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Erster Theil
Einleitung
IV

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Zwei Monate nach den bisher erzählten Ereignissen drängte sich eine ungeheure Menschenmenge vor der Thür des Gebäudes in Nimes, in welchem die Sitzungen des Assisenhofes gehalten wurden. Die öffentlichen Verhandlungen über die Ermordung des Pfarrers den Lafou und seiner Haushälterin sollten an diesem Tage beginnen.

Seit der Verhaftung Jeans hatte die Untersuchung zu immer neuen und beschwerenderen Indicien gegen den unglücklichen jungen Mann geführt, so daß an dem heutigen Tage Jedermann von seiner Schuld überzeugt war und mit Ungeduld seine Verurtheilung erwartete, denn der Pfarrer von Lafou war auf zwanzig Meilen in die Runde bekannt und bei Jedermann beliebt gewesen.

Indessen hatte Jean nichts vernachlässigt, was zu seiner Vertheidigung beitragen konnte. Er hatte seine Prinzipale, seine Freunde und Alle kommen lassen, die über seine Moralität Auskunft geben konnten, theils aus dem Verhältnisse, in dem er persönlich mit ihnen gestanden, theils nach dem, was sie über ihn gehört hatten.

Jeans Eltern hatten ihn während dieser Zeit fast nicht verlassen. Man bedauerte sie, aber wie schon gesagt, die öffentliche Meinung war über die Schuld des Angeklagten einstimmig. Jean war kaum mehr zu erkennen. Das Unglück hatte mit seinem schwersten Gewicht auf ihm gelastet; er war bleich und abgemagert wie ein Sterbender; sein Blick war matt und nur der tiefe Schmerz schien noch in ihm zu leben.

Nur fünf Personen wären von seiner Unschuld überzeugt; dies waren seine beiden Eltern, welche gewiß wußten, daß ihr Sohn nicht allein keines Mordes, sondern selbst keines verbrecherischen Gedankens fähig war; ferner sein Prinzipal, der an dem Tage seiner Verhaftung eine Tratte von ihm bekommen, und die beiden Gensd’armen, die ihn zu dem königlichen Procurator geführt hatten.

Dieser Prozeß war seit zwei Monaten der Gegenstand des allgemeinen Gesprächs, und es war fast keine Woche vergangen, ohne daß das Journal von Nimes einen Artikel mit neuen Details darüber gebracht hatte. Es war daher nicht zu verwundern, daß an dem Tage der ersten Gerichtssitzung die Thür des Tribunals seit frühem Morgen von einer neugierigen Menschenmenge belagert wurde, unter der, wie dies immer der Fall ist, das weibliche Geschlecht sich sowohl durch Anzahl als durch die glühendste Neugierde bemerklich machte.

Gegen Mittag wurde endlich die Sitzung eröffnet.

Der Huissier kündigte an: »Der Gerichtshof!« Die Geschworenen nahmen ihre Plätze ein und der Präsident bewegte, nachdem er sich ebenfalls gesetzt hatte, seine Glocke, um Ruhe zu gebieten. Als diese hergestellt war, sagte er:

»Man führe den Angeklagten ein.«

Jean erschien zwischen zwei Gensd’armen. Er war in dem Zustande, den wir geschildert haben, das heißt unkennbar. Welche Veränderung hatten zwei Monate mit dem heiteren Reisenden hervorgebracht, den wir beim Beginn Unsrer Erzählung auf der Straße von Nimes nach Lafou gesehen-haben! Aber welche Ereignisse-, welche Angst,« welche Schrecken, welche Befürchtungen hatten auch diese zwei Monate in sich geschlossen!

Die Eltern des Angeklagten, welche beide eben so bleich Waren, als ihr Sohn, nahmen ihre Plätze neben dem Vertheidiger desselben ein.

Der Präsident befahl dem Huissier, die Anklageacte, vorzulesen, deren uns schon bekannter Inhalt das Schaudern der Zuhörer hervorrief.

Jean war wie stumpfsinnig. Kaum hatten die ewigen Verhöre, die Fragen des mit seiner Vertheidigung beauftragten Advokaten, der Kummer seiner Eltern und sein eigener Schmerz ihm so viel Verstand gelassen, daß er klare und bestimmte Antworten auf die ihm vorzulegenden Fragen geben konnte. Er betrachtete mit einem Gefühl tiefen Mitleidens alle diese Menschen« die sich hier versammelt hatten, um ihn leiden zu sehen und von denen vielleicht kein einziger ihn bemitleidete.

