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Viertes bis sechstes Bändchen
I
Ein Abenteuer von Marie Michon

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Ungefähr um dieselbe Stunde, wo die Entweichungspläne zwischen dem Herzog von Beaufort und Grimaud entworfen und angesponnen wurden, ritten zwei Männer, gefolgt von einem Bedienten, durch die Rue du Faubourg-Saint-Marcel in Paris ein. Diese zwei Männer waren der Graf de La Fère und der Vicomte von Bragelonne.

Der junge Mann kam zum ersten Male nach Paris und Athos hatte keine große Eitelkeit darein gesetzt, indem er ihm die Hauptstadt, seine alte Freundin, von dieser Seite zeigte. In der That, das letzte Dorf der Touraine war lieblicher anzuschauen, als Paris von dem Gesichtspunkte aus betrachtet, unter dem der Jüngling Blois anschaute. Zur Schande von Paris muß man auch gestehen, daß es nur einen mittelmäßigen Eindruck auf den jungen Menschen hervorbrachte.

Athos hatte stets seine heitere, sorglose Miene.

In Saint-Medard angelangt, schlug Athos, der in diesem großen-Labyrinth seinem Reisegefährten als Führer diente, zuerst den Weg in die Rue des Postes, dann in die de l’Estrapade, dann in die des Fossés-Saint-Michel, dann in die Rue des Vaugirards ein. Zur Rue Ferou gelangt, ritten die Reisenden durch diese. Ungefähr in der Mitte derselben hob Athos lächelnd die Augen empor, deutete auf ein Haus von bürgerlichem Aussehen und sagte zu dem Jüngling:

»Sieh, Raoul, hier ist ein Haus, wo ich die sieben süßesten und sieben grausamsten Jahre meines Lebens zugebracht habe.«

Der junge Mann lächelte ebenfalls und begrüßte das Haus. Die fromme Achtung, die er für seinen Beschützer hegte, gab sich in allen Verhältnissen seines Lebens kund.

Die Reisenden hielten in der Rue du Vieux-Colombier vor dem Gasthofe zum grünen Fuchse an. Athos kannte die Taberne seit geraumer Zeit. Hundertmal war er mit seinen Freunden dahin gekommen; aber seit zwanzig Jahren waren, bei den Wirthsleuten anzufangen, vielfache Veränderungen in diesem Hotel vorgegangen.

Die Reisenden überließen ihre Pferde den Händen der Knechte, und da es Thiere von edler Race waren, so befahlen sie, sehr für dieselben besorgt zu sein, ihnen nur Stroh und Haber zu geben und die Brust und die Beine mit warmem Weine zu waschen. Sie hatten zwanzig Meilen in einem Tage zurückgelegt. Nachdem sie sich, wie dies wahre Cavaliere thun müssen, zuerst mit ihren Pferden beschäftigt hatten, verlangten sie zwei Zimmer für sich.

»Ihr werdet Toilette machen, Raoul; sprach Athos, »ich stelle Euch Jemand vor.«

»Heute, Herr?« fragte der Jüngling.

»In einer halben Stunde.«

Der Jüngling verbeugte sich.

Minder unermüdlich, als Athos, welcher von Eisen zu sein schien, würde er vielleicht ein Bad in dem Seineflusse vorgezogen haben, von dem er so viel hatte sprechen hören, und den er geringer als die Loire zu finden sich gelobte. Dann wäre ihm wohl ein Bett willkommener gewesen, aber der Graf de la Fère hatte gesprochen, und er dachte nur daran, ihm zu gehorchen.

»Kleidet Euch sorgfältig, Raoul,« sagte Athos, »man soll Euch schön finden.«

»Ich hoffe, Herr,« erwiderte der Jüngling lächelnd, »es handelt sich nicht um eine Heirath. Ihr kennt meine Verbindung mit Louise.«

Athos lächelte ebenfalls.

»Nein, seid ruhig,« sprach er, »obgleich ich Euch einer Frau vorstellen werde.«

»Einer Frau?« sagte Raoul.

