut am Unterarm. Ich ziehe sie einfach heraus. Mit den Pflastern, die sie gehalten haben.

Am anderen Arm sitzt eine weitere Kanüle. Ich ziehe sie mit einem Ruck heraus.

Dann spüre ich zwei Metallstäbe am Schädel. Reiße sie heraus.

Neben mir sitzt Marrado mit einer Flasche Spray.

"Stillhalten", flüstert er. Sprüht dahin, wo die Stäbe saßen.

"Synthohautspray", raunt er. Ich verstehe nicht.

Etwas tropft aus meinem Gesicht. Blut. Viel Blut.

Marrado reicht mir ein Taschentuch. Ich presse es auf meine Nase.

"Du hättest warten sollen, bis ich dir die Schläuche entferne."

Kugeln schlagen in der Nähe ein. Das Pfeifen von Querschlägern. Wir ziehen die Köpfe ein.

"Vielleicht auch nicht", verbessert er sich.

Ich reiße mir den Kranz von Elektroden ab, die noch an meinem Kopf kleben.

Ich spüre die Schmerzen des Aufpralls und meiner Wunden. Es ist herrlich. Ich kann so viel fühlen. Endlich.

Spontan übergebe ich mich. Klare Flüssigkeit. Anscheinend hat mein Körper bisher nur Nährlösung bekommen. Wie banal diese Erkenntnis doch ist.

Bürgerschützer dringen in den Raum ein.

Einer wirft etwas, das aussieht, wie eine Granate.

Ein Blitz. Ein extrem lauter Knall.

Meine Ohren klingeln. Ich bin blind.

Jemand hebt meinen Körper auf. Ich werde getragen. Ich kann es spüren. Erschütterungen von Schritten. Ein Arm unter meinen Kniekehlen, ein anderer unter Hals und oberem Rücken. Es tut so gut, etwas zu spüren.

Langsam sehe ich etwas. Meine Ohren klingeln weniger. Ich höre Stimmen.

Ich werde abgesetzt. Isak kniet neben mir. Sandrine hält mich im Arm. Wir befinden uns in einem Korridor, der ebenso hell und steril scheint, wie die Flure im Ministerium.

"Wo ist Marrado?" , frage ich verwirrt.

"Ihr müsst den Gang lang und dann die Treppe hoch. Oben wartet ein Hoverjet."

"Und du?"

"Ich komme nach."

Er hat eine Waffe bei sich. Eine automatische, vom Bürgerschutz.

Ich nicke. Dann laufe ich los, gestützt von Sandrine. Meine Bewegungen sind ungelenk. Ich verfluche mich. War ich nicht einst eine Bodenturnerin? Wie es scheint, habe ich alles verlernt.

Hinter uns schlagen Kugeln ein. Sandrine stößt mich zu Boden und fällt auf mich. Ich sehe zurück.

Isak wird getroffen. In die Brust. Doch er steht noch einmal auf.

"Lauft, Skeyra." Er röchelt. "Sandrine. Ich liebe dich."

"Ich weiß", ruft sie zurück. Tränen. Ich glaube, sie hat ihn auch geliebt. Zumindest so, wie eine Schwester ihren Bruder. Es schwingt in ihrer Stimme mit.

Ich laufe.

Ich öffne die Tür am Ende des Ganges. Ich bin erleichtert, dass sie unverschlossen ist.

Endlich schlüpfe ich hindurch, als mich etwas in den Bauch beißt.

Ich sehe hinab. Blut. Ich bin getroffen.

Ich wanke zur Treppe. Sandrine stützt mich. Entsetzen spiegelt sich in ihrem Gesicht.

Ich breche zusammen.

#

Notstart

Ich bin wieder da. Öffne die Augen.. Jemand gibt mir eine Spritze.

"Adrenalin. Halte durch." Es ist Sander Marrado.

Ich sitze im Pilotensitz.

Im Pilotensitz?

Was zur Hölle soll ich hier?

Sandrine, die neben mir Platz nimmt, sieht mir eindringlich in die Augen.

"Du warst Pilotin. Deine Wirtin war es, bevor sie geklont wurde", erklärt sie. "Du musst dich nur erinnern. Ich weiß, dass du es kannst. Du schaffst das."

Panisch sehe ich mich um. Tausend unbekannte Knöpfe. Ich höre meine sich überschlagende Stimme: "Welchen soll ich drücken, was soll ich nur tun?"

Ich beginne, zu hyperventilieren. Ich atme zu schnell.

"Ganz ruhig, rät mir Sandrine. "Erinnere dich. Tu, was dein Instinkt dir sagt."

Ich beruhige mich. Ziehe eine Kotztüte aus der Mittelkonsole. Atme hinein, bis ich wieder normal Luft bekomme.

Ich greife nach oben, über meinen Kopf. Drücke einen Schalter. Eine Turbine jault dunkel auf und schraubt sich immer weiter die Tonskala hinauf. Zwei Propeller, horizontal angeordnet, vor der Kanzel links und rechts, laufen an. Vermutlich ebenso im Heck.

Der Antrieb erfolgt mit Kerosin, nicht mit Elektrizität. Außer für Kampfjets der Regierung ist es nicht erlaubt, andere Antriebe als elektrische zu verwenden.