« Von allen Martern, welche die Hölle erfunden hat, kann es wohl keine größere geben, als den Gedanken, wegen eines Verbrechens, das man nicht begangen hat, aller Wahrscheinlichkeit nach vielleicht zum Tode oder doch zu den Galeeren verurtheilt zu werden, und daß Alles, was man auch sagen oder thun möge, um die Richter oder die Zuhörer von seiner Unschuld zu überzeugen, keinen andern Erfolg haben wird, als noch frecher und verstockter in ihren Augen zu erscheinen.

Dante hat diese Marter vergessen.

»Ihr Vor – und Zuname?« sagte der Präsident zu Jean, als die Vorlesung der Anklageacte zu Ende war.

»Jean Raynal,« antwortete der junge Mann mit äußerst schwacher, aber unaussprechlich sanfter Stimme.

»Ihr Gewerbe?«

»Handlungsreisender.«

»Geburtsort?«

»Paris.«

»Wie alt?«

»Einundzwanzig und ein Viertel Jahr.«

Ein Gemurmel der Entrüstung durchlief die ganze Versammlung, daß ein so junger Mensch schon ein so gräßliches Verbrechen begangen hatte.

»Sie sind angeklagt,« sprach der Präsident weiter, »in der Nacht vom 15. zum 16. April dieses Jahres den Pfarrer Valentin Raynal in Lafou und seine Dienerin Toinette Belami ermordet zu haben.«

»Ich weiß es.«

–»Leugnen Sie noch immer dieses Verbrechen?«

»Ja, Herr Präsident.«

»Gut, Erzählen Sie uns die Umstände, die Ihnen bekannt sind, dann werden wir die Zeugen vernehmen.

Jean erzählte vielleicht schon zum zehnten Male seine Ankunft bei seinem Oheim, sein Gespräch mit ihm, seinen tiefen Schlaf während der Nacht, seine Abreise am Morgen, seinen Besuch bei dem Bäcker Simon und seine Verhaftung in dem Augenblicke wo er Nimes verlassen wollte.

Die Zeugenvernehmung begann. Welche Menge von Beweisen kann die menschliche Justiz aufbringen, um einen Unschuldigen zu verurtheilen, mit der Ueberzeugung, daß sie einen großen Verbrecher vor sich hat!

Der erste Zeuge war der Bauer, bei dem Jean sich nach der Wohnung des Pfarrers erkundigt hatte.

»Habt Ihr damals etwas von Aufregung entweder im Benehmen oder in der Stimme des Angeklagten bemerkt?« fragte ihn der Präsident.

»Nein, der Angeklagte schwitzte sehr, weiter habe ich nichts gesehen.«(Gelächter.)

So oft Menschen versammelt sind, um einen Andern richten und verurtheilen zu hören, lassen sie nie eine Gelegenheit unbenutzt, wo sie lachen können.

»Es ist gut, geht wieder an Euren Platz,« sagte der Präsident zu dem Zeugen, welcher sich freute, zuerst aufgerufen worden zu sein, weil er auf diese Weise von einem guten Platze aus die ganzen Verhandlungen mit anhören konnte, ohne daß ihm ein Wort entging.

Der zweite Zeuge war einer der drei Freunde des Pfarrers, die ihn am Abende vor dem Verbrechen besucht hatten.

Es war ein Mann von sechzig Jahren, von allgemein anerkannter Rechtschaffenheit und Ehrenhaftigkeit.

