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Erstes bis drittes Bändchen
IV
Anna von Oesterreich mit sechsundvierzig Jahren
ОглавлениеAllein mit Bernouin, blieb Mazarin einen Augenblick nachdenkend; er wußte viel, aber er wußte immer noch nicht genug. Mazarin war Betrüger im Spiel. Das ist ein Umstand, den uns Brienne aufbewahrt hat: er hieß dies seinen Vortheil nehmen. Er beschloß die Partie mit d’Artagnan nicht eher anzufangen, als bis er alle Karten seines Gegners genau kennen würde.
»Monseigneur hat nichts zu befehlen?« sagte Bernouin.
»Allerdings,« antwortete Mazarin, »leuchte mir, ich gehe zu der Königin.«
Bernouin nahm eine Kerze und marschierte voraus.
Es war ein geheimer Gang vorhanden, der von den Zimmern und dem Cabinet von Mazarin nach den Zimmern der Königin ausmündete. Durch diesen Gang begab sich der Cardinal, so oft er zu Anna von Oesterreich gehen wollte.
Als Bernouin in das Schlafzimmer gelangte, nach welchem dieser Gang führte, traf er Madame Beauvais. Madame Beauvais und Bernouin waren die innigen Vertrauten dieser veralteten Liebe, und Madame Beauvais übernahm es, den Cardinal bei Anna von Oesterreich zu melden, welche sich mit ihrem Sohne, König Ludwig XIV., in ihrem Betzimmer befand.
In einem großen Lehnstuhle sitzend, den Ellbogen auf den Tisch und den Kopf auf die Hand gestützt, betrachtete Anna von Oesterreich das königliche Kind, welches auf dem Boden liegend, in einem großen Schlachtenbuche blätterte. Anna von Oesterreich war die Königin, welche ausgezeichnet gut sich mit Majestät zu langweilen wußte. Sie blieb zuweilen Stunden lang in ihr Schlafgemach oder in ihr Betzimmer zurückgezogen, ohne zu lesen oder zu beten.
Das Buch, mit welchem der König spielte, war ein Quintus Curtius, reich mit Kupferstichen ausgestattet, welche die Großthaten von Alexander darstellten.
Madame Beauvais erschien an der Thüre des Betzimmers und meldete den Cardinal Mazarin.
Das Kind erhob sich auf einem Knie und schaute die Stirne runzelnd seine Mutter an.
»Warum kommt er so,« sagte es, »ohne um Audienz zu bitten?«
Anna erröthete leicht.
»Es ist wichtig,« versetzte sie, »daß ein erster Minister in Zeiten, wie sie jetzt sind, zu jeder Stunde von dem, was vorgeht, der Königin Bericht erstatten kann, ohne daß er die Neugierde oder die Commentare des ganzen Hofes anzuregen nöthig hat.«
»Aber eo scheint mir, Herr von Richelieu kam nicht so?« sprach das unbeugsame Kind.
»Wie erinnert Ihr Euch, was Herr von Richelieu that? Ihr konntet es nicht wissen, denn Ihr waret noch zu jung.
»Ich erinnere mich dessen nicht, sondern ich fragte, und man sagte es mir.«
»Und wer sagte es Euch?« versetzte Anna von Oesterreich mit einer Bewegung schlecht verborgener böser Laune.
»Ich weiß, daß ich nie die Personen nennen darf, welche die Fragen beantworten, die ich an sie richte,« antwortete das Kind, »oder daß ich sonst nichts mehr erfahren würde.«
In diesem Augenblick trat Mazarin ein. Der König stand vollends auf, nahm sein Buch, schloß es und trug es auf den Tisch, bei welchem er aufrecht stehen blieb, um Mazarin zu nöthigen, ebenfalls zu stehen.
Mazarin beobachtete mit seinem geistreichen Auge diese ganze Scene, von welcher er die Erklärung der vorhergegangenen zu verlangen schien.
