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Erstes bis drittes Bändchen
XVII
Die Diplomatie von Athos

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D’Artagnan legte sich zu Bette, weniger um zu schlafen, als um allein zu sein und an Alles das zu denken, was er an diesem Abend gesehen und gehört hatte. Da er gutmüthiger Natur war und ganz von Anfang zu Athos eine instinktartige Zuneigung gefaßt hatte, welche in eine aufrichtige Freundschaft übergegangen war, so fühlte er sich entzückt, einen Mann glänzend an Geist und Körperkraft statt des verdumpften Trunkenbolds zu finden, den er auf irgend einem Düngerhaufen seinen Rausch ausschlafen zu sehen erwartet hatte. Er nahm sogar, ohne sich dagegen zu sträuben, die beständige Ueberlegenheit von Athos über ihn an, und statt Eifersucht und Aerger darüber zu fühlen, wie dies bei einer minder edelmüthigen Natur der Fall gewesen sein dürfte, fühlte er in sich eine innige, redliche Freude, die ihn die günstigsten Hoffnungen für sein Unternehmen fassen ließ.

Indessen kam es ihm vor, als fände er Athos nicht offenherzig und klar über alle Punkte. Wer war der junge Mensch, welchen er adoptiert zu haben behauptete, und der eine so große Aehnlichkeit mit ihm hatte? Was bedeutete diese Rückkehr zum Leben der Gesellschaft und diese übertriebene Mäßigkeit, welche er bei Tische wahrgenommen hatte? Eine scheinbar geringfügige Sache, diese Abwesenheit von Grimaud, von dem sich Athos einst nicht trennen konnte, und dessen Name trotz der Eröffnungen in dieser-Hinsicht nicht einmal genannt werden war… Alles dies beunruhigte d’Artagnan. Er besaß also das Vertrauen seinen Freunden nicht mehr, oder Athos war an eine unsichtbare Kette gebunden oder gar zum Voraus gegen den Besuch, den er ihm machte, eingenommen.

Unwillkürlich dachte er an Rochefort und an das, was ihm dieser in der Notre-Dame-Kirche gesagt hatte. Sollte Rochefort d’Artagnan bei Athos zuvorgekommen sein.

d’Artagnan hatte keine Zeit mit langen Studien zu verlieren. Er beschloß auch, schon am andern Tage eine Erklärung herbeizuführen. Das geringe, so geschickt verkleidete Vermögen von Athos deutete die Begierde zu scheinen an und verrieth einen Rest leicht zu erregenden Ehrgeizes. Die Geisteskraft und die Schärfe der Gedanken von Athos machten aus ihm einen Mann, der sich rascher erregen ließ, als ein anderer. Er müßte in die Pläne des Ministers mit um so größerem Eifer eingehen, als seine natürliche Thätigkeit durch eine Dosis Nothwendigkeit verdoppelt würde.

Diese Gedanken hielten d’Artagnan trotz seiner Müdigkeit wach. Er entwarf seinen Angriffsplan, und obgleich er wußte, daß Athos ein hartnäckiger Gegner war, so stellte er doch die Aktion auf den andern Tag nach dem Frühstück fest.

Indessen sagte er sich auch andererseits, daß man uns einem neuen Terrain mit Klugheit vorrücken, mehrere Tage lang die Bekanntschaften von Athos studieren, seine neuen Gewohnheiten verfolgen und sich klar machen, aus dem naiven jungen Menschen, sei es bei Fechtübungen, sei es irgend einem Wildpret nach jagend, vermittelnde Auskunft, die ihm fehlte, um Athos von Einst mit Athos den Jetzt zu verbinden, zu erhalten bemüht sein müsse, und dies könne nicht schwer werden, denn der Lehrer müsse Einfluß auf den Geist und das Herz seines Zöglings ausüben. Aber d’Artagnan, der ein Mann den großer Feinheit war, begriff auch sogleich, welche Chancen er gegen sich geben würde, falls ein übereiltes Wort oder eine Ungeschicklichkeit seine Manöver dem geübten Auge von Athos bloßstellen würde.

