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Erstes bis drittes Bändchen
XII
Herr Porthos du Vallon de Bracieux de Pierrefonds

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Durch die Erkundigungen, welche d’Artagnan bei Aramis einzog, hatte er, bereits damit vertraut, daß sich Porthos nach seinem Familiennamen nannte, auch erfahren, daß er sich nach seinem Gutsnamen de Bracieux hieß und wegen dieses Gutes einen Proceß mit dem Bischof von Nohon führte.

Er mußte also dieses Gut in der Gegend von Noyon, das heißt an der Grenze der Picardie aufsuchen.

Sein Reiseplan war bald festgestellt. Er gedachte sich nach Damartin zu begeben, wo zwei Straßen zusammenlaufen, von denen die eine nach Soissons, die andere nach Compiègne führt. Dort wollte er sich nach dem Gute seines Freundes erkundigen und je nachdem die Antwort ausfiel, gerade aus reiten oder den Weg links einschlagen.

Planchet, welcher in Beziehung auf seinen letzten Streich noch nicht ganz ruhig war, erklärte, er würde d’Artagnan bis an das Ende der Welt folgen, möchte s dieser gerade aus reiten oder den Weg links einschlagen. Er bat nur seinen ehemaligen Herrn, Abends abzureisen, insofern die Finsterniß mehr Sicherheit böte. d’Artagnan schlug ihm nun vor, seine Frau hiervon in Kenntniß zu setzen, um sie wenigstens über sein Schicksal zu beruhigen. Planchet aber antwortete mit viel Klugheit, er wäre überzeugt, seine Frau würde nicht vor Unruhe sterben, wenn sie nicht wüßte, wo er sich aufhielte, während er, bekannt mit der Zungenfessellosigkeit, von der sie zuweilen befallen würde, vor Unruhe sterben müßte, wenn sie es wüßte.

Diese Gründe erschienen d’Artagnan so gut, daß er nicht ferner daraus bestand, gegen acht Uhr Abends in dem Augenblick, wo der Nebel sich in den Straßen zu verdicken anfing, das Gasthaus zur Rehziege verließ und gefolgt von Planchet sich durch die Porte Saint-Denis aus der Hauptstadt entfernte.

Um Mitternacht befanden sich die zwei Reisenden in Damartin.

Es war zu spät, um Erkundigungen einzuziehen. Der Wirth zum Schwan vom Kreuze lag bereits im Bett. d’Artagnan verschob also die Sache auf den anderer Tag.

Am andern Tage ließ er den Wirth kommen. Es war einer von den listigen Normannen, welche weder Ja noch Nein sagen und sich immer zu compromittiren glauben, wenn sie unmittelbar auf die Frage antworten, die man an sie richtet. D’Artagnan glaubte jedoch zu verstehen, er müsse gerade aus reiten, und begab sich auf eine ziemlich zweideutige Auskunft wieder auf den Weg. Um neun Uhr Morgens war er in Nanteuil. Hier hielt er an, um zu frühstücken. Diesmal war der Wirth ein guter, offenherziger Picarde, der, in Planchet einen Landsmann erkennend, keine Schwierigkeit machte, ihm die gewünschte Auskunft zu ertheilen. Das Gut Bracieux lag einige Meilen6 von Villers-Cotterets entfernt.

D’Artagnan kannte Villers-Cotterets, wohin er zwei oder drei mal dem Hof gefolgt war; denn zu jener Zeit war Villers-Cotterets eine königliche Residenz. Er ritt also nach dieser Stadt zu und stieg in seinem gewöhnlichen Gasthause, das heißt im goldenen Delphin, ab.

Hier fielen die Mittheilungen befriedigender aus. Er erfuhr, daß das Gut Bracieux vier Meilen von dieser Stadt lag, daß er aber Porthos dort nicht suchen dürfte. Porthos lag wirklich im Streite mit dem Bischof wegen des Gutes Pierrefonds, welches an das seinige grenzte, und um alle diese Gerichtshändel zu endigen, von denen er nichts verstand, hatte er Pierrefonds gekauft und hier nach diesen neuen Namen seinen alten beigefügt. Er nannte sich nun du Vallon de Bracieux de Pierrefonds und wohnte auf seinem neuen Eigenthum. In Ermangelung einer andern Illustration trachtete Porthos offenbar nach der des Marquis Carabas.

