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Erster Band
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So oft Tristan am folgenden Tage den dicken Wilhelm oder Herrn Van-Dick sah, regte sich in ihm eine Lachlust, die er kaum zu unterdrücken vermochte. Weder der eine noch der andere dieser beiden Herren verrieth übrigens die geringste Verlegenheit oder auch nur die leiseste Furcht. Als die Stunde des Frühstücks erschien, näherte sich der Commis dem Negocianten und reichte ihm die Hand, welche der Letztere sehr freundlich drückte; dann trat er Euphrasia entgegen und machte eine tiefe respektvolle Verbeugung. Herr Van-Dick wendete in diesem Augenblicke den Kopf nach einer andern Seite und bemerkte es nicht. Zuletzt näherte sich Herr Wilhelm unterm Tristan, der, ihm die Hälfte des Weges ersparend, einige Schritte ihm entgegen machte und seine feine weiße Hand vertraulich in die breite, rothe Hand des jungen Kaufmanns legte.

– Wie befinden Sie sich? fragte dieser und wurde über und über roth wie ein Mensch, der die ersten Worte einer Phrase zu Tage fördert, auf die er sich lange Zeit vorbereitet.

– Gut; und Sie, Herr Wilhelm?

– Danke, vortrefflich! Das Getümmel in dem Kanale hat Sie wohl früh geweckt?

– Ich konnte es nicht hören, da mein Zimmer nach dem Garten hinaus liegt.

Herr Wilhelm wurde roth wie eine Kirche und es bedurfte eines Blickes Euphrasia’s, um ihm die Ruhe wiederzugeben.

Haben Sie Bücher, begann Wilhelm wieder, im Falle Sie gewohnt sind, spät einzuschlafen?

– O, im Gegentheil, antwortete Tristan, der den armen jungen Mann wieder beruhigen wollte, um für die Folge mit ihm auf einem guten Fuße zu bleiben, im Gegentheil, ich schlafe schon früh ein und erfreue mich eines bleiernen Schlafes, aus dem ich erst bei hellem Tage erwache.

Tristan hatte sich nicht getäuscht. Wilhelms Gesichtszüge wurden ruhig und nahmen einen durchaus freundlichen Ausdruck an.

Man setzte sich zu Tische: Wilhelm nahm zwischen Euphrasia und dem Kinde Platz, Tristan zwischen Herrn Van-Dick und Euphrasia.

– Vortreffliche Cotelettes, Madame, sprach Tristan, ich mache Ihnen, Ihrer Köchin wegen, mein Compliment. Es ist zwar erst das zweite Mal, daß ich die Ehre habe, an Ihrem Tische zu sitzen, aber ich muß gestehen, daß ich nie besser gegessen habe.

Indem Tristan dies sagte, warf er verstohlen einen Blick auf Herrn Van-Dick; dieser aber, wahrscheinlich besser an solche Sachen gewöhnt, als sein Commis, fuhr ruhig fort, sein Fleisch zu zerschneiden und mit großem Appetite zu essen.

– In der That, antwortete Euphrasia, unsere Lotte ist eine vortreffliche Köchin, außerdem ist sie treu und ehrlich und dafür steht sie bei meinem Gemahl und mir in großer Gunst.

Wie es Tristan schien, sahen sich Wilhelm und Euphrasia bei diesen Worten lächelnd an, während der Herr des Hauses das Gelbe eines Eies mit der Miene eines raffinierten Gutschmeckers einschlürfte.

– Mein Freund, sprach der Kaufmann zu Tristan nach einer Pause, ich habe Sie um einen Dienst zu bitten.

– Jemehr ich Ihnen nützen kann, antwortete dieser, je mehr werde ich mich glücklich fühlen.

– Hätten Sie wohl die Güte, fuhr der Negociant fort, zwei oder drei Briefe zu schreiben? Madame Van-Dick wird Ihnen Anweisung dazu ertheilen, denn ich muß in Geschäften ausgehen.

– Gern.

– Du weißt, daß an das Haus Schmidt zu Leipzig, Antonini zu Florenz, und William zu London geschrieben werden muß. Sie, lieber Wilhelm, werden die Vallen expedieren. Ich zähle auf Sie.

– Sie können sich auf mich verlassen, Herr Van-Dick.