»Ja, ich wünsche sogar, daß Ihr sie liebtet.«

Der junge Mensch schaute den Grafen mit einer gewissen Unruhe an; aber das Lächeln von Athos beruhigte ihn bald wieder.

»Und wie alt ist sie?« fragte der Vicomte von, Bragelonne.

»Mein lieber Raoul, lernt ein für allemal,« sagte Athos, daß dies eine Frage ist, welche man nie macht. Wenn Ihr auf dem Antlitz einer Frau ihr Alter lesen könnt, so ist es unnütz, sie zu fragen, könnt Ihr es nicht, so ist es indiscret.«

»Ist sie schön?«

»Vor sechzehn Jahren galt sie nicht nur für die schönste, sondern auch für die anmuthigste Frau von Frankreich.«

Diese Antwort beruhigte den Vicomte völlig.

Athos konnte keinen Plan mit ihm und mit einer Frau haben, welche ein Jahr früher, als er auf die Welt kam, für die hübscheste und anmuthigste von Frankreich galt.

Er zog sich also in sein Zimmer zurück und bemühte sich, mit der Coquetterie, welche der Jugend so gut steht, dem Auftrage von Athos Folge zu leisten, das heißt, sich so schön als möglich zu machen. Bei dem aber, was die Natur für ihn gethan hatte, war dies ein Leichtes.

Als er wieder erschien, empfing ihn Athos mit dem väterlichen Lächeln, mit welchem er einst d’Artagnan empfangen hatte, worin sich aber eine noch tiefere Zärtlichkeit für Raoul abspiegelte.

Athos warf einen Blick auf seine Füße, auf seine Hände und auf seine Haare, diese drei Race-Zeichen. Seine schwarzen Haare waren gleichmäßig abgetheilt, wie man sie zu jener Zeit trug, und fielen, sein Gesicht umrahmend, auf die Schultern herab. Handschuhe von, gräulichem Dammhirschleder, welche mit seinem Hute im im Einklange standen, hoben eine feine, elegante Hand hervor, während seine Stiefeln von derselben Farbe, wie seine Handschuhe und sein Hut, einen Fuß umspannten, welcher der eines zehnjährigen Kindes zu sein schien.

»Gut,« murmelte er; »wenn sie nicht stolz aus ihn ist, so muß sie sehr häkelig sein.«

Es war drei Uhr Nachmittags, das heißt, die schickliche Stunde zu Besuchen. Die zwei Reisenden gingen nach der Rue de Grenelle zu, schlugen den Weg nach der Rue Roussiers ein, traten in die Rue Saint-Dominique und hielten vor einem prachtvollen Hotel an, das den Jacobinern gegenüber lag und von dem Wappen von Luynes überragt war.

»Hier ist es,« sprach Athos.

Er trat in das Hotel mit dem festen, sichern Schritte, der dem Portier andeutet, daß der Eintretende das Recht hat, so zu handeln. Er stieg die Treppe hinauf, wandte sich an einen Bedienten, welcher in großer Livrée wartete, und fragte, ob die Frau Herzogin von Chevreuse sichtbar wäre und den Herrn Grafen de la Fère empfangen könnte.

Einen Augenblick nachher kam der Lakei zurück und sagte:

Obgleich die Frau Herzogin von Chevreuse nicht die Ehre hätte, den Herrn Grafen de la Fère zu kennen, so bäte sie ihn doch, eintreten zu wollen.

Athos folgte dem Bedienten, der ihn eine lange Reihe von Zimmern durchwandern ließ, und blieb endlich vor einer geschlossenen Thüre stehen. Man befand sich in einem Salon. Athos machte dem Vicomte von Bragelonne ein Zeichen, da zu verweilen, wo er war.

Der Lackei öffnete und meldete den Herrn Grafen de la Fère.