Woher weiß ich das?

Ich schnappe mir den graugrünen Helm, der unter meinen Knien vor dem Sitz liegt und setze ihn auf.

Als würde ich das jeden Tag machen, ziehe ich einen Knüppel aus der Armatur.

Probeweise bewege ich ihn nach vorn. Die Rotoren in meinem Sichtbereich schwenken so, dass sie nach hinten abstrahlen.

Ich ziehe den Knüppel heran. Die Rotoren schwenken mit der Unterseite nach vorn.

Ich prüfe die Bewegungen nach Links und Rechts. Ohne nachzudenken nicke ich zufrieden.

Meine Füße finden die Pedale für die Drehung um die Hochachse. Ich weiß, dass sie über die Drehzahlen der gegenläufigen Rotoren gesteuert wird. Zwei der Rotoren, jeweils diagonal, drehen in die gleiche Richtung.

Meine Linke schließt sich um den Hebel für die Höhe. Er wirkt auf die Drehzahl aller Rotoren.

Die Tür zum Dach des Forschungskomplexes der Universität fliegt auf. Schützer strömen heraus, wie die klare Flüssigkeit aus meinem Mund, als ich in meinem neuen Körper erwacht bin.

Eine tragbare Rakete wird in Stellung gebracht.

Lautsprecher sagen, wir sollen aufgeben und herauskommen.

Auch wenn mein Körper die Steuerung zu kennen scheint, bin ich mir darüber im Klaren, dass ich so ein Ding niemals wirklich fliegen könnte. Ich wende mich Sandrine zu, um es ihr zu sagen.

Dieses tollkühne Weib zeigt gerade mit dem ausgestreckten Mittelfinger, was sie von der Aufforderung unserer Verfolger hält. Toller Plan.

Jemand schreit etwas.

Die Rakete wird gezündet.

Auch in meinem Kopf zündet etwas: Mein Selbsterhaltungstrieb.

Ich drücke einen Schalter: Notstart.

Der Hoverjet hebt ab. Im selben Moment ist die Rakete unterwegs. Ich weiß, es ist eine Boden-Luft-Rakete. Sie besitzt einen thermischen Suchkopf. Es gibt nur eine einzige Möglichkeit, das Ding loszuwerden.

Ich reiße den Steuerknüppel bis zum Anschlag nach links, lasse den Hebel für die Höhe los, reiße die Hand über den Kopf und drücke den Hebel neben dem Notstart: Not-Aus.

Die Triebwerke verstummen.

Ein Krachen. Das Glas der Kanzel wird von Rissen durchzogen, als wir kopfüber auf die Dachkante knallen.

Die Rakete ist unter uns durch und ist in die Hauswand eines höheren Gebäudes eingeschlagen. Von der Fassade rieseln immer noch Splitter. Fasziniert verfolge ich den Vorgang.

Hinter mir seufzt Marrado erleichtert.

Dann ertönt ein quietschen und der Jet rutscht ab. Die Maschine stürzt sich überschlagend von der Dachkante des Hochhauses in die Tiefe.

"Was tust du?" schreit Sander. "Wir stürzen ab!"

Als ob ich das nicht wüsste.

"Uns retten", rufe ich. Es tut gut, wieder einen Körper zu haben, der genau das macht, was ich will.

Not-Ein.

Aufjaulen. Wir werden durchgeschüttelt. Die Rotoren laufen an. Die Automatik stabilisiert den Jet, sodass wir wieder aufrecht sitzen, statt herumgeschleudert zu werden.

Rasend schnell kommt uns der Boden entgegen. Nur scheinbar, schießt es mir durch den Kopf. Wir sind es, die dem Boden entgegenstürzen.

Sobald die Leistung der Turbine auf 50% angestiegen ist, Ich reiße den Hebel für die Höhe bis zum Anschlag hoch.

Krachend setzt der Hoverjet am Boden auf, ehe er sich sofort wieder erhebt, als würde ich einen Gummiball steuern.

Die Rotoren sind in Ordnung. Die Passagiere hoffentlich auch.

Dann sind wir wieder in der Luft. Ich fliege den Jet zwischen den Häuserschluchten hindurch, bis wir außer Reichweite des Unikomplexes sind. Der Raketenwerfer soll keine zweite Chance bekommen.

"Wohin?", will ich wissen.

"Nach Westen. Richtung Stava", höre ich Sandrines Stimme im Helm. Sie hat ihren auch aufgesetzt. Sie ist gut ausgebildet. Eine Agentin des Widerstandes.

Ich bestätige. "Wo ist Isak?", will ich wissen.

"Er hat es nicht geschafft. Er hat dafür gesorgt, dass wir entkommen konnten."

"Das tut mir leid", melde ich mich zerknirscht über den Bordfunk.

"Wir waren uns des Risikos bewusst. Du bist es, die wir da reingeritten haben." Sandrine legt mir eine Hand auf die Schulter. Ich zucke kurz zusammen und der Hoverjet macht einen Hüpfer.

Ich schüttele den Kopf. "Nein. Ich hätte ablehnen können."

"Und in einem gelähmten Körper weiterleben, mit nichts als dem Kopf, der noch funktioniert", ergänzt Sandrine.

Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

Dann: "Ich hätte aufgeben können. Ich bin jetzt eine von euch. Ich werde den Widerstand unterstützen."