Dann ist noch zu bemerken, daß d’Artagnan, obgleich ganz bereit, sich der List gegen die Feinheit von Aramis oder die Eitelkeit von Porthos zu bedienen, sich schämte, krumme Wege bei Athos, dem offenherzigen Manne, dem rechtschaffenen Gemüthe, einzuschlagen. Es kam ihm vor, als ob Aramis und Porthos, in ihm ihren Meister der Diplomatie erkennend, ihn noch mehr schätzen würden, während Athos im Gegentheil ihn weniger schätzen müßte.

»Und warum ist Grimaud, der schweigsamer Grimaud, nicht hier?« sagte d’Artagnan. »Es gibt viele Dinge in seinem Stillschweigen, die ich verstanden hätte. Grimaud besaß ein so beredetes Stillschweigen.

Mittlerweile hatte alles Geräusch in dem Hause aufgehört. d’Artagnan hatte Thüren und Läden schließen hören. Die Hunde antworteten einander noch eine Zeit lang im Felde und schwiegen dann. Eine in einer Baumgruppe verborgene Nachtigall sang noch mitten in der Nacht ihre harmonischen Tonleitern und entschlummerte sodann. Es war im Schlosse nur noch das Geräusch einen gleichmäßigem monotonen Tritten unter seinem Zimmer zu vernehmen. Er dachte, es wäre dieß das Gemach von Athos.

»Er geht auf und ab und überlegt,« dachte d’Artagnan; »aber was? Das kann man unmöglich wissen. Man konnte das Uebrige errathen, dies aber nicht.«

Endlich legte sich Athos ohne Zweifel zu Bette und diesen letzte Geräusch erlosch.

Die Stille und die Müdigkeit besiegten im Vereine d’Artagnan. Er schloß ebenfalls die Augen und beinahe in derselben Sekunde bemeisterte sich seiner der Schlummer.

D’Artagnan war kein Schläfer. Kaum hatte die Morgenröthe seine Vorhänge vergoldet, als er aus dem Bette sprang und seine Fenster öffnete: es kam ihm vor, als sähe er durch den Laden einen Menschen im Hofe umhergehen, der es vermeide, Lärm zu machen. Gemäß seiner Gewohnheit, nichts, was in sein Bereich kam, vorübergehen zu lassen, ohne sich zu versichern, was es wäre, beobachtete d’Artagnan aufmerksam, aber geräuschlos, und erkannte das dunkelrothe Wamms und die braunen Haare von Raoul.

Der junge Mensch, denn er war es wirklich, öffnete die Stallthüre, zog das braunrothe Pferd heraus, das er am Tage vorher geritten hatte, sattelte und zäumte es mit eben so viel Geschicklichkeit, als Geschwindigkeit, ließ das Thier sodann durch den geraden Gang des Gemüsegartens gehen, stieß eine kleine Seitenthüre auf, welche nach einem Fußpfade führte, zog sein Pferd hinaus, verschloß die Thüre wieder und d’Artagnan sah ihn nun wie einen Pfeil sich unter den herabhängenden und mit Blüthen besetzten Zweigen der Akazien und Ahornbäume blickend hinschießen.

D’Artagnan hatte am Tage zuvor bemerkt, daß dieser Pfad nach Blois führen mußte.

»Ei, ei,« sagte der Gascogner, »das ist ein Spitzbube, der bereits seine eigenen Wege geht und mir den Haß von Athos gegen das schöne Geschlecht nicht zu theilen scheint. Er zieht nicht auf die Jagd, denn er hat weder Gewehr noch Hunde. Er vollstreckt keinen Auftrag, denn er verbirgt sich. Vor wem verbirgt er sich? … Vor mir oder vor seinem Vater? denn ich bin überzeugt, der Graf ist sein Vater. Bei Gott, was das betrifft, so werde ich es erfahren, denn ich spreche ohne alle Umstände mit Athos.«

Der Tag nahm zu. Allen Geräusch, das d’Artagnan in der Nacht nach und nach hatte erlöschen hören, erwachte wieder. Der Vogel in den Zweigen, der Hund im Stalle, die Schafe in den Feldern, sogar die in der Loire angebundenen Nachen schienen wieder zu erwachen, sich vom Ufer zu lösen und dem Zuge des Wassern zu folgen. D’Artagnan blieb am Fenster, um Niemand zu erwecken; als er aber die Thüren und die Läden des Schlosses sich öffnen gehört hatte, gab er seinen Haaren einen letzten Strich, seinem Schnurrbart eine letzte Biegung, bürstete aus Gewohnheit die Aufschläge seines Hutes mit dem Aermel seinen Wammses und ging hinab. Kaum war er die letzte Stufe der Freitreppe hinabgestiegen, als er Athos gegen den Boden gebückt und in der Stellung eines Mannes erblickte, der einen Thaler im Sande sucht.

