Читать книгу Die Holländerin - Александр Дюма - Страница 5
Erster Band
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ОглавлениеHerr Van-Dick zeigte nun unserm Tristan sein ganzes Haus, das, beiläufig gesagt, sehr schön eingerichtet war. Er führte ihn auch in die Magazine, zu denen man über drei Stufen gelangte. Auf der einen Seite grenzten sie an den Prinzen-Kanal, auf der andern an den Garten. Längs dem Garten lief eine Art Corridor hin, der zu dem Bureau führte, das mit Blumen und Vögeln umgeben war.
Waren die Magazine geöffnet, so hielt sich hier der erste Commis auf, von dem der Holländer erzählt hatte.
Der Garten war nicht sehr groß, aber es fanden einige große Bäume darin, deren Laubdach die Strahlen der Sonne jedenfalls verhüllen würden, wenn in Holland die Sonne schiene.
Eine andere Thür, gleichlaufend mit der der Magazine, die sich ebenfalls nach dem Garten zu öffnete, führte in das Haus, das Madame Van-Dick, ihr Sohn und Herr Van-Dick bewohnte und nun auch Tristan bewohnen sollte. Sowohl von der Seite des Kanals als von der des Gartens führte eine Treppe in das erste Stockwerk, das der Herr und die Herrin des Hauses bewohnten. Ein jeder von Beiden hatte ein Zimmer für sich, so daß sie sich nach Belieben trennen oder vereinigen konnten. Neben dem Zimmer der Madame Van-Dick befand sich das des jungen Herrn Van-Dick. Das zweite Stockwerk war für Tristan bestimmt und das dritte bewohnten die Domestiken. Auf demselben Gange, der zu unsers Tenors Zimmer führte, befanden sich zwei andere für besuchende Freunde.
Herr Van-Dick führte Tristan in ein Appartement, zeigte ihm die Einrichtung desselben, öffnete die Fenster und machte ihn auf die Aussicht aufmerksam, die auf der einen Seite nach dem Garten hinausging und auf der andern nach dem Prinzen-Kanal, d. h. nach einer Straße, die an einem ziemlich breiten Kanale hinläuft.
– Hier bietet sich Ihnen stets Zerstreuung, sprach der Kaufmann; Menschen, Barken und Kaufmannsgüter wogen hier in buntem Gedränge.
– Wohin gehen die Kaufmannsgüter?
– Nach allen Weltgegenden. Ein anderes Haus von derselben Wichtigkeit besitze ich auch in Harlem.
– Ein Handlungshaus?
– Allerdings. Da es drei Stunden von hier entfernt ist, dient es mir Sonntags zum Ziele einer Promenade und zum Landhause.
Herr Van-Dick schloß das Fenster. In dem Augenblicke, als er die Treppe wieder hinabsteigen wollte, ließ sich eine Stimme vernehmen, die ihn rief.
– Ah, da kommt mein Sohn! Das Kind warf sich in die Arme des Vaters und grüßte Tristan mit der Verwunderung, mit welcher Kinder unbekannte Personen grüßen, die sie zu grüßen in dem Hause ihres Vaters gezwungen sind.
– Siehst du diesen Herrn? sprach darauf der Holländer zu ihm.
– Ja, Papa.
– Von heute an bleibt er bei uns und von morgen an wirst Du Alles thun, was er Dir sagen wird. Das Kind sah den Vater an, als ob es fragen wollte: warum?
– Weil, antwortete der Papa, dieser Herr mit Deiner Erziehung beauftragt ist.
Die Verwunderung des Knaben verwandelte sich in Schrecken. Tristan bemerkte es und sprach zu ihm:
– Fürchten Sie nichts, mein kleiner Freund, ich bin kein gewöhnlicher Schulmeister, Sie werden mir bald gut sein.
Bei diesen Worten strich er dem Kinde freundschaftlich die blonden Locken. Als es sich von dem ersten Schrecken erholt hatte, sprach es lebhaft zu Herrn Van-Dick:
– Mama ist aufgestanden, ich werde zu ihr gehen und ihr sagen, daß Du angekommen bist!
– Geh, mein Kind!
Der Knabe lief die Treppe zum ersten Stockwerke hinab, wo man ihn mit kindlicher Unbefangenheit die Thür öffnen hörte.