Er bückte sich ehrfurchtsvoll vor der Königin, machte eine tiefe Verbeugung vor dem König, der ihm mit einem ziemlich stolzen Nicken des Kopfes dankte; aber ein Blick seiner Mutter machte es ihm zum Vorwurf, daß er sich den Gefühlen des Hasses hingab, die Ludwig XIV. seit seinen Kinderjahren gegen den Cardinal hegte, und er empfing, ein Lächeln auf den Lippen, das Compliment des Ministers.
Anna von Oesterreich war bemüht, auf dem Antlitz von Mazarin die Ursache dieses unvorhergesehenen Besuches zu errathen, denn der Cardinal kam gewöhnlich nur zu ihr, wenn sich alle Welt zurückgezogen hatte.
Der Minister machte ein unmerkliches Zeichen mit dem Kopf, die Königin wandte sich an Madame Beauvais und sagte:
»Es ist Zeit, daß sich der König schlafen legt. Ruft La Porte.«
Die Königin hatte bereite dem jungen Ludwig drei- bis viermal gesagt, er möge sich schlafen legen, und stets hatte das Kind mit zärtlichen Bitten darauf bestanden, es wünsche zu bleiben. Diesmal aber machte es keine Bemerkung; es biß sich nur in die Lippen und erbleichte. Einen Augenblick nachher trat La Porte ein. Das Kind ging gerade auf ihn zu, ohne seine Mutter zu umarmen.
»Nun, Louis,« sagte Anna, »warum umarmt Ihr mich nicht?«
»Ich glaubte, Ihr wäret böse gegen mich, Madame, Ihr jagt mich fort.«
»Ich jage Euch nicht fort. Ihr habt nur vor Kurzem erst die Blattern gehabt, seid noch leidend und ich fürchte, das lange Wachen könnte Euch anstrengen.«
»Ihr habt nicht dasselbe befürchtet, als Ihr mich heute in den Palast gehen hießet, um die abscheulichen Edicte zu erlassen, welche das Volk so sehr murren machten.«
»Sire,« sprach La Porte, um abzulenken, »wem befiehlt Eure Majestät, daß ich die Kerze geben soll.«
»Wem Du willst, La Porte,« antwortete das Kind, »vorausgesetzt,« fügte es bei, »es sei nicht Herr Mancini.«
Herr Mancini war ein Neffe des Cardinals, den Mazarin als Ehrenknaben zu dem König gebracht hatte und auf welchen Ludwig XIV. einen Theil des Hasses über trug, der ihn gegen seinen Minister erfüllte.
Und der König entfernte sich, ohne seine Mutter zu umarmen und ohne den Cardinal zu grüßen.
»Ganz gut,« sprach Mazarin, »ich sehe es gerne, daß man Seine Majestät mit Abscheu vor der Heuchelei erzieht.«
»Warum dies?« fragte die Königin mit beinahe schüchternem Tone.
»Es scheint mir, der Abgang des Königs bedarf keiner Commentare; Seine Majestät gibt sich keine Mühe, die geringe Zuneigung zu verbergen, die er für mich hat, was mich indessen nicht abhält, seinem Dienste, so wie dem Eurer Majestät, völlig ergeben zu sein.«
»Ich bitte Euch für ihn um Vergebung,« erwiderte die Königin. »Es ist ein Kind, das noch nicht alle seine Verpflichtungen gegen Euch wissen kann.«
Der Cardinal lächelte.
»Aber,« fuhr die Königin fort, »Ihr seid ohne Zweifel in einer wichtigen Angelegenheit gekommen. Was gibt es?«
Mazarin setzte sich, oder lehnte sich vielmehr in einen weiten Stuhl zurück und sprach mit einer schwermüthigen Miene:
»Was es gibt? Alter Wahrscheinlichkeit nach werden wir bald gezwungen sein, uns zu verlassen, wenn Ihr nicht Eure Ergebenheit für mich so weit treiben wollt, mir nach Italien zu folgen?«
»Und warum dies,« fragte die Königin.
