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II.
Die Barriere Saint-Denis

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Am 2. September 1796 zeigte sich eine kleine, mit Leinwand überspannte Carriole mit einer Seitenöffnung, mit Stroh belegt und durch einen Bauern geführt, welcher auf der Deichsel saß, um sechs und ein halb Uhr Morgens an der Barriere Saint-Denis; sie folgte einem Dutzend anderer Karren, welche alle das dringende Verlangen zeigten, die Hauptstadt zu verlassen, was zu jener Zeit eine nicht sehr leichte Sache war.

Jedes Fuhrwerk, welches sich zeigte, wurde einer strengen Durchsuchung unterworfen.Außer den Douaniers, deren Geschäft es war, die eingehenden Fuhrwerke einfach zu besichtigen, waren vier Municipalofficianten an der Barriere stationiert, um die Pässe zu visiren. Und ein Posten freiwilliger Nationalgardisten hielt sich bereit, sie zu unterstützen, wenn es die Umstände notwendig machen sollten.

Jeder Reisewagen, welcher dem kleinen Fuhrwerke vorfuhr, wurde angehalten, und bis in die geheimsten Fächer durchwühlt. Keiner derselben zeigte einen verdächtigen Inhalt; denn alle passierten ohne Anstand hinaus; so erreichte das kleine Fuhrwerk das Gitterthor und hielt vor dem Wachposten an. Der Bauer hob nun, ohne irgend eine Frage abzuwarten, die Leinwand, welche seinen Wagen schloß, in die Höhe, und reichte seinen Paß dar.

Dieser Paß, welcher von der Maire zu Abbeville ausgestellt war, ersuchte die Behörden, den Pächter Pierre Durand, seine Frau, Catharina Payot, und seine Mutter, Gervasia Arnould, welche alle Drei sich nach Paris begaben, ungehindert passieren zu lassen. Auf der andern Seite autorisiert die Municipalität von Paris die genannten Personen, nach dem Dorfe Nonbion, ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsorte, zurück zu kehren.

Der Municipalofficiant streckte seinen Hals in den Wagen hinein; er umschloss eine Frau von fünf und vierzig bis fünfzig Jahren, eine andere von fünf und zwanzig bis acht und zwanzig Jahren, und ein kleines vierjähriges Mädchen. Alle Drei waren in Normannische Bauerntracht gekleidet, und sie trugen, das Kind ausgenommen, die großen Hauben der Frauen aus dem Pays de Cux.

»Wer heißt Gervasia Arnould?«fragte der Municipalofficiant.

»Ich, mein Herr,« entgegnete die ältere der beiden Frauen.

»Wer heißt Katharina Payot?« fuhr der Fragende fort.

»Ich, Bürger,« antwortete die Jüngere.

»Warum steht dies kleine Mädchen nicht auf dem Passe?«

»Potztausend, mein Herr,« sagte der Bauer, indem er auf die an die beiden Frauen gerichtete Fragen antwortete. »Das ist ein großer Fehler von uns; meine Frau sagte wohl zu mir: Peter, wir müssen sie auch auf dem Papiere einzeichnen lassen; aber ich erwiderte ihr, lass das gehen, Katharina, bei einem Kinde, wie dieses ist, lohnt es sich nicht der Mühe.«

»Ist es Dem Kind?«fragte der Municipalofficiant.

Das Kind öffnete den Mund um zu antworten; aber seine Mutter legte ihm die Hand auf die Lippen.

»Zum Henker!« sagte der Bauer, »wem glauben Sie denn, daß es gehöre?«

»Es ist gut,« sagte der Officiant; »aber wie die Bürgerin gesagt hat, ist es von Wichtigkeit, daß des Kindes in dem Passe erwähnt wird; und dann,« fuhr er fort, »ist es ohne Zweifel ein Irrtum, wenn es darin heißt, daß Deine Mutter fünfundsechzig und Deine Frau fünfunddreißig Jahre alt sei, während doch keine von den beiden Bürgerinnen das Alter zu haben scheint, welches in dem Passe angegeben ist.«

»Ich habe dennoch wohl sechzig Jahre, mein Herr,« sagte die ältere der beiden Frauen.

»Und ich fünfunddreißig,« sagte die Jüngere.