»Ei, guten Morgen, lieber Wirth,« sagte d’Artagnan.

»Guten Morgen, lieber Freund; war die Nacht gut?«

Vortrefflich, Athos, wie Euer Bett, wie Euer Abendbrod gestern, das mich zum Schlafe führen mußte, wie Euer Empfang bei meiner Ankunft. Aber was betrachtet Ihr so aufmerksam? Solltet Ihr etwa zufällig Liebhaber von Tulpen geworden sein.«

»Ihr müßt deshalb meiner nicht spotten. Auf dem Lande verändert sich der Geschmack und man gelangt am Ende dazu, ohne daß man es gewahr wird, die schönen Dinge zu lieben, welche der Blick Gottes aus den Erdboden hervorkommen läßt und die man in den Städten verachtet. Ich betrachte ganz einfach einige Iris, welche ich bei diesem Becken gepflanzt hatte und dir mir diesen Morgen niedergetreten worden sind. Diese Gärtner sind doch die ungeschicktesten Leute der Welt. Nachdem sie das Pferd zum Trinken geführt, ließen sie es ohne Zweifel in die Rabatten treten.«

D’Artagnan lächelte.

»Ah,« sagte er, »Ihr glaubt?«

Und er führte seinen Freund die Allee entlang, wo eine gute Anzahl von Tritten zu bemerken war, denen ähnlich, welche die Iris niedergetreten hatten.«

»Hier sieht man sie auch, wie es mir scheint, Athos,« sagte d’Artagnan mit gleichgültigem Tone.

»Ja, und zwar ganz frisch.«

»Ganz frisch,« wiederholte d’Artagnan.

»Wer ist denn hier diesen Morgen hinaus« fragte sich Athos unruhig; »sollte ein Pferd aus dem Stalle entsprungen sein?«

»Das ist nicht wahrscheinlich,« entgegnete d’Artagnan, »denn die Tritte sind ganz gleich und ganz ruhig.«

»Wo ist Raoul?« rief Athos, »und wie kommt es, daß ich ihn noch nicht gesehen habe?«

»Stille,« sagte d’Artagnan und legte lächelnd seinen Finger auf den Mund.

»Was gibt es denn?« fragte Athos.

D’Artagnan erzählte, was er gesehen hatte, und schaute dabei forschend seinem Wirthe in das Gesicht.

»Ah, ich errathe jetzt Alles,« sagte Athos mit einer leichten Bewegung der Schultern. »Der arme Junge ist nach Blois geritten.«

»Was dort thun?«

»Ei, mein Gott, um Nachricht über die kleine La Vallière einzuziehen. Ihr wißt, das Kind, daß sich den Fuß verstaucht hat.«

»Ihr meint?« versetzte d’Artagnan ungläubig.

»Ich meine nicht nur, sondern ich weiß es gewiß. Habt Ihr nicht bemerkt, daß Raoul verliebt ist?«

»Gut! In wen? In dieses siebenjährige Kind?«

»Mein Lieber, im Alter von Raoul ist das Herz so voll, daß man es auf irgend etwas ausdehnen muß, sei es Traum oder Wirklichkeit. Nun, seine Liebe gehört zur Hälfte zu dem einen, zur Hälfte zu dem andern.«

»Ihr scherzt! Diesen kleine Mädchen …«

»Habt Ihr es nicht angeschaut, es ist das niedlichste kleine Geschöpf der Welt. Silberblonde Haare und blaue Augen, zugleich eigensinnig und schmachtend.«