– Wohin gehst Du heute, mein Freund? fragte Euphrasia und warf einen flüchtigen Blick auf Wilhelm, der zu sagen schien: »Vielleicht sind wir allein.«

Wilhelm blickte auf Tristan, als wollte er sagen: »Und er bleibt.«

Euphrasia beruhigte ihren Geliebten aber durch einen Blick, der Tristan überzeugte, daß sie ihn nicht für fein genug hielt, um ihre Freundschaft mit Wilhelm zu ahnen.

Für dieses Lächeln werde ich mich rächen, dachte unser Freund.

– Ich gehe nach Harlem, antwortete Herr Van-Dick, um dort meine Magazine in Augenschein zu nehmen.

– Es hat sich dort während Ihrer Abwesenheit nichts ereignet, sprach Wilhelm.

– Thut nichts, der Weg dorthin wird eine heilsame Promenade für mich ein. Bis an den Hafen von Harlem gehe ich zu Fuß, dort nehme ich mir einen Wagen und bin gegen Abend zum Diner wieder zurück. Sollte ich um sechs Uhr nicht eingetroffen sein, so setzt Euch immerhin zu Tische. Wir haben die Gewohnheit, auf Niemand zu warten, fügte Herr Van-Dick hinzu, indem er sich zu seinem neuen Gaste wandte, weder auf den Herrn noch auf die Frau vom Hause, noch auf die übrigen Genossen.

– Ich werde es mir merken, antwortete Tristan.

– Und jetzt, geliebte Freundin, verlasse ich Dich.

Der Holländer stand auf, ergriff die Hand seiner Frau und küßte sie auf die Stirn. Wilhelm stieß einen Seufzer, von der Eifersucht erpreßt, aus, während die resignierte Gattin ihm als Belohnung zulächelte.

Herr Van-Dick verließ das Zimmer.

Tristan, der wegen der Briefe, die er schreiben sollte, nähere Auskunft wünschte, begleitete ihn bis zur Thür. Hier angelangt, blieb Herr Van-Dick stehen, stieß die Thür der Küche auf und sprach zu der Köchin:

– Um sechs Uhr, mein Kind, vergiß es nicht.

– Nein, Herr, sprach das dicke Mädchen mit den großen schwarzen Augen, Sie können außer Sorgen sein.

Herr Van-Dick wechselte ein vertrauliches Lächeln mit ihr, das heißt, er lächelte nicht wie ein Herr vom Hause, welcher bei seiner Köchin das Mittagessen bestellt. Dann drückte er Tristan noch einmal die Hand und verließ das Haus, nachdem er sich eine Cigarre angezündet hatte.

– Mein Herr, rief Lotte, als Tristan sich entfernen wollte, mein Herr!

Tristan blieb stehen.

– Was wünschen Sie, mein Kind, sprach er und gab der Köchin denselben Titel, welchen ihr Herr Van-Dick gegeben hatte.

– Mein Herr, fuhr Lotte fort, indem sie sich dem Gerufenen näherte, wenn Sie in Frankreich vielleicht anders gewohnt sind zu speisen, als hier, so genieren Sie sich nicht.

– Danke!

– Wenn Sie Morgens vor elf Uhr eine Tasse Milch, Kaffee, Chocolade oder eine gebratene Taube und eine Flasche Bordeaux genießen wollen, so sagen Sie es mir, ich bringe es Ihnen auf Ihr Zimmer.

– Danke, danke!

– Sollten Sie einmal Appetit bekommen, so sagen Sie es mir, ich werde für Sie sorgen. Sie brauchen sich an keinen andern im Hause zu wenden, der Herr hat es mir anbefohlen.

Die Köchin zog sich in ihre Küche zurück, wo sie wie eine unbeschränkte Königin waltete, eine Freiheit, die ihr die Freundschaft des Hausherrn zugesichert.

Tristan trat in dem Augenblicke wieder in das Zimmer, als Wilhelm sich anschickte, von Euphrasia Abschied zu nehmen, die sich mit Sticken beschäftigte.

– Ich erwartete Sie, sprach Madame Van-Dick.

Tristan verbeugte sich.

– Und ich verlasse. Sie, sprach Wilhelm, um in mein Bureau zurückzukehren. Wilhelm empfahl sich und ging.

