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Erster Band
Prolog
IV.
Die Reisenden

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Der Capitän benutzte diese Abwesenheit, um nachzudenken und bei dieser Gelegenheit den Krug auszutrinken, den er vor sich hatte. Nachdem der erste expedirt war, verlangte er einen zweiten. Dann wandte sich der Capitän, wie wenn ihm der Denkstoff ausgegangen wäre, oder wie wenn diese geistige Verrichtung in Folge der Ungewohnheit nicht ohne eine reinliche Anstrengung bei ihm vor sich ging, gegen den Hugenotten, grüßte ihn mit der affektirten Höflichkeit, wovon er bereits Beweise gegeben hatte, und sagte:

»So wahr ich lebe, mein Herr, es scheint mir, ich begrüße einen Landsmann.«

»Ihr täuschet Euch, Capitän,« antwortete der Angeredete; »denn wenn ich mich nicht irre, so seid Ihr aus der Gascogne, während ich aus dem Angoumois bin.«

»Ah! Ihr seid aus dem Angoumois!« rief der Capitän im Tone bewundernder Ueberraschung: »aus dem Angoumois, wahrhaftig! Ei! Ei! Ei!«

»Ja, Capitän; ist Euch Das angenehm?« fragte der Hugenotte.

»Ich glaube es wohl; erlaubt mir deßwegen auch, daß ich Euch mein Compliment darüber mache; ein prächtiges Land, fruchtbar, von herrlichen Flüssen durchschnitten; die Männer sind voll von Muth, wie man an dem verstorbenen König Franz I. sieht; die Frauen sprudelte von Geist, wie Frau Margareth von Navarra beweist; kurz und gut, ich gestehe Euch, mein Herr, daß ich, wenn ich nicht aus der Gascogne wäre, aus dem Angoumois sein möchte.«

»Das ist in der That allzu viel Ehre für meine arme Provinz, mein Herr,« sagte der angoumoisische Edelmann, »und ich weiß nicht, wie ich Euch meinen Dank abstatten soll.«

»Oh! Nichts ist leichter, mein Herr, als mir das bischen Dank zu beweisen, das Ihr meiner rauhen Offenheit gütigst zollen wollt. Erweiset mir die Ehre mit mir auf den Ruhm und die Wohlfahrt Eurer Landsleute anzustoßen.«

« »Mit dem größten Vergnügen, Capitän,« sagte der Hugenotte, indem er seinen Krug und sein Glas auf eine der Ecken des Tisches herüberstellte, an welchem der Gascogner seit dem Weggang des Pagen ganz allein saß.

Nachdem der Toast auf den Ruhm und die Wohlfahrt der Kinder des Angoumois ausgebracht war, brachte der hugenottische Edelmann, um an Höflichkeit nicht zurückzustehen, denselben Toast auf die Wohlfahrt und den Ruhm der Kinder der Gascogne aus.

Da nun die Höflichkeit gehörig erwidert war, nahm der angoumoisische Edelmann seinen Krug und sein Glas wieder und traf Anstalten nach seinem Platz zurückzugehen.

»Oh, mein Herr« sagte der Gascogner, »Ihr wollt die Bekanntschaft gar zu schnell abbrechen; « erweiset mir doch den Gefallen Euren Krug an diesem Tisch vollends auszutrinken.«

»Ich fürchtete Euch zu belästigen, mein Herr,« erwiderte der Hugenotte höflich, aber kalt.

»Mich belästigen? Nie! Ueberdieß, mein Herr, bin ich der Meinung, daß die besten und vollständigsten Bekanntschaften bei Tisch erschlossen werden. Es ist sehr selten, daß ein Krug nicht drei Gläser Wein enthält, nicht wahr?«

»Allerdings, mein Herr, dieß ist sehr selten,« antwortete der Hugenotte, der sich sichtlich besann, wo wohl der Andere hinauswollte.

»Nun denn, so laßt uns mit jedem Glas Wein eine Gesundheit ausbringen. Gestaltet Ihr mir eine Gesundheit auf das Glas?«

»Ja wohl, mein Herr.«

»Wenn man sich dazu vereinigt hat aus Herzensgrund die Gesundheit dreier Männer auszubringen, so beweist Dieß, daß man von gleicher Gesinnung und von gleichen Grundsätzen ist.«

»Es ist etwas Wahres an dieser Bemerkung, mein Herr.«

»Etwas Wahres! etwas Wahres! Ihr sagt, es sei etwas Wahres daran. Beim Blute Gottes, mein Herr, es ist die reinste Wahrheit.«

Dann fügte er mit seinem einnehmendsten Lächeln hinzu:

»Um die Bekanntschaft anzufangen, mein Herr, und um die Aehnlichkeit unserer Ansichten ans Licht kommen zu lassen, erlaubt mir also als erste Gesundheit die des erlauchten Connetabels von Montmorency auszubringen.«

Der Edelmann, der bereits vertrauensvoll sein Glas erhoben und ein heiteres Gesicht angenommen hatte, wurde wieder ernsthaft und stellte sein Glas wieder auf den Tisch.

»Ihr werdet mich entschuldigen, mein Herr; aber bei diesem Mann kann ich Euch unmöglich Bescheid thun. Herr von Montmorency ist mein persönlicher Feind.«

»Euer persönlicher Feind?«.

»Soweit ein Mann in seiner Stellung der Feind eines Mannes in der meinigen, soweit der Große der Feind des Kleinen sein kann.«

»Euer persönlicher Feind in diesem Fall wird er von Stund an der meinige, um so mehr als ich offen gestanden, ihn ganz und gar nicht kenne und keine tiefe Zärtlichkeit gegen ihn empfinde. Schlechter Ruf: geizig, krittlich, ein Hurenjäger, läßt sich schlagen wie ein Einfaltspinsel, fangen wie ein Dummkopf. Wie zum Teufel konnte mir doch die Idee kommen Euch eine solche Gesundheit vorzuschlagen? Erlaubt mir daher, daß ich meine Revanche nehme und eine andere ausbringe. Auf den erlauchten Marschall von St. André!«

»So wahr ich lebe. Ihr habt kein Glück, Capitän,« antwortete der hugenottische Edelmann, indem er bei dem Namen St. André ganz dasselbe that was er bei dem Namen des Connetabels gethan hatte. »Ich trinke nicht auf die Gesundheit eines Mannes, den ich nicht achte, eines Mannes, der bereit ist für Ehren und Geld Alles zu thun, eines Mannes, der seine Frau und seine Tochter verkaufen würde, wie er sein Gewissen verkauft hat, wenn man ihm den gleichen Preis dafür böte.«