Man mußte abermals bis zum andern Morgen warten. Die Pferde hatten zehn Meilen in einem Tage zurückgelegt und waren müde. Allerdings hätte man andere nehmen können, aber man mußte durch einen großen Wald reiten und Planchet liebte bekanntlich die Wälder bei Nacht nicht.

Es gab noch etwas Anderes, was Planchet nicht liebte: er ritt nicht gerne mit leerem Magen aus. Als d’Artagnan erwachte, fand er auch sein Frühstück völlig bereit. Ueber eine solche Aufmerksamkeit durfte man sich nicht beklagen. D’Artagnan setzte sich zu Tische. Es versteht sich von selbst, daß Planchet, indem er seine alten Funktionen wieder aufnahm, auch seine alte Demuth wieder annahm und sich nicht mehr schämte, die Ueberreste von d’Artagnan zu speisen, als Frau von Motteville und Frau von Fargis sich schämten, wenn sie die von Anna von Oesterreich verzehrten.

Man konnte also erst gegen neun Uhr abreisen. Eine Täuschung war nicht möglich; man hatte der Straße zu folgen, welche von Villers-Cotterets nach Compiègne führt, und beim Austritt aus dem Walde den Weg rechts einzuschlagen.«

Es war ein schöner Frühlingsmorgen. Die Vögel sangen in den großen Bäumen, breite Sonnenstrahlen schossen durch die Lichtungen und erschienen wie Vorhänge von Goldgaze. An andern Stellen drang das Licht kaum durch das dicke Gewölbe der Blätter und die Füße der alten Eichen, an denen bei dem Anblicke der Reisenden behende Eichhörnchen rasch hinausjagten, waren in Schatten getaucht. Aus dieser ganzen Morgennatur kam ein herzerquickender Wohlgeruch von Kräutern, Blumen und Blättern hervor. Der, üblen Ausdünstungen in Paris müde, sagte sich d’Artagnan: wenn man drei auf einander gespießte Güternamen führe, müsse man in einem solchen Paradiese sehr glücklich sein. Dann schüttelte er den Kopf und sprach: »Wenn ich Porthos wäre und d’Artagnan käme zu mir und machte mir einen Vorschlag, wie ich ihn Porthos machen will, so wüßte ich wohl, was ich d’Artagnan antworten würde.«

Planchet dachte nichts er verdaute.

Am Saume des Waldes gewahrte d’Artagnan den Weg, den man ihm bezeichnet hatte, und am Ende des Weges die Thürme eines ungeheuren feudalen Schlosses.

»Oh, oh!« murmelte er, »es scheint mir, dieses Schloß gehörte dem älteren Zweige von Orleans. Sollte Porthos mit dem Herzog von Longueville unterhandelt haben?«

»Meiner Treue, gnädiger Herr,« sagte Planchet, »das sind gut gebaute Grundstücke, und wenn sie Herrn Porthos gehören, so werde ich ihm mein Compliment machen.«

»Pest!« rief d’Artagnan, »nenne ihn nicht Porthos, auch nicht einmal du Vallon, sondern de Bracieux oder de Pierrefonds. Meine Botschaft ist sonst verfehlt.«

Je mehr sich d’Artagnan dem Schlosse näherte, das Anfangs seine Blicke aus sich gezogen hatte, desto klarer war es ihm, daß sein Freund hier nicht wohnen konntet obgleich fest und dem Scheine nach wie gestern gebaut, waren die Thürme offen und gleichsam ausgeweidet; man hätte glauben sollen ein Riese habe sie mit Hackenstreichen geschlitzt.

Am Ende des Weges angelangt, beherrschte d’Artagnan mit dem Blicke ein reizendes Thal, in dessen Hintergrund man an einem niedlichen kleinen See einige zerstreute Häuser ruhen sah, welche, niedrig und theils mit Ziegeln, theils mit Stroh bedeckt, als souveränen Gebieter ein hübsches, in der Zeit von Heinrich IV. erbautes, von Wetterfahnen überragtes Schloß anzuerkennen schienen. Diesmal zweifelte d’Artagnan nicht, daß er die Wohnung von Porthos erschaute.