»Und ich, mein Herr,« sagte das kleine Mädchen, »ich zähle vier Jahre, und kann gut lesen und schreiben.«

Die beiden Frauen schauderten zusammen und der Bauer fuhr fort.

»Das glaube ich, daß Du lesen und schreiben kannst, das hat mich, auch genug gekostet.

Sechs Franken monatlich in der Schule von Abbeville; dafür danke ich! Wenn Du für dieses Geld nicht lesen gelernt hättest, so würde ich mit Deiner Lehrerin einen Prozess angefangen haben; denn ich bin nicht umsonst Norman.«

»Genug,« sagte der Municipalofficiant; »Ihr steigt ab, und tretet so lange in mein Kabinett, bis man Euer Fuhrwerk visitiert und sich überzeugt hat, daß sonst Niemand darin ist, als Ihr.«

»Aber, mein Herr,« erwiderte die ältere der beiden Bäuerinnen.

»Meine Mutter,« sagte die jüngere, indem sie sie am Arme fasste.

»Vorwärts, vorwärts,« rief der Bauer; »thut doch, was der Bürger will, und wenn er sieht, daß wir keine Aristokraten in unserm Stroh verborgen haben, dann lässt er uns passieren. Nicht wahr, mein Herr.«

Die beiden Frauen gehorchten und gingen in die Wachstube, so wie die ältere den Fuß in dieselbe setzte, brachte sie ihr Taschentuch an die Nase. Glücklicher Weise wurde diese Bewegung von Niemand als ihrer Begleiterin bemerkt, welche ihr zwei oder drei Zeichen gab, daß sie die Äußerungen von Ekel nicht bemerken lassen solle, welche für eine Bäuerin nicht passen. Der Bauer blieb bei seinem Wagen.

Der Municipalofficiant öffnete die Türe seines Kabinetts, die beiden Frauen und das Kind traten ein, und dann schloss er die Türe hinter denselben.

Es trat ein augenblickliches Schweigen ein, und während desselben betrachtete der Officiant die beiden Frauen mit der größten Aufmerksamkeit; Beide wussten nicht, was sie von dieser stummen Befragung halten sollten, da brachte er plötzlich der älteren einen Armsessel, zeigte der Jüngern mit der Hand einen Stuhl und sagte: »Geben Sie sich die Mühe, sich niederzulassen, Frau Marquise! Nehmen Sie doch Platz, Frau Baronin! sagte er zu der jüngeren.

Die beiden Frauen wurden blass wie der Tod, und fielen mehr auf die ihnen dargebotenen Sitze, als sie sich niedersetzten.

»Aber, mein Herr, Sie täuschen sich,« sagte die ältere der beiden Frauen.

»Bürger, ich versichere Dich, daß Du im Irrtum bist,« rief die jüngere.

»Verstellen Sie sich vor mir nicht, meine Damen; übrigens haben' Sie nichts zu fürchten.«

»Aber wer sind Sie und woher kennen Sie uns?«»Ich bin der Exintendant der Frau Herzogin von Lorges, vormaligen Ehrendame der Frau Gräfin von Artois, welche Paris mit dem Prinzen verlassen hat, und mich hier zurückließ, um von ihrem Vermögen zu retten, was ich retten kann.

Ich habe Sie zwanzigmal bei meiner Gebieterin gesehen, und auf den ersten Blick wieder erkannt.«

»Unser Leben ist in Ihren Händen, mein Herr,« sagte diejenige der beiden Damen, welche der Officiant mit dem Titel Baroness bezeichnet hatte; »denn wir wollen nicht länger in Abrede stellen, daß wir die Personen sind, welche Sie bei der Frau Herzogin von Lorges gesehen haben, die eine unserer besten Freundinnen war. Aber Sie haben Mitleiden mit uns, nicht wahr?«

»Sie können ruhig sein, meine Damen,« antwortete der Exintendant, »und ich werde Alles, was in einer Macht steht, dazu beitragen, um Ihnen zu Ihrer Flucht behilflich zu sein.«

»O, mein Herr,« rief die Marquise, »glauben Sie, daß wir Ihnen ewig dankbar sein werden, und wenn wir Ihnen, durch unsere Empfehlungen zu irgend etwas. . . .«

»Ach, meine Mutter,« sagte die Baroness, »wozu sollen jetzt unsere Empfehlungen dem Herrn dienen höchstens um ihn bloß zu stellen. Weit entfernt, daß wir etwas für Andere tun können, bedürfen wir des Schutzes Anderer!«