»Aber was sagt Ihr zu dieser Liebe?«

»Ich sage nichts, ich lache und spotte über Raoul. Diese ersten Bedürfnisse des Herzens sind so gebieterisch, dieses Aufkeimen der verliebten Schwermuth ist so süß und so bitter, daß es zuweilen alle Charaktere der Leidenschaft zu haben scheint. Ich erinnere mich, daß ich mich, im Alter von Raoul in eine griechische Statue verliebte, welche der gute König Heinrich IV. meinem Vater geschenkt hatte, und daß ich vor Schmerz verrückt zu werden glaubte, als man mir sagte, die Geschichte von Pygmalion wäre nur eine Fabel.«

»Dein ist Folge den Müßiggangs. Ihr beschäftigt Raoul nicht genug, und er sucht sich seinerseits zu beschäftigen.«

»Nichts Anderes. Auch gedenke ich ihn von hier zu entfernen.«

»Und ihr thut wohl daran.«

»Allerdings, aber es wird ihm das Herz brechen und er wird so viel leiden, wie bei einer wahren Liebe. Seit drei bin vier Jahren und gleichsam selbst noch ein Kind, hat er sich daran gewöhnt, das kleine Idol, das er einen Tagen anbeten würde, wenn er hier bliebe, zu, schmücken und zu bewundern. Diese Kinder träumen jeden Tag mit einander und plaudern über tausend ernsthafte Dinge, als ob es ein zwanzigjähriges Liebespaar wäre. Lange Zeit hat diese Geschichte die Aeltern der kleinen La Vallière lachen gemacht. Aber ich glaube, sie fangen an die Stirne zu runzeln.«

»Kinderei, Raoul bedarf der Zerstreuung. Entfernt ihn rasch von hier, oder Ihr macht nie einen Mann aus ihm.

»Ich glaube,« sprach Athos, »ich werde ihn nach Paris schicken.«

»Ah!« rief d’Artagnan.«

Und er dachte, der Augenblick zur Eröffnung der Feindseligkeiten wäre gekommen.

»Wenn Ihr wollt,« sprach er, »so können wir diesem jungen Menschen ein Schicksal machen.«

Ah!« rief Athos ebenfalls.

»Ich will Euch sogar über etwas um Rath fragen, was mir im Kopf umher geht.«

»Thut es.«

»Glaubt Ihr, die Zeit sei gekommen, um Dienst zu nehmen?«

»Aber Ihr seid ja noch im Dienste, d’Artagnan.«

»Verstehen wir uns recht, thätigen Dienst. Hat das ehemalige Leben nichts mehr für Euch, was Euch reizen könnte, und wenn Euch wirklich Vortheile erwarteten, wäre es Euch nicht angenehm, in meiner Gesellschaft und in der unseren Freunden Porthos die Unternehmungen unserer Jugend wieder zu beginnen?«

»Macht Ihr mir einen Vorschlag,« sagte Athos.

»Frei und offenherzig.«

»Um wieder in das Feld zu ziehen?«

»Ja.«

»Von wem und gegen wen?« fragte Athos plötzlich und heftete sein so klaren und so wohlwollenden Auge auf den Gascogner.

»Ah, Teufel! Ihr seid dringend.«

»Und besonders genau. Hört mich wohl, d’Artagnan. Es gibt nur eine Person, oder vielmehr eine Sache, der ein Mann wie ich nützlich sein kann, die Sache des Königs.«

»Das ist es gerade,« sprach der Musketier.

»Aber verständigen wir uns,« versetzte Athos ernst.

»Wenn Ihr unter der Sache den Königin die Sache von Herrn von Mazarin versteht, so hören wir auf, uns zu begreifen.«

»Ich sage das nicht gerade,« antwortete der Gascogner verlegen.«

»Hört, d’Artagnan,« sprach Athos, »spielen wir nicht bis zu Ende. Euer Zögern, Eure Umwege sagen mir, von welcher Seite Ihr kommt. Diese Sache wagt man allerdings nicht laut zu gestehen, und wenn man für dieselbe wirbt, so thut man es mit gesenktem Ohre und mit verlegenem Tone.«