Die Hände von Sander Marrado, der mich in diesen Körper brachte, Nimor Thorsmid, der ihn züchtete und vorbereitete, und Sandrine legen sich auf meine rechte Schulter.

Sie brauchen keine Worte. Ich auch nicht.

Im Tiefflug steuere ich den Hoverjet mit Höchstgeschwindigkeit in Richtung Westen.

#

Sirani

Alle wichtigen Daten werden in das Visier des Helms eingeblendet. Taktik, Navigation, Waffensysteme. Letzteres: Fehlanzeige. Der Hoverjet wurde für zivile Zwecke gebaut.

"Ihr wolltet, dass ich die Kiste fliege. Toller Plan. Was wäre passiert, wenn ich mich nicht erinnert hätte?"

Sandrine schaut zu mir. Ich bemerke es, obwohl ich mich voll auf die Umgebung konzentriere.

"Isak hätte den Jet fliegen sollen. Er hat eine Pilotenausbildung. Ich bin davon ausgegangen, dass er dir in Ruhe das Wichtigste zeigt — nach unserer Flucht."

"Und wo geht es hin?"

Sandrine legt mir sanft eine Hand auf den Oberarm, um mich nicht beim Steuern zu beeinträchtigen.

"Du kannst jetzt einen Bogen fliegen. Wir werden nach Süden abbiegen. In Richtung Hetmark."

"Scheiße!" Ich schlage mit der Faust gegen die Mittelkonsole.

"Fünf Objekte sind auf meinem Radar aufgetaucht. Sie kommen uns entgegen, aus Richtung West. 340°, 11 Uhr. Abfangkurs. Geschätzte Ankunft in 30 Sekunden."

"Das wars dann wohl", sagt Nimor Thorsmid.

"Nein", entgegne ich. "Ich war die Beste. Ein Topgun. Zumindest die DNS-Spenderin dieses Körpers."

Ich lasse den Jet durchsacken, bis die Warnanzeige für die Höhe rot aufleuchtet. Vor mir habe ich ein zerklüftetes Gebiet ausgemacht: lange gewundene Schluchten; tückisch und voller Vegetation.

Über uns rauschen drei vollbewaffnete Hammerhaie vorbei: Kampfjets der Regierung.

Sie werden von zwei Torps unterstützt. Eigentlich heißen sie Torpedo-Jets: Hybridfahrzeuge, die sowohl in der Luft als auch auf und unter Wasser operieren können. Sie sind weniger wendig, besitzen aber eine enorme Reichweite.

Ihre Raketenwerfer sind nicht zu unterschätzen. Sie sind mit bis zu 20 Raketentorpedos bestückt, für verschiedene Einsatzarten. Diese Fernwaffen sind unter Wasser als auch in der Luft einsetzbar.

Eine Rakete ist bereits im Anflug. Mein Display meldet einen Wärmesuchkopf.

Ich löse die Sonneneruption aus. Zehn kleine Täuschkörper werden nach allen Seiten ausgestoßen, um mit großer Hitze zu detonieren. Dies soll die Sprengköpfe von uns ablenken. Ich regele die Turbinenleistung kurzzeitig nach unten, um weniger Hitze abzustrahlen. Ein Ausschalten hat keine Wirkung mehr, dazu sind die Turbinen bereits zu lange in Betrieb.

Etwas explodiert über uns. Turbulenzen schütteln den Jet durch.

Eruption erfolgreich wird überflüssiger Weise in mein Display eingeblendet.

Die anderen atmen auf. Ich weiß, das der schlimme Teil erst beginnt. Zwei Torps und drei Jäger. Jeder normale Pilot würde jetzt kapitulieren oder sterben.

Doch ich nicht. Ich bin... Sirani. Topgun der Luftstreitkräfte.

Ich lasse mich voll auf Sirani ein. Sie leitet mein Handeln jetzt vollständig.

Zwei der Hammerhaie haben sich hinter mich gesetzt. Sie sind zu wendig und zu schnell für mich.

Ich gehe noch tiefer. Volle Beschleunigung. Vor uns taucht das Ufer eines Sees auf.

Genau am Ufer stelle ich die Rotoren senkrecht, indem ich den Steuerknüppel in Mittelstellung bringe. Dann beschleunige ich wieder nach vorn, 45° Anstellung der Rotoren. Ich steige auf.

Schlamm spritzt in einer hohen Fontäne, während der Jet weiterdriftet. Er verschmutzt die Scheiben der Verfolger, die dicht unter uns vorbeizischen.

Ich habe bereits wieder den Sinkflug eingeleitet.

Ein ohrenbetäubendes Kreischen durchdringt die Kabine, als ich einen der Hammerhaie von oben ins Wasser drücke.

Sofort schieße ich wieder in die Höhe. Maximale Rotordrehzahl.

Unter uns zerlegt es einen der Hammerhaie im Wasser. Der Pilot hat keine Chance. Der dritte fliegt auf uns zu.

Ich halte den Jet im Schwebeflug. Beide Torps feuern Raketen ab. Luft-Luft-Raketen. Sie haben sich mit optischen Zielvorrichtungen, die über Computer abgeglichen werden, eingeloggt.