Der Weg führte geradezu nach dein hübschen Schlosse, welches im Vergleiche mit seinem Ahnherrn, dem Schlosse auf dem Berge, das war, als was ein Modeherrchen aus der Coterie des Herrn Herzogs von Enghien, im Vergleiche mit einem eisengeharnischten Ritter aus der Zelt von Karl VII. erschien. D’Artagnan setzte sein Pferd in Trab und folgte dem Wege; Planchet regelte den Schritt seines Kleppers nach dem seines Herrn.

Nach zehn Minuten fand sich d’Artagnan am Ende einer regelmäßig gepflanzten Allee von schönen Pappelbäumen, die nach einem eisernen Gitter ausmündete, dessen Spieße und Querbänder vergoldet waren.

Mitten in dieser Alter hielt sich ein Herr, welcher grün und golden anzuschauen war, wie das Gitter. Er saß auf einem dicken Rosse. Zu seiner Rechten und zu seiner Linken waren zwei auf allen Nähten galonirte Bedienten. Eine große Anzahl von Schluckern, die sich um ihn versammelt hatten, machten ehrfurchtsvolle Verbeugungen vor ihm.

»Ah,« sagte d’Artagnan zu sich selbst, »sollte dies der edle Herr du Vallon de Bracieux de Pierrefonds sein? Ei, mein Gott, wie er zusammengeschrumpft ist, seit er sich nicht mehr Porthos nennt.«

»Vielleicht ist er es nicht,« sprach Planchet, das beantwortend, was d’Artagnan zu sich selbst gesagt hatte. »Herr Porthos war beinahe sechs Fuß hoch, und dieser hat kaum fünf.«

»Man macht indessen sehr tiefe Verbeugungen vor diesem Herrn,« versetzte d’Artagnan.

Nach diesen Worten ritt d’Artagnan auf den bedeutenden Mann und seine Bedienten zu. Je näher er kam, desto mehr schien es ihm, als erkenne er die Züge der Hauptperson.

»Jesus Christus, gnädiger Herr,« rief Planchet, der dieselbe ebenfalls zu erkennen glaubte.

Bei diesem Ausrufe wandte sich der Mann zu Pferde langsam und mit sehr vornehmer Miene um, und die zwei Reisenden konnten die großen funkelnden Augen, das pausbäckige Gesicht und das so beredte Lächeln von Mousqueton sehen.

In der es war Mousqueton, Mousqueton speckfett, strotzend von Gesundheit, welcher, d’Artagnan erkennend, ganz das Gegentheil von dem heuchlerischen Bazin, als er d’Artagnan erkannte, von seinem Pferde herabglitt und sich, den Hut in der Hand, dem Offiziere näherte, so daß die Ehrfurchtsbezeigungen der Versammelten sich der neuen Sonne zuwandten, welche die alte verdunkelte.

»Herr d’Artagnan, Herr d’Artagnan!« rief Mousqueton fortwährend mit seinen dicken Backen und vor Eifer von Schweiß triefend. »Ah, welche Freude für meinen gnädigen Herrn und Meister, Herrn du Vallon de Bracieux de Pierrefonds!«

»Der gute Mousqueton! Dein Herr ist also hier!«

»Ihr seid auf seinen Besitzungen.«

»Aber wie schön, wie fett, wie blühend Du aussiehst!« sprach d’Artagnan, unermüdlich die Veränderungen auseinandersetzend, welche die Glücksumstände bei dem ehemaligen Ausgehungerten hervorgebracht hatten.«

»Ah, ja, Gott sei Dank, gnädiger Herr, ich befinde mich ziemlich wohl,« sprach Mousqueton.

»Aber Du sagst gar nichts zu Deinem Freunde Planchet?«

»Zu meinem Freunde Planchet! Planchet, solltest Du es zufällig sein?« rief Mousqueton, die Arme geöffnet, die Augen mit Thränen gefüllt.