Frau von Chevreuse, von der wir so oft in unserer Geschichte von den drei Musketieren sprachen, ohne je die Gelegenheit gehabt zu haben, sie in die Scene zu bringen, galt immer noch für eine sehr schöne Frau. Obgleich sie zu dieser Zeit 44 bis 45 Jahre alt war, so schien sie doch kaum 38 bis 39 zu sein. Sie besaß immer noch ihre schönen blonden Haare, ihre großen, lebhaften, verständigen Augen, welche die Intrigue so oft geöffnet und die Liede so oft geschlossen hatte, und ihren Nymphenwuchs, welcher bewirkte, daß sie, wenn man sie von hinten sah, immer noch das junge Mädchen zu sein schien, das mit Anna von Oesterreich in dem Graben der Tuilerien umhersprang, wodurch 1623 die Krone von Frankreich eines Erben beraubt wurde.

Es war übrigens immer noch das stelle Geschöpf, das seinen Liebschaften ein solches Gepräge von Originalität verliehen hatte, daß dieselben beinahe zur Verherrlichung ihrer Familie dienten.

Die Herzogin befand sich in einem kleinen Boudoir, dessen Fenster auf den-Garten ging. Dieses Boudoir war nach einer Mode, welche Frau von Rambouillet herbeigeführt hatte, als sie ihr Haus baute, mit einer Art von blauem Damast mit Rosablumen und goldenem Laubwerk austapeziert. Es war eine große Coquetterie für eine Frau von dem Alter der Herzogin von Chevreuse, in einem solchen Boudoir zu verweilen, und besonders so, wie sie es war, auf ein Sofa gelagert und den Kopf an die Wand gelehnt.

Sie hielt in der Hand ein halb geöffnetes Buch und hatte ein Kissen, um den Arm zu stützen, der das Buch hielt.

Bei der Ankündigung des Bedienten erhob sie sich ein wenig und reckte neugierig den Kopf vor.

Athos erschien.

Er war in veilchenblauen Sammet mit ähnlichen Postamenten gekleidet. Die Nesteln waren von mattem Silber, sein Mantel hatte nur eine goldene Stickerei und eine einzige veilchenblaue Feder schwankte an seinem schwarzen Hut.

Er trug Stiefeln von schwarzem Leder und an seinem gefirnißten Gürtel hing der Degen mit dem prachtvollen Griffe, den Porthos so oft in der Rue Férou bewundert hatte, und welchen ihm Athos nie hatte leihen wollen. Herrliche Spitzen bildeten den zurückgeschlagenen Kragen seines Hemdes, Spitzen fielen auch an seinen Stiefeln herab.

In der ganzen Person desjenigen, welchen man unter einem, Frau von Chevreuse völlig unbekannten, Namen gemeldet hatte, trat ein so vollständig edelmännischer Ausdruck hervor, daß sie sich halb erhob und ihm mit einem anmuthigen Zeichen bedeutete, er möge sich in ihrer Nähe niedersetzen.

Athos grüßte und gehorchte. Der Lackei war im Begriff, sich zurückzuziehen, als ihn Athos durch ein Zeichen bleiben hieß.

»Madame,« sprach er zu der Herzogin, »ich habe die Kühnheit gehabt, mich in Eurem Hotel einzufinden, ohne Euch bekannt zu sein. Diese Kühnheit ist mir gelungen, denn Ihr hattet die Gnade, mich zu empfangen; nun wage ich es noch, Euch um eine Unterredung von einer halben Stunde zu bitten.«

»Ach bewillige Euch dieselbe, mein Herr,« antwortete Frau von Chevreuse mit ihrem reizendsten Lächeln.

»Doch das ist noch nicht Alles, Madame; oh! bin ein gewaltig ehrgeiziger Mensch, ich weiß es wohl. Die Unterredung, die ich mir von Euch erbitte, ist eine Unterredung unter vier Augen, in der ich nicht unterbrochen zu werden wünschen muß.«

»Ich bin für Niemand zu Hause,« sagte die Herzogin von Chevreuse zu dem Bedienten; »geht!«

Der Lackei entfernte sich.

Es trat einen Augenblick Stillschweigen ein, während dessen diese zwei Personen, welche bei dem ersten Blicke gegenseitig so gut ihren hohen Ursprung erkannten, sich ohne eine Verlegenheit von der einen oder der anderen Seite prüfend betrachteten.