Der eine Hammerhai hat immer noch keine Sicht. Der Pilot geht auf Distanz. Er wird landen müssen, wenn er es schafft, nach Instrumenten heil runterzukommen.

Der dritte Hammerhai kommt frontal auf uns zu und feuert aus allen Rohren. Ich sacke durch. Das geht schneller, als nach oben zu beschleunigen. Projektile zerfetzen irgendwas. Ich bete, dass keine der Hydraulikleitungen getroffen sind.

Eine Anzeige bestätigt mir, dass beten in solchen Situationen wenig hilfreich ist. Ich verliere die Dämpfung des Steuerknüppels. Das Manövrieren wird zum Kraftakt.

Der Hammerhai fliegt mitten in die Raketen, als er versucht, mir zu folgen. Vier Sprengköpfe detonieren.

Der Jet schüttelt sich, als wollte er uns loswerden. Ich beschleunige maximal nach vorne, um unter der Explosion wegzukommen.

Wie durch ein Wunder bleiben sowohl die Kabine als auch alle vier Rotoren intakt.

Ein Torp verfolgt uns, da momentan kein Hammerhai mehr in der Luft ist — keiner, der die Verfolgung aufnehmen kann.

Der andere Torp versucht, sich weiter oben für einen erneuten Raketentorpedobeschuss in Stellung zu bringen.

Ich fliege in eine weitere Schlucht. Der hoch fliegende Hammerhai verliert uns. Der andere ist mir so dicht auf den Hacken, dass unser Abgasstrahl seine Nase aufleuchten lässt.

Ich mache eine Vollbremsung, ehe er seine Bordkanone einsetzen kann.

Der Torp rast in unser Heck.

Der Jet wird von dem schwereren Torp stark durchgeschüttelt und überschlägt sich.

Ich stabilisiere ihn in einem Außenlooping. Dabei sehe ich, wie es dem Torp geht: Teile meines Heckleitwerks haben die Kanzel in Stücke gerissen. Der Torp trudelt und zerschellt schließlich an einem Felsen.

Ein Feuerball kündet vom Ende unseres Verfolgers.

Mein Außenlooping bringt mich in Sichtweite des zweiten Torps. Ich muss ihn zu mir locken, ehe der Hammerhai wieder in der Luft ist. Hoffentlich ist der Pilot dumm oder überheblich genug.

"Komm schon", murmele ich.

"Komm schon!", schreie ich, dass die anderen zusammenzucken.

Endlich setzt sich der Torp in Bewegung. Zwei Raketen rasen auf uns zu. Kein Problem. Ich sinke hinter den Bergkamm. Die Raketen verlieren ihr Ziel. Sie fliegen über uns hinweg.

Sie Scannen das Gebiet und finden mich. In weitem Bogen wenden sie und nehmen erneut Kurs auf uns.

Ich warte, bis sie fast heran sind. Ich habe ausgerechnet, wie schnell ein Torp bei Vmax, also maximaler Beschleunigung, hier sein kann. Ich habe die Daten sämtlicher Luftfahrzeuge im Kopf. Ich habe alles geflogen, von der Cobra bis zum Jet der Reichsverwalterin.

Die Entfernung zum Torp war kurzzeitig in meinem Visier aufgeblitzt, als wir Sichtkontakt hatten.

Ich bin darauf trainiert, Informationen in Sekundenbruchteilen zu erfassen und auszuwerten.

Drei Sekunden. Ich gebe Vollschub und steige auf.

Zwei Sekunden. 90% Turbinenleistung. Mist. Das wird knapp.

Eine Sekunde. Ich steige über die Hügelkuppe. Die Raketen haben uns fast erreicht.

Das Kreischen von Stahl kündet von T-Minus-Null. Der Torp streift das Heck des Jets an der Unterseite - oder das, was noch davon übrig ist. Meine Maschine trudelt. Ein Rotor ist beschädigt.

Einen Teil der Doppelturbine hat es erwischt. Wir ziehen einen öligen schwarzen Schleier hinter uns her. Das Kerosin vermischt sich zum größten Teil unverbrannt mit dem Abrieb der Turbinenschaufeln.

Ich verlange der Maschine das Letzte ab, indem ich Vollschub gebe. Ich sinke hinter den Hügelkamm. Auf die Seite, die dort liegt, wo der Torp herkam. Das bringt uns vor den Auswirkungen der Explosion in Deckung, die erfolgt, als der Torp von seinen eigenen Raketen in Stücke gerissen wird.

Der Hammerhai ist wieder in der Luft. Der Pilot scheint die Scheibe der Kanzel notdürftig gereinigt zu haben. Viel zu schnell für meinen Geschmack.

Er muss uns nicht lange suchen. Allein mit dem Auge ist die schwarze Spur unübersehbar, die ich hinter mir herziehe.

Ich fliege über den Hügelkamm zurück. Das Tal dahinter ist eng. Ich beschleunige.

Hier gibt es wenig Platz zum Manövrieren. Die Schlucht verjüngt sich immer weiter.

Der Hammerhai bringt sich hinter uns in Position.

Immer wieder muss er den Zielanflug abbrechen, da er nicht in meinen öligen Schweif geraten will, der von den letzten Zuckungen des Jets kündet.