»Ich selbst,« erwiderte Planchet, stets behutsam »aber ich wollte sehen, ob Du nicht stolz geworden wärest.«

»Stolz geworden gegen einen alten Freund? Niemals, Planchet. Du hast Das nicht gedacht, oder Du kennst Mousqueton nicht«

»Dann ist es gut,« sagte Planchet, stieg vom Pferde und streckte ebenfalls die Arme nach Mousqueton aus. »Der ist nicht, wie der Schurke von einem Bazin, welcher mich zwei Stunden unter einem Schuppen ließ, ohne nur Miene zu machen, als kenne er mich.«

Planchet und Mousqueton umarmten sich mit einem Ergusse, welcher die Umstehenden sehr rührte, indem er ihnen zugleich den Glauben beibrachte, Planchet wäre ein verkleideter Vornehmer, so sehr schlugen sie zu ihrem höchsten Werthe die Stellung von Mousqueton an.

»Und nun, gnädiger Herr,« sagte Mousqueton, sich von der Umarmung von Planchet losmachend, der es vergebens versucht hatte, seine Hände hinter dem Rücken seines Freundes zusammen zu bringen, »und nun, gnädiger Herr, erlaubt mir, Euch zu verlassen, denn mein Gebieter soll die Kunde von Einer Ankunft von keinem Andern, als von mir erhalten. Er würde mir nie vergeben, wenn ich einen Andern zuvorkommen ließe.«

»Dieser liebe Freund,« sagte d’Artagnan, indem er es vermied, Porthos seinen alten oder seinen neuen Namen zu geben, »er hat mich also nicht vergessen?«

»Vergessen! er!« rief Mousqueton, »das heißt, es ist kein Tag vergangen, an welchem wir nicht zu hören erwarteten, Ihr wäret entweder an der Stelle von Herrn von Gassion oder an der von Herrn von Bassompierre zum Marschall ernannt worden.«

d’Artagnan ließ über seine Lippen jenes seltene, schwermüthige Lächeln schweben, welches in der tiefsten Tiefe seines Herzens die Enttäuschung seiner Jugendjahre überlebt hatte.

»Und Ihr, Bauern,« fuhr Mousqueton fort, »bleibt bei dem Herrn Grafen d’Artagnan, und erweist ihm jede Ehre, während ich den gnädigen Herrn auf seine Ankunft vorbereite.«

Und mit Hilfe zweier wohlthätigen Seelen wieder sein kräftiges Pferd besteigend, während Planchet, flinker beschaffen, allein das seinige bestieg, ließ Mousqueton auf dem Rasen einen kleinen Galopp anschlagen, welcher mehr zu Gunsten der Nieren, als der Beine des Vierfüßigen sprach.

»Ah, das kündigt sich gut an,« sagte d’Artagnan. »Hier finden sich keine Geheimnisse, keine Mäntel, keine Politik. Man lacht aus vollem Halse, man weint vor Freude; ich sehe nur ellenbreite Gesichter; die Natur selbst kommt mir festtäglich vor, es ist mir, als wären die Bäume, statt mit Blüten und Blättern, mit kleinen grünen und rosafarbenen Bändern bedeckt.«

»Und mir,« sagte Planchet, »mir kommt es vor, als röche ich von hier aus den köstlichsten Bratenduft, als erblickte ich Küchenjungen, welche sich in Reihe und Glied aufstellen, um uns vorüberziehen zu sehen. Ah! gnädiger Herr, welchen Koch muß Herr de Pierrefonds haben, der schon so gerne und viel aß, als man ihn nur Herr Porthos nannte.«

»Halt!« sagte d’Artagnan, »Du machst mir bange. Wenn die Wirklichkeit dem Anscheine entspricht, so bin ich verloren. Ein so glücklicher Mann von wird seine herrliche Lage nie verlassen, und ich scheitert bei ihm, wie ich bei Aramis gescheitert bin.«


6

So lange wir in Frankreich sind, verstehen wir unter Meile immer eine Lieue, französische Meile, gleich einer starken Stunde. Der Uebers.

Zwanzig Jahre nachher

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