»Ach, ja, Du hast Recht, meine Tochter,« antwortete die Marquise. »Ich vergesse immer wer wir sind, und was aus unserem armen Lande geworden ist.«

»Stille, meine Mutter,« sagte die junge Frau, »sprechen Sie doch um des Himmels willen solche Worte nicht.«

»O, Sie haben nichts zu fürchten, meine Damen,« sagte der Officiant, »das heißt, so lange Sie dergleichen Sachen bloß vor mir sprechen. . . . Aber wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Frau Marquise, so ist es der, daß Sie so wenig als möglich sprechen,« fügte er lachend bei; »denn Sie haben einen aristokratischen Akzent, und der ist in gegenwärtiger Zeit ungangbar; und wenn Sie sprechen, so rate ich Ihnen ferner, das Du zu gebrauchen und die Leute Bürger anzureden.«

»Niemals, mein Herr, niemals,« schrie die Marquise.

»Wegen mir, meine Mutter, wegen meines armen Kindes!« sagte die Baroness, »es hat ja seinen Vater schon verloren. Was sollte aus ihm werden, wenn es auch uns beide verlieren würde?«

»Nun, es sei!« sagte die Marquise; »ich verspreche Ihnen, meine Tochter, zu tun, was möglich ist.«

»Und nun, meine Damen, wollen Sie Ihre Reise mit diesem Pass fortsetzen?«

»Was raten Sie, mein Herr?«fragte die Baroness.

»Statt Ihnen zu nützen, wird er Ihnen vielmehr höchst nachteilig werden können. Keine von Ihnen scheint das Alter zu haben, welche derselbe enthält, und wie ich Ihnen gesagt habe, Ihre Fräulein Tochter ist darin nicht aufgeführt.«

»Was sollen wir denn aber beginnen; wir haben keinen andern.«

»Aber wenn ich Ihnen einen verschaffen könnte!«

»O mein Herr,« rief die Baroness,« wenn Sie das für uns tun wollten!«

»Ohne Zweifel; allein Sie werden gezwungen sein, hier eine halbe Stunde, oder vielleicht noch länger zu warten.«

»O, so lange Sie wollen,« sagte die Baroness; »denn ich fühle, daß wir in Ihrer Nähe in Sicherheit sind.«

Der Municipalofficiant ging hinaus und kam nach einem Augenblicke wieder, indem er den Pass voll von Kot und halb zerrissen zurückbrachte.

»Bürger Greffier,« sagte er, indem er einem jungen Menschen rief, der gleich ihm eine dreifarbige Schärpe um hatte. »Habe die Gefälligkeit, für mich auf die Maire zu gehen, und einen Pass ausfertigen zu lassen. Du wirst diesen da zeigen und sagen, daß ich ihn unter das Rad eines Wagens habe fallen lassen. Füge hinzu, daß die Personen in meinem Kabinette sind, und daß ich das Signalement selbst hinein schreiben werde.«Der junge Mann nahm den Pass aus den Händen des Municipalbeamten und ging fort, ohne die geringste Bemerkung zu machen.

»Und nun, mein Herr,« sagte die Baroness, »dürfen wir wohl wissen, wie Sie sich nennen, damit wir Ihren Namen im Gedächtnisse behalten, für unseren Erretter zu Gott beten können.«

»Ach, Madame,« entgegnete der Officiant, »ich habe zum Glücke für Sie und für mich einen ziemlich unbekannten und selten genannten Namen. Ich war, wie ich Ihnen sagte, Intendant der Frau Herzogin von Lorges, die mich mit einer englischen Erzieherin verheiratet hat, welche sie zur Vollendung der Bildung ihrer Tochter hatte kommen lassen. Meine Frau hat sie, nebst meinem sechsjährigen Sohne bei der Auswanderung begleitet. Gegenwärtig sind sie in England, zu London, und wie ich vermute, begeben auch Sie sich nach London.«

»Ja, mein Herr,« antwortete die Baroness.

»Ich kann Ihnen die Adresse der Herzogin geben, welche sie übrigens immer bei Ihrer kgl. Hoheit der Frau Gräfin von Artois finden werden.«

»Und sie wohnt?«fragte die Baroness.