Eine halbe Stunde später lehnten die beiden Männer in der Brüstung eines Fensters, das vom Erdgeschosse nach dem Garten hinausging, plauderten mit einander und betrachteten die Blumen und Bäume. Madame Van-Dick war herabgestiegen und nachdem sie ihren Mann gesucht hatte, trat sie endlich in den Speisesaal, wo sie ihn erblickte.
Die beiden Männer am Fenster hörten sie nicht kommen, so daß sie sich ihrem Manne näherte und ihn auf die Achsel schlug.
– Fast eine Stunde schon suche ich Sie, sprach sie in einem halb spröden, halb süßen Tone, und wäre Tristan nicht zugegen gewesen, den Madame nachlässig grüßte, hätte man das Süße desselben nicht bemerkt.
– Wir sind da, beste Freundin, wir sind da. Ich sprach so eben mit diesem Herrn über unsern Eduard. Herr Tristan, fuhr er fort, indem er auf unsern Freund deutete, ein junger Mann von großem Verdienst, der sich der Erziehung unsers Sohnes unterziehen will.
Madame Van-Dick grüßte noch einmal den neuen Gast, der sich bei der Schmeichelei des Gatten mit großer Bescheidenheit verbeugte und respectvoll den Gruß der Gattin erwiderte.
– Seit vier Tagen erwarten wir Sie schon, fuhr die Dame zu dem Holländer gewendet fort, wir hatten schon Angst um Sie.
– Ach mein Gott, Madame! sprach Tristan, daran trage ich allein die Schuld, denn ich glaube, daß ich Herrn Van-Dick’s Ankunft verzögert habe. Ich allein bin anzuklagen und, einmal angeklagt, reklamiere ich Ihre Huld und Nachsicht, damit ich nicht mit einer traurigen Empfehlung in dieses Haus trete.
– Sie sind begnadigt, mein Herr, sprach Madame Van-Dick mit einem Lächeln, welches Tristan dafür zu danken schien, daß er die Autorität der Frau errathen.
– Um so mehr, meine Liebe, als der Herr sich mit Dir beschäftigte, fuhr der Kaufmann fort.
– Mit mir?
– Ganz gewiß, denn er bringt Dir ein Album voll Zeichnungen mit, die er auf unserer Reise angefertigt hat.
– Mein Herr, ich bin Ihnen unendlich verbunden! Sie werden mir nach dem Frühstück alle die schönen Sachen zeigen, denn für ermüdete Reisende, wie Sie sind, darf das Frühstück nicht zu spät kommen und ich glaube, es ist bereits serviert.
Madame Van-Dick forderte ihren Gemahl und Tristan auf, Platz zu nehmen, die, nach dem Garten hinausblickend, das Auftragen der Speisen nicht bemerkt hatten.
Euphrasia – wir wollen sie so nennen, da wir ihren Namen wissen – Euphrasia zog die Glocke.
Die dicke Magd erschien.
– Man sage Herrn Wilhelm, sprach die Dame, daß wir bei Tische sitzen!
– A propos, wie geht es dem guten Wilhelm?
– Vollkommen wohl.
Herr Wilhelm erschien.
Tristan erhob sich halb von seinem Platze.
– Mein bester Tristan, sprach Herr Van-Dick, ich stelle Ihnen hier Herrn Wilhelm vor, mein zweites Ich im Hause, Herrn Wilhelm, von dem ich Ihnen bereits erzählt habe.
Tristan grüßte Herrn Wilhelm und setzte sich wieder.
Dann stellte Herr Van-Dick Tristan Herrn Wilhelm vor.
Die beiden Männer grüßten sich abermals.
– Und jetzt, da alle sich kennen, frühstücken wir. Euphrasia, die während dieser Zeit ein gebratenes Huhn zerlegt, ließ nun die Assiette, worin sich die Stücke befanden, circulieren. Während alle aßen, prüfte unser Tenor Euphrasia.
