Читать книгу Die Holländerin - Александр Дюма - Страница 3

Erster Band
2
Die Vorsehung nimmt die Gestalt eines holländischen Kaufmanns an

Оглавление

Der Wagen, in welchem sich die Herrn Van-Dick und Tristan befanden, fuhr, wie alle Wagen, welche täglich einen bestimmten Weg zurücklegen müssen. Die Pferde, mit horizontal gerichtetem Halse, trabten mit einer ruhigen und einförmigen Langsamkeit, welche zu beobachten Vergnügen gewährt. Der Kutscher, halb im Schlafe auf seinem hohen Sitze, läßt, wie Hippolyt, die Zügel über seine Renner herabhängen, und weckt ihn dann und wann ein Stoß des Wagens, so versetzt er den Rossen einen wohlthätigen Peitschenhieb, den diese mehr für eine freundschaftliche Erinnerung, als für einen Beweis des Zornes halten, denn sie bewegen sich auch nicht um ein Haar rascher, sondern thun, als ob nichts vorgefallen wäre. Der Wagenlenker schließt seine Augen wieder und bleibt unempflindlich gegen die Reize, mit welchen ihn die Natur umgiebt.

Niemand beklagt sich übrigens darüber, denn es ist eine stillschweigend angenommene Sache, daß dieser, von zwei magern Pferden gezogene alte Holzkasten sich mit den Flügeln der Jugend nicht versuchen kann, da er sonst denen, die er befördert, gefährlich werden möchte. In einer solchen Lage bleiben dem Reisenden nur drei Dinge zu thun: er plaudert, wenn er einen Nachbar zum Plaudern hat, er liest, wenn er ein unterhaltendes Buch hat, oder er schläft, wenn er Schlaf hat. Tristan hatte geplaudert, ein Buch hatte er nicht, folglich schlief er.

Herr Van-Dick hatte seine Lektüre beendet und war, wie es schien, nicht sonderlich davon erbaut. Nachdem er das Zeitungsblatt wieder zusammengelegt, eine Prise duftenden Tabaks geschnupft und die Brille sorgfältig in ihr Etui gesteckt, blies er die Tabakskörner von seinem Hemde und räusperte sich, wie ein Mensch, der nicht mehr weiß, was er thun soll.

Tristan, der nur in einem leisen Schlafe lag und auf einen Vorwand zum Erwachen wartete, bewegte sich und schlug die Augen auf.

– Nun, mein Herr, sprach er, haben Sie Ihre Lectüre beendet?

– So eben, und Sie, haben Sie Ihren Schlaf beendet?

– Ja!

– Was zum Teufel, wo können wir sein?

– Ich weiß es nicht.

– Der Conducteur wird doch anhalten, damit wir zu Mittag essen können?

– Hoffentlich, zumal, da es nicht viel Mühe kostet, die Rosse in ihrem Laufe zu hemmen. Ich habe mir schon oft die Frage vorgelegt, was ein Conducteur, der so viel Zeit auf der Reise zubringt, wohl eigentlich denkt.

– Er denkt nicht. Wenn er dächte, wäre er zu entschuldigen.

– Was thut er?

– Er schläft.

– Es würde vortheilhafter und bequemer für ihn sein, wenn er uns schneller führe und sich zu Hause in das Bett legte. Das Phlegma eines solchen Menschen ist zum verzweifeln.

– Mir ist es sehr gleichgültig, antwortete Herr Van-Dick mit großer Ruhe; warum, will ich Ihnen erklären: Ich reise, nicht wahr? Mit einem Platze würde ich schlecht fahren, also nehme ich mir zwei. Ich steige in den Wagen. Befinde ich mich in dem Coupé allein, so habe ich drei Plätze, obgleich ich nur für zwei bezahlt habe; dies ist ein Glück, das ich nicht erwartete und nütze es. Habe ich einen Nachbar, so plaudere ich mit ihm. Finde ich seine Unterhaltung amüsant, so höre ich, und finde ich Vergnügen zu reden, so rede ich. Sehe ich, daß wir nicht zusammen sympathisiren, so vergesse ich, daß er da ist, mache mir es auf meinen beiden Plätzen bequem, ziehe mein Journal aus der Tasche und lese. Langweilt mich mein Journal, so schlafe ich, und habe ich keine Lust mehr zum schlafen, so esse ich, denn ich führe stets einen kleinen Vorrath bei mir. Habe ich keinen Hunger, so betrachte ich die Gegend, und gefällt mir die Gegend nicht, so denke ich. Bei dem Denken komme ich indeß immer zuletzt an, denn es ist sehr ermüdend. Der Conducteur kann mich also nicht ärgern. Fährt er schnell, so freue ich mich über die Schnelligkeit, fährt er langsam, so habe ich das Vergnügen, mich wiegen zu lassen. Indem ich mich so zum Sclaven der Umstände mache, werde ich der Herr derselben.