Eine Anzeige leuchtet rot auf. Immerhin gibt es eine Warnung für feindliche Zielerfassung.

Zwei Sekunden höchstens, dann schießt der Hammerhai uns mit seinen Bordkanonen in Fetzen.

Diesen Gefallen tue ich ihm nicht.

Ich löse den Bremsfallschirm für Triebwerksausfälle aus und lasse meinen Vogel durchsacken.

Richtig kalkuliert: Der Hammerhai kreuzt die Ölspur und zieht nach oben, um aus der engen Schlucht zu entkommen. Er fliegt geradewegs in meinen mittels Treibladung herausschießenden rotweißen Bremsfallschirm hinein. Der Schirm bedeckt die Glaskanzel und nimmt dem Piloten vollständig die Sicht.

Ein Ruck geht durch unseren Jet, als sich die Leinen des Bremsfallschirms straffen. Sie bestehen aus nahezu unzerreißbaren Kunstfasern, die mehr Belastung vertragen, als der beste Stahl. Auch hohe Temperaturen machen ihnen nicht zu schaffen.

Der Hammerhai schleppt uns mit. Dafür ist er nicht ausgelegt. Zumindest nicht, um aus der Schlucht zu entkommen.

Er zerschellt an der oberen Kante der Klippe.

Sofort löse ich die Verbindung zum Bremsfallschirm.

Gefährlich nahe schrammen wir an dem Rand des Canyons vorbei. Ich ziehe hoch. Dann sind wir über die Kante hinweg.

Unter uns stürzen die Überreste unseres letzten Gegners in die Tiefe.

Das Display meines Helms ist eine einzige Ansammlung roter Blinklichter. Die lästigen Warntöne stelle ich mit einem gezielten Griff zum Lautsprecherkabel unter der Abdeckung der Mittelkonsole ab, indem ich es herausreiße.

Die Turbinenleistung sinkt um 5% pro Sekunde, das Heckleitwerk ist weg, die Kabine leck, das Fahrwerk hinüber und die Betriebstemperatur liegt bei 150%.

Alles in allem: Wir müssen so schnell wie möglich runter und aussteigen.

Das Problem: Einen Schleudersitz gibt es nur für den Piloten.

Ich schalte das Triebwerk ab.

"Was zur Hölle tust du?", schreit Sander mich an.

"Anschnallen!", schreie ich zurück. "Falls jemand das vergessen hat, wäre jetzt ein guter Zeitpunkt."

Ich beginne etwas, das vor mir noch nie jemand versucht hat: Die Landung eines Hoverjets per Autorotation.

Nach den technischen Vorgaben ist so etwas mit einem Hoverjet unmöglich. Lediglich alte Helikopter haben so etwas gekonnt. Durch den Freilauf werden die Rotoren angeströmt und laufen weiter.

Erst kurz vor Schluss wird der Anstellwinkel der Rotoren erhöht und die Bewegungsenergie in maximalen Auftrieb umgesetzt, um das Fluggerät zur Landung abzufangen. Auf dem Weg nach unten sammeln die Rotoren auf diese Weise eine Menge Bewegungsenergie ein, da der Fahrtwind durch die Rotorblätter streicht.

Tatsächlich lassen sich bei diesem uralten Ziviljet die Anstellwinkel der Rotoren manuell verändern. Eigentlich diente das der Feinjustierung für die Triebwerksleistung.

Aber ich - damit ist Sirani gemeint - habe schon immer gern das getan, was andere für unmöglich hielten. Und sei es nur, um zu beweisen, dass es doch möglich ist.

Quod erat demonstrandum, wie mein Physiklehrer in einer der alten Sprachen zu sagen pflegte: was zu beweisen war.

Ich lasse den Höhenhebel sausen, da er nur bei laufender Turbine eine Funktion hat. Den Steuerknüppel halte ich mit Links statt mit Rechts, denn mit Rechts fummle ich an den vier Drehreglern für den Anstellwinkel der einzelnen Rotoren, die unpraktischer Weise ganz rechts an der Mittelkonsole angebracht sind, in Reichweite des Kopiloten.

Es ist, als würde ich den Lippenstift aus dem Handschuhfach eines Hovercars fischen, um mich schön zu machen, während ich versuche, eine Rallye über den Norsk-Gletscher zu gewinnen; den zerklüftetsten und damit gefährlichsten Gletscher Norgenons. Ein unachtsamer Moment und man stürzt in den Fjord oder eine Felsspalte — wieder eine Erinnerung Siranis. Sie hat regelmäßig an den Rallyes teilgenommen. Sie hat jedes Mal gewonnen.

Gleichzeitig achte ich auf den künstlichen Horizont, der mir sagt, in welche Richtung ich die Anstellwinkel korrigieren muss.

Diese Drehregler sind nicht zum Steuern gedacht.

Hektisch tariere ich den stummen Jet immer wieder aus. Beinahe stürzen wir ab, als mir der Hoverjet durchsackt.

Schnell neige ich die Nase nach unten und nehme wieder Fahrt auf.

Ich lande den Vogel tatsächlich — wenn man von einer Landung sprechen kann, indem man ein Flugzeug vollständig während des Kontaktes mit dem Boden in seine Einzelteile zerlegt; über fünfhundert Meter verteilt.