»Weil, wie es in der Oper Thisbe heißt:
»Die ganze Welt verschworen ist, zu trennen unsre Liebe.«
»Ihr scherzt, Herr,« sagte die Königin mit einem Versuche, ihre ehemalige Würde wieder anzunehmen.
»Ach nein, Madame,« sprach Mazarin, »ich scherze nicht im Geringsten. Glaubt mir, ich würde eher weinen, denn merkt Euch wohl, was ich gesagt habe:
»Die ganze Welt verschworen ist, zu trennen unsre Liebe.«
»Da Ihr nun einen Theil dieser ganzen Welt bildet, so will ich Euch sagen, daß Ihr mich auch verlaßt.«
»Cardinal!«
»Ei, mein Gott! habe ich Euch nicht eines Tages ganz angenehm dem Herzog von Orleans oder vielmehr dem, was er Euch sagte zulächeln sehen?«
»Und was sagte er mir?«
»Er sagte Euch, Madame: »»Euer Mazarin ist der Stein des Anstoßes, er entferne sich und Alles wird gut gehen.««
»Was sollte ich machen?«
»Oh! Madame, es scheint mir, Ihr seid die Königin.«
»Ein schönes Königthum, der Gnade des ersten besten Tintenklecksers vom Palast Royal oder eines elenden Strohjunkers im Reiche preisgegeben!«
»Ihr seid indessen stark genug, um die Leute von Euch zu entfernen, die Euch mißfallen.«
»Das heißt, die Euch mißfallen,« antwortete die Königin.
»Mir?«
»Allerdings. Wer bat Frau von Chevreuse fortgeschickt, welche zwölf Jahre lang unter der vorhergehenden Regierung verfolgt worden war?«
»Eine Intrigantin, welche gegen mich die Cabalen fortsetzen wollte, die sie gegen Herrn von Richelieu angefangen hatte.«
»Wer hat Frau von Hautefort fortgeschickt, diese Frau, welche eine so vollkommene Freundin war, daß sie die Gnade des Königs ausschlug, um in der meinigen zu bleiben?«
»Eure Heuchlerin, die Euch jeden Abend beim Auskleiden sagte, einen Priester lieben, heiße seine Seele verderben; als ob man Priester wäre, weil man Cardinal ist!«
»Wer hat Herrn von Beaufort verhaften lassen?«
»Ein Brausekopf, der von nichts weniger sprach, als von meiner Ermordung.«
»Ihr seht Wohl, Cardinal,« versetzte die Königin, »daß Eure Feinde auch die meinigen sind.«
»Das ist nicht genug, Madame. Eure Freunde müssen auch die meinigen sein.«
»Meine Freundes Herr!« sprach die Königin und schüttelte den Kopf. »Ach, ich habe keine mehr!«
»Wie, Ihr habt keine Freunde mehr im Glück, während Ihr viele im Unglück hattet?«
»Weil ich im Glück diese Freunde vergaß, mein Herr, weil ich es gemacht habe, wie die Königin Maria von Medicis, die, aus ihrer ersten Verbannung zurückgekehrt, alle diejenigen mit Verachtung behandelte, welche für sie gelitten hatten, und die zum zweiten Male gerichtet, von aller Welt und sogar von ihrem Sohne verlassen, denn alle Welt verachtete sie jetzt, in Köln starb.«
»Bedenkt,« sprach Mazarin, »wäre es nicht mehr Zeit, das Uebel gut zu machen? Sucht unter Euren Freunden, unter Euren ältesten Freunden.«
»Was wollt Ihr damit sagen, Herr?«
»Nichts Anderes, als was ich sage, sucht.«
»Acht ich mag immerhin um mich her schauen, ich habe auf Niemand mehr Einfluß. Monsieur wird wie immer von seinem Günstling geleitet; gestern war es Choisy, heute ist es la Rivièce, morgen wird es ein Anderer sein. Der Herr Prinz wird von Frau von Longueville geleitet, welche ihrerseits den Willen des Prinzen von Marsillac, ihres Liebhabers, thut. Herr von Conti wird von dem Coadjutor geleitet, der sich von Frau von Guèmenéelenken läßt.«
»Ich sage Euch auch nicht, Madame, Ihr solltet Euch unter Euren Freunden von heute umschauen, sondern unter Euren ehemaligen Freunden.«
»Unter meinen ehemaligen Freunden?« fragte die Königin.