»Oh, oap de Diou!« Was sagt Ihr mir da?« rief der Gascogner, »wie sich wollte auf die Gesundheit eines solchen Mannes trinken. . . wo zum Teufel hattest Du denn Deinen Kopf, Capitän?« fuhr der Gascogner fort, indem er sich selbst eines Verweis ertheilte. »He, guter Freund, wenn Du Dir die Achtung der ehrlichen Leute bewahren willst, so darfst Du künftig keine solche Dummheiten mehr machen.«

Dann wandte er sieh wieder an den Hugenotten und sagte:

»Mein Herr, von diesem Augenblick an hege ich gegen den Marschall von St. André ganz dieselbe Verachtung wie Ihr. Da ich Euch nun nicht unter dem Eindruck des Irrthums lassen will, den ich begangen habe, so will ich eine dritte Gesundheit ausbringen, gegen die Ihr hoffentlich Nichts einzuwenden haben werdet.«

»Welche, Capitän?«

»Die Gesundheit des erlauchten Franz von Lothringen, Herzogs von Guise! – auf den Vertheidiger von Metz! auf den Sieger von Calais! auf den Rächer von St. Quentin und von Grävelingen! auf den Wiedergutmacher der Dummheiten des Connetabel von Montmorency und des Marschalls von St. André.«

»Capitän,« sagte der junge Mann erblassend, »Ihr habt kein Glück mit mir, denn ich habe ein Gelübde abgelegt.«

»Welches, mein Herr? Glaubet mit, daß ich, wenn ich zur Erfüllung desselben Etwas beitragen kann. . .«

»Ich habe geschworen daß Derjenige, dessen Gesundheit Ihr mir verschlaget, von meiner Hand sterben solle.«

»Ei zum Henker!« rief der Gascogner.

Der Hugenotte machte eine Bewegung, um aufzustehen.

»Wie?« rief der Gascogner. »Was macht Ihr da, mein Herr?«

»Mein Herr,« sagte der Hugenotte, »der Versuch ist gemacht; die drei Gesundheiten sind ausgebracht, und da wir, wie es scheint, über die Menschen nicht gleicher Ansicht sind, so steht zu befürchten, daß es noch schlimmer ausfallen wird, wenn wir an die Grundsätze kommen.«

»Ha, beim lebendigen Gott! man soll nicht sagen, mein Herr, daß Männer, die geschaffen sind. um sich zu verstehen, sich um Anderer willen überworfen haben, die sie nicht einmal kennen, denn ich kenne weder den Herzog von Guise, nach den Marschall von St. André, noch den Connetabel von Montmorency. Nehmen wir also an, ich habe die Unklugheit begangen die Gesundheit dreier großer Teufel aus der Hölle, des Satan, des Lucifer und der Aftaroth auszubringen; Ihr gebet mir bei der dritten Gesundheit zu verstehen, daß ich meine Seele verliere, und nun trete ich natürlich in aller Geschwindigkeit zurück— Ich stehe also noch immer auf dem Punkt, von dem ich ausgegangen bin, und da unsere Glaser voll sind, so laßt uns, auf wenns Euch gefällig ist, auf unsere beiderseitige Gesundheit trinken. Gott verleihe Euch lange und glorreiche Tage, mein Herr, Das ist es, was ich aus tiefstem Herzen von ihm erflehe!«

»Der Wunsch ist allzu höflich, als daß ich ihn nicht zurückgeben sollte, Capitän.«

»Und dießmal leerte der Angoumois sein Glas nach dem Beispiel des Capitäns, welcher dem seinigen bereits sein Recht angethan hatte.

»Nun wohl, es bleibt also dabei,« sagte der Gascogner mit der Zunge schnalzend, »und wir verstehen uns ganz vortrefflich;. vom heutigen Tag an also, mein Herr, könnt Ihr über mich als Euren ergebensten Freund verfügen.«

»Ich stelle mich auf gleiche Weise zu Eurer Verfügung, Capitän,« antwortete der Hugenotte mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit.

»Ich meinerseits« fuhr der Gascogner fort, »will noch hinzufügen, mein Herr, daß ich nur auf eine Gelegenheit warte, Euch einen Dienst zu erweisen.«

»Ich gleichfalls,« antwortete der Angoumois.

»Aufrichtig, wein edler Herr?«

»Ganz aufrichtig, mein Capitän.«

»Nun wohl, diese Gelegenheit, die Ihr sucht, mir einen Dienst zu erweisen, habt Ihr, glaube ich, bereits gefunden.«

»Ists möglich. daß ich dieses Glück gehabt hätte?«

»Ja; beim Kreuze Gottes. ich wüßte mich sehr täuschen, wenn Ihr sie nicht unter der Hand hättet.«

»So sprecht.«

»Die Sache ist die, ich komme aus der Gascogne; ich habe das Schloß meiner Väter, wo ich zusehends und auf eine beklagenswerthe Art fetter wurde, verlassen. Mein Barbier hat mir tüchtige Bewegung anempfohlen, und ich komme nach Paris in der Absicht, mir welche zu machen. Es versteht sich von selbst, daß ich die Laufbahn der Waffen ergriffen habe. Solltet Ihr nicht im Angoumois irgend ein gutes Plätzchen wissen, das ein gascognischer Capitän ausfüllen könnte, vorausgesetzt daß man ihn nicht alte Weiber zur Unterhalten oder neue Stiefel zum Zerreißen gibt? Ich wage mir zu schmeichelt, wein Herr, daß ich in diesem Fall die Geschäfte, die man mir anvertrauen dürfte, auf eine vorteilhafte Art besorgen werde.«

»Ich möchte gern, Capitän,« antwortete der Angoumois; »aber unglücklicher Weise habe ich sehr jung weine Provinz verlassen und kenne Niemand dort.«