Diese war eine Frau, der, man wußte nicht was fehlte, um sie schön nennen zu können. Ihr Gesicht war ein wenig roth und ein wenig gewöhnlich, aber von einer gewissen bürgerlichen Regelmäßigkeit. Der Blick, für Augenblicke sanft, veränderte sich plötzlich bei der geringsten Aufregung und ward gebieterisch; man sah, daß das Sanfte erkünstelt war. Die Stirn Euphrasia’s war zwar hoch, aber schmal und glänzend, und aus dem ganzen Gesichte derselben leuchtete eine eben nicht anständige Freiheit, Unter ihrer gesunden Haut glaubte man den Lauf und das Leben des Blutes wahrnehmen zu können; ihre Arme waren voll, sogenannte schöne Arme, aber nicht zu verwechseln mit wohlgeformten. Die Hände waren dick und geschickt. Hals und Busen trug Madame Van-Dick fast immer über die Gebühr entblößt, ihre Kleidung war geschmacklos und doch schien sie überzeugt zu sein, daß nichts schöner sei, als sie. Eine angeborene, fast brutale Ueppigkeit, ohne Geist und Anstrich, sprach aus ihrer ganzen Person. Sie mochte ungefähr fünfunddreißig Jahre zählen und mußte für einen gewöhnlichen Mann, der sich täuscht und die Hitze des Blutes für Wärme des Herzens nimmt, immer noch eine wünschenswerthe Frau sein. Euphrasia schien sich selbst am meisten zu gefallen, denn sie sah beständig in den Spiegel, der ihr gegenüber an der Wand hing.
Madame Van-Dick gab sich gern ein wichtiges Ansehen und machte alle Welt glauben, sie sei die Seele des Hauses. Wer sie nicht schön fand, wurde von ihr gehaßt und ihr Haß mußte um so gefährlicher werden, als sie darin ohne Verstand handelte. Bei dem kleinsten Complimente, das man ihr machte, bildete sie sich ein, man mache ihr den Hof, und sagte man ihr über ihre Schönheit, ihre Grazie und ihren Geist die größten Schmeicheleien, Schmeicheleien, die fast an Unverschämtheit grenzten, so erreichte man immer noch nicht die Meinung, die sie von sich selbst hegte. Fügt man diesen Eigenschaften noch eine schauerliche Unwissenheit hinzu, so hat man ein ziemlich treues Bild von Madame Van-Dick.
Wie man sieht, war Euphrasia Van-Dick eine Person, an die ein Mann von etwas mehr als gewöhnlicher Bildung nicht denken konnte.
Schon nach Verlauf von zwei Stunden hatte Tristan von allem, was wir hier angedeutet haben, den Beweis und ein leise ausgestoßenes »Hm!« zeigte an, daß seine Wahrnehmungen nicht zu Euphrasia’s Vortheil bei ihm ausgefallen waren.
An der Seite dieser Dame saß Herr Wilhelm. Dieser junge Mann war eben so kräftig als seine Nachbarin, aber eine enge Halsbinde und ein enger Rock mit engen Aermeln hatten ihn dergestalt eingeschnürt, daß man einen steifern Menschen, wie er repräsentierte, nicht leicht sehen konnte. Herr Wilhelm hatte hellblondes Haar, kaum sichtbare Augenbrauen, hellblaue Augen, rothe Backen und rothe Hände. Eine bemerkenswerthe Dosis Geist schien er nicht zu besitzen, er war aber dabei, wie es in der Regel nicht der Fall zu sein pflegt, nicht anmaßend, und sprach kein Wort. Oft hatte er schon den Mund zum Reden geöffnet und Tristan schien, aus Artigkeit, mit großer Aufmerksamkeit auf das zu warten, was der Commis sagen wollte; aber stets ward Herr Wilhelm durch diese Aufmerksamkeit so verwirrt, daß er, um sich zu beschäftigen, ungeheuere Bissen in den halbgeöffneten Mund schob womöglich noch röther im Gesicht wurde und aussah, als ob er weinen wollte. Um ihn zu beruhigen, warf ihm Euphrasia durch den Spiegel einen Blick zu, der sagen sollte: »Sie sind schön und benehmen sich vortrefflich;« aber vergebens, Wilhelm blieb traurig und consterniert wie ein mageres Frauenzimmer, das mit entblößtem Halse dasitzt und um sich herum runde, volle Achseln gewahrt. Uebrigens schien Wilhelm eine gute Natur zu sein und ein zärtliches Herz voll Illusionen zu haben. Man merkte, daß diese Melancholie, die über eine ganze Person ausgegossen lag, von der großen Masse Blut herrührte, die er in den Wangen und in den Händen hatte, denn das Bestreben, diese gemeinen Körperreize durch einen eleganten Umschlag zu verdecken, war nicht zu verkennen. Um die Röthe seines Gesichtes matter zu machen, trug er eine weiße Halsbinde, die aber so fest angelegt war, daß ihm das Blut in die Wangen stieg, und um weniger plump und sanguinisch zu erscheinen, trug er schwarze Kleider, die aber so eng waren, daß er fast die Hände und Beine nicht bewegen konnte.
