Читать книгу Die Holländerin - Александр Дюма - Страница 4
Erster Band
3
ОглавлениеMan denke sich die Freude unseres Freundes! Der Glückswechsel trat nach einem jeden Unglücke mit einer solchen Pünktlichkeit ein, daß er keinen Grund hatte, sich der Verzweiflung preiszugeben, ohne eine Gotteslästerung zu begehen. Die wenigen Worte des Holländers, durch welche seine Lage geändert worden, hatten auch die Natur vor seinen Augen verändert. Tristan fand die Bäume schöner und den Tag strahlender, der Gesang der Vögel, die in dem klaren Aether schwebten, schien ihm melodischer und die Thautropfen, die auf den Grashalmen und Gesträuchen am Wege blitzten, däuchten ihm Diamanten des reinsten Wassers zu sein.
– Ah, Lea, dachte er, Sie glauben, daß ich zu Ihnen zurückkehre! Und Du, meine liebe Frau, Du verheirathest Dich wieder und glaubst vielleicht, ich sterbe vor Gram, wenn ich Deine neue Verbindung erfahre! – O durchaus nicht, es giebt außer Euch noch andere Frauen auf der Erde. Es lebe Gott und die Menschen! Die Welt ist doch schön!
Unser Held empfand eine Freude, sonder Gleichen. Nach einem so abenteuerlichen und bewegten Leben, als er in jüngster Zeit verbracht, mußte ihm die Ruhe, welche ihm in Aussicht stand, wohl enthusiasmieren. Wenn er bedachte, daß er ohne Sorgen, ohne Furcht und ohne Bedauern selbst (denn über seine Frau glaubte er sich getröstet, die seiner Meinung nach des Grämens nicht werth sei, obgleich ihm der Gedanke an die stets das Herz durchschnitt) einem glücklichen Leben entgegenging, daß er künftig in einem bequemen Zimmer, von großen Registern umgeben, ruhig wohnen könne und einer Familie angehöre, welche unter dem Scepter eines ihrer Glieder stets einig sein mußte, so fiel ihm auch nicht im Entferntesten ein, daß das Schicksal die Verwirklichung dieses schönen Traumes hintertreiben könne. Tristan machte schon seine Pläne für die Zukunft: Holland, das er bis zu diesem Augenblicke stets verachtet hatte, schien ihm nun ein reizendes Land zu sein. Alles, was man zum Nachtheile desselben geschrieben und gesprochen, hielt er in diesem Augenblicke für Verläumdung.
Der Holländer, als ob er die einfachste Sache von der Welt abgemacht hätte, stopfte sich ruhig seine Pfeife und zündete sie an, um gänzlich den Schlaf zu vertreiben, der ihm die Augenlider noch schwer machte. Der junge Mann war dergestalt von Neigung und Dankbarkeit zu dem Leinwandhändler durchdrungen, daß er wünschte, es möge irgend Jemand den Herrn Van-Dick in seinem Tabaksvergnügen stören, um ihm bei dieser Gelegenheit seine Dankbarkeit an den Tag legen und diesen Jemand morden zu können.
– Mein bester Herr Van-Dick, sprach er, erlauben Sie mir, daß ich Sie so nennen darf, denn ich fühle mich so zu Ihnen hingezogen, als ob ich Sie schon seit zehn Jahren kenne, seien Sie meines Eifers und meiner vollen Dankbarkeit gewiß.
– Ich glaube Ihnen, mein bester Herr.
– Sehen Sie, ich bin nicht, wie andere Männer; ich schließe selten Freundschaftsbündnisse, aber wenn ich sie schließe, sind sie aufrichtig und fest.
– Um so besser, junger Mann, um so besser! antwortete Herr Van-Dick und blies eine dicke Rauchwolke in die Luft.
– Mit welcher Lust will ich mich der Erziehung Ihres Sohnes unterziehen! Ich liebe ihn jetzt schon, als ob er mein eigenes Kind wäre.
– Um so besser, um so besser!
– Was gedenken Sie aus dem lieben Kleinen zu machen?
– Der Handel, den ich Ihnen so rühmte, ist nur dann angenehm, wenn man ihn betreiben muß, um sich Vermögen zu erwerben. Wenn man aber bereits ein Vermögen besitzt, so verlieren eine Reize unendlich. Da mein Sohn nun bei seiner Großjährigkeit ein Vermögen vorfindet, so möchte ich nicht, daß er wird, was ich bin. Ich will, daß er eine Erziehung genießt, vermöge welcher er im Stande ist, in einem Salon Figur zu machen, ich will, daß er zu einem Zeitvertreib Künstler sein kann, daß er mit einem Worte, wenn auch nicht ein außerordentlicher, doch ein bemerkenswerther Mann werde.
– Das ist wohl gedacht.
– Singen Sie auch?
– Sie werden darüber urtheilen.
– Ich will, daß er zeichne.
– Er wird zeichnen.
– Sie sind ein Universalgenie!