Die Kabinenhaube ist weg, ich habe sie kurz vor dem Bodenkontakt abgesprengt. Zuvor habe ich den Steuerknüppel kurzfristig losgelassen, um den Zündkontakt für den Schleudersitz auseinanderzureißen. Sonst hätte ich einen tödlichen Freiflug spendiert bekommen.

Alte Pilotenregel: Niemals den Schleudersitz am Boden auslösen. Sirani wäre dabei einmal fast draufgegangen. Sie hat es wegen einer verlorenen Wette getan.

Sie wurde nur deshalb nicht entlassen, weil sie schlicht die beste Pilotin war.

Die Rotoren haben sich kurz nach dem Bodenkontakt verabschiedet. Die Stummelflügel sind abgerissen. Nur der Unterboden mit den Sitzen darauf und das Gerippe der Kanzel sind noch in einem Stück.

Die Turbine liegt irgendwo weiter hinten, wo ich das erste Mal aufgesetzt habe.

"Eine Landung, wie im Lehrbuch." Ich zucke mit den Schultern und lächle lakonisch.

Ich öffne den Sicherheitsgurt, stehe auf und ziehe eine Zigarre aus dem Bordfach.

Die anderen starren mich einfach nur an.

Als ich mir die Zigarre anzünden will, sehe ich auf meinen Bauch. Er ist völlig blutverschmiert. Das Adrenalin vom Luftkampf hält den Schmerz immer noch fern.

"Sirani, ich glaube, wir haben ein Problem."

Dann sacke ich vorn über.

#

Überlebt

"Eins ist klar", stellte Sander Marrado fest. "Wenn Isak geflogen wäre, hätte niemand von uns überlebt. Möge Borin seiner Seele gnädig sein."

"Hilf mir mal." Nimor Thorsmid sah zu Sander auf. "Sonst kannst du gleich ein zweites Gebet für Skeyra sprechen."

Sander kniete sich mit ernster Miene neben seinen Freund.

Angst: Selten hatte er dieses Gefühl erlebt; und wenn, dann für sich selbst. Sander stellte fest, dass das Mädchen ihn besonders berührte.

"Was kann ich tun?"

"Press deine Hand fest hier drauf." Nimor zeigte auf eine Stelle auf Skeyras Bauch.

Sander tat, wie geheißen. "Skeyra", flüsterte er. "Nicht sterben. Bitte. Wir alle lieben dich. Wir sind es deiner Mutter schuldig."

"Ganz genau." Sandrine kniete sich neben ihn und strich Skeyra eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

"Du wirst überleben. Und sei es nur, damit ich Sanders Finger brechen kann, falls er dir an die Wäsche will."

"Wo denkst du hin?" Sander fluchte innerlich. Hatte Sandrine etwas von der Wette mitbekommen?

"Ich meine nur, für den Fall. Ihr Ruf eilt ihnen voraus, Professor."

Er senkte den Blick. "Ich weiß. Zu recht. Ich könnte nur mit ihr zusammen sein, wenn sie es auch wollte. Ich meine, wenn sie sich wirklich verlieben würde. Ich würde keine andere mehr ansehen."

Sander blickte Sandrine fest in die Augen. "Sie bringt etwas in einem zum Klingen. Sie ist etwas Besonderes."

"Das ist sie", bestätigte Sandrine. "Deshalb wirst du deine Finger von ihr lassen."

Sie erhob sich und verließ das Lager. Die Frau wirkte getrieben, ruhelos. Sander konnte es ihr nicht verdenken.

Nimor zog die improvisierte Pinzette mit einem hässlichen schmatzenden Geräusch aus der Wunde. Etwas Metallisches glitzerte zwischen Blut und Geweberesten. Es klackte, als das Projektil aus Skeyras Bauch in ein ausrangiertes Marmeladenglas fiel.

"Jetzt kann ich die Wunde vernähen. Wenn wir Glück haben, verheilt alles wieder."

"Und wenn wir kein Glück haben?" erkundigte sich Sandrine, die es nicht lange abseits des Lagers ausgehalten hatte.

"Dann bekommt sie innere Blutungen, weil Blutgefäße beschädigt sind."

"Und was heißt das?" fragte Sander seinen Freund.

"Dass sie sterben könnte." Nimor sah nicht auf. Sander legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Du hast getan, was du konntest, mein Freund."

Sandrine wandte sich ab und machte wieder ihre Runde um das Lager. Seit der Landung war sie aufgekratzt und ließ niemanden an sich heran. Das Mädchen war ihr offensichtlich wichtiger, als sie zugeben wollte.

Sander strich sich über den Dreitagebart. An Skeyra war weitaus mehr, als man auf den ersten Blick vermuten würde.

Er hatte gemeint, was er sagte. Sie einfach nur zu verführen, erschien ihm mittlerweile falsch. Sie hatte ihn bereits verändert. Auf ihre einfache, manchmal sarkastische, direkte Art.

Sander hielt Sandrine an, als sie in seine Nähe kam. "Weißt du, wie weit es bis nach Stava ist?"

Sie zog die Schultern hoch und atmete geräuschvoll aus.

"Ich weiß es nicht", gestand sie. "Wenn ich richtig liege, brauchen wir ein bis zwei Tagesmärsche. Mit Skeyra auf einer Trage mindestens drei."