»Ja, unter Euren ehemaligen Freunden, unter denjenigen, welche Euch gegen den Herrn Herzog von Richelieu kämpfen und ihn sogar besiegen halfen.«
»Wo- will er hinaus?« murmelte die Königin und schaute den Cardinal unruhig an.
»Ja,« fuhr dieser fort, »unter gewissen Umständen; mit dem mächtigen, feinen Geiste, der Eure Majestät charakterisirt, mußtet Ihr mit Hilfe Eurer Freunde die Angriffe diesen Gegnern zurückzuschlagen.«
»Ich?« sagte die Königin, »ich habe nur gelitten.«
»Ja,« sprach Mazarin, »wie die Frauen leiden, indem sie sich nähen. Kommen wir zur Sache. Kennt Ihr Herrn von Rochefort?«
»Herr von Rochefort gehört nicht zu meinen Freunden,« antwortete die Königin, »sondern im Gegentheil zu meinen erbittertsten Feinden. Er war einer der treuesten Diener des Cardinals. Ich glaubte Ihr müßtet es.«
»Ich weiß es so gut,« antwortete Mazarin, »daß wir ihn in die Bastille setzen ließen.«
»Ist er herausgekommen?« fragte die Königin.
»Nein, beruhigt Euch, er ist immer noch daselbst; aber ich spreche nur von ihm, um auf einen Andern zu kommen. Kennt Ihr Herrn d’Artagnan?« fuhr Mazarin der Königin in das Gesicht schauend, fort.
Anna von Oesterreich empfing den Stoß mitten im Herzen.
»Sollte der Gascogner geschwatzt haben?« murmelte sie. Dann fügte sie laut bei:
»D’Artagnan? wartet doch. Ja gewiß, dieser Name ist mir bekannt; d’Artagnan, ein Musketier, welcher eine von meinen Frauen liebte. Armes kleines Geschöpf, das meinetwegen an Gift starb.«
»Ist dies Alles?« fragte Mazarin.
Die Königin schaute den Cardinal erstaunt an.
»Aber, mein Herr,« sagte sie, »es scheint mir, Ihr unterwerft mich einem Verhör.«
»Bei dem Ihr jedenfalls,« erwiderte Mazarin mit seinem ewigen Lächeln und seinem stets süßen Tone, »nur nach Eurer Phantasie antwortet.«
»Drückt Euren Wunsch klar aus, mein Herr, und ich werde ebenso antworten,« sagte die Königin, welche ungeduldig zu werden anfing.
»Wohl, Madame, antwortete Mazarin, sich verbeugend. »Ich Wünschte, Ihr ließet mich an Euren Freunden Antheil nehmen, wie ich Euch an dem Bisschen Gewandtheit und Talent Antheil nehmen ließ, womit mich der Himmel begabt hat. Die Umstände sind von ernster Bedeutung und man muß energisch handeln.«
»Abermals!« sprach die Königin, »ich glaubte, mit Herrn von Beaufort wären wir quitt.«
»Ihr habt nur den Strom gesehen, der Alles niederreißen wollte, und das stehende Wasser nicht wahrgenommen. Es gibt jedoch in Frankreich ein Sprichwort über das stehende Wasser.«
»Vollendet,« sagte die Königin.