»Regents-Street No. 14.«

»Ich danke Ihnen, mein Herr; ich werde es nicht vergessen, und wenn Sie einige Aufträge an Ihre Frau haben. . .«

»Sie werden Ihr sagen, daß ich das Glück gehabt habe, Ihnen einen kleinen Dienst erweisen zu können, daß bis jetzt mein Patriotismus mich vor jeder misslichen Geschichte bewahrt hat, daß ich mich aber, da ich mich nicht für ganz sicher halte, zu ihr begeben werde, sobald es mir möglich geworden ist, unser kleines Vermögen zu retten.«

»O, mein Herr, seien Sie versichert, daß ich auch nicht ein einziges Wort von dem vergessen werde, was Sie mir gesagt haben. Bei allem dem aber haben Sie mir Ihren Namen nicht genannt.«

»Sie werden ihn auf dem Visa finden, welches ich unten an Ihren Paß setzen werde, und ich hoffe, daß er Sie da noch schützen wird, wenn ich nicht mehr da sein werde, um Sie in Schutz zu nehmen.«

In diesem Augenblicke kam der Greffier zurück und brachte den neuen Paß; er hatte den andern auf der Maire hinterlegen müssen.

»Setzen Sie sich, und schreiben Sie!« sagte der Municipalofficiant zu dem jungen Menschen.

Dieser gehorchte und füllte die gebräuchlichen Formulare aus; als er an den Namen der Personen gekommen war, erhob er den Kopf, damit man sie ihm diktiere.

»Wie heißt Dein Mann, Bürgerin?«fragte der Officiant.

»Er heißt Peter Durand und ist sechs und dreißig Jahre alt.«

»Gut, und Deine Mutter?«

»Gervasia Arnould und sie ist fünf und vierzig Jahre alt.«

»Und Du?«

»Catharina Peyot, fünf und zwanzig Jahre.«

»Und Dein Kind?«

»Cäcilie.«

»Wie alt?«

»Vier Jahre.«

»Gut,« sagte der Officiant, »nun wie viel hast Du ausgelegt, Joseph?«

»Vierzig Sou,« erwiderte der Greffier.

Die Marquise zog einen Doppellouisd'or aus ihrer Tasche.

»Meine Mutter, meine Mutter,« flüsterte die Baroness ihr zu, indem sie sie bei der Hand fasste; dann zahlte sie, indem sie nach und nach ein Dreißigsoustück und zehn Soustücke aus der Tasche hervorbrachte, gab diese dem Greffier, welcher grüßte und wegging.

Inzwischen setzte der Officiant sein Visa auf den Paß und als dieses geschehen war, reichte er das kostbare Papier der Baronesse dar, indem er sagte:

»Nun,. Madame, können Sie Ihre Reise fortsetzen, und ich hoffe, daß sie ohne widrigen Zufall vollendet werden wird.«

»Mein Herr,« entgegnete die Baroness, »der Dienst, den Sie uns erzeigt haben, läßt sich nicht anders als mit einer ewigen Dankbarkeit erwidern, und er wird aus meiner Mutter, und meinem Herzen, in das meines Mädchens übergehen, wenn diese einmal begreifen wird, was Dankbarkeit ist.«

Die Marquise machte dem Municipalofficianten eine würdevolle Verneigung, und die kleine Cäcilie warf ihm einen Kuß zu.

Dann stiegen alle drei wieder in die Carriole. Peter Durand nahm seinen Platz auf der Deichsel wieder ein, und nachdem er sich überzeugt hatte, daß die beiden Frauen und das Kind auf dem Wagen gut sitzen, gab er dem Pferde einen Hieb mit der Peitsche, welches sich dann in einen kurzen Trab versetzte.

»Apropos, meine Tochter/ sagte nach einer Weile die Marquisin. »Wie nennt sich dieser brave Mann?«

»Ludwig Duval,« sagte die Baroness, deren erste Sorge es gewesen war, den Namen ihres Retters unten auf dem Passe aufzusuchen.

»Ludwig,« entgegnete die Marquise,« es scheint doch, daß diese Leute vom Volke nicht alle Jakobiner und Mörder sind,«

Bei diesen Worten rollten zwei große Tränen über die Wangen der Baroness herab.

Die kleine Cäcilie trocknete sie mit zwei Küssen ab.

Das Brautkleid

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