»Bei den Eingeweiden des heiligen Vaters, das ist sehr unglücklich, wein Herr, aber da fällt mir eben ein, mein edler Herr, vielleicht wüßtet Ihr irgend ein Plätzchen in einer andern Provinz; ich bestehe nicht gerade darauf ins Angoumois zu kommen, denn man versichert mich, daß dort die Fieber herrschen; oder vielleicht könntet Ihr mich irgend einem tugendhaften Herrn von hohem Geschlechte empfehlen. Wenn er auch nicht vollkommen tugendhaft wäre, so wollte ich mich darein ergeben, vorausgesetzt daß Gott ihm an Bravour zugetheilt hatte, was er ihm an Tugend verweigert.«

»Ich bedanke lebhaft, Capitän, daß ich einem so schmiegsamen Manne, wie Ihr seid, in Nichts zu dienen vermag; aber ich bin ein armer Edelmann wie Ihr, und wenn ich einen leiblichen Bruder hätte, so könnte er vom Ueberfluß meiner Börse oder meines Credits sein Leben nicht stiften.«

»Beim frommen Schächer!« rief der Gascogner, »das ist in Wahrheit sehr verdrießlich; aber da wenigstens die Absicht vorhanden war, wein edler Herr,« fuhr der Capitän fort, indem er aufstand und sein Degengehäng wieder fester band, »so bin ich Euch auf Ehre in gleicher Weise verpflichtet.«

Und er grüßte den Hugenotten, der ihm den Gruß erwiderte, seinen Krug und sein Glas wieder nahm und sich aufs Neue an seinen ersten Platz setzte.

Im Uebrigen brachte die Ankunft der Kutsche auf die handelnden Personen, die wir in Scene gesetzt haben, einen verschiedenen Eindruck hervor.

Wir haben gesehen, daß der angoumoisische Edelmann seinen Platz wieder einnahm, der ihm gestattete der Thüre den Rücken zu kehren. Der gascognische Capitän blieb kerzengerade stehen, wie es einem jüngeren Sohn aus gutem Hause gegenüber den hohen Berühmtheiten zustand, welche der Page angekündigt hatte; der Wirth und seine Frau endlich stürzten auf die Thüre zu, um sich zur Verfügung der Reisenden zu stellen die ihr Glücksstern zu ihnen führte.

Der Page, der, um seine Kleider nicht durch Berührung der kothigen und eingesunkenen Straße zu beschmutzen, aus dem dreifachen Kutschentritt stand, sprang herab und öffnete den Schlag. Ein Mann von vornehmer Miene mit einer breiten Narbe auf der Wange stieg zuerst aus.

Es war Franz von Lothringen, Herzog von Guise, dem man seit der furchtbaren Wunde, die er in Calais erhalten hatte, den Beinahmen der Benarbte gegeben. Er trug die weiße Schärpe mit den goldenen Franzen und Lilien, die Insignie seines Grads als Generallieutenant der königlichen Armeen. Seine Haare waren kurz geschnitten und standen bürstenartig empor; er trug die schwarze Sammtmütze mit weißen Federn, die damals in der Mode war, das perlgraue und silbergestickte Wamms, das seine Lieblingsfarben enthielt, Hosen und Mantel von scharlachrothem Sammt nebst langen Stiefeln, die man nöthigenfalls bis an den Oberschenkel heraufziehen oder auch unter dem Knie hinabschlagen kannte.

»Ei, das ist ja eine wahre Sündfluth,« sagte er, indem er sich mitten in die Pfützen stellte, durch die man zur Wirthshausthüre gelangen mußte.

Dann wandte er sich zur Kutsche zurück, neigte sich ins Innere hinein und sagte:

»Liebe Charlotte, Ihr könnt unmöglich Eure hübschen Fäßchen in diesen dicken garstigen Koth stellen.«

»Was dann thun?« fragte ein weiches flötenartiges Stimmchen

»Mein lieber Marschall,« fuhr der Herzog fort, »wollt Ihr mir erlauben Eure Tochter in meinen Armen hineinzutragen? Dieß würde mich um vierzehn Jahre verjüngen, denn es sind heute gerade vierzehn Jahre, meine schöne Pathin, daß ich Euch auf diese Weise aus Eurer Wiege nahm. Wohlan denn, mein holdes Täubchen,« fügte er hinzu, »kommt hervor aus Eurer Arche.«

So sprechend nahm er das junge Mädchen in seine Arme und stellte es mit drei großen Schritten ins Innere des Saales.

Der Titel Täubchen, welchen der galante Herzog seiner Pathin gegeben hatte, die nunmehr bald seine Schwiegertochter werden sollte, war keineswegs angemaßt: es war in der That unmöglich einen weißerem schmachtenderen und zierlicheren Vogel zu sehen als denjenigen, welchen der, Herzog so eben in seinen Armen weggetragen und auf den feuchten Platten des Wirthshauses niedergestellt hatte.

Die dritte Person, die aus der Kutsche stieg oder vielmehr zu steigen versuchte, war der Marschall von St. André. Er rief seinen Pagen, aber dieser hörte nicht, obgleich er kaum drei Schritte von ihm stand. Als ächter Page verschlang er mit verliebten Blicken die Tochter seines Gebieters.

»Jacques! Jarques!« wiederholte der Marschall. »He da! wirft Du endlich kommen, kleiner Schlingel.«

»Ich bin da!« rief der junge Page, indem er sich lebhaft umwandte; »ich bin da, Herr Marschall.«

»Zum Henker!« sagte dieser, »ich sehe es wohl, daß Du da bist; aber da solltest Du nicht sein, Du Lümmel! Komm schnell hierher, hierher an diesen Tritt da. Du weißt wohl, daß ich im Augenblick gehindert bin, kleiner Schlingel! Au! Uf! Donnerwetter!«

»Verzeiht, Herr Marschall,« sagte der Page beschämt, indem er seinem Herrn seine Schulter darbot.

»Stützet Euch auf mich, Herr Marschall,« sprach der Herzog, indem er dem Podagristen seinen Arm reichte.

Der Marschall benützte die Erlaubniß und gelangte mit Hilfe dieser doppelten Stütze ebenfalls ins Wirthshaus.

Er war damals ein Mann von etwa fünfzig Jahren, mit rosigen blühenden Wangen, obschon für den Augenblick etwas blaß in Folge der Krankheit, die ihn befallen hatte. Er hatte einen rothen Bart, blonde Haare, blaue Augen, und man sah es auf den ersten Blick, daß der Marschall von St. André zehn oder zwölf Jahre vor der Epoche, wo wir angelangt sind, einer der schönsten Cavaliere seiner Zeit gewesen sein mußte.

