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Erstes bis drittes Bändchen
V
Gascogner und Italiener

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Während dieser Zeit war der Cardinal in sein Cabinet zurückgekehrt, an dessen Thüre Bernouin wachte, den er fragte, ob nichts Neues vorgefallen und ob keine Meldung von Außen gekommen wäre. Auf seine verneinende Antwort hieß er ihn durch ein Zeichen sich entfernen.

Allein geblieben öffnete er die Thüre des Corridors und dann die des Vorzimmers. D’Artagnan schlief ermüdet auf einer Bank.

»Herr d’Artagnan!« sprach er mit leiser Stimme.

D’Artagnan rührte sich nicht.

»Herr d’Artagnan!« sprach er lauter.

D’Artagnan fuhr fort zu schlafen.

Der Cardinal näherte sich ihm und berührte seine Schulter mit der Fingerspitze.

Dießmal fuhr d’Artagnan zusammen, erwachte und stand erwachend auch aufrecht, wie ein Soldat unter den Waffen.

»Hier!« sagte er, »wer ruft mich?«

»Ich,« erwiderte Mazarin mit seinem freundlichsten Gesichte.

»Ich bitte Eure Eminenz um Vergebung,« sprach d’Artagnan, aber ich war so müde …«

»Bittet nicht um Vergebung, mein Herr,« erwiderte Mazarin, »denn Ihr habt Euch in meinem Dienste ermüdet.«

D’Artagnan bewunderte die anmuthige Miene des Ministers.

»Oho!« murmelte er zwischen den Zähnen, »ist das Sprichwort wahr, welches sagt: Das Gute kommt im Schlafe?«

»Folgt mir, mein Herr,« sagte Mazarin.

»Vortrefflich,« murmelte d’Artagnan, »Rochefort hat mir Wort gehalten; nur möchte ich wissen, wo des Teufels er herausgekommen ist?«

Und er schaute in allen Winkeln des Cabinets umher, aber es war kein Rochefort da.

»Herr D’Artagnan,« sagte Mazarin, nachdem er sich gesetzt und eine bequeme Stellung in seinem Fauteuil eingenommen hatte, »Ihr seid mir immer als ein braver muthiger Mann vorgekommen.«

»Das ist möglich,« dachte d’Artagnan, »aber er hat sich Zeit gelassen, es mir zu sagen.« Dessen ungeachtet bückte er sich vor Mazarin bis auf den Boden, um sein Compliment zu erwidern.

»Nun wohl,« fuhr Mazarin fort, »der Augenblick ist gekommen, um aus Eurem Talente und aus Eurem Rathe Nutzen zu ziehen.«

Die Augen des Offiziers schleuderten gleichsam einen Freudenblitz, der sogleich wieder erlosch, denn er wußte nicht, wo Mazarin hinaus wollte.

»Befehlt, Monseigneur, ich bin bereit, Eurer Eminenz zu gehorchen.«

»Herr d’Artagnan,« fuhr Mazarin fort, »Ihr habt unter der letzten Regierung gewisse Thaten vollbracht …«

»Eure Eminenz ist zu gut, daß sie sich dessen erinnert … Es ist wahr, ich habe den Krieg mit ziemlich günstigem Erfolg mitgemacht …«

»Ich spreche nicht von Euren Kriegsthaten,« entgegnete Mazarin, »denn obgleich sie einiges Aufsehen machten, »so sind sie doch von andern übertroffen worden.«

D’Artagnan spielte den Erstaunten.

»Wie?« sprach Mazarin, »Ihr antwortet nicht?«

»Ich warte darauf,« versetzte d’Artagnan, »daß Monseigneur mir sagt, von welchen Thaten er zu sprechen die Gnade hat.«

»Ich spreche von den Abenteuern in … Ihr wißt wohl, was ich sagen will?«

»Ach nein, Monseigneur,« antwortete D’Artagnan ganz erstaunt.

»Ihr seid verschwiegen? desto besser! Ich spreche von jenem Abenteuer der Königin, von den Nestelstiften, von der Reise, die Ihr mit drei von Euren Freunden gemacht habt.«

»He, he!« dachte der Gascogner, »ist das eine Falle? Da müssen wir fest halten.«

Und er bewaffnete seine Züge mit einem Erstaunen, um das ihn Mondori und Bellerose, die zwei besten Schauspieler jener Zeit, beneidet hätten.

»Sehr gut!« rief Mazarin lachend. »Bravo! man hat mir wohl gesagt, Ihr wäret der Manns dessen ich bedürfe. Laßt hören, was würdet Ihr wohl für mich thun?«

»Alles, was Eure Eminenz mir zu thun befehlen wird,« antwortete D’Artagnan.