– Sie sind ein glücklicher Mann!

– Haben Sie Unglück gehabt?

– Sehr viel!

– Auch jetzt noch?

– Immer, so lange ich lebe.

– Der Unterschied zwischen uns beiden ist mir klar. Sie lieben Niemanden, nicht einmal sich selbst. Ich liebe zwar auch Niemanden, aber ich liebe mich selbst. Sie sind Misanthrop und ich bin Egoist, bin daher glücklicher als Sie; aber da Sie noch jung sind, können Sie einst eben so glücklich werden, als ich. Warum ärgern Sie sich über den Conducteur? müssen Sie vielleicht irgend wo eilig eintreffen?

– Nein; ich würde nirgends etwas besseres vorfinden, auch weiß ich nicht einmal, wohin ich reise.

– Haben Sie Familie?

– Nein.

– Heirathen Sie.

– Um Geschöpfe zu erzeugen, die einst leiden werden, wie Hamlet sagt. Das ist unnütz, außerdem habe ich auch kein Vermögen und keine Stellung in der Welt.

– Was gedenken Sie zu beginnen?

– Bei Gott, das weiß ich nicht! Vielleicht wird das Schicksal müde, mich zu verfolgen, wenn ich ihm eine Gleichgültigkeit entgegenstelle, wie Sie sie besitzen.

In diesem Augenblicke hielt der Wagen an. Der Conducteur öffnete die Thür des Wagens und kündigte den Reisenden an, daß sie aussteigen und zu Mittag essen könnten.

Tristan und Van-Dick lenkten ihre Schritte der table d’hôte zu und setzten sich hinter die leeren Teller. Der Conducteur nahm am Ende des Tisches Platz, wo ihm die Schüsseln zur Seite standen. Kaum hatte er so rasch seine Suppe, ein Gemüse und seinen Braten gegessen, als nur ein Mensch im Stande ist, zu essen, als er auch schon ausrief:

– Beeilen Sie sich, meine Herrn, beeilen Sie sich!

– Haben Sie dergleichen schon erlebt? fragte Van-Dick unsern Tristan.

– Nein, noch nie.

– Dieser Mensch ist noch stärker, als ich.

– Beneiden Sie ihn?

– Nein, das wäre zu anstrengend; ich bewundere ihn.

– Wie finden Sie das Essen?

– Schlecht.

– Und doch essen Sie?

– Ich habe meinen Grund.

– Welchen?

– Das Bedürfniß, mich zu gewöhnen. Morgen wird mir das Frühstück weniger schlecht erscheinen, das Mittagsessen vielleicht gut und komme ich nach Hause, finde ich dort meine Lebensmittel excellent.

– Sie sind ein großer Philosoph.

– Ich weiß es. Als der Conducteur seine Mahlzeit völlig beendet, ließ er die Reisenden in den Wagen steigen. Herr Van-Dick nahm seine beiden Plätze wieder ein, zog langsam eine Pfeife hervor, lud sie mit Tabak, schlug Feuer, blies es an, legte es auf die Pfeife und begann zu rauchen.

– Geniert Sie der Tabakrauch? fragte er Tristan, als das Feuer sich dem Tabak mittheilte.

Hierauf legte er sich mit einer unbeschreiblichen Behaglichkeit in die Ecke des Wagens und athmete wollüstig den Rauch, den er aus seiner Pfeife blies. Mit wahrer Bewunderung betrachtete Tristan diesen Mann. Der Tag näherte sich dem Abend, die Sonne begann sich zu röthen, ein durchsichtiger Nebel lagerte sich wie ein Bote der Nacht auf die Felder und die Luft war so ruhig, daß der Rauch, den Herr Van-Dick ausblies, einige Augenblicke unschlüssig stehen blieb und sich dann nach und nach verzog.

Bei dem Anblicke dieses Glückes und dieses Wohlbehagens stiegen in dem Geiste unseres Helden unendlich viel Gedanken auf. Herr Van-Dick dachte nichts, er rauchte, betrachtete die verschiedenen Gestalten, welche der Rauch bildete und freute sich über die Kinder, welche in den Dörfern schreiend dem Wagen nachliefen.