»Nun wohl,« fuhr Mazarin fort; »ich dulde alle Tage Unverschämtheiten, die sich Eure Prinzen und Eure betitelten Knechte gegen mich erlauben, lauter Automaten, die nicht sehen, daß ich ihren Faden in der Hand halte, und die unter meinem geduldigen Ernste das Lachen des gereizten Mannen nicht errathen, der sich selbst zugeschworen hat, einen Tage der stärkste zu sein. Wir haben allerdings Herrn von Beaufort verhaften lassen, aber das war der am mindesten Gefährliche von Allen. Noch ist der Herr Prinz vorhanden.«
»Der Sieger von Rocroir? Ihr denkt nicht daran!«
»Ja, Madame, und zwar sehr oft, aber Pacienza, wie wir Italiener sagen. Dann nach Herrn von Condé ist der Herr Herzog von Orleans da.«
»Was sagt Ihr? der erste Prinz von Geblüht, der Oheim des Königs!«
»Nicht der erste Prinz von Geblüht, nicht der Oheim des Königs, sondern der feige Meuterer, der unter der vorigen Regierung, angetrieben von seinem launenhaften, phantastischen Charakter, zernagt von erbärmlichem Aerger, verzehrt von einem platten Ehrgeize, eifersüchtig auf Alles was ihn an ritterlichem Sinn und Muth übertraf, aufgebracht darüber, daß er wegen seiner inneren Hohlheit nichts war, sich zum Echo aller schlechten Gerüchte, zur Seele aller Cabalen machte, that als ob er allen den braven Leuten entgegenkäme, welche die Albernheit hatten, an das Wort einen Mannes von königlichem Blute zu glauben, und sie verleugnete, wenn sie das Schaffot bestiegen! Nicht der erste Prinz von Geblüt, nicht der Oheim des Königs, ich wiederhole es, sondern der Mörder von Chalais, Montmorency und von Cing-Mars, welcher gegenwärtig dasselbe Spiel zu spielen versucht und sich einbildet, er werde die Partie gewinnen, weil er den Gegner verhindert hat, statt sich gegenüber einen Menschen zu haben, der droht, einen Mann sieht, welcher lächelt. Aber er täuscht sich, er wird verloren haben, und es liegt nicht in meinem Interesse, bei der Königin diesen Gährungsstoff der Uneinigkeit zu dulden, mit welchem der verstorbene Herr Cardinal die Galle des Königs zwanzig Jahre lang in Aufruhr erhalten hat.«
Anna erröthete und verbarg ihren Kopf in ihren Händen.
»Ich will Eure Majestät nicht demüthigen,« fuhr Mazarin mit etwas ruhigerem Tone, aber zugleich mit seltsamer Festigkeit fort. »Man soll die Königin ehren und ihren Minister achten, denn in Aller Augen bin ich nur dieses. Eure Majestät weiß, daß ich nicht, wie viele Leute behaupten, ein aus Italien gekommener Straßenläufer bin; alle Welt soll dieß wissen, wie Eure Majestät.«
»Man soll ich denn thun?« fragte Anna von Oesterreich, gebeugt unter dieser gebietenden Stimme.
»Ihr sollt in Eurem Gedächtniß den Namen der treuen, ergebenen Menschen suchen, welche trotz Herrn von Richelieu über das Meer gefahren sind, Spuren ihres Blutes die ganze Straße entlang zurücklassend, um Eurer Majestät einen gewissen Schmuck zu bringen, den sie Herrn von Buckingham gegeben hatte.«
Anna von Oesterreich erhob sich majestätisch und zornig, als ob eine Feder sie aufgeschnellt hatte, und schaute den Cardinal mit dem Stolze und der Würde an, wodurch sie in den Tagen ihrer Jugend so mächtig gewesen war.
»Ihr beleidigt mich, Herr,« sagte sie.