»Werdet Ihr für mich thun, was Ihr einst für eine Königin gethan habt?«

»Es ist entschieden,« sagte d’Artagnan zu sich selbst, »man will mich zum Sprechen bringen. Lassen wir ihn immerhin herankommen. Der Teufel ist nicht feiner, als Richelieu.«

»Für eine Königin, Monseigneur? ich begreife nicht!«

»Ihr begreift nicht, daß ich Eurer und Eurer drei Freunde bedarf?«

»Welcher Freunde, Monseigneur?«

»Eurer drei ehemaligen Freunde.«

»Ehemals hatte ich nicht drei, sondern fünfzig Freunde, Monseigneur,« antwortete d’Artagnan. »Mit zwanzig Jahren nennt man alle Menschen seine Freunde.«

»Gut, gut, Herr Offizier,« sagte Mazarin; »die Verschwiegenheit ist eine schöne Sache, aber heute könntet Ihr es bereuen, zu verschwiegen gewesen zu sein.«

»Monseigneur, Pythagoras ließ seine Schüler fünf Jahre lang Stillschweigen beobachten, um sie schweigen zu lehren.«

»Und Ihr habt es zwanzig Jahre lang beobachtet, mein Herr, das ist fünfzehn Jahre mehr, als ein pythagoräischer Philosoph, was mir hinreichend erscheint. Sprecht also heute immerhin, denn die Königin selbst entbindet Euch Eures Schwures.«

»Die Königin!« sagte d’Artagnan mit einem Erstaunen, das diesmal nicht gespielt war.

»Ja, die Königin. Und zum Beweise, daß ich in ihrem Namen mit Euch spreche, hat sie mich beauftragt, Euch diesen Diamant zu zeigen, von welchem sie behauptet, Ihr kennt ihn, und den sie von Herrn des Essarts wieder erkauft hat.«

Mazarin streckte die Hand nach dem Offizier aus, und dieser seufzte, als er den Ring wieder erkannte, den ihm die Königin am Abend des Balles im Stadthause geschenkt hatte.

»Es ist wahr,« sagte D’Artagnan, »ich erkenne diesen Diamant, welcher der Königin gehört hat.«

»Ihr seht also wohl, daß ich in ihrem Namen mit Euch spreche. Antwortet mir, ohne fernerhin Komödie zu spielen. Ich habe Euch schon gesagt und wiederhole, daß Euer Glück davon abhängt.«

»Meiner Treu, Monseigneur, ich habe es sehr nöthig, mein Glück zu machen. Eure Eminenz vergaß mich so lange!«

»Es braucht nicht mehr, als acht Tage, um dies gut zu machen. Ihr seid einmal hier; aber wo sind Eure Freunde?«

»Ich weiß es nicht, Monseigneur.«

»Wie, Ihr wißt es nicht?«

»Nein, wir sind seit geraumer Zeit getrennt, denn alle Drei haben den Dienst verlassen.«

»Aber wo werdet Ihr sie wiederfinden?«

»Ueberall, wo sie sich aufhalten; das ist meine Sache.«

»Gut … Eure Bedingung?«

»Geld, Monseigneur, so viel, als unsere Unternehmungen fordern. Ich erinnere mich zuweilen nur zu gut, wie sehr wir ohne Geld gehemmt waren, und ohne diesen Diamant, den ich zu verkaufen mich genöthigt sah, wären wir auf dem Wege liegen geblieben.«

»Teufel! Geld, und zwar viel,« sprach Mazarin. »Wie rasch Ihr darauf losgeht, Herr Offizier! Wißt Ihr, daß in den Kassen des Königs kein Geld ist?«

»Macht es wie ich, Monseigneur, verkauft die Diamanten der Krone. Glaubt mir, wir wollen nicht handeln; man führt große Dinge nur schlecht aus mit kleinen Mitteln.«

»Nun wohl,« sprach Mazarin, »wir werden Euch zu befriedigen suchen.«

»Richelieu,« dachte d’Artagnan, »hätte mir bereits fünfhundert Pistolen Handgeld gegeben.«

»Ihr gehört also mein?«

»Ja, wenn meine Freunde wollen.«

»Aber falls sie sich weigern, kann ich auf Euch zählen?«

»Ich habe nie etwas Gutes ganz allein gethan,« antwortete D’Artagnan, den Kopf schüttelnd.

»Sucht sie also auf.«

»Was soll ich ihnen sagen, um sie zu bestimmen,« Eurer Eminenz zu dienen?«

»Ihr kennt sie besser als ich; nach ihren Charakteren versprecht ihnen.«

»Was soll ich ihnen versprechen?«

»Sie mögen mir dienen, wie sie der Königin gedient haben, und meine Dankbarkeit wird glänzend sein.«

»Was sollen wir thun?«

»Alles, denn es scheint, Ihr wißt Alles zu thun.«

»Monseigneur, wenn man Vertrauen zu den Menschen hat und man will, daß sie Vertrauen zu uns haben sollen, so unterrichtet man sie besser, als dies Eure Eminenz thut.«

»Ist der Augenblick gekommen,« versetzte Mazarin, »so werdet Ihr alle meine Gedanken erfahren, darüber seid unbesorgt.«

»Und bis dahin?«

»Wartet und sucht Eure Freunde.«

»Monseigneur, vielleicht sind sie nicht in Paris; ja dies ist sogar wahrscheinlich, ich werde reisen müssen. Ich bin nur ein sehr armer Musketierlieutenant und die Reisen sind theuer.«