Wilhelm hatte zwar eine traurigen Augenblicke, er genoß aber auch seine Stunden des Trostes. Madame Van-Dick liebte ihn und liebte ihn schon seit zwei Jahren. Sie waren eins für das andere geschaffen. Sie, als eine wohlgenährte Dame, war voll Bewunderung für diese kräftige, derbe Natur, und Wilhelm, als ein rother Koloß, liebte diese wohlgemästete Taube, die sich seiner Liebe anvertraute.
Der Tag, an dem Tristan in dem Hause erschien, war übrigens einer der traurigsten in dem Leben Wilhelm’s, denn in dem Neuangekommenen erblickte er das Muster des Mannes, den er vorstellen wollte, aber nicht erreichen konnte. So oft Tristan mit der feinen weißen Hand seinen schwarzen Schnurrbart strich oder in seinem vollen schönen Haar wühlte, welches das bleiche, regelmäßige Gesicht umfloß, so oft fühlte sich der arme Wilhelm von Schmerz und Bewunderung durchdrungen. Die schön gefertigte Kleidung Tristans, die er förmlich studierte, erpreßte dem armen jungen Manne tiefe Seufzer. Da er von Herzen gut war, so zählte er darauf, sich in dem neuen Hausgenossen einen Freund zu erwerben und von ihm die Geheimnisse dieser gefälligen Toilette und dieses einschmeichelnden Benehmens zu erlernen. Deshalb auch konnte Tristan sicher sein, so oft er ein Wort sprach, Wilhelms Gesicht lächelnd und bewundernd zu finden.
Die dritte Person war das Kind, das sich durch etwas Besonderes nicht auszeichnete
Nach dem Frühstücke wurden die Zeichnungen in Augenschein genommen. Als Herr Van-Dick zwei oder drei derselben mit angesehen, – er kannte sie nämlich schon alle – begab er sich in sein Bureau, um nachzusehen, was sich in seiner Abwesenheit ereignet hatte.
Madame Van – Dick saß neben Wilhelm, der kleine Eduard legte seinen Kopf vor seine Mutter und Tristan zeigte diesen drei Personen eine Zeichnung nach der andern, ein Frohndienst, der ihm wenig Vergnügen gewährte, aber dazu dienen sollte, ihn in ein gutes Einverständniß mit allen zu setzen.
Euphrasia war entzückt, Wilhelm wie Euphrasia und Eduard wie Wilhelm.
Nachdem alle Bilder angesehen, ward das Album geschlossen. Wilhelm ging in sein Bureau, Euphrasia schickte sich an, nach ihrem Zimmer zu gehen und Eduard lief hinaus, um zu spielen.
Herr Van-Dick erschien wieder und schlug Tristan vor, die Merkwürdigkeiten der Stadt mit ihm in Augenschein zu nehmen. Die Annahme dieses Vorschlages schien unsern Tenor am meisten in die Gunst Euphrasia’s zu setzen, da er sie von ihrem Manne befreite, denn sie empfahl sich mit einer graziösen Verbeugung und einem äußerst freundlichen Lächeln.
Als Tristan an die Thür kam, traf er Herrn Van-Dick, der mit der Magd in einem Gespräche begriffen war. Wie wir bereits gesagt, war diese ein wohlgenährtes, starkes Mädchen, fast Wilhelms Figur, mit schönen schwarzen Augen, schwarzen Haaren und nervigen Armen, mit einem Worte eine Person, welche man als Statue der Freiheit hätte verwenden können.
Herr Van-Dick verließ die Köchin, als er Tristan bemerkte.
– Ich erwartete Sie! sprach er.
– Hier bin ich. Verzeihung, daß ich Sie warten ließ.
Die beiden Männer verließen das Haus.
Gegen fünf Uhr kamen die Spaziergänger zurück.
Das Mittagessen ging vorüber wie das Frühstück, nur wollte es unserm Tristan scheinen, als ob Wilhelm etwas röther und Euphrasia etwas ruhiger sei.
Nach Tische ward ein Spaziergang durch den Garten gemacht, dann nahm Herr Van-Dick Tristan mit sich.
Euphrasia blieb mit Wilhelm allein.
Tristan plauderte lange, denn er wollte die Unterhaltung der beiden Liebenden nicht stören. Nach einer halben Stunde kehrte er in den Saal zurück. Das Kind ward zu Bette geschickt.