Die Herzogin von Chevreuse unterbrach zuerst das Stillschweigen.

»Nun, mein Herr,« sagte sie lächelnd, »seht Ihr nicht, daß ich mit Ungeduld warte?«

»Und ich, Madame,« erwiderte Athos, »schaue mit Bewunderung.«

»Mein Herr,« sprach Frau von Chevreuse, »entschuldigt mich, aber ich wünschte sogleich zu wissen, mit wem ich spreche. Ihr seid ein Mann vom Hofe, das ist unbestreitbar, und dennoch habe ich Euch nie bei Hofe gesehen. Kommt Ihr vielleicht zufällig aus der Bastille?«

»Nein, Madame,« antwortete Athos lächelnd, »aber vielleicht bin ich auf dem Wege, der dahin führt.«

»Ah, dann sagt mir geschwinde, wer Ihr seid, und geht,« erwiderte die Herzogin mit dem lustigen Tone, der bei ihr einen so großen Zauber ausübte; »denn ich bin in dieser Beziehung bereits hinreichend kompromittiert und kann mich nicht noch mehr compromittiren.

»Wer ich bin, Madame? Man hat Euch meinen Namen gesagte der Graf de la Fère. Diesen Namen habt Ihr nie gekannt; ich führte einst einen andern, den Ihr vielleicht gewußt, aber sicherlich vergessen habt.«

»Nennt ihn immerhin, mein Herr.«

»Früher,« versetzte der Graf de la Fère, »nannte ich mich Athos.«

Frau von Chevreuse machte große verwunderte Augen. Offenbar hatte sich dieser Name in ihrem Gedächtnisse nicht ganz vermischt, obgleich er mit vielen alten Erinnerungen vermengt war.

»Athos?« sagte sie, »wartet doch ein wenig…«

Und sie legte ihre zwei Hände an ihre Stirne, als wollte sie die tausend flüchtigen Gedanken, welche dieselbe enthielt, nöthigen, einen Augenblick stehen zu bleiben, um sie klar in dem buntscheckigen, glänzenden Haufen schauen zu lassen.

»Soll ich Euch helfen, Madame?« sagte Athos lächelnd.

»Ja doch,« erwiderte die Herzogin, des Suchens bereits müde; »Ihr thut mir einen Gefallen damit.«

»Dieser Athos stand in Verbindung mit drei jungen Musketieren, und diese drei Musketiere hießen d’Artagnan, Porthos und …«

Athos hielt inne.

»Und Aramis,« sprach die Herzogin lebhaft.

»Und Aramis, so ist es,« versetzte Athos.

»Ihr habt also diesen Namen nicht gänzlich vergessen?«

»Nein,« sprach sie, »nein! Armer Aramis! er war ein reizender Cavalier, zierlich, verschwiegen, und machte artige Verse. Ich glaube es hat eine schlimme Wendung mit ihm genommen.«

»Aeußerst schlimm: er ist Abbé geworden.«

»Ah, welch ein Unglück!« rief Frau von Chevreuse, nachlässig mit ihrem Fächer spielend. »In der That, mein Herr, ich danke Euch.«

»Wofür, Madame.«

»Daß Ihr diese Erinnerung in mir zurückgerufen habt, denn sie gehört zu den angenehmsten Erinnerungen meiner Jugend.«

»Dann erlaubt Ihr mir also, eine zweite in Euch zurückzurufen?«

»Welche mit dieser in Verbindung steht?«

»Ja oder nein.«

»Meiner Treue,« versetzte Frau von Chevreuse, »sprecht immerhin. Bei einem Manne, wie Ihr seid, wage ich Alles.«

Athos verbeugte sich.

»Aramis,« fuhr er fort, »stand in Verbindung mit einer Näherin in Tours.«

»Mit einer Nähterin in Tours?« fragte Frau von Chevreuse.

»Ja, einer Verwandtin von ihm, welche Maria Michon hieß.«

»Ah, ich kenne sie!« rief Frau von Chevreuse; »es ist diejenige, an welche er von der Belagerung von La Rochelle schrieb, um sie von einem Complott in Kenntniß zu setzen, das man gegen den armen Buckingham angesponnen hatte.