– Ein charmanter junger Mann, sprach Tristan.

– Es ist wahr! antwortete Euphrasia, leise erröthend.

– Während der Reise hat Herr Van-Dick mir viel Gutes von dem jungen Manne gesagt, und ich muß bekennen, daß sich Alles bestätigt.

– Es ist ein zuverlässiger, biederer Mensch, dem mein Mann sein ganzes Vertrauen schenkt.

– Man sieht es ihm an, er hat ein freies, offenes und dabei interessantes Gesicht.

Um den Schein zu meiden, als ob er mit Fleiß die Eigenschaften des jungen Handlungsbeflissenen rühmte, gab er dem Gespräche eine andere Wendung.

– Hätten Sie wohl die Güte, Madame, und sagten mir, in welchem Sinne ich die Briefe an die Herren Schmidt, Antonini und William zu schreiben habe?

Euphrasia erwachte aus einer leichten Träumerei, in welche sie die Complimente Tristans über Wilhelm versenkt hatten, und indem sie einen dankenden Blick auf unsern Helden warf, sprach sie:

– Ach, Verzeihung, ich bin so zerstreut, daß ich diese Briefe vergessen hatte.

Sie fand auf und ging in das Zimmer ihres Mannes, um einige Papiere zu holen.

– Es ist unbezweifelt, sprach Tristan bei sich selbst, sie liebt ihren Wilhelm leidenschaftlich.

Da es ihm sehr gleichgültig sein konnte, ob sie den wohlgenährten Kaufmannsdiener liebte oder nicht, betrachtete er, um die Pause bis zu Euphrasia’s Rückkehr auszufüllen, die Stickerei, mit der sie beschäftigt war.

– Hier sind die Briefe, sprach Madame eintretend, die zu beantworten sind. Mein Mann ist bereit, die verlangten Lieferungen zu machen, er erwartet nur einen Avis-Brief, um sie zu expedieren.

– Ist außerdem noch etwas zu bemerken?

– Nichts. Tristan ergriff Papier, Feder und Dinte, setzte sich an den Tisch und schickte sich an, zu schreiben.

In diesem Augenblicke warf Madame Van-Dick Wilhelm, der in seinem Bureau neben dem Fenster saß, einen langen, zärtlichen Blick zu. Beide konnten miteinander correspondieren, wenn auch nicht durch Worte, doch durch Winke.

Tristan that, als ob er nichts merkte, und vollendete ruhig seine Arbeit. Nach kurzer Zeit war er damit fertig, dann las er den Inhalt der Briefe Madame Van-Dick französisch vor.

– Vortrefflich, sprach sie, Sie befreien meinen Mann von einer großen Last, wenn Sie ihm öfter den Dienst leisten, den Sie ihm heute geleistet haben.

Und diese Frau, anmaßend bis zur Lächerlichkeit, begleitete diese so einfache Phrase mit einem Blicke, den die Augen in der Regel für die Ergießungen des Herzens auf bewahren.

Tristan, der sich nach und nach den Gewohnheiten dieser Dame fügte, fiel dieser Redeton weiter nicht auf, er dankte ganz einfach, ohne ihm eine Bedeutung unterzulegen.

– Kann ich Ihnen noch in etwas nützlich sein? fragte er.

– Nein; alles, was Sie für heute thun konnten, haben Sie gethan. Wollen Sie mich schon verlassen?

Diesen Satz sprach Euphrasia in einem Tone, in welchem eine andere gesagt haben würde: »Ich fühle, daß ich sterben muß!«

– O nein, Madame; ich würde mich sogar sehr glücklich preisen, wenn ich Ihnen ferner noch Gesellschaft leisten darf.

– Sehr verbunden!

Ein Lächeln der Dankbarkeit umschwebte die Lippen der Madame Van-Dick.

– Erzählen Sie mir doch, Herr Tristan, fuhr sie fort, wie Sie die Bekanntschaft meines Mannes gemacht haben.

Tristan erzählte.

– Es giebt doch sonderbare Zufälle, sprach sie dann nach der Erzählung.

– In der That, entgegnete Tristan, einen Seufzer ausstoßend, wie hätte ich denken können, daß ich nach Holland kommen und der Gast eines so freundlichen, wohlwollenden Hauses werden würde!