Nachdem er die gewöhnlichen Einleitungsfragen beantwortet hatte, fragte ihn der Präsident:

»Wie benahm sich der Pfarrer Raynal an jenem Abende gegen seinen Neffen?«

»Ganz wie ein Vater; er schien eine herzliche Zuneigung zu ihm zu haben.«

»Wie benahm sich während dieser Zeit der Angeklagte?«

»Wie ein junger Mann, welcher die ihm bewiesene Liebe dankbar anerkennt.«

»Wurde von der Feindschaft gesprochen, welche zwischen den beiden Brüdern geherrscht hatte?«

»Ja.«

»Was sagte der Pfarrer in dieser Beziehung?«

»Er bedauerte sie.«

»Hatte Herr Raynal schon vor jenem Abende diesen Umstandes gegen Sie erwähnt?«

»Ja; Herr Raynal war einer meiner intimen Freunde und vertraute mir alle seine Gedanken an.«

»Wie äußerte er sich über seinen Bruder Onesimus Raynal?«

»Ich bin es der Wahrheit schuldig zu sagen, daß er ihn zuweilen als einen Mann von heftigem Character schilderte. Aber in der Folge hatte sich seine Meinung von ihm sehr geändert und er hat oft den Wunsch gegen mich ausgesprochen, diesen Bruder wiederzusehen und zu umarmen.«

Die beiden folgenden Zeugen sagten in dem nämlichen Sinne aus, sie fügten aber noch hinzu, der Pfarrer habe ihnen erzählt. daß er im Laufes des Tages eine Summe von zwölfhundert Franken eingenommen habe.«

»Diese Summe bestand in Fünffrankstücken,« bemerkte Jeans Vertheidiger, »und die zwölfhundert Franken, die man bei dem Angeklagten gefunden hat, waren zwei Bankbillets und zehn Louisd’ors.«

»Der Herr Pfarrer hat uns nicht gesagt,« erwiderten die Zeugen, »in welchen Münzsorten jene zwölfhundert Franken bestanden haben; er erzählte uns nur, daß er sie erhalten habe.«

»Uerigens,« setzte der Staatsanwalt hinzu, »hat der Angeklagte sie auch umwechseln können.

»Auch wünschten wir eben deßhalb Gewißheit zu haben, ob die zwölfhundert Franken in Fünffrankenstücken bestanden haben, um die Anklage auffordern zu können, den Wechsler auszumitteln, bei dem sie umgesetzt worden wären.«

Kein Zeuge konnte das Gericht über diesen Punkt aufklären.

Der junge Mann, welcher die erste Anzeige von dem Verbrechen gemacht hatte, wurde hierauf vernommen. Er wußte nichts zu sagen, als daß er schon am Abend zu dem Pfarrer gekommen war; da er aber von der Haushälterin hörte, daß ihr Herr Besuch hatte, so habe er ihn nicht stören wollen und sei daher am folgenden Morgen wieder zu ihm gegangen. Da ihm ans sein Klopfen Niemand öffnete und eine Todtenstille im Hause herrschte, habe er es auf sich genommen, die Thür mit Gewalt zu öffnen.

Die Entlastungszeugen wurden jetzt gehört. Alle stimmten darin überein, die musterhafte Aufführung Jean Raynals bis zu dem Tage des Verbrechens zu versichern, aber von diesem Augenblicke an konnte Keiner etwas über ihn sagen.

Der Croupier des Spielhauses war ebenfalls eingeladen worden.

»Kennen Sie diesen jungen Mann?« fragte ihn der Präsident, auf den Angeklagten zeigend.

»Nein,« Herr Präsident.«

»Sie erinnern sich nicht, ihn an Ihrer Spielbank gesehen zu haben?«

»Es kommen so viel Leute zu uns, daß es fast unmöglich ist, uns die einzelnen Gesichter zu merken.«

»Oer Angeklagte behauptet, am B. April zwölfhundert Franken bei Ihnen gewonnen zu haben; erinnern Sie sich dessen nichts Sie selbst sollen sie ihm ausgezahlt haben, wie er sagt.«

»Ich zahle Alles aus und es gehen täglich mehrere hunderttausend Franken durch meine Hände. Es würde mir also unmöglich sein, mich zu erinnern, ob ich Jemandem eine so unbedeutende Summe von zwölfhundert Franken ausgezahlt habe.«

»Nun, es ist Gottes Wille!« murmelte Jean.

Mit den übrigen Zeugen war es der nämliche Fall.

Alle Einwohner von Lafou, deren Häuser in der Nachbarschaft des Pfarrhauses lagen, waren eingeladen worden. Einige von ihnen waren spät zu Bett gegangen, Andere waren vor Tagesanbruch wieder aufgestanden, Einige sogar hatten gar nicht geschlafen. Aber kein Einziger von ihnen konnte sagen, daß er im Laufe des Tages oder während der Nacht Jemanden in das Pfarrhaus hatte gehen sehen, als den Angeklagten.