»Ganz richtig; wollt Ihr mir erlauben, von ihr zu sprechen?«

Frau von Chevreuse schaute Athos an und sagte nach kurzem Stillschweigen:

»Ja, vorausgesetzt, daß Ihr mir nicht zu viel Schlimmes von ihr sagt.«

»Ich wäre ein Undankbarer,« erwiderte Athos, »und ich betrachte den Undank nicht als einen Mangel oder als ein Verbrechen, sondern als ein Laster, was noch schlimmer ist.«

»Ihr, undankbar gegen Marie Michon!« rief Frau von Chevreuse, und suchte in den Augen von Athos zu lesen. »Wie könnte dies sein? Ihr habt sie nie persönlich gekannt.«

»Ei, Madame, wer weiß!« versetzte Athos. »Ein Volkssprichwort sagte nur die Berge kommen nicht zusammen, und die Volkssprichwörter sind zuweilen unglaublich wahr.«

»Oh! fahrt fort, mein Herr, fahrt fort,« sagte Frau von Chevreuse lebhaft. »Ihr könnt nicht glauben, wie sehr mich diese Unterhaltung belustigt.«

»Ihr ermuthigt mich, und ich fahre fort. Diese Base von Aramis, diese Marie Michon, diese junge Nähterin hatte trotz ihres niedrigen Standes die höchsten Bekanntschaften. Sie nannte die vornehmsten Damen des Hofes ihre Freundinnen, und die Königin, so stolz sie auch in ihrer doppelten Eigenschaft als Oesterreicherin und Spanierin war, nannte sie ihre Freundin.«

»Oh!« sprach Frau von Chevreuse mit einem leichten Seufzer und einer kleinen Bewegung der Augenbrauen, die nur ihr eigenthümlich war, »die Dinge haben sich seit jener Zeit gewaltig verändert.«

»Und die Königin hatte Recht,« fuhr Athos fort, »denn sie war ihr sehr ergeben, ergeben bis zu einem Grade, daß sie ihr als Vermittlerin mit ihrem Bruder, dem Könige von Spanien, diente.«

»Was ihr jetzt als ein großes Verbrechen angerechnet ward,« versetzte die Herzogin.

»So,« fuhr Athos fort, »so, daß der Cardinal, der wahre Cardinal, der andere, an einem schönen Morgen beschloß, die arme Marie Michon verhaften und nach dem Schlosse Loges führen zulassen. Glücklicher Weise ließ sich die Sache nicht so geheim ausführen, daß der Plan nicht ruchbar geworden wäre. Man hatte für den Fall vorhergesehen: wenn Marie Michon von irgend einer Gefahr bedroht wäre, sollte ihr die Königin ein in grünen Sammet gebundenes Gebetbuch zuschicken.«

»So ist es, mein Herr, Ihr seid gut unterrichtet.«

»Eines Morgens kam das Buch, überbracht von dem Prinzen von Marsillac. Es war keine Zeit zu verlieren. Glücklicher Weise wußten Marie Michon und eine Dienerin, die sie hatte, Namens Ketty, sich auf eine bewunderungswürdige Weise in Männerkleidern zu bewegen. Der Prinz verschaffte ihnen solche, Marie Michon eine Cavalierstracht und Ketty einen Lackeienanzug, und übergab ihnen zwei Pferde. Die Flüchtigen verließen rasch Tours und erreichten Spanien, zitternd bei dem geringsten Geräusche, Fußpfaden im Walde folgend, weil sie es nicht wagten, aus der Landstraße zu reisen, und Gastfreundschaft ansprechend, wenn sie keine Herberge fanden.«

»In der That, es ist durchaus so,« rief Frau von Chevreuse in die Hände klatschend; »es wäre wirklich seltsam …« sie hielt inne.