Um Euphrasia zu schmeicheln, stieß Tristan einen zweiten Seufzer aus.

– Herr Van-Dick hat mir gesagt, daß Sie ihm gleich gefallen hätten.

– Und ich, Madame, muß gestehen, daß mich eine unerklärliche Sympathie an ihn fesselt.

– Er ist auch ein vortrefflicher Mann, nicht wahr?

– Ja, Madame, eine auserlesene Natur!

– Herr Tristan, ich fühle mich so zu Ihnen hingezogen, als ob Sie bereits einer meiner ältesten Freunde wären; darum kann ich Ihnen gestehen, daß, obgleich Herr Van-Dick ein höchst achtbarer Mann ist, ich doch nicht immer glücklich mit ihm gewesen bin.

– Ist es möglich, Madame! rief unser Tenor mit einer Miene, die Ueberraschung, Erstaunen und Mitleiden zugleich ausdrückte.

– Was ich sagte, Herr Tristan, ist die reine, traurige Wahrheit. Herr Van-Dick ist ein Mann des Handels, ein Mann, der wohl eine Frau von vierzig Jahren glücklich machen konnte, aber nicht ein junges Mädchen von sechzehn Jahren, wie ich war, als ich ihn heirathete.

– Wie, Madame, rief Tristan, Sie sind schon sechsundzwanzig Jahre alt? Sie scheinen kaum zweiundzwanzig zu zählen! Als ich den großen Knaben sah, der dort im Garten spielt, wollte ich nicht glauben, daß er Ihr Sohn sei; ich hätte wetten mögen, daß er Ihr Bruder wäre.

– O Sie Schmeichler, sprach sie erröthend, der Franzose ist in Ihnen nicht zu verkennen!

– Ich ein Schmeichler, Madame? O Sie scheinen mich nicht zu kennen!

– Ich weiß genau, wie alt ich bin, weiß auch, daß ich nicht nur sechsundzwanzig Jahre alt scheine, sondern dreißig Jahre.

– Sie scherzen, Madame!

– O nein! Ich habe sehr viel gelitten! Alle die Seufzer, die Madame Van-Dick bis jetzt ausgestoßen hatte, waren nichts gegen den, den sie bei diesen Worten ausstieß.

»Wenn das so fort geht, dachte Tristan, wird mein Aufenthalt in diesem Hause nicht immer der angenehmste sein.«

– Sie haben gelitten? Welcher Dämon, eifersüchtig auf Ihre Schönheit,ist im Stande gewesen, den Blumen Ihrer Bahn und den Tagen Ihres Lebens Duft und Glanz zu rauben?

Tristan biß die Lippen zusammen, ein gewöhnliches Mittel, sich des Lachens zu erwehren.

– Sie zweifeln, weil Sie meiner äußern Ruhe glauben, ohne in das Innere zu blicken.

– Verzeihen Sie mir diese Reflexion, Madame; aber worin hätten Sie unglücklich gewesen sein können? Ihr Gemahl liebt Sie, Ihr Sohn betet Sie an; Sie sind jung, reich, schön, die Männer müssen Sie bewundern, oder sie haben keine Augen, und die Frauen müssen Sie beneiden, oder sie haben keine Eigenliebe mehr. Was wünschen Sie noch mehr?

– Rechnen Sie für nichts, mein Herr, wenn man die Träume seines Lebens nach und nach hat verschwinden gesehen? Ach, ihr Mädchenträume, wo seid ihr hin?

Nachdem Euphrasia wehmüthig gen Himmel geblickt, ließ sie das Haupt melancholisch auf den vollen Busen herabsinken, was in der ganzen Welt ein Zeichen tiefer Trauer ist.

– Welch’ ein lächerliches, unangenehmes Weib! dachte Tristan. Hätte mir ihr Mann dies Alles vorhergesagt, ich weiß nicht, ob ich ihm gefolgt wäre. Armer Wilhelm!

– Haben Sie je geliebt, Herr Tristan? fragte Euphrasia nach einer Pause.

– O ja, Madame.

– Oft?

– Nur einmal.

Madame Van-Dick schien den jungen Mann mit Bewunderung zu betrachten.