Tristan schützte die Anstrengung der Reise vor und bat um die Erlaubniß, sich zurückziehen zu dürfen, eine Erlaubniß, die man ihm gern bewilligte. Euphrasia fuhr fort, gegen ihren Gast liebenswürdig zu sein und fragte nach, ob ein Zimmer, wie sie befohlen, in Ordnung gebracht sei.
Der Tenor stieg die Treppen hinauf und begab sich in sein Zimmer. Nach den gemachten Erfahrungen fand er das Haus schön und angenehm, er versprach sich ein zufriedenes, gemüthliches Leben mit seinen Bewohnern.
– Madame Van-Dick, dachte er, hält sich für sentimental, schön und geistreich; ich werde ihr sagen, daß ich den Werther verehre, werde über den Schwank lachen und ihr den Beinamen Ninon geben. Herr Wilhelm will stets gut gekleidet erscheinen, ich werde ihm seine Kleider auswählen, ihm Sonntags die Halsbinde anlegen und er wird mich vergöttern. Der kleine Eduard ist wild, ich werde ihm das Ballspiel zeigen und ihn »Guter Mond, du gehst so stille« auf dem Piano spielen lehren. Herrn Van-Dick, der mir der beste Mensch von der Welt zu sein scheint, werde ich in einen ausländischen Correspondenzen helfen und werde, wenn es sein muß, für ihn in das Feuer gehen.
Unter diesen Gedanken legte sich Tristan zu Bette, als es acht Uhr schlug.
Er mochte ungefähr vier Stunden geschlafen haben, als er wieder erwachte. Da bemerkte er, daß er vergessen hatte, das Fenster zu schließen, das in den Garten hinausging, denn der frische Nachtwind zog herein. Er stand auf und näherte sich diesem Fenster. Da war es, als ob er in dem Fenster des ersten Stockwerks, das sich unter dem einigen befand, sprechen hörte. Leise steckte er den Kopf hinaus, und da es sehr finster war und er nicht gesehen werden konnte, lauschte er.
In demselben Augenblicke bemerkte er einen Schatten, der eine Leiter an die Mauer des Hauses legte. Gleich darauf sah er eine Hand aus dem Fenster kommen, welche diese Leiter befestigte.
– Kann ich hinaufsteigen? fragte eine Stimme, in der er die Wilhelms erkannte.
– Ja! antwortete eine andere Stimme, in der er die Euphrasia’s erkannte.
– Und Herr Van-Dick?
– Schläft.
– Gewiß?
– Ganz gewiß!
– Da bin ich, mein Engel!
Und der dicke Wilhelm setzte den Fuß auf die erste Sprosse der Leiter, welche unter dem Gewichte laut aufseufzte. Dann gelangte er an das Fenster, stieg hinein, und Tristan hörte nichts mehr.
– Nicht übel! dachte Tristan. Die Balcon-Scene aus Shakespeare’s Romeo und Julia.
Nachdem er das Fenster geschlossen, wollte er sich wieder zu Bette legen, da glaubte er aber auf dem Corridor ein Geräusch zu vernehmen. Er öffnete die Thür seines Zimmers, ging leise bis zur Eingangsthür und legte sein Ohr an das Schlüsselloch.
– Lotte, sprach eine Stimme, in der Tristan die des Herrn Van-Dick erkannte, wo zum Teufel steckst Du denn?
– Hier bin ich!
– Warum entläufst Du mir denn immer?
– Ich fürchte, daß Madame mich hört.
– Meine Frau schläft.
– Gewiß?
– Ganz gewiß!
Die Stimmen entfernten sich und Tristan glaubte wahrzunehmen, daß sie die Treppe hinaufgingen, die zu dem Stockwerke über seinem Zimmer führte.
– Lotte, sprach er leise zu sich selbst, ist das große, dicke Mädchen, das ich heute einige Male gesehen. Nicht übel! Ich befinde mich zwischen zwei Liebschaften. Unter mir Shakespeare, über mir Molière. Im ersten Stockwerke geht der Commis als Romeo zu seiner Herrin, und im dritten schleicht sich Gros-René zur Marinette. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich hier wahrnehme, denn von morgen an werde ich das Essen stets ausgezeichnet gut finden, um der Köchin zu schmeicheln, die mir eine der mächtigsten Personen im Hause zu sein scheint. In dem Augenblicke, als es ein Uhr Morgens schlug, kehrte Tristan, vor Kälte zitternd, in sein Zimmer zurück.