»Wenn ich den zwei Flüchtlingen bis an das Ende ihrer Reise folgte?« sprach Athos. »Nein, Madame, ich werde Ihre Augenblicke nicht so sehr mißbrauchen, und wir begleiten sie nur bis in ein kleines Dorf im Limousin zwischen Tulle und Angoulême, in ein kleines Dorf, das man Roche-l’Abeille nennt.«

Frau von Chevreuse stieß einen Schrei des Erstaunens aus und betrachtete Athos mir einem Ausdrucke von Verwunderung, der den ehemaligen Musketier lächeln machte.

»Geduld, Madame,« fuhr Athos fort; »denn was ich Euch noch zu sagen habe, ist viel seltsamer, als das bereits Gesagte.«

»Mein Herr,« sprach Frau von Chevreuse, »ich halte Euch für einen Zauberer und bin auf Alles gefaßt. Aber gleichviel, fahrt nur fort.«

»Diesmal war die Tagreise lang und ermüdend gewesen. Es herrschte bereits eine lästige Kälte, es war am 11. Oktober. Dieses Dorf bot weder ein Schloß noch eine Herberge. Die Bauernhöfe sahen armselig und schmutzig aus. Marie Michon war eine sehr aristokratische Person und wie die Königin, ihre Schwester, an gute Gerüche und seine Wäsche gewöhnt. Sie beschloß also, sich Gastfreundschaft im Pfarrhause zu erbitten.«

Athos machte eine Pause.

»Oh, fahrt fort,« sprach die Herzogin, »ich sagte Euch bereits, ich wäre auf Alles gefaßt.«

»Die zwei Reisenden klopften an die Thüre. Es war spät, der Priester hatte sich bereits zu Bette gelegt, er rief ihnen zu, sie mögen eintreten. Sie traten ein, denn die Thüre war nicht geschlossen; das Vertrauen in den Dörfern ist groß. Es brannte eine Lampe in dem Zimmer, in welchem sich der Priester befand; Marie Michon spielte den reizendsten Cavalier der Welt, stieß die Thüre auf, steckte den Kopf hinein und verlangte Gastfreundschaft.«

»»Sehr gerne, mein junger Cavalier,«« sprach der Priester, »»wenn Ihr Euch mit den Ueberresten von meinem Abendbrod und der Hälfte meines Zimmers begnügen wollt.««

»Die zwei Reisenden beriethen sich einen Augenblick. Der Priester hörte, wie sie in ein Gelächter ausbrachen; dann erwiderte der Herr oder vielmehr die Herrin:

»»Ich danke, Herr Pfarrer, und nehme es an.««

»»Dann speist und macht so wenig als möglich Geräusch,«« versetzte der Priester, denn ich bin auch den ganzen Tag umher gelaufen und es wäre mir nicht unangenehm, diese Nacht schlafen zu können.««

Frau von Chevreuse ging offenbar von Verwunderung zu Erstaunen und von Erstaunen zu Verwunderung über. Ihr Antlitz nahm, während sie Athos anschaute, einen Ausdruck an, der sich nicht wohl beschreiben läßt. Man sah, daß sie gerne gesprochen hätte, und dennoch schwieg sie aus Furcht, eines von seinen Worten zu verlieren.«

»Hernach?« fragte sie.

»Hernach,« sagte Athos, »ah! das ist gerade das Schwierige.«

»Sprecht, sprecht, sprecht! man kann mir Alles sagen. Ueberdies geht es nicht mich an; es ist die Geschichte von Mademoiselle Marie Michon.«

»Ah, das ist richtig, versetzte Athos … »Nun also, Marie Michon verzehrte die Ueberreste des Abendbrodes mit ihrer Dienerin und kehrte, nachdem sie gegessen hatte, der ihr gegebenen Erlaubniß zu Folge in das Zimmer zurück, wo ihr Wirth ruhte, während des sich Ketty in einem Lehnstuhle in dem ersten Zimmer, das heißt in demjenigen, wo man gespeist hatte, bequem machte.«

»In der That, mein Herr,« sprach Frau von Chevreuse, »wenn Ihr nicht der Teufel in Person seid, so weiß ich nicht, wie Ihr alle diese einzelnen Umstände zu kennen vermöget.«