»Ah, mein lieber Athos!« rief d’Artagnan.«

»Ei, Ihr wißt wohl,« versetzte Athos, daß ich nicht von Euch spreche, der Ihr die Perle der braven, kühnen Männer seid. Ich spreche von dem schmutzigen, intriganten Italiener, von dem Pedanten, der eine Krone auf sein Haupt zu setzen versucht, die er unter einem Kopfkissen gestohlen hat, von dem Schurken, der seine Partei die Partei des Königs nennt und die Prinzen von Geblüt in das Gefängniß zu stecken trachtet, da er es nicht wagt, sie zu tödten, wie es unser Cardinal machte, der große Cardinal; ein Wucherer, der seine Goldthaler abwägt und die beschnittenen behält, aus Furcht, obgleich er betrügt, sie beim Spiele am nächsten Tage zu verlieren; ein Schuft, der die Königin mißhandelt, wie man versichert – übrigens desto schlimmer für sie! – und in drei Monaten einen Bürgerkrieg anfangen wird, um seine Pensionen zu behalten. Das ist der Herr, den Ihr mir vorschlagt, d’Artagnan? Großen Dank!

»Gott vergebe mir, Ihr seid lebhafter, als früher,« sprach d’Artagnan, »und die Jahre haben Euer Blut erhitzt, statt es abzukühlen. Wer sagt Euch, daß dies mein Herr ist, und daß ich Euch denselben aufbringen will?«

»Teufel!« hatte der Gascogner zu sich gesagt, »einem so schlecht gestimmten Manne wollen wir unsere Geheimnisse nicht anvertrauen.«

»Aber, mein lieber Freund,« versetzte Athos, »worin bestehen dann Eure Vorschläge?«

»Ei, mein Gott, nichts ist einfacher, Ihr lebt auf Euern Gütern und seid, wie es scheint, glücklich auf Eurer goldenen Mittelstraße. Porthos hat vielleicht 50 bis 60,999 Livres Renten; Aramis hat immer noch fünfzehn Herzoginnen, die sich um den Prälaten streiten; wie sie sich um den Musketier stritten; er ist immer noch ein verdorbenes Kind den Schicksals. Aber ich, was thue ich in der Welt? Ich trage meinen Küraß und mein Büffelleder seid zwanzig Jahren an den ungenügenden Grad angeklammert, ohne vorzurücken, ohne zurückzuweichen, ohne zu leben. Ich bin todt mit einem Worte. Wenn es sich für mich darum handelt, wieder ein wenig zu erwachen, so kommt Ihr alle und sagt mir: Er ist ein Schurke! es ist ein Schuft! es ist ein Wucherer! es ist ein schlechter; Herr! Ei, bei Gott! ich bin auch Eurer Meinung, aber; findet mir einen bessern oder macht mir Renten!«

Athos dachte drei Sekunden nach, und nach diesen drei Sekunden begriff er die List von d’Artagnan, der, weil er von Anfang zu weit gegangen war, nun abbrach, um sein Spiel zu verbergen. Er sah deutlich, daß die Vorschläge, die man ihm gemacht hatte, ernst gemeint; waren, und sich in ihrer ganzen Entwicklung erklärt haben würden, wenn er ihnen etwas länger sein Ohr geliehen hätte.

»Gut,« sagte er sich, »d’Artagnan ist Mazarin.«

Von diesem Augenblick an beobachtete er ihn mit außerordentlicher Klugheit.«

D’Artagnan seinerseits spielte verschlossenen als je.

»Aber Ihr habt einen Gedanken?« fuhr Athos fort.

»Allerdings, ich wollte von Euch Allen Rath einholen, um darauf bedacht zu sein, etwas zu thun, denn die Einen ohne die Andern sind wir immer unvollständig.«

»Allerdings. Ihr spracht mir von Porthos; habt Ihr ihn bestimmt, Vermögen zu suchen. Aber er besitzt Vermögen?«

»Ganz gewiß, er besitzt. Doch der Mensch ist einmal so, er wünscht immer etwas Anderes.«

»Und was wünscht Porthos«

»Baron zu sein.«

»Ah, das ist wahr; ich hatte es vergessen,« sprach Athos lachend.