– Wie schon gesagt, besitze ich alle Kenntnisse, die mein Glück gemacht haben würden, wenn ich Vermögen gehabt hätte; das ihres Sohnes werden sie machen, da er einst reich sein wird.
– Erlauben Sie mir, mein Herr, Ihrem Gehalte noch etwas hinzuzufügen.
– Nichts, Herr Van-Dick!
– So schicke ich meinen Sohn in eine Pension.
– Ah, Herr Van-Dick!
– Ich kann Sie nicht aller Ihrer Zeit berauben.
– Sie machen mich aber glücklich, wenn —
– Kurz und bündig – was kann ich thun, um Ihnen einen Gegendienst zu leisten?
– Bewahren Sie mir Ihre Freundschaft, das ist mir der höchste Preis.
– Die haben Sie bereits.
– Dann wünsche ich nichts mehr.
– Nach Belieben, sprach der Holländer und reichte Tristan eine Hand, während die andere aus dem Wagen fuhr und durch Klopfen die Asche aus der Pfeife räumte – nach Belieben, mein Haus ist das Ihrige.
Tristan weinte fast Thränen der Dankbarkeit.
Von diesem Augenblicke an hätte man glauben mögen, daß der Tenor und der Kaufmann sich bereits seit zwanzig Jahren gekannt hätten. Tristan machte jeden Tag merkliche Fortschritte in der Achtung und Freundschaft des Herrn Van-Dick, Während der langen Reise fertigte er Zeichnungen, die der Holländer mit größerem Vergnügen betrachtete, als die kostbaren Bilder, welche seine Zimmer schmückten.
– Reizend, reizend rief Herr Van-Dick, indem er Tristan’s Bleifeder neugierig mit den Augen folgte. Wenn dieser eine Zeichnung begann, so konnte er sich bei den ersten Strichen nicht erklären, wie hieraus ein Bild entstehen könne; trat nun die Landschaft oder die Figur aus dem Chaos der Striche und Schattierungen heraus, dann rief er: Meisterhaft! Bewunderungswürdig!
So passierten sie den Simplon und das Waliserland. Von Villeneuve brachte sie das Dampfboot nach Lausanne, von dort gingen sie nach Neuchatel und Basel und in Straßburg bestiegen sie ein Rheinschiff, das sie nach Rotterdam bringen sollte.
– Holland ist ein schönes Land, sprach Herr Van-Dick; dort werden Sie viel Zeichnungen zu machen haben.
– Soll geschehen.
– Es giebt dort Straßen und Häuser, wie Sie deren nirgend so schön erblicken werden.
– So sind sie gut für das Album der Madame Van-Dick.
– Meine Frau wird Sie anbeten.
– Glauben Sie?
– Ich bin davon überzeugt.
– Dann fürchte ich nichts mehr.
– Nichts auf der Welt.
– Ich muß Ihnen offen bekennen, daß ich nach dem, was Sie mir gesagt haben, zittere, ihr zu mißfallen.
– Ich bürge Ihnen für ihre Freundschaft, denn sie vergöttert die Künstler.
– Singt sie?
– Ich glaube, ja!
– So werde ich Abends mit Madame Van-Dick musiciren.
– Nach Belieben. O mein Haus wird ein wahres Paradies werden!
– Ein Paradies, dessen Gott. Sie sind!
– Mein bester Freund!
– Mein bester Herr Van-Dick!
– Beide gingen Arm in Arm auf der Brücke spazieren. Tristan war der Vertraute, der Unentbehrliche des Herrn Van-Dick geworden, der ihm sein ganzes Leben, von seiner Kindheit bis zu einer Verheirathung erzählt hatte. Ueber diese letzte Epoche war er aber rasch hinweggegangen, er hatte sie nur einfach mit den Worten bezeichnet: »Ich verheirathete mich und seit dieser Zeit bin ich glücklich.«
Die Reise näherte sich indes ihrem Ende.
Eines Morgens um acht Uhr kamen die beiden Freunde zu Thiel an, wo sie frühstückten.
– Diesen Abend sind wir in Amsterdam, sprach Herr Van-Dick, wenn wir uns mit dem Frühstücke beeilen, was ich jedoch für einen Fehler erachte; nehmen wir uns aber Zeit, kommen wir morgen früh dort an. Was meinen Sie?
– Nur Sie haben zu entscheiden, mein bester Herr Van-Dick, denn Sie haben eine Frau, die Sie erwartet.
– Um so mehr Grund, noch ein wenig länger den Junggesellen zu spielen.
– Wie Sie befehlen! Die beiden Männer vollendeten ruhig ihr Frühstück, dann bestellten sie sich drei Plätze in der Diligence und reisten gegen Mittag nach Utrecht ab, wo sie um sieben Uhr ankamen. So gewissenhaft wie sie gefrühstückt, nahmen sie hier das Diner ein.
– Wie werden wir nach Amsterdam kommen? fragte Tristan.
– Per Barke.