Endlich verschmolz die ganze Landschaft in eine Farbe, der Mond flieg herauf, die Nacht kam und die Pfeife des Holländers ging aus, da ihr der Tabak fehlte. Dann schloß er die Augen und ein etwas starkes Athemholen kündigte seinem Nachbar an, daß er eingeschlafen sei.

Nachdem Tristan noch eine Zeitlang über den Wechsel der menschlichen Schicksale nachgedacht, schlief auch er ein.

Als er bei dem ersten Wehen der frischen Morgenluft erwachte, hatte er das Vergnügen, den vollen Schlaf eines Holländers zu erblicken. Tristan vergnügte sich an dieser Menschennatur, und als ob eine gegenseitige Anziehungskraft in Beiden wirkte, vergnügte sich Herr Van-Dick an ihm. Beide kannten sich erst seit zu kurzer Zeit, um sich diese Sympathie zu gestehen, aber unser Tenor genoß das Vergnügen, die Theorien dieses Kaufmanns anzuhören, welche mit seinen Prinzipien ganz übereinstimmten. »Ich hätte besser gethan, sprach er zu sich selbst, wenn ich meine Frau nicht geliebt und nicht geheirathet hätte; ein Mädchen, was ich nicht geliebt, das mir aber einen Fond von Käsen oder Materialwaaren zugebracht, als Lebensgefährtin zu ehelichen, wäre ersprießlicher für mich gewesen, als auf dem Lande zu seufzen, Medicin zu studieren und Verse und Gemälde zu fabriciren. Eine andere Frau hätte mich ebenso geliebt, als die meinige.«

Nachdem er diese Betrachtung vollendet und vielleicht eine Thräne im Auge zerdrückt hatte, erwachte der Holländer.

– Nun, mein Bester, haben Sie gut geschlafen?

– Sehr wenig.

– Ich glaube, wir sind Crevola bereits passiert?

– Ja.

– Aber was fehlt Ihnen, mein junger Freund, Sie scheinen mir traurig zu sein?

– Ich bin es in der That.

– Was ist Ihnen?

– Die Einsamkeit hat traurige Betrachtungen in mir erweckt!

– Haben Sie vielleicht Jemanden verlassen, den Sie lieben?

– Nein.

– Vielleicht eine Geliebte?

– O durchaus nicht. Ich bin traurig, weil man mich da, wohin ich gehe, nicht mehr lieben wird, als dort, woher ich komme.

– In Ihrem Alter bleibt man nicht lange allein. Gott hat den jungen Leuten die Liebe in das Herz gepflanzt, damit sie sich eine Familie anschaffen können.

– Wenn aber die Liebe entflieht?

– Dann bleibt die Freundschaft! wie die Weisen sagen.

– Und wenn man der Freundschaft keinen Glauben schenkt?

– Dann bleiben die Geschäfte, und dabei können Sie versichert sein, keine Freunde zu haben.

– Ganz recht. Um aber Geschäfte zu machen, muß man Vermögen besitzen, das mir fehlt.

– Verstand ist alles, was dazu nöthig ist. Als ich anfing, besaß ich nichts, und jetzt kommandiere ich zwölftausend Thaler jährlicher Renten und bin Chef einer ausgebreiteten Leinewand- und Tuch-Handlung en gros.

– Sie, mein Herr, scheint eine Fee aus der Taufe gehoben zu haben.

– Wer verhindert. Sie, dieselbe Gevatterin zu haben?

– Der Platz ist besetzt.

– Man wird Ihnen helfen.

– Wer?

– Jeder. Ich!

– Sie?

– Ja.

– Und wie würden Sie mir helfen?

– Indem ich mich Ihrer bediene. Sie geben mir Ihre Intelligenz, und ich gebe Ihnen eine Stellung. Was haben Sie gelernt?

– Alles, und nichts!

– Schreiben Sie eine gute Hand?

– Eine sehr gute.

– Verstehen Sie Mathematik?

– Vollkommen.

– Sprechen Sie fremde Sprachen.

– Ich spreche deren vier.

– Welche?

– Französisch, Deutsch, Englisch und Italienisch.

– Und mit diesen Kenntnissen verzweifeln Sie?

– Ich habe bereits alles versucht, bin aber immer noch auf demselben Flecke.