»Es ist wahr?« dachte d’Artagnan, »und woher hat er es erfahren? Sollte er mit Aramis im Briefwechsel stehen? Ah! wenn ich das wüßte, so wüßte ich Alles.«

Hier endigte die Unterredung, denn gerade in diesem Augenblick erschien Raoul. Athos wollte ihn ohne Bitterkeit zanken, aber der junge Mensch sah so betrübt aus, daß er nicht den Muth hatte und sich unterbrach, um ihn zu fragen, was ihm wäre.

»Sollte es bei unserer jungen Nachbarin schlimmer gehen?« sprach d’Artagnan.

»Ach! Herr,« versetzte Raoul, beinahe unter dem Schmerze erstickend, »ihr Fall ist sehr ernst und der Arzt befürchtet, sie werde, wenn auch ohne scheinbare Mißstaltung, ihr ganzen Leben hinken.«

»Ah, das wäre furchtbar!« sprach Athos.

D’Artagnan hatte einen Scherz aus den Lippen, als er aber sah, welchen Antheil Athos an dem Unglück nahm, hielt er ihn zurück.

»O, Herr, was mich am meisten hierbei in Verzweiflung bringt,« versetzte Raoul, »ist der Umstand, daß ich die Ursache dieses Unglücks bin.«

»Wie Du, Raoul?« fragte Athos.

»Allerdings: ist sie nicht um zu mir zu laufen, von dem Holzstoße herabgesprungen?«

»Es bleibt Euch kein anderen Mittel, mein lieber Raoul, als sie zur Sühnung zu heirathen,« sagte d’Artagnan.

»Mein Herr,« entgegnete Raoul, »Ihr scherzt mit einem wahren Kummer: das ist schlimm!«

Und Raoul, der der Einsamkeit bedurfte, um nach Belieben weinen zu können, ging in sein Zimmer, das er erst zur Frühstücksstunde wieder verließ.

Das gute Einverständniß der zwei Freunde hatte sich nicht im Mindesten durch das Scharmützel um Morgen verändert: sie frühstückten mit dem besten Appetit und schauten von Zeit zu Zeit den armen Raoul an, der, die Augen feucht, das Herz schwer, kaum die Speisen berührte.

Am Ende des Frühstücks kamen zwei Briefe, welche Athos mit der größten Aufmerksamkeit las, ohne sich wiederholt eines Bebens enthalten zu können. D’Artagnan, der ihn diese Briefe von der Seite des Tisches an der andern lesen sah und dessen Gesicht äußerst scharf war schwor, er erkenne auf eine untrügliche Weise die kleine Handschrift von Aramis. Bei dem andern Brief nahm er eine lange, schwankende Frauenhandschrift wahr.

»Kommt,« sagte d’Artagnan zu Raoul, als er sah, daß Athos allein zu bleiben wünschte, entweder, um die Briefe zu beantworten oder um darüber nachzudenken; »kommt, wir wollen einen Gang in dem Fechtsaale machen, das wird Euch zerstreuen.«

Der junge Mensch schaute Athos an, welcher seinen Blick mit einem Zeichen der Beistimmung beantwortete.

D’Artagnan und Raoul gingen in einen Saal, in welchem Rappiere, Handschuhe, Bruststücke und ähnliche zum Fechten gehörige Gegenstände aufgehängt waren.

»Nun?« fragte Athos, als er nach einer Viertelstunde im Saale erschien.

»Eo ist bereite Euere Hand, mein lieber Athos,« antwortete d’Artagnan, »und wenn es auch Euer kalten Blut wird, so habe ich Euch nur mein Compliment zu machen.«

Der junge Mensch War etwas beschämt. Für die paar Male, die er d’Artagnan am Arm oder am Schenkel berührt hatte, hatte ihn dieser zwanzigmal auf den vollen Leib getroffen.

In diesem Augenblick trat Charlot ein und überbrachte, einen sehr eiligen Brief für d’Artagnan, den ein Bote so eben abgegeben hatte.«

Nun war die Reihe an Athos, aus einem Winkel des Auges zu beobachten.