Er setzte sich mit einiger Mühe auf eine Art von Lehnstuhl aus Stroh, der in der Ecke des Camins, d. h. im entgegengesetzten Winkel von demjenigen, wo der gascognische Capitän und der angoumoisische Edelmann sich befanden, auf ihn zu warten schien.

Der Herzog bot Fräulein Charlotte von St. André den Strohstuhl, auf welchem wir zu Anfang des vorhergehenden Capitels den Wirth reiten sahen. Er selbst bequemte sich mit einem Schemel und gab dem Wirth ein Zeichen, daß er ein großes Feuer im Camin anmachen solle; denn obschon man sich im vollen Sommer befand, so war doch die Feuchtigkeit von der Art, daß das Feuer als ein höchst dringendes Bedürfniß erschien.

In, diesem Augenblick fiel der Regen mit solcher Heftigkeit, daß das Wasser zur offenen Thüre wie durch einen durchbrochenen Damm oder eine Schleuße, die man zu schließen vergessen hätte, ins Wirthshaus hereinzudringen anfing.

»Hollah, Wirth!« rief der Marschall, »macht doch unsere Thüre zu! Wollt Ihr uns bei lebendigem Leib ertränken?«

Der Wirth übergab den Reißbüschel, den er herbeibrachte, seiner Frau, überließ ihr als einer modernen Vestalin das Geschäft das Feuer anzuzünden, und eilte an die Thüre, um den Befehl des Marschalls zu vollziehen. Aber in dem Augenblick, wo er alle seine Kräfte zusammennahm, um die Thüre zu schließen, hörte man auf der Straße den raschen Galopp eines Pferdes.

In Folge dessen blieb der würdiges Mann stehen, damit nicht der Reisende, wenn er die Thüre verschlossen fand, das Wirthshaus für voll oder für gänzlich verlassen halten und in der einen wie in der andern Voraussetzung vorüber ziehen sollte.

»Verzeiht, gnädigster Herr,« sagte er, indem er seinen Kopf durch die halboffene Thüre herein streckte, »aber ich glaube, daß ich noch einen Reisenden bekomme.«

In der That hielt ein Reiter vor dem Wirthshause an, sprang von seinem Pferde und warf dem Wirth den Zügel zu mit den Worten:

»Führ dieses Thier in den Stall und laß es ihm weder an Kleie noch an Haber fehlen.«

Dann trat er rasch in das vom Feuer noch nicht beleuchtete Wirthszimmer und schüttelte seinen vom Regen triefenden Hut ab, ohne daran zu achten, daß er sämmtliche Anwesende benetzte.

Das erste Opfer dieses Regens war der Herzog von Guise, der rasch aufstand, mit einem einzigen Sprung beidem Fremden war und ihm zurief:

»He da, Herr Schlingel, könnt Ihr nicht Acht geben, was Ihr thut?«

Bei diesem Gruß drehte der neue Ankömmling sich um und fuhr blitzschnell mit der Hand an seinen Degen. Ohne Zweifel würde Herr von Guise seinen Ausdruck theuer bezahlt haben, wenn er nicht, weniger vor dem Degen als vor dem Gesicht, zurückgetreten wäre.

»Wie, Prinz, Ihr seids?« sagte er.

Derjenige, welchen der Herzog von Guise als Prinz anredete, brauchte blos einen Blick auf den berühmten lothringischen Feldherrn zu werfen, um ihn seinerseits zu erkennen.

»Ja wohl, ich bins, Herr Herzog« antwortete er eben so erstaunt ihn in dieser elenden Herberge zu treffen, als der Herzog erstaunt gewesen war ihn hereinkommen zu sehen

»Gestehet, Prinz, daß der Regen einen Menschen sehr blenden muß, da ich Eure Hoheit für einen Studenten von der Landimesse halten konnte.«

Dann fuhr er mit einer Verbeugung fort:

»Ich bitte Eure Hoheit aufrichtigst um Entschuldigung.«

»Es ist wahrhaftig nicht der Mühe werth, Herzog,« sagte der letztangekommene Gast in einem ungezwungenen überlegenen Ton, der bei ihm zur Gewohnheit geworden war. »Und durch welchen Zufall befindet Ihr Euch hier? Ich glaubte Euch in Eurer Grafschaft Nanteuil.«

»Ich komme wirklich davon her, Prinz.«

»Ueber St. Denis?«

»Wir haben einen Abstecher nach Gonesse gemacht, um im Vorbeigehen die Landimesse mitanzusehen.«

»Ihr, Herzog! Das könnte man etwa mir hingehen lassen, da mein Leichtsinn, Dank meinen Freunden, sprichwörtlich zu werden anfängt. Aber wie kann der ernste, der strenge Herzog von Guise von seinem Wege abgehen, um ein Studentenfest mitanzusehen?«

»Ich bin auch nicht auf diese Idee gekommen, Prinz ich reiste mit dem Marschall von St. André, und seine Tochter, meine Pathin Charlotte, eine Kleine, die ihre Capricen hat, wollte sehen, was diese berühmte Landimesse eigentlich sei; dann aber wurden wir von dem Regen überrascht und haben hier eingestellt.«

»Der Marschall ist also hier?« fragte der Prinz.

»Da ist er,« sagte der Herzog, indem er die beiden Personen zum Vorschein kommen ließ, welche der Prinz zwar im Halbschatten bemerkt hatte, aber ohne ihre Züge zu erkennen. Der Marschall machte eine Anstrengung und stand auf, indem er sich auf seinen Lehnstuhl stützte.

»Marschall,« sagte der Prinz, auf ihn zugehend, »entschuldigt mich, daß ich Euch nicht erkannt habe; aber außerdem, daß dieser Saal dunkel wie ein Keller oder vielmehr dieser Keller düster wie ein Gefängniß ist, hat mich der Regen dermaßen geblendet, daß ich, wie der Herr Herzog, im Stande wäre einen Edelmann mit einem Bauern zu verwechseln. Glücklicherweise, mein Fräulein,« fuhr der Prinz gegen das junge Mädchen fort, das er mit Bewunderung anschaute, »glücklicherweise stellt sich meine Sehkraft allmählig wieder ein und ich beklage von ganzem Herzen die Blinden denen es nicht vergönnt ist ein Gesicht wie das Eurige betrachten zu dürfen.«

Dieses vom Zaun gerissene Compliment trieb die Röthe in die Wangen des Mädchens. Sie schlug ihre Augen auf, um den Mann anzusehen, der ihr vielleicht die erste Schmeichelei gesagt, die sie sei empfangen hatte; aber sie senkte sie sogleich wieder, weil die Blitze aus den Augen des Prinzen sie blendeten.