»Ich will,« fuhr Mazarin fort, den Gedanken vollendend, den die Bewegung der Königin durchschnitten hatte, »ich will, daß Ihr für Euern Gatten thut, was Ihr einst für Euern Liebhaber gethan habt.«
»Abermals diese Verleumdung?« rief die Königin, »ich hielt sie für todt und erstickt, denn Ihr hattet sie mir bis jetzt erspart. Jetzt sprecht Ihr mir aber ebenfalls davon. Desto besser, denn die Frage wird nun unter nun abgemacht werden, und Allee ist abgemacht, versteht Ihr mich?«
»Aber, Madame,« sprach Mazarin erstaunt über diese Rückkehr der Kraft, »ich verlange gar nicht, daß Ihr mir Alles sagen sollt.«
»Und ich will Euch Alles sagen,« entgegnete Anna von Oesterreich. »Hört also: Es gab wirklich zu jener Zeit vier ergebene Herzen; vier ritterliche Seelen, vier treue Degen, die mir mehr als das Leben, die mir die Ehre retteten.«
»Oh! Ihr gesteht!« rief Mazarin.
»Ist nur die Ehre der Schuldigen auf das Spiel gesetzt, mein Herr, und kann man nicht einen Menschen, eine Frau besonders, dem Scheine nach entehren? Ja, der Schein war gegen mich und ich sollte entehrt werden, und dennoch, ich schwöre es Euch, war ich nicht schuldig, Ich schwört es …«
Die Königin suchte nach etwas Heiligem, worauf sie schwören könnte, zog aus einem unter der Tapete verborgenen Schranke ein kleines, mit Silber incrustirtes, Kästchen von Rosenholz hervor, stellte es auf den Altar und fuhr fort:
»Ich schwöre auf diese heilige Reliquie, ich liebte Herrn von Buckingham, aber Herr von Buckingham war nicht mein Liebhaber.«
»Und was für eine Reliquie ist es, auf die Ihr diesen Eid leistet?« sprach Mazarin lächelnd; »denn ich muß gestehen, als ein Römer bin ich ungläubig; es ist ein Unterschied unter den Reliquien.«
Die Königin machte einen kleinen goldenen Schlüssel von ihrem Halse los und übergab ihn dem Cardinal.
»Oeffnet, mein Herr,« sprach sie, »und seht selbst.«
Mazarin nahm erstaunt den Schlüssel und öffnete das Kästchen, worin er nur ein vom Rost zerfressenes Messer und zwei Briefe fand, von denen der eine mit Blut befleckt war.
»Was ist das?« fragte Mazarin.
»Was das ist, mein Herr?« sprach Anna von Oesterreich mit ihrer königlichen Geberde und über dem geöffneten Kistchen einen Arm ausstreckend, welcher trotz der Jahre vollkommen schön geblieben war . »Ich will es Euch sagen: diese zwei Briefe sind die einzigen, die ich ihm je geschrieben habe; dieses Messer ist dasjenige, mit welchem ihn Felton ermordet hat. Leset die Briefe, mein Herr, und Ihr werdet sehen, ob ich gelogen habe.«
Trotz der ihm von der Königin ertheilten Erlaubniß nahm Mazarin, in einem natürlichen Gefühle, statt die Briefe zu lesen, das Messer, welches Buckingham sterbend aus seiner Wunde gerissen und durch La Porte der Königin geschickt hatte. Die Klinge war ganz zerfressen, denn das Blut hatte sich in Rost verwandelt; nachdem er es einen Augenblick angeschaut, während die Königin so weiß wurde, als das Tuch des Altars, worauf sie sich stützte, legte er es mit unwillkürlichem Schaudern wieder in das Kistchen.
»Es ist gut, Madame,« sagte er, »ich baue auf Euern Eid.«
»Nein, nein, leset,« rief die Königin, die Stirne faltend, »leset, ich will es, damit meinem Entschlusse gemäß, Alles diesmal abgemacht sei und wir nicht wieder auf diesen Gegenstand zurückkommen. Glaubt Ihr,« fügte sie mit furchtbarem Lächeln bei, »ich sei geneigt, dieses Kistchen bei jeder von Eltern zukünftigen Anklagen wieder zu öffnen?«
»Durch diese Energie beherrscht, gehorchte Mazarin beinahe maschinenmäßig und las die zwei Briefe. Der eine war derjenige, durch welchen die Königin von Buckingham ihre Nestelstifte zurückverlangte; es war das Schreiben, das d’Artagnan nach England gebracht hatte, wo es zu rechter Zeit ankam; der andere Brief war der von La Porte dem Herzog zugestellte, worin ihn die Königin benachrichtigte, man wolle ihn ermorden, dieser aber war zu spät gekommen.