»Es war eine reizende Frau, diese Marie Michon,« fuhr Athos fort, »eines von den tollen Geschöpfen, denen unablässig die seltsamsten Gedanken in den Kopf kommen, eines von den Wesen, welche geboren sind, uns Allen die Verdammniß zu bringen. Während sie nun bedachte, daß ihr Wirth ein Priester war, kam es der Coquette in den Kopf, es möchte mitten unter so vielen lustigen Erinnerungen, die sie hatte, eine sehr lustige Erinnerung für ihr Alter sein keinen Abbé in die Verdammniß gebracht zu haben.«

»Graf!« rief die Herzogin, »auf mein Ehrenwort, Ihr erschreckt mich!«

»Ach,« versetzte Athos, »der arme Abbé war kein heiliger Ambrosius, und ich wiederhole, Marie Michon war ein anbetungswürdiges Geschöpf.«

»Mein Herr,« sprach die Herzogin und ergriff Athos bei den Händen, »sagt mir sogleich, woher Ihr alle diese Umstände wißt, oder ich lasse einen Mönch aus dem Augustinerkloster kommen und Euch beschwören.«

Athos brach in ein Gelächter aus.

»Nichts leichter, Madame. Ein Cavalier, der mit einer wichtigen Sendung beauftragt war, kam eine Stunde vor Marie Michon in das Pfarrhaus und er bat sich Gastfreundschaft, und zwar in dem Augenblicke, wo der Pfarrer, zu einem Sterbenden gerufen, nicht nur sein Haus, sondern das Dorf für die ganze Nacht verließ. Voll Vertrauen zu seinem Gaste, der übrigens ein Edelmann war, hatte der Geistliche diesem sein Haus, sein Abendbrod und sein Zimmer überlassen. Es war also der Gast des guten Abbé und nicht der Abbé selbst, von dem Marie Michon Gastfreundschaft forderte.«

»Und dieser Cavalier, dieser Gast, dieser Edelmann, der vor ihr ankam?«

»War ich, der Graf de la Fère,« sprach Athos aufstehend und sich ehrfurchtsvoll vor der Herzogin von Chevreuse verbeugend.

Die Herzogin blieb einen Augenblick ganz verblüfft; dann fing sie plötzlich an, laut zu lachen.

»Ah! meiner Treue,« sagte sie, »das ist drollig. Und diese tolle Marie Michon fand es besser, als sie errwartet hatte. Setzt Euch, lieber Graf, und fahrt in Eurer Erzählung fort.«

»Nun bleibt mir nur noch übrig, mich anzuklagen, Madame. Ich sagte Euch vorhin, daß ich selbst in einer dringenden Sendung reiste. Schon bei Tagesanbruch ging ich geräuschlos aus dem Zimmer und ließ meinen reizenden Lagergefährten schlafen.

»In dem ersten Zimmer schlief ebenfalls, den Kopf auf einen Lehnstuhl zurückgelegt, die Kammerfrau, in Allem ihrer Gebieterin würdig. Ihr hübsches Gesicht fiel mir auf, ich näherte mich ihr und erkannte die kleine Ketty, welche unser Freund Aramis bei ihr untergebracht hatte. So erfuhr ich, die schöne Reisende wäre …«

»Marie Michon,« fiel Frau von Chevreuse lebhaft ein.

»Marie Michon,« versetzte Athos. »Ich verließ nun das Haus, ging in den Stall, fand mein Pferd gesattelt und meinen Bedienten bereit; wir reisten ab.«

»Und Ihr seid nie mehr durch dieses Dorf gekommen?« fragte Frau von Chevreuse.

»Ein Jahr nachher, Madame.«

»Nun?«

»Nun, ich wollte den guten Pfarrer wieder besuchen. Er war sehr bekümmert wegen eines Ereignisses, das er nicht begreifen konnte. Er hatte acht Tage vorher in einer kleinen Wiege einen reizenden Knaben von drei Monaten mit einer Börse voll Geld und einem Billet erhalten, in welchem nur die einfachen Worte standen: 11. Oktober 1633.«

Zwanzig Jahre nachher

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