Mit jedem Augenblick häuften sich die moralischen Beweise gegen Jean mehr an. Er war vernichtet, die Gedanken vergingen ihm. Zuweilen glaubte er, er sitze für einen Anderen hier, und auf der anderen Seite war er selbst so entsetzt über dieses Zusammentreffen erschwerender Umstände, daß er sich fragte, ob er nicht wirklich seinen Oheim ermordet habe.

Nach Vernehmung der sämtlichen Zeugen erhob sich der Staatsanwalt und unterstützte die Anklage durch folgende Rede:

»Meine Herren Geschworenen, es giebt Verbrechen, wegen deren Ihre Gerechtigkeit sich in gar keine Diskussion mit Ihrem Gewissen einzulassen braucht und über die Sie ohne Bedenken das Verdammungsurtheil aussprechen können, wenn Sie die in Gefahr gebrachte Gesellschaft rächen wollen. Das Verbrechen, über das Sie heute zu richten haben, gehört zu dieser Klasse. Es ist unter Umständen begangen worden, welche keinen Zweifel über seinen wirklichen Urheber zulassen. Der Mörder ist der, den Sie Vor sich haben; er ist es, der seit zwei Monaten die erschwerendsten Beweise sich um ihn hat aufhäufen sehen, ohne einen einzigen derselben widerlegen zu können. Wenn in Ihrem Geiste noch der mindeste Zweifel bleiben sollte, so erinnern Sie sich der einzelnen Umstände, und der Zweifel wird schwinden, das Licht der Ueberzeugung wird an seine Stelle treten. Zum Glück kann man auf die Justiz das Wort der heiligen Schrift anwenden: Gott sprach, es werde Licht, Und es ward Licht.«

Der Staatsanwalt fuhr sich mit dein Tuche über den.Mund, damit seine Zuhörer Zeit haben sollten, ein Gemurmel der Bewunderung durch den Saal laufen zu lassen; dann fuhr er mit dem gemachten Effect zufrieden, in seiner Rede fort:

»Wenn wir die einzelnen Kettenglieder der Anklage zusammenfügen, so werden wir sehen, ob die Wahrheit nicht klar der Augen liegt. Ein einziger Mensch ist im Laufe des 15. April zu dem Pfarrer Valentin angekommen, wenn wie die drei Freunde ausnehmen, die ihn ans Abende besucht haben und von denen nicht die Rede sein kann, ein Einziger hat während der Nacht vom 15. zum 16. sein Haus wieder verlassen, und dieser Einzige ist Jean Raynal. Während der Zeit welche der Angeklagte in dem Hause seines Oheims zugebracht, ist ein Verbrechen begangen worden, oder Vielmehr zwei Verbrechen, denn es sind zwei Schlachtopfer, deren Tod wir heute zu rächen haben. Auf wen kann der Verdacht fallen, als auf den einzigen Menschen, den man an jenem Tage zu dem ehrwürdigen Pfarrer von Lafou hat kommen sehen? Und welche Beweise findet die Anklage gegen diesen Menschen? Hier werde ich fast von Mitleiden mit dem Angeklagten selbst ergriffen, der hartnäckig die That leugnet, anstatt durch ein offenes Geständniß die Gerechtigkeit milder zu stimmen. Dieser Mensch leugnet, er leugnet! und man findet bei ihm eine Summe von zwölfhundert Franken, während eine ganz gleiche Summe dem unglücklichen Pfarrer gestohlen worden ist! Er leugnet und an seinen Kleidern finden sich die Spuren des edlen Blutes, das er vergessen hat! Er leugnet, und in einem Briefe, den sein Oheim geschrieben hat zwei Stunden ehe er unter dem Stahle dieses Vatermörders fiel, finden wir daß dieser Mensch, den er wie seinen Sohn aufgenommen hat, der unseligen Leidenschaft des Spieles ergeben ist, und der fromme Greis, als ob Gott, dem er diente, eine Ahnung in ihm geweckt hatte, fügt hinzu, daß diese Leidenschaft zu allen Verbrechen führt. Er ahnete es nicht, der heilige Mann, daß er selbst das erste Opfer dieser Leidenschaft sein werde! Er leugnet, und wir kennen den ganzen Grund seines Besuchs bei seinem Oheim, und ist dieser Besuch nach einer zweiundzwanzigjährigen Uneinigkeit, dessen Resultat ein Mord ist, nicht ein Beweis mehr von der Schuld des Angeklagten, und ein so schwerer Beweis, daß die Anklage drei Personen auf die Bank hatte bringen sollen, auf der ich nur eine sehe? —«