Sander sah zu Sandrine auf. "Für sie würde ich bis ans Ende der Welt gehen. Sie hat es verdient, endlich ein anständiges Leben zu führen."

Sandrine legte Sander eine Hand auf die Schulter. Sanft. "Du bist garnicht so übel, wie man dir nachsagt."

Sie sah ihm in die Augen. "Skeyra braucht Leute wie dich an ihrer Seite. Zu ihrem Schutz. Nicht als Liebhaber."

Sander lächelte. "Du willst mich also für dich, was?"

Sandrine boxte ihn vor die Brust. "Pass auf deine Zunge auf. Es könnte sein, dass sie dir eines Tages jemand gewaltsam entfernt."

"Ich kann nicht anders", grinste Sander. "Ich bin einer von den Jungs, denen Frauen einfach nicht widerstehen können."

Sandrine lachte verächtlich. "Sicher."

Mit einem Blick in Richtung Nimor, der gerade dabei war, Skeyra in eine Decke zu wickeln, wurde sie wieder ernst. "Ruh dich aus. Morgen wird es ziemlich hart."

"Das kannst du laut sagen", gab Sander zurück. "Und nicht erst morgen."

Sandrine verdrehte ihre hübschen jadegrünen Augen. "Geh schlafen."

#

Nach Stava

Ich werde durchgeschüttelt. Mein Kopf liegt auf der Seite. Ich habe das Gefühl, die Welt kippt. Irgendwie scheint mein Bett schräg zu stehen. Ich fühle mich, als wenn ein mittelschweres Erdbeben stattfindet. Dabei liegt das Letzte bereits Jahre zurück.

Nach einer Weile werde ich neugierig. Wie durch Sirup kämpfe ich mich in den Wachzustand.

Ich liege auf einer Trage. Schräg. Festgebunden mit Schnüren und Riemen. Ich werde hinter irgendetwas hergezogen, sodass die unteren Enden der Trage am Boden schleifen.

"Ah, die junge Ladri ist wach." Nimor Thorsmid kann seine Freude darüber nicht verbergen. Sarkasmus steht ihm einfach nicht.

"Ja, ist sie", entgegne ich mit rauer Kehle.

"Skey!" Sandrine stürzt zu mir. Das Schaukeln und Rumpeln hat aufgehört. Sie gibt mir etwas zu trinken.

Erst jetzt merke ich, wie durstig ich bin.

"Braves Mädchen", höre ich Sanders Stimme hinter mir. Häh — meint er mich?

Sandrine klärt mich über das auf, was geschehen ist: Mein Zusammenbruch, nachdem ich fünf Kampfjets ohne eigene Bordwaffen erledigt habe, die Notoperation durch Thorsmid mit mehr als dürftig improvisierten OP-Besteck und die große Katze - ein Gepard, der Sander folgt, wie ein fügsamer Hund. Die Großkatze zieht mich seit zwei Tagen durch die Gegend in Richtung Südwesten, wo Stava liegen müsste.

"Das wars im Großen und Ganzen", endet Sandrine.

Sander steht auf der anderen Seite meiner Trage und setzt ein kleines Leopardenbaby auf meine Brust.

"Hier, ich habe sie in meiner Tasche mitgenommen. Ich wollte sie dir eigentlich während des Fluges anvertrauen, aber du warst ziemlich beschäftigt."

Ich spüre die Verbindung. Sie hält immer noch. Das Kätzchen schmiegt seinen Kopf an meine Brust. Es scheint ebenso zu spüren, dass ich mit ihm verbunden bin, auch wenn ich jetzt in einem anderen Körper wohne.

"Du musst ihm einen Namen geben", fordert mich Sander auf. Er schüttelt sein langes rotblondes Haar und bindet es mit einem Gummi zu einem Pferdeschwanz.

"Jurina", sage ich. "Sie soll Jurina heißen."

"Willkommen Jurina." Sander streichelt der kleinen Leopardin über den Kopf.

Sandrine lächelt ihn an. "Eines Tages wirst du vielleicht einen guten Vater abgeben."

"Hast du was näheres im Sinn?", fragt er verschlagen. "Ich habe noch Termine frei. Wie wäre es mit heute Abend?"

Sandrine geht um meine Trage herum und boxt ihm vor das Brustbein, dass er aufkeucht.

"Sag deiner Katze, dass sie weiterlaufen soll."

Sander klopft sich vor die Brust und hustet. "Klar doch."

"Tut es sehr weh?" erkundigt sich Sandrine bei ihm.

Er nickt.

"Sehr gut." Sandrine zwinkert mir zu.

"Wenn wir nur ein Navigationsgerät hätten." Nimor fährt sich durch das kurze Haar. Seine Brille scheint die Strapazen gut überstanden zu haben.

Ich schaue an den Himmel. "Wie spät ist es?"

Er schaut auf seine Armbanduhr. Ein analoges Modell mit Zeigern. "Kurz nach vier am Nachmittag."

"Zwei Tage", sinniere ich. "Wie viel Stunden am Tag lauft ihr?"

"Sechs, denke ich", wirft Sander ein.

"Das denkst du doch immer", grinst Sandrine. "Aber du hast recht. Sechs Stunden kommt gut hin."