– Haben Sie die Handlung betrieben?

– Nie.

– Ah, Sie fürchten wohl, sich die Hände an den Stoffen und Registern zu beschmutzen? Sie wollen lieber ein unverstandener Künstler sein, als ein positiver Kaufmann! Glauben Sie mir, junger Mann, es geht nichts über den Handel. Millionen in Bewegung setzen, Schiffe beladen, und gegen Elemente und Zufall spielen, hat einen besonderen Reiz, eine besondere Poesie.

– Sie haben recht.

– Das will ich meinen!

– Und Sie glauben, mein Herr, daß ich Ihnen in etwas nützlich sein könnte?

– Ich glaube es. Mir fehlen Ihre Kenntnisse, und Ihnen fehlt mein Geld. Verschmelzen wir uns, wir werden eine profitable Masse bilden. Tristan rückte Herrn Van-Dick näher.

– Ach, mein Herr, sprach er, Sie verbinden mich unendlich!

Sie nehmen mir einen Platz, sprach lächelnd der Holländer. Tristan zog sich zurück.

– Reden Sie nicht von Verbindlichkeit, wir machen ein Geschäft, und nichts anderes. Ich ärgere mich nicht, Ihnen einen Dienst zu leisten, aber ich freue mich, meinen Vortheil dabei zu finden. Also Sie sprechen Englisch?

– Vollkommen.

– Und Deutsch?

– Ebenso.

– Und Italienisch.

– Wie Manzoni.

– Warum haben Sie mir das nicht gleich gesagt?

– Es ist glücklicherweise noch Zeit.

– Wie viel wollen Sie für das alles haben?

– Was Sie mir geben.

– Wissen Sie, wozu ich Sie anwenden werde?

– Nein.

– Ich habe Ihnen gesagt, daß ich einen Sohn habe.

– Nun?

– Dieses Kind wird von seiner Mutter angebetet, sie will sich nicht von ihm trennen. Darum bleibt es zu Hause und Sie leiten seine Erziehung Verstanden?

– Vollkommen.

– Dafür biete ich Ihnen tausend Thaler.

– Das ist ein Vermögen.

– Sie leben in meinem Hause, wie ich selbst.

– Sie überschütten mich.

– Kommen Sie von Mailand?

– Ja.

– Sind Sie lange dort gewesen?

– Nein; doch warum fragen Sie mich danach?

– Weil ich bei meiner Durchreise in Mailand einen meiner guten Freunde antraf, einen Arzt, der sich erst kürzlich verheirathet hat. Diesen fragte ich, ob er nicht einen jungen Mann wüßte, der zwei oder drei Sprachen verstände, und da Sie mir sagen, daß Sie Medicin studirt haben, wundere ich mich, daß er Sie nicht kennt, denn er hält sich schon einige Zeit in Mailand auf

– Wie nennt er sich?

– Herr Mametin.

– Der Mann ist mir unbekannt.

– Thut auch nichts zur Sache, da ich Sie kenne. Die Sache ist also abgemacht?

– Ich glaube es wohl.

– Sie wissen nun, wohin Sie gehen.

– Ach, mein Herr, Sie retten mir das Leben!

– Wie kann man in Ihrem Alter verzweifeln wollen! Sie werden Ihre Arbeit haben, das Kind ist verzogen.

– Um so besser!

– A propos!

– Reden Sie.

– Sie gefallen mir außerordentlich, und ich bin erfreut, Ihnen einen Dienst zu leisten, aber —

– Aber?

– Ich bin nicht allein in meinem Hause.

– Haben Sie einen Associé?

– Nein, aber ich habe eine Frau.

– Ich werde alles aufbieten, um Madame Van-Dick zu gefallen.

– Vor allen Dingen richten Sie sich so ein, daß die Ruhe nicht gestört wird.

– Soll geschehen.

– Und wenn meine Frau Sie nicht liebt, so müßten wir uns doch trennen, obgleich es mir viel Vergnügen macht, Sie zu sehen.

– Ich werde alles thun, was sie will.

– Dies ist das Mittel, sich bei ihr beliebt zu machen.

– Halt! dachte Tristan, ich merke, daß Madame Van-Dick für ihren Gatten thut, was dieser für die Umstände: sie unterwirft sich ihm, um ihn zu beherrschen.

Nach dieser kurzen Betrachtung reichte er Herrn Van-Dick beide Hände, welche dieser herzlich drückte.

Die Holländerin

Подняться наверх