Bei den letzten Worten hatte der Staatsanwalt Jeans beide Eltern angeblickt. Aber diese waren von ihrem Kummer so niedergedrückt, daß sie mit gesenkten Köpfen und sich bei den Händen haltend in halber Betäubung da saßen und die Worte des Staatsanwalts nur wie ein verworrenes Summen hörten, das sie nicht verstanden..

»In der That,« hob der Beamte wieder an, indem er den Aermel seiner Robe zurückzog, um seinen Bewegungen mehr Freiheit zu geben, »sammeln Sie nur Ihre Erinnerungen, denken Sie nur an die Aussagen der drei ersten Zeugen, die wir Vernommen haben: der Pfarrer von Lafou hatte bei mehreren Gelegenheiten von dem heftigen Character seines Bruders gesprochen. Was wollte denn nun dieser Neffe nach einer Feindschaft, welche zweiundzwanzig Jahre gedauert hatte? Was ist er, als der Abgesandte des Hasses? was ist er, als das Werkzeug der Rache?«

»Ja, meine Herren Geschworenen, der Angeklagte ist schuldig; ja, Sie können ihn ohne Bedenken und ohne Gewissensbisse verurtheilen. Die Gesellschaft hat das heiligste ihrer Rechte in Ihre Hände gelegt, üben Sie es aus ohne Schwäche. Ihre Mission muß Sie über die Eindrücke des großen Haufens erheben. Hier sind Sie keine Menschen, Sie sind Gewissen! Vergessen Sie nicht, daß Gott selbst gesagt hat: Wer mit dem Schwert gesündigt hat, soll durch das Schwert umkommen!«

Der Staatsanwalt ließ sich wieder nieder unter den Ausbrüchen der allgemeinen Bewunderung und das allgemeinen Beifalls.

Der Vertheidiger nahm hierauf das Wort; er erzählte die Wahrheit und deßhalb ließ sich Niemand durch seine Rede überzeugen.

Als er schwieg, drückte ihm die Frau die Hand, um ihm für die vergebliche Mühe zu danken, die er sich gegeben hatte. Es war elf Uhr Abends. Beim Scheine der Lampen, die man angezündet hatte, sah man das erhabene Gesicht des Erlösers an dem im Hintergrunde des Saales hängenden Kruzifix. Seine Augen waren zum Himmel gerichtet, mit einem Ausdruck von Seelenruhe in seinem tiefen Schmerz, als sagte er zu den Verbrechern: »Bereuet und mein himmlischer Vater wird Euch vergeben!« als sagte er zu den Schuldlosen: »Beugt den Nacken wie ich, und sterbet lächelnd, wenn man Euch verurtheilte; Ihr werdet im Himmel erhöht und die Lieblinge Gottes werden!«

Der Präsident erhob sich und sprach mit feierlicher Stimme:

»Die Geschworenen werden sich in das Berathungszimmer begeben. Die Eltern des Angektagten fordre ich auf, sich zu entfernen, während das Urtheil gesprochen wird.«

Das greise Ehepaar – denn Beide waren in zwei Monaten um zwanzig Jahre gealtert – stand auf und verließ, von zwei Huissiers geführt, den Saal, nachdem sie noch einen letzten Blick voll Thränen auf ihren unglücklichen.Sohn geworfen,der ihn mit einem Lächeln erwiderte, um ihren Muth zu stärken.

Diese Scene machte einen lebhaften Eindruck auf die Zuhörer. Während sie sich entfernten, hörten Onesimus Raynal und seine Gattin von mehreren Stimmen die Worte:

»Die armen Leute!«

Und sie sahen, daß Mancher sich die Thränen trocknete.

In diesem Augenblick hätte man die Freisprechung Jeans gewünscht, denn im Grunde ist das menschliche Herz gut.

Die Geschworenen zogen sich in das Berathungszimmer zurück.

»Man führe den Angeklagten hinaus,« sagte der Präsident.