"Ihr habt etwa 10 Kilometer pro Stunde zurückgelegt, was 120 Kilometern entspricht. Beim Absturz befand sich die Maschine etwa siebzig Kilometer westlich von Tylaris. Ich bin in nördliche Richtung ausgebrochen, weil dort die Canyons mehr Deckung boten.

Durch eure irrige Annahme, wir müssten nach Südwesten habt ihr diese Abweichung korrigiert. Wir sollten etwa 90 Kilometer nach Westen gekommen sein. Wenn wir uns weiter westlich halten, also in Richtung der Sonne, sollten wir morgen Stava erreichen."

"Sehr gut", grinst Sander. Da spricht die Pilotin."

Ich schaue zu ihm auf. "Ja. Ohne Siranis Erinnerungen wären wir alle jetzt tot."

"Du kennst ihren Namen?"

Ich nicke. "Er war in ihren Erinnerungen. Sie hat mehr oder weniger übernommen, als die Regierungsjets auftauchten."

Sander und Nimor sehen sich an. "Es gibt noch einige Mysterien. Ich hoffe, wir erleben keine weiteren Überraschungen."

Nimor sieht nachdenklich zu mir herüber. Sein Blick gefällt mir garnicht.

Als wir weiterziehen, zieht Sander Marrado Nimor Thorsmid damit auf, dass er die Premiere der bionetischen Forschung verpasst hat.

Er hat dafür gesorgt, dass die Agenten aufgehalten wurden. Ohne ihn hätte ich nie überlebt. Die anderen wohl auch nicht.

Wen hätte das gewundert: Das lässt Sander nicht gelten. Es bringt Thorsmid auf die Palme. Ununterbrochen streiten die beiden. Das lenkt sie zumindest ein wenig von unserer Lage ab.

Sandrine schaut immer wieder nach mir. Da alle so besorgt um mich sind, erwähne ich lieber nicht, dass ich mich auch an Siranis liebstes Hobby erinnern kann: Den Schwertkampf.

Sie hat sich mit mittelalterlicher und moderner Fechttechnik beschäftigt. Abseits von Wettbewerben. Sie hat die Ferchtkunst der alten Paladine studiert, die von einer geheimen Gruppe, die sich regelmäßig traf, geübt und praktiziert wurde. Was soll ich jemals damit anfangen? Fechtwaffen sind heute, im Zeitalter der Schusswaffen genau so sinnvoll, wie ein Fahrrad während einer Verfolgungsjagd mit dem Bürgerschutz.

Wer weiß, was Sirani noch alles in meinem Geist hinterlässt. Ich hoffe, ich verblasse nicht eines Tages dahinter.

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Schelte

Reichsverwalterin Moranna Angstorm stand vor ihrem Sekretär Collen Rievers; ihrer rechten Hand.

"Wer hat die Abfangjäger losgeschickt?" grollte sie.

"Moranna", begann er besänftigend. "Die Jets fliegen einmal wöchentlich zwischen Stava und Tylaris Patrouille, um die Straßen zu beobachten. Und um Schmuggel zu unterbinden."

"Auf wessen Anordnung?", herrschte die Reichsverwalterin.

"Auf meine." Collen Rievers fuhr mit seinem Finger zwischen Hals und Hemdkragen. Er imitierte das Gefühl, nicht mehr genügend Luft zu bekommen.

Im Fenster, hinter dem es bereits dunkel war, überprüfte er den Sitz seiner kurzgeschorenen blonden Haare. Alles an ihm saß perfekt. Doch das würde Moranna Angstorm nicht besänftigen, wie er wusste.

"Dann weise deine Truppen an, nicht blindlings das Feuer auf Ziviljets zu eröffnen!", herrschte sie ihn an. "Fünf Jets werden doch wohl einen gewöhnlichen unbewaffneten Hoverjet zur Landung zwingen können."

Die Reichsverwalterin zog ihr graues Kostüm glatt. Collen wusste, dass sie das immer tat, um sich zu sammeln.

"Wie konnten sie dennoch entkommen?", fragte sie gefährlich leise und sah zu den Lichtern der Skyline hinter dem Fenster ihres Büros.

"Ich will mit den Piloten der Patrouille sprechen. Unverzüglich."

"Sie sind tot."

Erstaunt drehte sich Moranna Angstorm zu Collen um. "Eine einzige unbewaffnete Maschine schaltet eine Patrouille unserer Luftstreitkräfte aus? Einfach so?"

"Ich kann es mir auch nicht erklären", gab Collen mit ausgebreiteten Händen zu. "Es gibt unbestätigte Gerüchte, dass Thorsmid illegal einen Körper gezüchtet hat, dessen DNS von einer Militärpilotin stammt.

Collen Rievers, Leiter der Behörde für Bürgerschutz, sah auf sein Holokom. Eine Nachricht blitzte auf.

"Ich erhalte soeben die Bestätigung, Ladri Angstorm", presste er hervor. Er nannte sie diesmal nicht bei ihrem Vornamen. Nicht heute, obwohl sie sonst sehr vertraut miteinander umgingen.

"Er hat den Körper von Sirani Berlyn geklont."

Die Reichsverwalterin zog ihre Stirn kraus. "Die Frau, die meinen persönlichen Hoverjet zuschanden geflogen hat."

Seelenjagd

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