– Was nennen Sie eine Barke?
– Eine Art Schiff, das von einem Pferde gezogen wird und ungefähr hundert Personen faßt.
– Und morgen sind wir in Amsterdam?
– Um fünf Uhr Morgens.
Sie reisten ab und waren am andern Tage um besagte Stunde im Hafen von Utrecht.
– Da liegt Amsterdam! sprach Herr Van-Dick mit einer triumphierenden Miene.
– Ich muß gestehen, daß es mir nicht unangenehm ist, diese Stadt näher kennen zu lernen, was ich schon seit langer Zeit gewünscht habe.
– In zwei Stunden werden Sie sie sehen, sprach der Holländer, indem er an das Land stieg.
– Warum nicht sogleich?
– Weil die Thore erst gegen sieben Uhr geöffnet werden.
– Nicht übel! Was beginnen wir bis dahin?
– Ah, es giebt Häuser, die für uns offen sind.
– Wirthshäuser?
– Ja.
– Was machen jene zerlumpten Leute dort?
– Sie warten.
– Auf was?
– Daß die Barke ankomme, um die Koffer der Reisenden zu tragen.
– Die Menschen sehen entsetzlich aus.
– Es sind Juden.
– Man möchte sie für Banditen halten.
– Sie sind es auch.
– Sie bellen wie die Hunde; was verlangen sie?
– Ihre Pakete.
– Wie in Livorno.
– Es ist besser; hier verlangen sie, in Livorno nehmen sie.
– Ganz richtig. Kann man ihnen die Sachen anvertrauen?
– Noch nicht, sie würden dann zwei Stunden Zeit haben, um Sie zu bestehlen; wenn man öffnet, übergiebt man sie ihnen, bis dahin behalten Sie sie bei sich.
– Und wo ist die Höhle, in der sie das Gestohlene verbergen?
– In der Stadt. Ich werde sie Ihnen zeigen, man nennt sie den Judenwinkel.
Unter diesem Gespräche begleitete Herr Van-Dick seine Koffer und überwachte sie mit einem Blick, der durchaus der Ehrlichkeit dessen nicht schmeichelte, der sie auf einem Karren fuhr.
Gegen sieben Uhr wurden die Thore geöffnet und die Menge stürzte heulend in die Straßen der Stadt.
Die Luft war grau und an dem ganzen Himmel von Amsterdam war auch nicht so viel Blaues zu finden, als man nöthig hat, um eine Weste daraus zu fertigen.
– Es ist heute schön, sprach Herr Van-Dick, indem er mit Wollust die Luft des Vaterlandes ein sog.
– Was meinen Sie? fragte Tristan, der glaubte, er habe sich geirrt.
– Ich sage, daß es heute schön ist, antwortete ernsthaft der Kaufmann.
– Teufel, dachte unser Tenor, wie müssen die Tage aussehen, die Herr Van-Dick schlecht findet!
– Jetzt, fuhr der Holländer fort, folgen Sie mir.
Nach diesen Worten bog er in die Utrechter Straße und verfolgte sie bis zur ersten Brücke. Hier wandte er sich rechts. Ohne den Juden, welcher die Sachen fuhr, aus den Augen zu verlieren, klopfte er seinem Begleiter auf die Achsel und sprach:
– Was meinen Sie zu dem Hause, das dort vor uns steht?
– Jenes schöne Haus mit der großen Steintreppe?
– Ja.
– Ein prachtvolles Haus.
– Es ist das unsrige.
– Ich mache Ihnen mein Compliment
– Auch die andere Seite gehört mir, dort liegen die Magazine.
– Ich werde Sie nicht anders mehr als Krösus nennen.
In diesem Augenblicke stieg Herr Van-Dick die Treppe hinauf, die zu der Thür führte und durch einen Balcon, ungefähr vier Fuß von der Erde, mit einer andern Treppe von derselben Form und zu demselben Gebrauche verbunden ward.
Herr Van-Dick klopfte mit starken Schlägen an die Thür.
Eine Frau öffnete.
– Ach, der Herr! rief sie; Madame wird überrascht sein – ich werde es ihr melden.
– Schläft sie noch?
– Ja, Herr.
– So wecke man sie nicht, aber man sorge dafür, daß Punkt elf Uhr das Frühstück bereit sei und gebe diesem Herrn ein Zimmer im zweiten Stockwerk. Wenn Sie schlafen wollen, mein Bester, fuhr Herr Van-Dick fort, geniren Sie sich nicht.
– Was werden Sie thun, mein freundlicher Wirth?
– Ich werde einen Spaziergang durch den Garten machen, mein Journal lesen, meine Pfeife rauchen und das schöne Wetter genießen.
– Erlauben Sie, daß ich Sie begleite?
– Wird mir sehr angenehm sein.
– Nun, dachte Tristan, indem er der rothbackigen, kräftigen Magd folgte, bis auf den weißen Himmel und die schwarzen Straßen scheint Holland ein schönes Land zu sein.