Wir wissen nicht, welcher Art ihr Eindruck war, aber gewiß war er voll Lieblichkeit und Zauber, denn ein junges Mädchen von vierzehn Jahren konnte nicht wohl ein einnehmenderes Gesicht zu sehen bekommen, als diesen Cavalier von neunundzwanzig Jahren, den man Prinz nannte und mit dem Titel Hoheit begrüßte

Ludwig I. von Bourbon, Prinz von Condé, war in der That ein vollendeter Cavalier.

Geboten am 7. Mai 1530, ging er zur Zeit, wo diese Erzählung beginnt, in sein dreißigstes Jahr.

Er war eher klein als groß, aber von bewundernswürdiger Taille. Seine kastanienbraunen Haare, die kurz geschnitten waren beschatteten glänzende Schläfe, worin ein Phrenolog unserer Zeit alle Beulen der höchsten Intelligenz gefunden haben würde. Seine Augen, blau wie Lasurstein, drückten eine unaussprechliche Sanftmuth und Zärtlichkeit aus, und hätten nicht dichte Brauen diesem Gesicht einigermaßen eine Härte gegeben, die ein blonder Bart noch milderte, so hätte man den Prinzen für einen schönen Studenten gehalten, der ganz frisch aus dem Mutterhaus käme. Gleichwohl trug dieses prächtige, gleich dem Azur des Himmels, helle Auge manchmal ein Gepräge trotziger Energie, so daß die Schöngeister jener Zeit es mit einem Flusse verglichen« der ruhig sei, je nach den Strahlen, die ihn beleuchten, aber furchtbar, je nach den Stürmen, die ihn aufregen. Mit einem Wort, er trug auf seinem Gesicht seinen vorherrschenden Character, d. h. Physischen Muth und Liebesbedürfniß, beide auf den höchsten Grad getrieben.

Ja diesem Augenblick beleuchtete sich die Wirthsstube in Folge der geschlossenen Thüre und des im Herd flammenden Feuers mit phantastischen Scheinen, die capriciös auf die beiden Gruppen im rechten und im linken Winkel fielen; überdieß fielen zwischen den obern Oeffnungen von Zeit zu Zeit Blitze herein, welche auf die Gesichter einen bläulichen Wiederschein warfen, wodurch selbst die Jüngsten und Lebenskräftigsten das Ansehen von Bewohnern einer andern Welt erhielten. Dieser Eindruck war so stark, daß er selbst den Wirth ergriff. Als er sah, daß, obschon es kaum sieben Uhr war, die Nacht schon gänzlich hereingebrochen schien, zündete er eine Lampe an und stellte sie auf den Kaminmantel über der Gruppe des Prinzen von Condé des Herzogs von Guise, des Marschalls von St. André und seiner Tochter.

Der Regen nahm nicht nur nicht ab, sondern wurde immer stärkere an eine Weiterreise war also nicht zu denken. Ueberdieß kam zu dem Regen noch vom Fluß her ein so furchtbarer Wind, daß die Fensterläden gegen die Mauer schlugen und das Haus selbst vom Gipfel bis zu seiner Grundlage zitterte. Wäre die Kutsche auf der Straße gewesen, so würde sie ohne allen Zweifel vom Sturm fortgeweht worden sein: die Reisenden beschlossen also im Wirthshaus zu bleiben, so lange dieser entsetzliche Orkan dauern würde.

Auf einmal hörte man mitten in diesem schrecklichen Tumult der Elemente, während der Regen auf die Köpfe herabrieselte, die Läden gegen die Mauer schlugen, die Ziegel vorn Dach herabgeweht wurden und auf der Erde zerbrachen, an die Thüre klopfen, und eine ächzende Stimme wiederholte in einem Ton, der jedes mal schwächer wurde.

»Oeffnet! Öffnet! im Namen unseres Herrn und Heilandes, öffnet!«

Der Wirth, der an die Ankunft eines neuen Reisenden glaubte, hatte sich, als er klopfen hörte, schnell aufgemacht, um die Thüre zu öffnen; aber als er die Stimme erkannte, blieb er mitten im Saal stehen und sagte kopfschüttelnd:

»Du täuschest Dich in der Thüre, alte Hexe. Nicht hier mußt Du klopfen, wenn Du willst, daß man Dir öffnen soll.«

»Oeffnet, Herr Wirth,« wiederholte dieselbe klagende Stimme; »es ist eine wahre Sünde ein armes altes Weib bei solchem Wetter draußen zu lassen.«

»Kehre Deinen Besenstiel nach einer andern Seite, Du Teufelsbraut,« antwortete der Wirth durch die Thüre hindurch; »die Gesellschaft hier ist zu vornehm für Dich.«

»Und warum?« fragte der Prinz von Condé, den die Hartherzigkeit des Wirthes empörte, »warum öffnest Du dieser armen Frau nicht?«

»Weil sie eine Hexe ist, Euer Hoheit, die Hexe von Andilly, eine alte Halunkin, die man des Exempels wegen mitten auf der Ebene von St. Denis verbrennen sollte, weil sie von Nichts als Wunden und Beulen träumt, Nichts als Hagel und Donner prophezeit. Ich bin überzeugt, daß sie sich an irgend einem armen Bauern gerächt haben wird und daß sie an diesem verfluchten Wetter Schuld ist.«

»Herr oder nicht«« sagte der Prinz, »auf, öffne ihr. Es ist nicht erlaubt ein menschliches Geschöpf bei einem solchen Sturm vor der Thüre zu lassen.«

»Da Euer Hoheit es wünscht,« sagte der Wirth, »so will ich dieser alten Ketzerin öffnen; aber ich wünsche nur daß Euer Hoheit es nicht bereuen möge, denn es geschieht überall ein Unglück, wo sie hinkommt.«

Der Wirth, der trotz seines Widerwillens gehorchen mußte, öffnete die Thüre, und nun sah man eine alte Frau mit zerzausten fliegenden grauen Haaren hereintreten oder vielmehr hereinfallen. Sie trug ein ganz zerrissenes rothes Wollkleid und einen großen Mantel, der sich im selben Zustand wie das Kleid befand und bis aus ihre Ferse hinabreichte.