D’Artagnan las den Brief ohne eine scheinbare Bewegung und sagte, nachdem er ihn gelesen hatte, mit einem leichten Schütteln des Kopfes:

»Seht, mein lieber Freund, was der Dienst ist, und Ihr habt meiner Treue Recht, nicht wieder eintreten zu wollen: Herr von Treville ist krank geworden, die Compagnie kann meiner nicht entbehren und mein Urlaub geht; somit verloren.«

»Ihr kehrt nach Paris zurück?« sprach Athos lebhaft.

»Ei, mein Gott! ja,« erwiderte d’Artagnan; »aber kommt Ihr nicht auch selbst dahin?«

Athos erröthete ein wenig und antwortete:

»Wenn ich dahin käme, würde ich mich sehr glücklich schätzen Euch zu sehen.«

»Holla! Planchet!« rief d’Artagnan aus der Thüre, »wir reisen in zehn Minuten: gib den Pferden Haber.«

Dann sich gegen Athos umwendend:«

»Es ist mir, als fesselte mich etwas hier und es thut mir in der That unendlich leid, Euch verlassen zu müssen, ohne den guten Grimaud gesehen zu haben.«

»Grimaud?« versetzte Athos. »Ach! es ist wahr, ich wunderte mich, daß Ihr Euch nicht nach ihm erkundigtet. Ich habe ihn einem von meinen Freunden geliehen.«

»Der sein Zeichen versteht?« sagte d’Artagnan.

»Ich hoffe es.«

Die zwei Freunde umarmten steh herzlich. d’Artagnan drückte Raoul die Hand, nahm Athos das Versprechen ab, ihn zu besuchen, wenn er nach Paris käme, und ihm zu schreiben, wenn er nicht käme. Planchet, pünktlich wie immer, saß bereite im Sattel.

»Komm Ihr nicht mit mir?« sprach d’Artagnan lachend zu Raoul; »ich reite durch Blois.«

Raoul wandte sich gegen Athos um, der ihn durch ein unmerkliches Zeichen zurückhielt.

»Mein Herr,« antwortete der Jüngling, »ich bleibe bei dem Herrn Grafen.«

»In diesem Falle lebt wohl, alle Beide,« sprach d’Artagnan und drückte ihnen zum letzten Male die Hand, »und Gott beschütze Euch, wie wir sagten, so oft wir uns zur Zeit den seligen Cardinals trennten.«

Athos machte ihm ein Zeichen mit der Hand, Raoul eine Verbeugung und d’Artagnan entfernte sich mit Planchet.

Der Graf folgte ihnen mit den Augen, die Hand auf die Schulter des jungen Menschen gestützt, dessen Höhe beinahe der seinigen gleichkam, aber sobald sie hinter der Mauer verschwunden waren, sagte Athos:

»Raoul, wir reisen diesen Abend nach Paris.«

»Wie!« rief der Jüngling erbleichend.

»Du kannst Dein Lebewohl und das meinige Frau von Saint-Remy vermelden. Ich erwarte Dich hier uni sieben Uhr.«

Der Jüngling verbeugte sich mit einem von Schmerz und Dankbarkeit gemischten Ausdrucke und ging weg, um sein Pferd zu satteln.

D’Artagnan war kaum aus dem Blicke, als er den Brief aus der Tasche zog, um ihn noch einmal zu lesen:

»Kommt auf der Stelle nach Paris zurück.

J. M.«

»Der Brief ist trocken,« murmelte d’Artagnan, »und wenn nicht eine Nachschrift dabei wäre, hätte ich ihn vielleicht nicht verstanden, aber zum Glücke findet sich eine Nachschrift.«

Und er las die herrliche Nachschrift, die ihn die Trockenheit des Briefes vergessen ließ.

N.S. Geht zu dein Schatzmeister des Königs in Blois, nennt ihm Euren Namen und zeigt ihm diesen Brief; Ihr werdet zweihundert Pistolen erhalten.«

»Diese Prosa liebe ich,« sprach d’Artagnan, »und der Cardinal schreibt besser, also ich glaubte. Vorwärts, Planchet, wir wollen dem Herrn Schatzmeister des Königs einen Besuch machen, und dann die Sporen eingesetzt!«

»Nach Paris, gnädiger Herr?«

»Nach Paris.«

Und Beide ritten in starkem Trabe die Straße entlang.

Zwanzig Jahre nachher

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