»Es ist gut, Madame,« sprach Mazarin, »hierauf läßt sich nichts erwidern.«
»Ja, mein Herr,« sprach die Königin, das Kistchen wieder verschließend und ihre Hand darauf legend; »wenn sich etwas darauf erwidern läßt, so ist es, daß ich stets undankbar gegen diejenigen gewesen bin, welche mich gerettet haben und Alles thaten, um ihn zu retten; daß ich, dem braven D’Artagnan, von dem Ihr so eben spracht, nichts gegeben habe, als meine Hand zu küssen und diesen Diamant.«
Die Königin streckte ihre schöne Hand gegen den Cardinal aus und zeigte ihm einen herrlichen Edelstein, der an ihrem Finger funkelte.
»Er hat ihn, wie es scheint, in einem Augenblick der Verlegenheit verkauft; er hat ihn verkauft, um mich zum zweiten Male zu retten, denn es geschah, damit ich einen Boten an den Herzog schicke und ihn benachrichtige, daß er ermordet werden sollte.«
D’Artagnan wußte es also.«
»Er wußte Alles. Wie er dies machte, weiß ich nicht; Kurz er verkaufte den Ring an Herrn des Effarts, an dessen Finger ich ihn sah, und von welchem ich ihn wieder kaufte; doch dieser Diamant gehört ihm, mein Herr, gebt ihm denselben in meinem Namen zurück, und da Ihr das Glück habt, einen solchen Menschen in Eurer Reihe zu besitzen, so sucht Vortheil daraus zu ziehen.«
»Ich danke, Madame,« sprach Mazarin, »ich werde Euren Rath benützen.«
»Und nun,« sagte die Königin, als hätte sie die Aufregung völlig entkräftet, »habt Ihr noch etwas Anderes von mir zu fordern?«
»Nichts, Madame,« erwiderte Mazarin mit seinem einschmeichelndsten Tone, »ich habe Euch nur zu bitten, mir meinen ungerechten Verdacht zu vergeben, aber ich liebe Euch so unendlich, daß man nicht staunen darf, wenn ich selbst über die Vergangenheit eifersüchtig bin.«
Ein Lächeln von unbeschreiblichem Ausdruck umspielte die Lippen der Königin.«
»Nun wohl, mein Herr,« sagte sie, »wenn Ihr nichts Anderes mehr von mir zu fordern habt, so laßt mich allein; Ihr begreift, daß ich nach einer solchen Scene der Einsamkeit bedarf.«
Mazarin verbeugte sich.
»Ich entferne mich, Madame,« sprach er, »erlaubt Ihr mir wiederzukommen?«
»Ja, aber morgen; ich werde dieser ganzen Zeit bedürfen, um wieder Ruhe zu gewinnen.«
Der Cardinal nahm die Hand der Königin, küßte sie zärtlich und zog sich zurück.
Kaum hatte er sich entfernt, als sich die Königin in das Gemach ihres Sohnes begab und La Porte fragte, ob der König zu Bette gegangen wäre. La Porte deutete mit der Hand auf das schlafende Kind.
Anna von Oesterreich stieg auf die Stufen des Bettes, näherte ihre Lippen der gefaltenen Stirne ihrer Sohnes und drückte sachte einen Kuß darauf; dann ging sie stille, wie sie gekommen war, wieder weg, wobei sie sich begnügte, zu dem Kammerdiener zu sagen:
»Seid bemüht, mein lieber La Porte, daß der König dem Herrn Cardinal, gegen den er und ich so große Verbindlichkeiten haben, ein besseren Gesicht macht.«