Der Prinz von Condé trat trotz seiner prinzlichen Würde vor, um der Hexe ausstehen zu helfen, denn er war das beste Herz von der Welt. Aber der Wirth warf sich dazwischen, stellte die Alte wieder auf ihre Beine und sagte zu ihr:

»Dann dem Herrn Prinzen von Condé, Hexe, denn ohne ihn hätte ich Dich, das darfst Du mir glauben, zum Wohl der Stadt und ihrer Umgegend vor der Thüre crepiren lassen.«

Die Hexe ging ohne zu fragen, wer der Prinz sei, gerade auf ihn zu, kniete nieder und küßte den Saum seines Mantels.

Der Prinz ließ einen Blick voll innigen Mitleids auf das arme Geschöpf fallen.

»Wirth,« sagte er, »gib dieser armen Frau einen Krug Wein und zwar von Deinem besten. Geh, trink ein wenig, Alte,« fuhr er fort, »das wird Dich wärmen.«

Die Alte setzte sich. an einen der Tische im Hintergrund des Saals; auf diese Art befand sie sich gegenüber der Eingangsthüre und hatte zu ihrer Rechten die Gruppe des Prinzen, des Marschalls von St. André und seiner Tochter; zu ihrer Linken den gascognischen Capitän, den angoumoisischen Edelmann und den jungen Pagen.

Der angoumoisische Edelmann war wieder in eine tiefe Träumerei versunken. Der junge Page weidete seine Augen an den Reizen des Fräuleins von St. André. Der gascognische Capitän allein besaß seine ganze Geistesfreiheit; er dachte, wenn die alte Frau auch nur im zehnten Theil der Behauptungen des Wirthes Hexe sei, so könne dieß für ihn immerhin ein Licht und ein Leitfaden sein, um die erledigte Stelle zu suchen, wegen deren er sich bei dem angoumoisischen Edelmann und dem Pagen erkundigt, und worüber diese ihm nichts Bestimmtes hatten sagen können.

Er schritt also über seine Bank weg, pflanzte sich vor der Hexe auf, die mit sichtlicher Befriedigung so eben ihr erstes Glas Wein getrunken hatte, und indem er mit gespreizten Beinen, die linke Hand auf den Degenknopf gelegt, den Kopf auf die Brust geneigt, die alte Frau mit seinem zugleich feinen und ausdauernden Blick fixirte, sagte er:

»Sag einmal, Hexe, kannst Du wirklich in der Zukunft lesen?«

»Mit Gottes Hilfe« mein Herr, ja, zuweilen.«

»Könntest Du mir mein Horoscop stellen?«

»Ich wills versuchen, wenn es Euer Wunsch ist.«

»Nun ja, es ist mein Wunsch.«

»Dann steh ich Euch zu Befehl.«

»Sieh, da hast Du meine Hand; denn ihr Zigeunerinnen leset ja doch aus der Hand, nicht wahr?«

»Ja.«

Die Hexe ergriff mit ihren fleischlosen schwarzen Händen die Hand des Capitäns, die beinahe eben so trocken und schwarz war wie die ihrige.

»Was wollt Ihr, daß ich Euch zuerst sagen soll?« fragte sie.

»Du sollst mir zuerst sagen, ob ich Glück machen werde.«

Die Hexe prüfte die Hand des Gascogners lange Zeit.

Dieser wurde ungeduldig, als er sah, daß die Hexe sich nicht aussprach; er schüttelte den Kopf und sagte dann mit zweifelnder Miene:

»Wie zum Teufel kannst Du denn in der Hand eines Menschen lesen, ob er sein Glück machen wird.«

»Oh sehr leicht« gnädiger Heer, nur ist Das mein Geheimniß.«

»Heraus mit Deinem Geheimniß.«

»Wenn ichs Euch sage, Capitän,« antwortete die Hexe, »so ist es nicht mehr mein Geheimniß sondern das Eurige.«

»Du hast Recht, behalte es, aber spute Dich! Du kitzelst weine Hand, Zigeunerin, und ich liebe es nicht, daß alte Weiber mir die Hand kitzeln.«

»Ihr werdet Glück machen, Capitän.«

»In Wahrheit, Hexe?«

»Beim Kreuz!«

»Oh cap de Diou, gute Nachrichten, und glaubst Du, daß es bald sein werde?«

»Ja einigen Jahren.«

»Teufel! Ich hatte es schneller gewünscht; in einigen Tagen zum Beispiel.«

»Ich kann blos den Erfolg der Ereignisse sagen, aber ich kann ihren Gang nicht beschleunigen.«

»Und wird mir Das sehr mühselig werden?«

»Nein, aber es kann Andern mühselig werden.«

»Was willst Du sagen?«

»Ich will sagen, daß Ihr ehrgeizig seid, Capitän.«

»Ah beim Kreuze Gottes, Das ist wahr, Zigeunerin.«

»Nun wohl, um zu Eurem Ziel zu gelangen werden alle Wege Euch gut sein.«

»Ja, zeige mir nur denjenigen, den ich einschlagen soll, und Du wirst sehen.«

»Oh, Ihr werdet ihn wohl von selbst einschlagen, so furchtbar er auch sein mag.«

»Und sag einmal, was wird aus mir werden, wenn ich diesen furchtbaren Weg einschlage?«

»Ein Mörder, Capitän.«

»Gottes Bluts« rief der Gascogner, »Du bist ein alter Luder und Du kannst Deine Horoscope Denjenigen stellen, die dumm genug sind, um daran zu glauben.«

Er bedeckte die Alte mit einem Blick der höchsten Entrüstung und setzte sich wieder an seinen Platz, indem er brummte:

»Mörder! Mörder! Ich! Höre, Hexe, es müßte eine sehr große Summe sein, wenn ich Das werden sollte.«

»Jacques,« sagte jetzt Fräulein von St. André, welche das ganze Treiben des Capitäns beobachtet und mit ihren neugierigen Oehrchen von vierzehn Jahren kein Wort von dem Zwiegespräch zwischen der Hexe und dem Gascogner verloren hatte, zu dem jungen Pagen:

»Jacques laßt Euch doch auch einmal Euer Horoscop stellen; Das wird mir Spaß machen.«

Der junge Mann, den man zum zweiten Mal mit Jacques anredete und der kein anderer war als der Page, erhob sich ohne eine Bemerkung zu machen, und trat in der Haltung absoluten Gehorsams zur Hexe hin.