»Es liegt nicht in meiner Absicht,« sagte Mazarin, »daß Ihr mit einem großen Gefolge erscheint. Meine Pläne bedürfen des Geheimnisses und würden unter einer großen Equipage leiden.«

»Ich wiederhole, Monseigneur, ich kann nicht mit, meinem Solde reisen, da man bei mir mit drei Monaten im Rückstande ist, und ich kann auch nicht mit meinem Ersparnissen reisen, insofern ich seit zweiundzwanzig Jahren, die ich im Dienste bin, nur Schulden erspart habe.«

Mazarin blieb einen Augenblick nachdenkend, als ob sich ein gewaltiger Kampf in seinem Innern entspänne. Dann ging er auf einen dreifach geschlossenen Schrank zu und zog einen Sack hervor, den er wiederholt in der Hand wog,.ehe er ihn d’Artagnan gab.

»Nehmt dieß,« sprach er mit einem Seufzer, es ist für die Reise.«

»Wenn es spanische Dublonen oder Goldthaler sind,« dachte D’Artagnan, »so können, wir noch ein Geschäft mit einander machen.«

Er verbeugte sich vor dem Cardinal und schob den Sack in seine weite Tasche.

»Nun, das ist abgemacht,« versetzte der Cardinal, »Ihr reise.«

»Ja, Monseigneur.«

»Schreibt mir alle Tage und gebt mir Nachricht von Eurer Unterhandlung.«

»Ich werde nicht verfehlen, dies zu thun, Monseigneur.«

»Gut. Doch halt, der Name Eurer Freunde …«

»Der Name meiner Freunde?« wiederholte D’Artagnan mit einem Reste von Unruhe.«

»Ja, während Ihr Eurerseits suchet, werde ich mich meinerseits erkundigen und vielleicht erfahre ich etwas.«

»Der Herr Graf de la Fère, sonst Athos genannt, Herr du Vallon, sonst Porthos genannt, und der Herr Chevalier d‘Herblay, gegenwärtig Abbé d‘Herblay früher Aramis genannt.«

»Der Cardinal lächelte.

»Junker,« sprach er, die sich unter falschen Namen unter den Musketieren hatten aufnehmen lassen, um nicht ihre Familiennamen zu compromittiren … lange Stoßdegen, leichte Börsen. Man kennt das.«

»Wenn es Gottes Wille ist, daß diese Stoßdegen in den Dienst Eurer Eminenz treten,« erwiderte D’Artagnan, »so wage ich den Wunsch auszudrücken, die Börse Eurer Eminenz möge leicht und die ihrige dafür schwer werden; »denn mit diesen drei Männern und mit mir kann Euere Eminenz ganz Frankreich und sogar ganz Europa in Bewegung setzen, wenn es Euch beliebt.«

»Diese Gascogner,« sprach Mazarin lächelnd, »kommen den Italienern in der Prahlerei gleich.«

»Ist jedem Fall,« sagte D’Artagnan mit einem Lächeln, ähnlich dem des Cardinals, »in jedem Fall stehen sie über ihnen, was das Schwert betrifft.«

Und er trat ab, nachdem er um einen Urlaub gebeten hatte, der ihm sogleich bewilligt, und von dem Cardinal selbst unterzeichnet wurde.

Kaum war er außen, so näherte er sich einer Laterne, welche er im Hofe fand, und schaute rasch in den Sack.

«Silberthaler!« rief er verächtlich, »ich vermuthete es! Ach, Mazarin, Mazarin! Du hast kein Vertrauen zu mir. Desto schlimmer! das wird Dir Unglück bringen.«

Während dieser Zeit rieb sich der Cardinal die Hände.

»Hundert Pistolen!« murmelte er, »hundert Pistolen!« um hundert Pistolen habe ich ein Geheimniß erhandelt, wofür Herr Richelieu zwanzig tausend Thaler bezahlt hätte. Diesen Diamant nicht zu rechnen,« fügte er bei und warf einen verliebten Blick aus den Ring, den er behalten hatte, statt ihn D’Artagnan zu geben, »diesen Ring nicht zu rechnen, welcher wenigstens zehntausend Livres werth ist.«

Und der Cardinal kehrte in sein Zimmer zurück, ganz freudig über diesen Abend, an welchem er einen so schönen Vortheil gemacht hatte, legte den Ring in ein mit Brillanten aller Art ausgestattetes Etui, denn Mazarin hatte Geschmack für Edelsteine, und rief sodann Bernouin, um sich auskleiden zu lassen, ohne sich weiter um den Lärmem der fortwährend, gleichsam in Windstößen an die Fensterscheiben schlug, und um die Flintenschüsse zu bekümmern, welche noch in Paris erschollen, obgleich es bereits elf Uhr vorüber war.

Während dieser Zeit ging d’Artagnan in die Rue Tiquetonne, wo er in der Herberge zur Rehziege wohnte. Wir wollen mit wenigen Worten erzählen, wie es gekommen war, daß D’Artagnan dieses Quartier gewählt hatte

Zwanzig Jahre nachher

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