– Ach, es muß doch schön sein, nur einmal geliebt zu haben! Und sind Sie von ihr wiedergeliebt, Herr Tristan?

– Ich glaube, ja.

– Und jetzt?

– Jetzt ist sie todt.

– Armer junger Mann!

Eine gehorsame Thräne glänzte in den Augen Euphrasia’s.

– War es vielleicht ein junges Mädchen, das Sie entführt haben? fragte Madame Van-Dick weiter, die hoffte etwas von dem Roman aus Tristans Leben kennen zu lernen.

– Nein, Madame, es war meine Frau.

– Ihre Frau?

– Ja.

– Sie liebten Ihre Frau! So giebt es in der Welt doch verheirathete Männer, welche ihre Frauen lieben.

– Sie sollten doch weniger als irgend Jemand daran zweifeln, denn Ihr Mann betet sie an.

Madame Van-Dick senkte den Kopf.

– Bevor Sie Ihre Frau heiratheten, Herr Tristan machten Sie ihr den Hof, nicht wahr?

– Gewiß.

– Abends gingen Sie in dunkeln, einsamen Alleen mit ihr spazieren?

– Ja.

– Sie drückte Ihnen die Hand und Nachts träumte einer von dem andern?

– Ganz recht.

– Leider!

Ein Seufzer ertönte.

– Haben Sie dieses Glück, Madame, das Sie mir so genau beschreiben, nicht auch empfunden?

– Nein, dieses Glück ist ein Traum, der bis jetzt noch nicht in Erfüllung gegangen.

»Ein Satz, dachte Tristan, der für Herrn Wilhelm nicht sehr schmeichelhaft ist.«

– Aber für dieses Glück, das Sie bedauern nicht genossen zu haben, fügte er laut hinzu, genossen Sie das häusliche Glück, Familienfreuden und die Annehmlichkeiten des Reichthums. Und wenn Ihre Vergangenheit – in Ihrem Alter, Madame, hat man übrigens noch keine Vergangenheit – wenn Ihre Vergangenheit ohne Leidenschaft war, das heißt, ohne Sturm, ist ihre Zukunft ohne Unruhe. In Ihrem Leben, dessen Tage ruhig dahinflossen, bildet sich am Morgen stets derselbe reine, klare Horizont, der am Abend verschwand. Da Sie nur von Liebe geträumt, haben Sie nie Enttäuschung, Sehnsucht und Verlangen kennen gelernt. Hätte ich, Madame, der ich in demselben Alter stehe, wie Sie, zwischen Ihrem Glücke und dem meinigen zu wählen, ich gäbe dem Ihrigen den Vorzug, denn Sie glauben noch, ich aber glaube nicht mehr.

– Und doch wäre ich glücklich gewesen, rief Euphrasia in erkünstelter Exaltation, hätte ich anstatt eines so materiellen Ehemannes einen liebenden Gatten gefunden, wie Sie sind! Sie scheinen mir einer von den Männern zu sein, die aus tiefem Herzen lieben.

– Holla! dachte Tristan, als er die Blicke bemerkte, mit welchen Euphrasia diese Worte begleitete. Madame Van-Dick hat Lust, den Herrn Wilhelm zu hintergehen.

– Es ist wahr, Madame, fuhr er laut fort, ich liebte aus tiefem Herzen; aber eine solche Liebe, wie ich sie empfand, verbrennt das Herz und läßt nur einen Haufen Asche zurück, unter dem auch nicht ein Fünkchen Feuer mehr glimmt.

Tristan hielt diesen albernen Satz, den er mit einer wahren Zerknirschung gesprochen hatte, für geeignet, Euphrasia in Bezug auf sich vollkommen aufzuklären, im Fall sie sich geneigt fühlen sollte, ihn mit jener Leidenschaft zu beehren, welche sie bedauerte, nicht empfunden zu haben.

Euphrasia fuhr fort, sich mit ihrer Stickerei zu beschäftigen, ihre Blicke aber, anstatt wie früher nach Wilhelms Bureau hinüberzuschweifen, richteten sich verstohlen auf Tristan, der mit einer Feder auf einem Stück Papier zeichnete, das vor ihm liegen geblieben war.