»Hier ist meine Hand, gute Frau,« jagte er; »wollt Ihr mir mein Horoscop stellen, wie Ihr es so eben dem Capitän gestellt habt?«

»Seht gern, mein schöner Junge,« antwortete sie. Damit ergriff sie die Hand, die der junge Mann ihr reichte, und die so weiß war wie eine Menschenhand.

»Dann schüttelte sie den Kopf.

»Nun, Alte,« fragte der Page, »Ihr sehet in dieser Hand nichts Gutes, nicht wahr?«

»Ihr werdet unglücklich sein.«

»Ach, armer Jarques,« sagte halb spöttisch, halb besorgt das junge« Mädchen, das die Weissagung provocirt hatte.

Der junge Mensch lächelte wehmüthig und murmelte:

»Ich werde es nicht sein, ich bin es schon.«

»Die Liebe wird all Euer Unglück verursachen,« fuhr die Alte fort.

»Werde ich doch wenigstens jung sterben?« fragte der Page wieder.

»Ach ja, mein armes Kind, mit vierundzwanzig Jahren.«

»Um so besser.«

»Wie so, Jacques, um so besser? Was wollt Ihr denn damit sagen?«

»Da ich ja doch unglücklich sein soll, wozu soll ich leben?« antwortete der junge Mensch. »Und werde ich wenigstens auf einem Schlachtfeld sterben?«

»Nein.«

»In meinem Bette?«

»Nein.«

»Durch einen Zufall?«

»Nein.«

»Wie werde ich denn sterben, Alte?«

»Ich kann Euch nicht genau sagen, wie Ihr sterben werdet, aber ich kann Euch die Ursache Eures Todes sagen.«

»Und worin wird diese Ursache bestehen?«

Die Alte senkte ihre Stimme:

»Ihr werdet ein Mörder sein,« sagte sie.

Der junge Mensch wurde blaß. wie wenn das prophezeite Ereigniß bereits eingetreten wäre. Er ging gesenkten Hauptes an seinen Platz zurück und sagtet:

»Dank, Alte; möge sich erfüllen, was geschrieben steht.«

»Nun,« fragte der Capitän den Pagen, »was hat diese verdammte Alte zu Euch gesagt, mein schönes junges Herrlein?«

»Nichts was ich wieder sagen könnte, Capitän,« antwortete dieser.

Der Capitän drehte sich gegen den Angoumois um.«

»Nun wohl, mein wackerer edler Herr,« sagte er, »seid Ihr nicht auch neugierig das Schicksal zu versuchen? Kommt doch her, wahr oder falsch, gut oder schlecht, hilft eine Prophezeiung doch immer über einige Augenblicke hinweg.«

»Verzeiht mir, antwortete der Edelmann, der auf einmal aus seiner Träumerei zu erwachen schien, »ich habe im Gegentheil diese Frau etwas sehr Wichtiges zu fragen.«

Damit stand er aus und ging mit der bestimmten Haltung, die auf Kraft und Festigkeit des Willens deutet, gerade auf die Hexe zu.

»Zauberin,« sagte er mit düsterer Stimme, in dem er ihr eine nervige Hand hinhielt, »wird mir das Unternehmern das ich vorhabe, gelingen?«

Die Hexe ergriff die dargebotene Hand, sah sie jedoch nur eine Secunde an und ließ sie dann mit einer Art von Entsetzen fallen.

»O ja,« sagte sie, »es wird Euch gelingen. Aber zu Eurem Unglück.«

»Doch wird es gelingen?«

»Ja, aber um welchen Preis, barmherziger Gott.«

»Der Preis wird der Tod meines Feindes sein, nicht wahr?«

»Ja.«

»Was liegt mir dann an allem Andern?«

Und der Edelmann ging an seinen Platz zurück, indem er dem Herzog von Guise einen Blick voll unaussprechlichen Hasses zuwarf.

»Seltsam! Seltsam! Seltsam!« murmelte die Alte, »Mörder alle Drei!«

« Und sie betrachtete mit einer Art von Schrecken die Gruppe, die aus dem gascognischen Capitän, dem angoumoisischen Edelmann und dem jungen Pagen bestand. Die erlauchten Gäste auf der entgegengesetzten Seite des Saales waren dieser chiromantischen Scene aufmerksam mit den Augen gefolgt Wir sagen mit den Augen, weil sie nicht Alles hatten hören, wohl aber sehen können.

So wenig Vertrauen man nun auch zur Hexerei haben mag, so ist es doch immer interessant, diese düstere Wissenschaft, Magie genannt, zu befragen, sei es nun, daß sie tausend Glückseligkeiten voraus sagt und man ihr Recht gibt, oder daß sie tausenderlei Unglück prophezeit und man sie der Lüge beschuldigt. Dieses Gefühl war es ohne Zweifel, was den Marschall von St. André veranlaßte, die Alte gleichfalls zu befragen.

»Ich gebe wenig um all dieß Geschwätze,« sagte er; »aber ich muß gestehen, daß in meiner Kindheit eine Zigeunerin mir prophezeit hat, was mir bis in mein fünfzigstes Jahr zustoßen wird; ich bin seht fünfundfünfzig alt, und es wäre mir nicht unlieb, wenn eine Andere mir nunmehr prophezeite, was mir bis zu meinem Tod widerfahren wird. Komm also heran, Tochter Belzebubs,« rief er der Alten zu.

Die Hexe stand auf und näherte sich der Gruppe.

»Hier ist meine Hand,« sagte der Marschall; »sprich und zwar laut, was verkündest Du mir Gutes?«

»Nichts, Herr Marschall.«

»Nichts! Zum Teufels Das ist nicht viel; und Böses?«

»Befraget mich nicht, Herr Marschall.«

»Doch, zum Henker, ich will Dich nun einmal befragen. Sprich, was liesest Du in meiner Hand?«

»Eure gewaltsame Unterbrechung der Lebenslinie, Herr Marschall.«

»Das bedeutet, daß ich nicht mehr lange zu leben habe, he?«

»Mein Vater!« murmelte das junge Mädchen, indem sie ihn mit einem Blicke bat, daß er es nicht weiter treiben mochte.

»Laß doch Charlotte,« sagte der Marschall.