Jean entfernte sich in Begleitung zweier Gensd’armen.

Nach einer Viertelstunde traten die Geschworenen wieder ein.

Der Obmann sprach Folgendes:

»Auf unsre Seele und Gewissen, ja, wir erklären den Angeklagten Jean Raynal der freiwilligen, mit Vorbedacht ausgeübten Ermordung seines Oheims Valentin Raynal und dessen Dienerin Toinette Belami für schuldig.«

»Man führe den Angeklagten wieder ein,« sagte der Präsident.

Jean trat ein.

»Demgemäß,,« sprach der Präsident, nachdem er und der ganze Gerichtshof, sowie die Zuhörer sich erhoben und Jeder das Haupt entblößt hatte,«.demgemäß verurtheilt das Gericht den Angeklagtem Jean Raynal, zur Strafe des Todes! – Angeklagter, haben Sie noch etwas zu sagen?«

»Nichts, Herr Präsident,« antwortete Jean mit ruhiger Stimme, »als daß auch ich bei meiner Seele und Gewissen und bei dem Gott, der uns hört und in unsere Herzen blickt, schwöre, daß ich unschuldig bin!«

Schweigend und tief erschüttert entfernte sich die Menge.

Als Jeans Vater diese Verurtheilung erfuhr, verließ er die Stadt und man hat nie wieder etwas von ihm gehört. Die Mutter des Verurtheilten wurde wahnsinnig.

Einen Monat nach dieser Sitzung las man in der Sentinelle von Nimes unter dem 16. Juli:

»Gestern hat die Hinrichtung Jean Raynals stattgefunden, dessen Prozeß unsere Leser vor ohngefähr einem Monat gelesen haben. Der Angeklagte hatte das Rechtsmittel der Cassation ergriffen, allein sie wurde verworfen und gestern Morgen wurde ihm angekündigt, daß er nur noch zwei Stunden zu leben habe. Der junge Mann weinte heiße Thränen, während er die Verwerfung seines Gesuchs vernahm; er hat dem Priester gebeichtet, der einige Minuten später in sein Gefängniß kam und der ihn nicht eher als auf dem Schafott wieder verlassen hat. Nach seiner Beichte hat er zu dem Geistlichen gesagt:

»—Ein so guter Christ man auch sein möge, mein Vater, so ist es doch sehr traurig, unschuldig sterben zu müssen, und besonders in meinem Alter!«

»—Auch unser Herr Christus ist unschuldig gestorben. . .« erwiderte ihm der Priester.

»—Ja, mein Vater, aber er büßte durch seinen Tod die Sünden der Menschen, während der meinige Niemandem nützt!«

»Der Henker ist hierauf eingetreten, um die letzte Toilette des Verurtheilten zu machen.

»– Wünschen Sie noch etwas, ehe Sie sterben?« fragte man diesen. r

»– Ein Blatt Papier, eine Feder und Dinte,« antwortete er.

»Das Verlangte wurde. ihm gebracht und er schrieb Folgendes:

»In dem Augenblicke, wo ich sterben muß,

»verzeihe ich Denen, die mich verurtheilt haben, denn bei

»den Beweisen, die auf mir lasteten, würde ich an ihrer

»Stelle das Nämliche gethan haben. Aber ich

»schwöre nochmals, daß ich unschuldig bin an dem

»Verbrechen, wegen dessen ich den Tod erleide,

»und ich hoffe, daß einst die Wahrheit an den Tag

»kommen wird, damit mein Name, so wie der meines

»armen Vaters, welcher verschwunden, und meiner

»unglücklichen Mutter, die in Wahnsinn verfallen ist,

»wieder zu: Ehren komme.

»Jean Raynal.«

»Am 15. Juli 1825.

»– Mein Vater, sagte der Verurtheilte hierauf zu dem Priester, ich bitte Sie, dieses Papier aufzubewahren; es enthält die Zukunft eines Unglücklichem der nur noch eine Stunde zu leben hat.«

»Jean Raynal hat hierauf, nachdem er Speise und Trank verweigert, einen Wagen bestiegen und ist mit der größten Ruhe und Ergebenheit die Stufen des Schafotts hinaufgegangen.

»Zwei Minuten später war die menschliche Gerechtigkeit gesühnt.«

Drei starke Geister

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