– Was machen Sie da, Herr Tristan? fragte Euphrasia.

– Ich zeichne die Parthie des Gartens, in welcher sich jenes alte Haus erhebt, das viel Charakter hat.

– Ich muß Sie um etwas bitten, Herr Tristan.

– Reden Sie, Madame.

– Ich möchte, daß Sie mir mein Portrait machten.

– Mit Vergnügen, Madame, und selbst mit großer Dankbarkeit, denn ein Maler ist stolz und glücklich, ein schönes Gesicht geschaffen zu haben.

– Sie sind sehr gütig. So willigen Sie also ein?

– Jetzt fordere ich es sogar.

– Sie sind sehr liebenswürdig. Bei diesen Worten reichte Euphrasia dem Tenor ihre große Hand, welche dieser an seine Lippen drückte.

– Die Sache ist also abgemacht. Von heute an bin ich zu Ihrem Dienste bereit.

– Morgen also?

– Wie es Ihnen beliebt.

– Ich bitte jedoch, die Sache geheim zu halten.

– Vor Herrn Van-Dick?

– Vor aller Welt.

– Es soll niemand etwas davon erfahren.

– Es wird ein Miniaturgemälde, nicht wahr?

– Ja, Madame, eines von jenen Gemälden, antwortete Tristan betonend, welche aus einer Hand in die andere gehen, ohne daß man es bemerkt, und das ganze Leben hindurch auf dem Herzen ruhen können, ohne daß man sie dort vermuthet.

– Ach ja, ein solches Portrait wünsche ich mir.

Euphrasia warf einen Blick durch das Fenster nach Wilhelm hinüber, der sagen sollte: »Ich beschäftige mich mit Ihnen.«

Tristan erhob sich.

– Wie, Sie stehen auf? rief Madame Van-Dick in einem Tone, mit dem sie eben so gut hätte sagen können: »Wie, Ihre Mutter ist gestorben?«

– Ja, Madame.

– Wollen Sie ausgehen?

– Nein; ich will zu Ihrem Herrn Sohne gehen, um ihm heute den ersten Unterricht zu ertheilen.

– Um zu dem Sohne zu gehen, verlassen Sie die Mutter?

– Ich muß, Madame.

– So gehen Sie denn; sobald aber der Unterricht beendet ist, kehren Sie zurück, um ein wenig mit mir zu plaudern.

– Wenn Sie erlauben —

– Ich befehle es!

Madame Van-Dick reichte Tristan abermals ihre Hand. Der junge Mann schritt der Thür zu, und als er sie im Rücken hatte, stieß er einen Seufzer aus, der über seine Freude, endlich frei zu sein, keinen Zweifel übrig ließ.

Euphrasia nahm ihren Platz am Fenster wieder ein und fuhr zu arbeiten fort. Wilhelms Gesicht strahlte vor Freude, als er bemerkte, daß sie sich mit ihm allein beschäftigte, denn ein Blick und ein Lächeln folgte dem andern.

Tristan führte den Knaben auf sein Zimmer und ließ ihn sich mit dem Rücken dem Fenster zu setzen, so daß er den Blickwechsel Wilhelms und Euphrasia’s beobachten konnte, der, seit sich Madame Van-Dick unbeobachtet glaubte, immer sentimentaler wurde. Der Extenor prüfte nun einen Schüler und nahm mit Schrecken wahr, daß er noch nicht einmal die Anfangsgründe des Lesens und Schreibens wußte. Der Lehrer seufzte tief auf, als er des Horizontes gedachte, der sich vor ihm entrollte. Er tröstete sich jedoch damit, daß aller Anfang schwer sei, und daß das Haus am Prinzen-Kanal ihm vielleicht weniger unangenehm sein würde, wenn er sich an die Koketterien der Mutter und an die Unwissenheit des Sohnes gewöhnt hatte.

Es schien indeß, als zöge Tristan das zweite Uebel dem ersten vor, denn anstatt zu Madame Van-Dick zurückzukehren und ihrem Geschwätze zu lauschen, blieb er bis zum Diner in seinem Zimmer und hörte die Dummheiten des Herrn Eduard an.

Herr Van-Dick kam zurück, wie er versprochen. So lange man bei Tische saß, hatte Tristan das Vergnügen, zu sehen, daß Wilhelm Euphrasia betrachtete, wie Paul seine Virginie.