»Höret auf dieses schöne Kind,« sagte die Hexe

»Nein, Du mußt Dich ganz aussprechen, Zigeunerin! Ich werde also bald sterben?«

»Ja, Herr Marschall.«

»Werde ich eines gewaltsamen oder eines natürlichen Todes sterben?«

»Eines gewaltsamen Todes. Ihr werdet den Tod auf dem Schlachtfeld empfangen, aber nicht von einem ehrlichen Feinde.«

»Von Verräthershand also?«

»Ja, von Verräthershand. Das heißt, Ihr werdet ermordet werden.«

»Mein Vater,« murmelte das junge Mädchen, sich fester an den Marschall schmiegend.

»Glaubst Du denn an all diese Teufeleien da?« sagte dieser, indem er sie auf die Stirne küßte.

»Mein lieber Vater, und dennoch klopft mir das Herz in der Brust, wie wenn das Unglück, das man Euch weissagt, bald eintreffen sollte.»

»Kind!« sagte der Marschall, die Achseln zuckend; ««komm, zeig Du ihr jetzt auch Deine Hand, und mögen ihre Prophezeiungen Deinem Leben all die Tage beifügen, welche sie dem meinigen abschneiden.«

Aber das junge Mädchen weigerte sich beharrlich.

»Nun, so will ich Euch mit gutem Beispiel vorangehen« mein Fräulein,« sagte der Herzog von Guise, indem er der Hexe seine Hand reichte.

Dann fügte er mit einem Lächeln hinzu:

»Ich sage Dir zum Voraus, Zigeunerin, daß man mir schon dreimal mein Horoscop gestellt, und daß es dreimal auf Tod gelautet hat; zur Ehre der Zauberkunst laß es nicht lügen.«

»Gnädigster Herr,« sagte die Alte, nachdem sie die Hand des Herzogs untersucht hatte, »ich weiß nicht was man Euch bis jetzt prophezeit hat; aber hört was ich Euch prophezeie.«

»Sprich!«

»Ihr werdet wie der Marschall von St. André ermordet werden.«

»Das trifft vollkommen zu,« sagte der Herzog, »und es gibt da kein Entrinnen. Da, nimm dieß und pack Dich zum Teufel.«

Und er warf der Hexe ein Goldstück zu.

»Ei zum Henker, diese Hexe prophezeit uns ja eine ganze Mörderei von Edelleuten! Ich fange an zu bereuen, daß ich sie hereinkommen ließ, und da mit man nicht glauben kann, ich wolle allein dem Schicksal entrinnen, so prophezeie mir seht auch, Alte.«

»Glaubt Ihr denn an Hexen, Prinz?« fragte der Herzog von Guise.

»Wahrhaftig, Herzog, »ich habe so viele Prophezeiungen fehlschlagen, so viele Horoscope in Erfüllung gehen sehen, daß ich wie Michel Montaigne blos sagen will: Was weiß ich? Komm her, gute Frau, da ist meine Hand; was siehst Du darin? Gutes und Böses, sag Alles.«

So vernehmt was ich in Eurer Hand sehe, gnädigster Herr: ein Leben voll von Liebe und von Kämpfen, von Vergnügungen und von Gefahren und am Ende einen blutigen Tod.«

»Welche ich also auch ermordet werden?«

»Ja, gnädigster Herr.«

»Wie der Marschall von St. André, wie Herr von Guise?«

»Wie sie.«

»Ob Du nun die Wahrheit sagst oder nicht, gute Frau, da Du mir ankündigst, daß ich in guter Gesellschaft sterben werde, so nimm das für Deine Mühe.«

Und er gab ihr nicht ein einziges Goldstück, wie der Herzog von Guise gethan hatte, sondern seine ganze Börse.

»Meine Gott« gnädigster Herr«« sagte die Alte, indem sie dem Prinzen die Hand küßte, »daß die arme Zauberin sich täusche und die Weissagung nicht in Erfüllung gehe.«

»Und wenn sie trotz Deines Wunsches dennoch in Erfüllung geht, gute Frau« so verspreche ich Dir künftig an Zauberei zu glauben. Freilich,« fügte er lachend hinzu, »wird es dann fast etwas zu spät sein.«

Einen Augenblick herrschte düsteres Schweigen, während dessen man den Regen langsam herabfallen hörte.

»Nun«« sagte der Prinz, »das Unwetter läßt nach. Lebt wohl, Herr Marschall, lebt wohl, Herr Herzog; man erwartet mich um neun Uhr im Hotel Coligny; ich muß mich also wieder aus den Weg machen.«

»Ei wie, Prinz« bei diesem Unwetter?« fragte Charlotte.

»Mein Fräulein,« sagte der Prinz, »ich danke Euch aufrichtigst für Eure Besorgtheit; aber ich habe vom Blitz und Donner Nichts zu fürchten, da ich ermordet werden soll.«

Nachdem der Prinz sofort seine beiden Waffenbrüder begrüßt, auf Fräulein von St. André aber einen Blick geheftet hatte, welcher das junge Mädchen zwang die Augen niederzuschlagen, verließ er die Herberge, und einen Augenblick darauf hörte man auf der Straße von Paris den raschen Galopp eines Pferdes.

»Laß die Kutsche verfahren, Jacques,« sagte der Marschall. »Wenn man den Prinzen um neun Uhr im Hotel Coligny erwartet, so erwartet man uns um zehn Uhr im Tournellespalast.«

Die Kutsche kam. Der Marschall von St. André, seine Tochter und der Herzog von Guise setzten sich hinein.

Lassen wir diese Gesellschaft hinter dem Prinzen von Condé her nach Paris fahren, wir werden sie später dort wieder treffen.

Stellen wir nur noch neben die Namen der drei Personen, welchen die Hexe den Tod durch Mörderhand prophezeit hatte, die Namen der drei andern, denen sie vorhergesagt, daß sie Mörder werden sollten, so haben wir auf der einen Seite den Herzog von Guise, den Marschall von St. André, den Prinzen von Condé; auf der andern Poltrot de Mere, Baubigny de Mezieres, Mentesquiou.

Ohne Zweifel hatte die Vorsehung diese sechs Männer im Wirthshaus zum rothen Roß zusammengeführt, um den Einen wie den Andern eine Warnung zukommen zu lassen, die sich bei beiden Theilen als gleich unnütz erwies.

Das Horoscop

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