Wie schon gesagt, schien Wilhelm für Tristan eine besondere Zuneigung zu hegen. Anstatt, wie es bei gemeinen Seelen in der Regel der Fall ist, von der Bewunderung zum Neide überzugehen, entstand in ihm der Wunsch, mit seinem neuen Genossen, ein aufrichtiges Freundschaftsverhältniß zu schließen, denn er hoffte von ihm die Sitten und Manieren zu erlernen, welche Tristan in seinen Augen vor so vielen Männern auszeichneten. Dieser hatte Wilhelms Wunsch auch bald erkannt und war nicht abgeneigt, ihn nach Kräften zu erfüllen. Unglücklicherweise war der Handlungsbeflissene aber so schüchtern, daß er es nicht wagte, sich dem jungen Manne ganz zu entdecken. Tristan mußte demnach seine Gefühle aus den Blicken und dem Lächeln lesen, die, beiläufig gesagt, über sein Wohlwollen keinen Zweifel, obwalten ließen.

Auf diese Weise war Tristan Euphrasia’s wirklicher Rival geworden. Wilhelm betrachtete seine Herrin mit Liebe, unsern Tristan aber mit Bewunderung. Der Schönheit der Geliebten widmete er sein Herz, die Augen aber der Toilette seines Freundes. Jeden Morgen, wenn Tristan erschien, eilte Wilhelm ihm entgegen, und trug Tristan eine andere Cravatte oder eine andere Weste als Abends zuvor, so sah ihn Wilhelm an, wie ein geheilter Blinder den Tag ansieht.

– Ach, Herr Tristan, rief er dann aus, was für eine reizende Cravatte tragen Sie heute!

– Herr Wilhelm, antwortete Tristan, ich besitze zwei Stück von dieser Sorte, darf ich mir erlauben, Ihnen eine davon anzubieten?

– Ich weiß nicht, ob ich darf – —

– Nehmen Sie, sprach Tristan, es sind Sachen, die aus Frankreich kommen und die Sie hier nicht vorfinden würden.

Wilhelm erschöpfte sich in Danksagungen und Tristan wollte nicht nur, daß der Commis die Cravatte annahm, sondern er band sie ihm auch um, und solche Tage waren für Wilhelm die glücklichsten. Unser Holländer war dabei aber ein sehr delicater Jüngling, er wollte durchaus nicht nehmen, ohne dafür zu geben; stets machte er Tristan in derselben Art Gegengeschenke.

Auf diese Weise bildete sich zwischen den beiden jungen Leuten bald ein Verhältniß, wie Wilhelm es gewünscht Tristan, der anfangs kaum das Lachen unterdrücken konnte, wenn der Commis den Mund öffnete, um zu reden, aber kein Wort hervorzubringen wagte, hörte ihm jetzt mit Vergnügen zu, denn Wilhelms Schüchternheit war einer freundlichen Offenheit gewichen und er entwickelte nicht nur Geist in seiner Unterhaltung, sondern auch einen nicht unbedeutenden Schatz von Kenntnissen.

Durch diese neue Entdeckung ward das freundschaftliche Band, das die beiden jungen Männer umschlang noch fester geknüpft und mit jedem Tage verstanden sei sich einander mehr. Hatte einer den andern um etwas zu bitten, so konnte er sich der Gewährung stets versichert halten.

Man muß aber hieraus nicht schließen, daß Wilhelm und Tristan unzertrennlich waren. O durchaus nicht! sahen sich täglich kaum zwei Stunden, aber ihr Umgang war ein herzlicher, und so oft sie sich sahen, waren sie glücklich.

Wie kommt es aber, wird der Leser fragen, da Wilhelm ein wackerer junger Mann ist, daß er den Mann, von dem er abhängt, betrügt, indem er der Liebhaber seiner Frau ist?

Antwort:

Ein Ehemann wird nur dann betrogen, wenn er an die Liebe seiner Frau glaubt, wenn er diese Frau liebt und nicht weiß, daß sie einen andern liebt. Und wer hat Ihnen gesagt, daß Herr Van-Dick zu dieser Gattung Ehemänner gehört?

Die Holländerin

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